Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 28.03.2011

VG Frankfurt: subjektives recht, eigenes verschulden, öffentliches recht, betroffene person, öffentliches interesse, versicherungsaufsicht, petitionsrecht, versicherungsnehmer, verwaltungsakt, vag

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Gericht:
VG Frankfurt 9.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 K 566/10.F
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Ein Versicherungsnehmer hat keinen individuellen Anspruch
auf ein Einschreiten der Versicherungsaufsicht.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wünscht aus Anlass eines am 7. Dezember 2009 erlittenen
Verkehrsunfalls das Einschreiten der Beklagten gegen die X (X), an die er sich
wegen des Unfalls zur Schadensregulierung gewandt hatte.
Die X und der Kläger konnten sich über die Schadensregulierung nicht einigen. Der
Kläger ist der Auffassung, die X komme ihren Verpflichtungen insbesondere aus §
3a Pflichtversicherungsgesetz nicht nach und machte dies mit Schreiben an die
Beklagte vom 12. und 22. Dezember 2009 geltend.
Mit Schreiben vom 12. Februar 2010 (Bl. 10 f. d. A.) teilte die Beklagte dem Kläger
nach Einholung einer schriftlichen Stellungnahme der X mit, eine Prüfung habe
ergeben, die Voraussetzungen für Aufsichtsmaßnahmen gegenüber der X seien
nicht gegeben. Die vorliegenden Unterlagen ließen keinen Verstoß des
Versicherers gegen Versicherungsbedingungen oder gesetzliche Vorschriften
erkennen. Die Beklagte sei als Verwaltungsbehörde nicht befugt, Streitfragen aus
einzelnen Schadenfällen zu entscheiden.
Am 18. Februar 2010 hat der Kläger Klage erhoben und geltend gemacht, es
möge dahinstehen, ob die Beklagte gesetzlich verpflichtet sei, die
Versicherungsaufsicht auszuüben und konkrete Maßnahmen zu ergreifen, oder ob,
wie die Beklagte behaupte, die Eingaben von Verbrauchern Petitionen seien.
Jedenfalls habe die Beklage Eingaben eigenständig sachlich zu bescheiden. Sie
könne diese nicht mit dem pauschalen Hinweis auf eine inhaltlich falsche
Stellungnahme des Versicherungsunternehmens abweisen. Es gehe vorliegend
um den Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz.
Der Kläger beantragt,
1) den Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2010 aufzuheben.
2) die Beklagte zu verpflichten, die Beschwerden des Klägers vom 12. und 22.
Dezember 2009 eigenständig sachlich zu prüfen und zu verbescheiden.
3) die Beklagte zu verpflichten, konkrete Maßnahmen im Rahmen der
Versicherungsaufsicht gegen die X zu ergreifen, deren Ausgestaltung in das
Ermessen der Beklagten gestellt werde.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie sei sowohl unzulässig als auch unbegründet. Dem Kläger könne kein
subjektives Recht auf ein Tätigwerden der Beklagten zu seinen Gunsten zustehen.
Die Beklagte nehme ihre Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse
wahr. Das Interesse eines einzelnen Versicherungsnehmers an der Regulierung
seines persönlichen Unfallschadens sei jedoch kein öffentliches Interesse.
Die Klage sei auch unbegründet, da das Anliegen des Klägers einmalig überprüft
worden sei und die Beklagte dem Kläger ihre Auffassung mitgeteilt habe.
Ein Band Behördenakten hat vorgelegen. Auf seinen Inhalt und den der
Gerichtsakte wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Über die Klage konnte im Termin am 28. März 2011 entschieden werden, obwohl
der Kläger zum Termin nicht erschienen war. Er war mit der Ladung entsprechend
§ 102 Abs. 2 VwGO darauf hingewiesen worden, dass bei seinem Ausbleiben ohne
ihn verhandelt und entschieden werden kann.
Eine Terminsverlegung im Hinblick auf den Antrag des Klägers vom Sonntag, dem
27. März 2011, war nicht geboten. Das erste Prozesskostenhilfegesuch des
Klägers ist bereits durch Beschluss vom 27. April 2010 (1 K 566/10.F) abgelehnt
worden. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat der HessVGH mit Beschluss vom
23. Juni 2010 (6 D 1034/10) zurückgewiesen und dies damit begründet, der Kläger
habe nicht die nach § 117 ZPO erforderliche Erklärung zu seinen wirtschaftlichen
und persönlichen Verhältnissen vorgelegt.
Ungeachtet dieses Hinweises hat der Kläger nach der Ladung zu Termin erneut
Prozesskostenhilfe beantragt, ohne eine solche Erklärung vorzulegen oder
Ausführungen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu
machen. Dementsprechend hat die Kammer das erneute
Prozesskostenhilfegesuch mit Beschluss vom 17. Februar 2011 im Hinblick auf die
mangelnde Vorlage einer solchen Erklärung abgelehnt. Zugleich hat es auch die
vom Kläger beantragte Aushändigung einer Bahnfahrkarte zur
Terminswahrnehmung abgelehnt und dies ebenfalls damit begründet, dass die
eine solche Maßnahme rechtfertigenden wirtschaftlichen Verhältnisse vom Kläger
nicht dargelegt worden sind.
Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, der Kläger sei ohne eigenes
Verschulden und allein wegen seiner angespannten wirtschaftlichen Verhältnisse
nicht in der Lage gewesen, den Termin wahrzunehmen. Auch sonst ist kein Grund
erkennbar, der eine Verlegung des Termins rechtfertigt.
Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger die Aufhebung des „Bescheides“ vom
12. Februar 2010 und die Verpflichtung der Beklagten zum Einschreiten gegen die
X begehrt. Im Übrigen bleibt sie in der Sache ohne Erfolg, da die Beklagte die sich
aus dem Petitionsrecht des Klägers ergebenden Ansprüche erfüllt hat.
Hinsichtlich der mit dem Antrag zu 1) verlangten Aufhebung des Bescheides vom
12. Februar 2010 kann die Klage nur als Anfechtungsklage statthaft sein. Das
unter diesem Datum von der Beklagten verfasste, an den Kläger gerichtete
Schreiben enthält jedoch keinen Verwaltungsakt. Nur für den Fall seines Ergehens
kommt nach § 42 Abs. 1 VwGO eine Anfechtungsklage mit der in § 113 Abs. 1 S. 1
VwGO geregelten Rechtsfolge in Betracht, nach der das Gericht einen
rechtswidrigen und den Kläger in seinen Rechten verletzenden Verwaltungsakt
aufheben kann. Das Schreiben vom 12. Februar 2010 enthält keine hoheitliche
Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts
mit dem Ziel einer unmittelbaren Rechtswirkung nach außen, wie in § 35 VwVfG
vorausgesetzt. Die Ablehnung eines hoheitlichen Einschreitens gegenüber einer
anderen Person stellt als solches noch keine Maßnahme mit Regelungswirkung
dar, da auf eine regelnde Maßnahme gerade verzichtet wird (vgl. (Kopp/Ramsauer,
VwVfG, 11. Aufl., § 35 VwVfG Rn. 56 m. w. N.).
Soweit mit dem Schreiben vom 12. Februar 2010 die Eingabe des Klägers im Sinne
einer Bescheidung seiner Petition beantwortet wird, liegt darin ebenfalls keine
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einer Bescheidung seiner Petition beantwortet wird, liegt darin ebenfalls keine
Maßnahme mit Regelungswirkung vor, sondern nur eine schlicht hoheitliche
Mitteilung. Sie kann nicht als anfechtbarer Verwaltungsakt eingestuft werden.
Soweit der Kläger mit seinem Antrag zu 3) ein Einschreiten der Beklagten als
Versicherungsaufsicht gegen die X begehrt, ist das Begehren zwar als
Verpflichtungsklage i. S. d. § 42 Abs. 1 VwGO statthaft, jedoch mangels
entsprechender Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) unzulässig.
Der Kläger kann im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 VwGO nicht
geltend machen, durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Einschreitens der
Beklagten gegen die Versicherung in seinen Rechten verletzt zu sein. Nach der
Rechtsprechung und der herrschenden Literaturmeinung ist für die Beurteilung
dieser Frage die sog. Möglichkeitstheorie zugrunde zu legen. Danach reicht es
zwar aus, wenn die Möglichkeit der vom Kläger behaupteten Verletzung in einem
eigenen Recht besteht. Die Klagebefugnis ist aber dann zu verneinen, wenn
offensichtlich und eindeutig die vom Kläger geltend gemachten subjektiven
öffentlichen Rechte nicht bestehen oder ihm nicht zustehen können. So verhält es
sich hier.
Der Kläger behauptet ein subjektives Recht auf ein aufsichtsrechtliches
Tätigwerden der Beklagten gegenüber der X. Ein derartiges Recht besteht jedoch
offensichtlich nicht. Gemäß § 4 Abs. 4 des Gesetzes über die Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (FinDAG) vom 22. April 2002, zuletzt geändert durch
Gesetz vom 19.11.2010 (BGBl. I S. 1592) nimmt die Bundesanstalt „ihre Aufgaben
und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr“. Diese Norm bringt für sich
genommen bereits zum Ausdruck, dass insoweit subjektive Rechte Einzelner nicht
existieren, soweit sie auf ein Einschreiten oder dessen Unterlassen gerichtet,
sofern die betroffene Person nicht unmittelbar selbst Adressat einer in ihre Recht
eingreifenden Maßnahme der Bundesanstalt ist. Letzteres ist hier in Bezug auf den
Kläger nicht der Fall, sondern käme hier allenfalls dann in Betracht, wenn die
Beklagte eine Maßnahme gegen die X ergriffen hätte.
Der BGH (U. v. 20.01.2005 - III ZR 48/01 - NJW 2005, 742) hat hinsichtlich der
Regelung des § 4 Abs. 4 FinDAG keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert.
