Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 02.03.2011

VG Frankfurt: aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, ablauf der frist, verfügung, öffentliche sicherheit, betroffene person, vollziehung, metallverarbeitender betrieb

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Gericht:
VG Frankfurt 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 L 453/11.F
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 2 S 1 Nr 4 VwGO, §
65 Abs 1 BauO HE 2010, § 60
Abs 2 S 1 BauO HE 2010, § 57
Abs 2 BauO HE 2010, § 54 Abs
1 S 1 BauO HE 2010
Fiktive Baugenehmigung
Leitsatz
1. Ein Bauantrag ist unvollständig, wenn ein erforderlicher schriftlicher Antrag für eine
(bauplanungsrechtliche) Ausnahme fehlt.
2. Ein solchermaßen unvollständiger Bauantrag schließt eine fiktive Baugenehmigung
aus.
3. Zu den Voraussetzungen für ein sofort vollziehbares Nutzungsverbot.
4. Zu dem Begriff der Änderung einer baulichen Anlage.
5. Zu dem Begriff der Nutzungsänderung.
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsgegner (untere Bauaufsichtsbehörde) stellte anlässlich einer durch
eine Beschwerde veranlassten Ortsbesichtigung am 03.03.2010 fest, dass der
Antragsteller eine auf dem Grundstück D in der Gemarkung E befindliche
Lagerhalle, die 1984 für einen ehemals benachbarten metallverarbeitenden
Betrieb genehmigt worden war, angemietet und nach dem Einbau von drei
Büroräumen und von sanitären Anlagen (WC) für einen Internet-Versandhandel
nutzt.
Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „F“ der Gemeinde
E von 1976, der das betreffende Gebiet als Allgemeines Wohngebiet (WA)
festsetzt.
Mit dem Antragsteller am 02.07.2010 zugestellter Verfügung vom 29.06.2010, auf
die Bezug genommen wird, untersagte der Antragsgegner dem Antragsteller nach
vorangegangener Anhörung gestützt auf § 72 HBO die Nutzung der vorgenannten
Halle ab dem 01.12.2010 (Punkt 1.), drohte ihm gem. § 76 HVwVG für den Fall der
Nichtbeachtung des Nutzungsverbots die Festsetzung eines Zwangsgeldes in
Höhe von 5.000,00 Euro an (Punkt 2.) und ordnete gestützt auf § 80 Abs. 2 Satz 1
Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung des Nutzungsverbots an (Punkt 3.). Zur
Begründung wurde ausgeführt, dass durch die Baumaßnahmen und die Aufnahme
der neuen Nutzung eine nach § 54 Abs. 1 HBO genehmigungspflichtige
Nutzungsänderung einer ehemals unselbständigen Lagerhalle in einen
Gewerbebetrieb (Büro- und Lagernutzung) vorgenommen worden sei. Alleine diese
formelle Illegalität rechtfertige das ausgesprochene Nutzungsverbot.
Dagegen legte der Antragsteller mit bei dem Antragsgegner am 29.07.2010
eingegangenem Schreiben vom 22.07.2010 Widerspruch ein, über den - soweit
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eingegangenem Schreiben vom 22.07.2010 Widerspruch ein, über den - soweit
ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist.
Mit gleicher Begründung untersagte der Antragsgegner dem Eigentümer des
Hallengrundstücks G mit Verfügung vom 29.08.2010, auf die Bezug genommen
wird, unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Weitervermietung der
vorgenannten Halle ab sofort nach dem Auszug des jetzigen Mieters
(Antragsteller) und drohte ihm für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in
Höhe von 5.000,00 Euro an.
Mit bei dem Antragsgegner am 12.08.2010 eingegangenem Bauantrag vom
06.08.2010 beantragte der Grundstückseigentümer G die Baugenehmigung für die
Nutzungsänderung der (unselbständigen) Lagerhalle in eine Lagerhalle mit Büro.
Beigefügt war dem Bauantrag u.a. die Betriebsbeschreibung vom 06.08.2010. Am
10.09.2010 ging bei dem Antragsgegner die weitere Betriebsbeschreibung vom
07.09.2010 ein. Mit Schreiben vom 18.10.2010 bestätigte der Antragsgegner dem
Antragsteller die Vollständigkeit des Bauantrages zum 10.09.2010. Mit beim
Antragsgegner am 15.09.2010 eingegangenem Schreiben vom 14.09.2010 teilte
das Regierungspräsidium Darmstadt (Abteilung Arbeitsschutz und Umwelt
Wiesbaden) diesem mit, dass es von dem Bauantragsteller G auch im Hinblick auf
dessen Bauantrag für das angrenzende Grundstück H (ehemaliger
metallverarbeitender Betrieb) für seine immissionsschutzrechtliche Beurteilung
eine „ergänzte Betriebsbeschreibung“ angefordert habe. Diese Anforderung hatte
die weitere Betriebsbeschreibung vom 07.09.2010 veranlasst. Mit am 25.11.2010
beim Antragsgegner eingegangenem Schreiben vom 23.11.2010 teilte das
Regierungspräsidium Darmstadt diesem mit, dass aus seiner Sicht keine
Bedenken gegen das Vorhaben bestünden. Die Gemeinde Wehrheim stimmte
dem Vorhaben unter dem 23.09.2010 nicht zu, da für das Hallengrundstück in
dem vorgenannten Bebauungsplan Allgemeines Wohngebiet festgesetzt sei. Mit
dem Grundstückseigentümer G am 08.12.2010 zugestelltem Bescheid vom
02.12.2010, auf den Bezug genommen wird, lehnte der Antragsgegner die
Erteilung der Baugenehmigung ab. Zur Begründung führte er aus, dass der
Internet-Versandhandel kein Vorhaben i.S.d. § 4 Abs. 2 BauNVO und deshalb im
festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet unzulässig sei. Auch sei dieser wegen
Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme nach § 15 Abs. 1 BauNVO nicht
ausnahmsweise nach § 4 Abs. 3 BauNVO zuzulassen. (Für die Nutzungsänderung
des Werkstatt- und Fertigungsbereichs des ehemaligen Metallbaubetriebes in
einen Internet-Versandhandel auf der angrenzenden Liegenschaft H erteilte der
Antragsgegner dem Bauantragsteller G indessen unter dem 02.12.2010 die
Baugenehmigung unter Zulassung einer Ausnahme gem. § 4 Abs. 3 BauNVO von
der Festsetzung Allgemeines Wohngebiet in dem vorgenannten Bebauungsplan.)
Mit beim Antragsgegner am 15.12.2010 eingegangenem anwaltlichem Telefax
vom 13.12.2010 forderte der Bauantragsteller G den Antragsgegner auf, bis zum
22.12.2010 mitzuteilen, dass für das am 12.08.2010 beantragte Vorhaben am
18.11.2010 die Genehmigungsfiktion nach § 57 Abs. 3 Satz 3 HBO eingetreten sei,
da der am 12.08.2010 beim Antragsgegner eingegangene Bauantrag vollständig
gewesen sei. Ihm sei die mit der Betriebsbeschreibung vom 07.09.2010
weitestgehend identische Betriebsbeschreibung vom 06.08.2010 beigefügt
gewesen, die eine Beurteilung des Vorhabens ermöglicht habe. Mit Schreiben vom
20.12.2010 teilte der Antragsgegner den Bevollmächtigten des Bauantragstellers
G mit, dass keine Genehmigungsfiktion eingetreten sei, da der Bauantrag erst
nach Vorlage der weiteren Betriebsbeschreibung am 10.09.2010 vollständig
gewesen sei. Gegen die Versagung der Baugenehmigung legte der
Bauantragsteller G mit bei dem Antragsgegner am 15.12.2010 eingegangenem
anwaltlichem Telefax vom 14.12.2010 Widerspruch ein, über den - soweit
ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist. Mit bei Gericht am 16.02.2011
eingegangenem anwaltlichem Telefax vom 15.02.1011 hat der Bauantragsteller G
Feststellungsklage erhoben mit dem Antrag, festzustellen, dass sein Bauantrag
nach § 57 HBO fiktiv genehmigt worden ist. Über diese unter der
Geschäftsnummer 8 K 454/11.F bearbeitete Klage ist noch nicht entschieden
worden.