Danach ist der Gesetzgeber den grundgesetzlichen Wertentscheidungen mit der
Beaufsichtigung der Unternehmen der Kredit- und Versicherungswirtschaft
nachgekommen. Im Kern seien mit einer zureichenden Aufsicht auch die Belange
der Kunden dieser Unternehmungen geschützt, „ohne dass man ihnen insoweit
ein eigenes subjektives Recht verleihen oder ihnen nur sekundär wirkende
Haftungsansprüche für ein Versagen der Aufsicht zu erkennen müsste (unter
Bezugnahme auf EuGH U. v. 12.10.2004 – Rs. C–222/02 - NJW 2004, 3479).
Eine Verletzung von Rechten des Klägers kommt auch insoweit nicht in Betracht,
wie § 81 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes über die Beaufsichtigung der
Versicherungsunternehmen (VAG) i. d. F. d. Bek. v. 17.12.1992, zuletzt geändert
durch Art. 9 des Gesetzes vom 22.12.2010 (BGB. I 2309) regelt, dass die
Bundesanstalt in ihrer Funktion als Aufsichtsbehörde auf die ausreichende
„Wahrung der Belange der Versicherten“ achtet. Die „Belange der Versicherten“
im Sinne dieser Norm sind nur die Belange der Gesamtheit der Versicherten, nicht
die jedes oder jeder einzelnen Versicherten (vgl. zur insoweit wortgleichen Norm §
8 Abs. 1 Nr. 3 VAG: BVerwG U. v. 16.7.1968 – I A 5.67 - E 30, 135, 137). Da die
Versicherungsaufsicht somit zumindest grundsätzlich den Versicherten in ihrer
Gesamtheit dient, kann der einzelne Versicherungsnehmer, die einzelne
Versicherungsnehmerin kein subjektives öffentliches Recht auf gesetzmäßige
Ausübung der Aufsicht über das Versicherungsunternehmen haben. Da die
Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen grundsätzlich nicht den
Interessen des oder der Einzelnen dient, dies allenfalls im Wege eines sog.
Rechtsreflexes, d. h. mittelbar der Fall sein kann, dient die Aufsicht auch nicht dem
individuellen Grundrechtsschutz des Klägers als einzelnem Versicherten, sodass
sich der Kläger auch hierauf nicht berufen kann.
Hinsichtlich des Klageantrags zu 2) ist das Begehren des Klägers als
Leistungsklage zulässig, da der Kläger insoweit geltend machen kann, sein
Petitionsrecht (Art. 17 GG) gebe ihm das Recht auf eine weitergehende bzw.
nochmalige Bescheidung seiner Eingaben vom Dezember 2009. In der Sache
besteht hier jedoch kein dahingehender Leistungsanspruch, da die Beklagte die
genannten Eingaben des Klägers nicht nur zur Kenntnis genommen hat, sondern
insoweit auch in eine – beschränkte – inhaltliche Prüfung eintreten ist. Die Beklagte
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insoweit auch in eine – beschränkte – inhaltliche Prüfung eintreten ist. Die Beklagte
hat nämlich das mit den Eingaben geäußerte Vorbringen des Klägers der X
zugeleitet und diese zu einer sachlichen Stellungnahme aufgefordert. Nach dem
Eingang dieser Stellungnahme hat die Beklagte die Stellungnahme der X einer
Prüfung dahin unterzogen, ob Anlass für ein Tätigwerden im Sinne des Klägers
gesehen wird. Einen solchen Anlass hat die Beklagte verneint und dies dem Kläger
mit Schreiben vom 12. Februar 2010 mitgeteilt, und zwar nicht nur das
Prüfungsergebnis, sondern auch die dafür aus der Sicht der Beklagten
maßgebenden Gründe. Damit sind die sich aus dem Petitionsrecht ergebenen
Ansprüche des Klägers erfüllt. Es vermittelt insbesondere kein Recht auf eine dem
geltenden Recht in jeder Weise entsprechende Antwort der mit der Eingabe
angegangenen Behörde. Das Petitionsrecht erschöpft sich in dem Anspruch, dass
diese Behörde das jeweilige Anliegen zur Kenntnis nimmt und der für die Eingabe
verantwortlichen Person das Ergebnis der Prüfung der Angelegenheit mitteilt.
Der Kläger ist, wie die Beklagte zu Recht ausgeführt hat, darauf zu verweisen,
seine von ihm behaupteten Rechte gegen die X ggf. durch das Beschreiten des
Zivilrechtsweges geltend zu machen. Es gehört nicht zu den Aufgaben der
Beklagten, insoweit an die Stelle der ordentlichen Gerichte zu treten. Daraus folgt
zugleich, dass der Kläger seine Rechte auf angemessene Weise geltend machen
kann. Ein Einschreiten der Beklagten ist dafür nicht erforderlich.
Da der Kläger unterliegt, hat er gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Verfahrenskosten
zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §
708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich (§ 124a Abs. 1 S. 1,
§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.