Mit bei Gericht am 16.02.2011 eingegangenem anwaltlichem Telefax vom
15.02.2011 hat der Antragsteller um Eilrechtsschutz nachgesucht. Er ist unter
Hinweis auf das Vorstehende der Auffassung, dass die Genehmigungsfiktion
eingetreten sei und dass deshalb sein Internet-Versandhandel nicht formell illegal
betrieben werde.
Der Antragsteller beantragt,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom
22.07.2010 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 29.06.2010
wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er hält an seiner Auffassung aus dem Schreiben vom 20.12.2010 fest, dass keine
Genehmigungsfiktion eingetreten sei und dass das Nutzungsverbot wegen
formeller Illegalität habe ergehen dürfen.
Mit Beschluss vom 02.03.2011 ist der Rechtsstreit dem Berichterstatter als
Einzelrichter übertragen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der Gerichtsakte 8 K 454/11.F und der vorgelegten Behördenakten
des Antragsgegners (vier Hefter) Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 22.07.2010 gegen die in der
Verfügung des Antragsgegners vom 29.06.2010 angeordnete und für sofort
vollziehbar erklärte Untersagung der Nutzung der Halle (Punkte 1. und 3.) ist
zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines
Rechtsbehelfs gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt (§ 35
Satz 1 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz - HVwVfG -, § 80 Abs. 2 Satz 1
Nr. 4 VwGO) auf Antrag des Betroffenen ganz oder teilweise wiederherstellen. Ein
solcher Antrag ist begründet, wenn das öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem Privatinteresse des
Antragstellers, die Vollziehung bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf
hinauszuschieben, nicht überwiegt. Das ist dann der Fall, wenn der Verwaltungsakt
offensichtlich rechtswidrig ist, denn an der sofortigen Vollziehung eines
rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann kein vorrangiges öffentliches Interesse
bestehen. Umgekehrt ist der Rechtsschutzantrag abzulehnen, wenn der
angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig und seine Vollziehung
eilbedürftig ist. In allen anderen Fällen entscheidet bei summarischer Beurteilung
des Sachverhaltes eine Abwägung der beteiligten öffentlichen und privaten
Interessen, die für oder gegen die Dringlichkeit der Vollziehung sprechen, über die
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (st. Rspr., vgl. z.B. Hess. VGH, Beschluss
vom 29.05.1985 - 3 TH 815/85 -).
Nach diesen Grundsätzen ist der begehrte vorläufige Rechtsschutz nicht zu
gewähren.
Rechtsgrundlage (Befugnisnorm) für das unter Punkt 1. Der Verfügung vom
29.06.2010 verfügte bauaufsichtliche Nutzungsverbot ist § 72 Abs. 1 Satz 2
Hessische Bauordnung - HBO -, der der allgemeinen Befugnisnorm des § 53 Abs. 2
Satz 2 HBO vorgeht (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 30.01.1997 - 4 TG 73/97 -,
BRS 59 Nr. 214; Beschluss vom 20.12.1999 - 4 TG 4637/98 -, Hess.VGRspr. 2000,
67 ). Voraussetzung für das
Nutzungsverbot ist nach § 72 Abs. 1 Satz 2 HBO, dass bauliche Anlagen oder
andere Anlagen oder Einrichtungen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 HBO in Widerspruch zu
öffentlich-rechtlichen Vorschriften benutzt werden. Da nach § 65 Abs. 1 HBO für
nach § 54 Abs. 1 HBO baugenehmigungspflichtige bauliche Anlagen, Teile von
baulichen Anlagen sowie andere Anlagen oder Einrichtungen nach § 1 Abs. 1 Satz
2 HBO nicht vor Zugang der Baugenehmigung bzw. vor Ablauf der Frist nach § 57
Abs. 2 Satz 3 HBO mit der Ausführung begonnen werden darf, rechtfertigt
grundsätzlich die formelle Illegalität einer baulichen Anlage bereits den Erlass
eines Nutzungsverbotes. Denn dieses weist die betroffene Person nur in die durch
die §§ 54 Abs. 1, 65 Abs. 1 HBO gesetzten Schranken, nämlich kein
baugenehmigungspflichtiges Vorhaben vor Zustellung der Baugenehmigung zu
realisieren und zu nutzen (ständige Rechtsprechung der hessischen
Verwaltungsgerichte, vgl. z.B. Hess. VGH, Beschluss vom 15.10.1986 - 3 TH
2544/86 -, NVwZ 1987, 428; Beschluss vom 20.06.1991 - 4 TH 2607/90 -, BauR
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2544/86 -, NVwZ 1987, 428; Beschluss vom 20.06.1991 - 4 TH 2607/90 -, BauR
1992, 68 m.w.N.; Beschluss vom 10.11.1994 - 4 TH 1864/94 -, BauR 1995, 679 =
BRS 57 Nr. 259; Beschluss vom 26.07.1994 - 4 TH 1779/93-, NVwZ 1995, 922 =
Hess.VGRspr. 1995, 60 = BRS 56 Nr. 212; Beschluss vom 30.10.1995 - 3 TG
3115/95 -, NVwZ-RR 1996, 487 = BRS 57 Nr. 255; vgl. auch Hornmann, Hessische
Bauordnung, § 72 Rn. 212 m.w.N.).
Formelle Illegalität ist hier gegeben. Der Einbau von Büro- und Sanitärräumen in
eine für einen ehemals benachbarten metallverarbeitenden Betrieb genehmigte
und genutzte Lagerhalle und deren Nutzung für einen Internet-Versandhandel
stellen eine Änderung und eine Nutzungsänderung einer baulichen Anlage dar, die
nach § 54 Abs. 1 Satz 1 HBO baugenehmigungspflichtig sind, und zwar im
vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 57 HBO. Die Änderung umfasst
jedes nicht nur unerhebliche Umbauen (Umgestalten, Einwirkung auf den
vorhandenen technischen Bestand) einer baulichen Anlage innen oder außen,
wozu auch das Einbauen von Teilen wie den Büroräumen und dem Sanitärbereich
gehören (vgl. Hornmann, a.a.O., § 54 Rn. 16 m.w.N.) Die Nutzungsänderung ist die
Änderung der Benutzung der vorhandenen Anlage (Umnutzung), wobei die
Substanz nicht oder allenfalls geringfügig im Hinblick auf die neue Nutzung
geändert wird, die also grundsätzlich nicht mit einer baulichen Maßnahme
einhergeht (vgl. Hornmann, a.a.O., § 54 Rn. 17 ff. m.w.N.), also auch die
Umnutzung einer (unselbständigen) Lagerhalle in einen (selbständigen) Internet-
Versandhandel. Denn eine Nutzungsänderung liegt vor, wenn sich - wie hier - die
neue Nutzung von der bisherigen (legalen) dergestalt unterscheidet, dass sie
anderen oder weitergehenden Anforderungen bauordnungs- oder
bauplanungsrechtlicher Art unterworfen ist oder unterworfen werden kann, d. h.
schon dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass die Zulässigkeit des geänderten
Vorhabens nach den Bauvorschriften anders beurteilt werden kann (vgl. Hess.
VGH, Urteil vom 08.11.1979 - IV OE 51/75 -, BauR 1980, 251 = BRS 35 Nr. 51; OVG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2005 - 10 A 1166/04 -, BauR 2006, 959 =
BRS 69 Nr. 100
EDV-Zubehör>). Dies ist - wie noch ausgeführt wird - im Hinblick auf § 4
Baunutzungsverordnung - BauNVO - der Fall.
Die somit erforderliche Baugenehmigung wurde mit Bescheid vom 02.12.2010
abgelehnt.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist keine Genehmigungsfiktion nach §
57 Abs. 2 Satz 3 HBO eingetreten. Dies setzt für den Beginn des Fristlaufes
aufgrund der Verknüpfung dieser Vorschrift mit § 57 Abs. 2 Satz 2 HBO voraus,
dass der Bauantrag vollständig war; nur dann beginnt die Frist zu laufen, nicht mit
der schriftlichen Eingangsbestätigung nach § 57 Abs. 2 Satz 1 HBO (vgl. Hess.
VGH, Beschluss vom 08.11.1996 - 4 TG 3776/96 -, NVwZ-RR 1997, 402 = BRS 58
Nr. 133).
Die für die Vollständigkeit eines Bauantrages im Sinne des § 57 Abs. 2 Satz 1 und
2 HBO erforderlichen Bestandteile ergeben sich aus § 60 Abs. 2 Satz 1 HBO i.V.m.
dem Bauvorlagenerlass (Vgl. Hornmann, a.a.O., § 60 Rn. 49; § 57 Rn. 48). Danach
sind dem Bauantrag alle für die Beurteilung des Vorhabens und die Bearbeitung
des Bauantrages erforderlichen Bauvorlagen beizufügen, wozu im Einzelfall auch
ein Antrag nach § 63 Abs. 2 HBO gehört, wie sich aus § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und
2 HBO, § 63 Abs. 1 HBO, § 31 Abs. 1 und 2 Baugesetzbuch - BauGB -, § 60 Abs. 2
Satz 1 und 4 HBO i.V.m. dem Bauvorlagenerlass Anlage 1 Bauantrag BAB 01
Spalte 7 Position 14 ergibt (vgl. VG Gießen, Urteil vom 07.01.2008 - 1 E 2374/07 -,
UPR 2009, 199 = BRS 73 Nr. 192; Allgeier/Rickenberg, HBO, 8. Aufl. 2008, § 63 Rn.
23). Das Vorhaben (§ 29 BauGB) im Geltungsbereich des vorgenannten
Bebauungsplans (§ 30 BauGB), der für das betreffende Grundstück Allgemeines
Wohngebiet (WA) festsetzt, kann, da es offensichtlich keines i.S.d. § 4 Abs. 2
BauNVO ist, nur nach § 4 Abs. 3 BauNVO i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB im Wege der
Ausnahme zugelassen werden. Ein dafür nach § 63 Abs. 2 HBO erforderlicher
schriftlicher Abweichungsantrag mit Begründung wurde nicht gestellt und hätte
dem Bauantrag als notwendige Bauvorlage beigefügt sein müssen.
Damit ist die tatbestandliche Voraussetzung des § 72 Abs. 1 Satz 2 HBO der
formellen Illegalität gegeben. Der Antragsgegner hat seine Entscheidung auch
ausschließlich darauf abgestellt.
Für die Anordnung des Nutzungsverbots ist den Bauaufsichtsbehörden Ermessen
(§ 72 Abs. 1 Satz 2 HBO, § 40 HVwVfG) eingeräumt. Es liegen jedoch keine
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(§ 72 Abs. 1 Satz 2 HBO, § 40 HVwVfG) eingeräumt. Es liegen jedoch keine
gerichtlicher Überprüfung zugängliche Ermessensfehler (vgl. § 114 VwGO) vor. Bei
einem Einschreiten gegen einen rechtswidrigen Zustand darf die
Bauaufsichtsbehörde im Regelfall ihre Ermessenserwägungen
(Entschließungsermessen) und auch die Begründung der Verfügung (vgl. § 39 Abs.
1 Satz 3 HVwVfG) darauf beschränken, dass sie - wie hier - zum Ausdruck bringt,
ihr gehe es um die Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes (vgl. BVerwG,
Urteil vom 30.08.1985 - 4 C 50.82 -, NJW 1986, 393). Denn dem der
Bauaufsichtsbehörde für Nutzungsverbote in § 72 Abs. 1 Satz 2 HBO
eingeräumten Ermessen ist die Tendenz eigen, die im öffentlichen Interesse
grundsätzlich gebotene Pflicht zum Einschreiten zu verwirklichen. Das behördliche
Ermessen wird durch die Norm nur eröffnet, um in Ausnahmefällen zu
ermöglichen, von dem an sich gebotenen Einschreiten abzusehen, wenn dies nach
den konkreten Umständen opportun ist (vgl. OVG Thüringen, Beschluss vom
27.06.1996 - 1 EO 425/95 -, ThürVBl. 1997, 16; Hornmann, a.a.O., § 72 Rn. 227 u.
42). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
Gegen das Willkürverbot des Art. 3 Grundgesetz - GG - wurde nicht verstoßen (vgl.
Hess. VGH, Urteil vom 04.07.1991 - 4 UE 3127/87 -, HessVGRspr. 1992, 53 =
NVwZ-RR 1992, 346).
Das Nutzungsverbot ist auch nicht unverhältnismäßig nach den §§ 3 Abs. 1 Satz 3,
4 Abs. 2 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - HSOG -
(vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 04.11.1993 - 4 TH 2109/92 -). Die Frist für die
Beachtung des Nutzungsverbots steht im Ermessen der Behörde (vgl. Hornmann,
a.a.O., § 72 Rn. 229). Gerichtlicher Überprüfung zugängliche Ermessensfehler (§
114 VwGO) sind nicht ersichtlich. Die Frist nach Punkt 1. der Verfügung vom
29.06.2010 von etwa fünf Monaten ist daher nicht unverhältnismäßig und
gerichtlich nicht zu beanstanden.
Der Antragsteller ist als Inhaber der tatsächlichen Gewalt und Nutzer der Halle
zutreffend nach den §§ 3 Abs. 1 Satz 3, 6 Abs. 1, 7 Abs. 1 Satz 1 HSOG in
Anspruch genommen worden.
Keinen Bedenken begegnet im Ergebnis die Anordnung der sofortigen Vollziehung
nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Beim Nutzungsverbot geht es insbesondere
um die Beachtung formellen Baurechts. Es kann seine Funktion nur erfüllen, wenn
es - wie hier - nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO für sofort vollziehbar
erklärt wird (st. Rspr. der hessischen Verwaltungsgerichte, vgl. z.B. Hess. VGH,
Beschluss vom 30.10.1995 - 3 TG 3115/95 -, HessVGRspr. 1996, 54 = NVwZ-RR
1996, 487 = BRS 57 Nr. 255; Beschluss vom 19.12.2005 - 3 UZ 2970/05 -; vgl.
auch Hornmann, a.a.O., § 72 Rn. 240 m.w.N.). Anderenfalls würde die präventive
Kontrolle der Bauaufsicht unterlaufen (§§ 54 Abs. 1, 65 Abs. 1 HBO). Zudem würde
der „Schwarzbauer“ einen zeitlichen Vorteil gegenüber dem rechtstreuen
Bauantragsteller erhalten und es würden unangemessene Wettbewerbsvorteile
entstehen; dies ist mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
Dies hat der Antragsgegner in seiner Verfügung vom 29.06.2010 auch sinngemäß
zum Ausdruck gebracht. Hinzu kommt, dass bei einer stattgebenden
Entscheidung die Handhabe dafür geboten würde, eine Ordnungswidrigkeit nach §
76 Abs. 1 Nr. 12 HBO einstweilen fortzusetzen (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom
12.10.1979 - IV TH 76/79 -, HessVGRspr. 1980, 4; Beschluss vom 22.05.1987 - 3
TH 1197/87 -).
Einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 VwGO
i.V.m. § 16 Hessisches Ausführungsgesetz zur VwGO - HessAGVwGO - auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die in der
Verfügung des Antragsgegners vom 29.06.2010 enthaltene, die
Nutzungsuntersagung betreffende Zwangsgeldandrohung (Punkt 2.) hat der
anwaltlich vertretene Antragsteller nicht gestellt. Eine entsprechende Auslegung (§
88 VwGO) des Antrags nimmt das Gericht angesichts der anwaltlichen Vertretung
des Antragstellers nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52, 53 Gerichtskostengesetz - GKG -
i.V.m Nr. 9.4 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Stand
7/2004 (NVwZ 2004, 1327).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.