Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 18.02.2011

VG Frankfurt: stadt, verfügung, jugendhilfe, satzung, ausschluss, ausbildung, besuch, form, eltern, jugendamt

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Gericht:
VG Frankfurt 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 L 341/11.F
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 25 KJHG HE, § 80 Abs 2 Nr 4
SGB 8, § 24 SGB 8, § 22 SGB
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Kein Anspruch auf ganztägige Betreuung nach § 24 SGB VIII
Leitsatz
- Anspruchsberechtigt nach § 24 SGB VIII ist das Kind
- Der örtliche Jugendhilfeträger hat nur darauf hinzuwirken, dass ein bedarfsgerechtes
Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht
- Hinsichtlich des Mindestbetreuungszeitraumes ist allgemein anerkannt, dass es sich
um eine Halbtagsbetreuung handeln muss
- Es besteht kein Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
I
Die am xx.xx.2005 geborene Antragstellerin, das Kind A, besucht die städtische
Kindertagesstätte – Kita - der Antragsgegnerin in A-Stadt . Die Mutter und
gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin, Frau A., absolviert derzeit eine
ganztägige Ausbildung zur Hauswirtschafterin.
A wird nebst einem Geschwisterkind seit August 2010 in der Kita in A-Stadt
betreut.
Zuvor besuchte sie von September 2008 bis Juni 2009 die Kita Rodenbach der
Antragsgegnerin.
Laut Vermerk über ein Telefonat mit Frau Z. vom 06.10.2010, der Leitung der Kita
R. zeigte dort ein auffälliges Verhalten in Form von heftigen Attacken gegenüber
anderen Kindern die sie biss und schlug. warf sich oft auf den Boden, in
Situationen, in denen es nicht nach ihrem Willen ging und konnte in diesen
Situationen auch kaum beruhigt werden. Ihr Verhalten zeigte im Laufe der Zeit
keine größeren Veränderungen.
Seit dem Besuch der Kita seit dem 01.08.2010 zeigten sich bereits in der
Eingewöhnungsphase erste Auffälligkeiten in A Verhalten. Laut schriftlicher
Mitteilung von Frau K, der Gruppenerzieherin, war vom ersten Tag an ohne
Beziehungsaufbau im Geschehen. Sie umarmte Kinder sehr fest, packte sie zum
Teil auch am Hals, drückte fest zu und begann recht schnell die Kinder zu hauen,
zu beißen und zu treten. Frau K brachte das auffällige Verhalten von in
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zu beißen und zu treten. Frau K brachte das auffällige Verhalten von in
Teamsitzungen ein, was zur Erstellung eines Regelwerkes im September 2010
führte, worin präzise der Umgang mit Regelverstößen, so z. B. beim Weglaufen,
wenn sie sich auf den Boden wirft und schreit, wenn sie sich zurückgesetzt fühlt, in
den Bring- und Abholphasen und während der Freispielzeit erstellt wurde.
Danach wurden zwei Helferkreise einberufen, zunächst am 12.11.2010 und am
18.01.2011.
Am 12.11.2010 waren Frau A., die Mutter von, Frau S. als sozialpädagogische
Fachkraft vom Sprungbrett, der Familien- und Jugendhilfe A-Stadt e.V., Frau J., die
pädagogische Leiterin des Eigenbetriebes der Antragsgegnerin, Frau X. als Leiterin
der Kita, Frau K., der Gruppenerzieherin und Herr W., vom katholischen
Sozialdienst – im Folgenden KSD – anwesend. Es wurde gemeinsam nach
Möglichkeiten gesucht, um As Entwicklung positiv zu beeinflussen. In der Kita seien
durch Handlungen/Übergriffe von (Beißen, schlagen, spucken) gegenüber Kindern
und Erziehern Grenzen erreicht worden, die dazu führen müssen, alle Beteiligten
zu schützen und nach Lösungen zu suchen.
Zur Diagnostik wird ausgeführt, dass zwei Termine im sozialpädiatrischen Zentrum
– im Folgenden SPZ – gehabt habe. Ein weiterer sei am 18.11.2010. Danach
erhalte der Kinderarzt nach circa vier bis sechs Wochen einen Bericht.
Folgende Vereinbarungen wurden im Helferkreis getroffen:
1 x wöchentlich bekommt Frau A. eine Rückmeldung über positive und schwierige
Situationen sowie die Entwicklung von A. Die Situationen werden handschriftlich
dokumentiert. Frau S. hat die Möglichkeit einer „verdeckten“ Hospitation in der
Kita, um das Verhalten von in Gruppensituationen ohne ihr Wissen beobachten zu
können. Anhand einer Tabelle kann sich „Smiles“ über den Tagesablauf
erarbeiten, um einen sichtbaren Überblick über ihr Verhalten zu haben. Herr W.
informiert sich über andere Möglichkeiten der Betreuung für A, wenn die
Schwierigkeiten und Übergriffe anhalten oder sich verstärken sollten. Das nächste
Helfergespräch wurde für die 2. Januarwoche 2011 angesetzt. Bei diesem Termin
sollte eine Auswertung des Berichtes vom SPZ stattfinden, sowie die Möglichkeit
der Betreuung für die weitere Entwicklung von besprochen werden.
Als ein Beispiel unter vielen schildert die Gruppenerzieherin einen Vorfall in der Kita
am 20.10.2010:
„Um 8.30 Uhr kam A in ihre Gruppe und biss I. grundlos in den Arm, so dass
Bissspuren sichtbar waren. Daraufhin lief A weg und eine Erzieherin folgte ihr, um
sie zurückzuholen. Die Erzieherin nahm A mit in die Garderobe, dort warf sie sich
auf den Boden und schlug um sich. Als A. wieder in der Gruppe war und I. sah,
schlug sie nach ihr und traf hierbei ein anderes Kind im Gesicht. Als die Kinder um
9.00 Uhr zum Treffkreis aufräumten, wollte noch weitermalen. Die Erzieherin
forderte sie auf, auch aufzuräumen, woraufhin A anfing zu schreien, auf den Tisch
schlug und die kompletten Malutensilien auf den Boden warf. Die Erzieherin bot an,
mit ihr gemeinsam aufzuräumen, woraufhin sich auf den Boden warf und
versuchte, den Tisch umzuwerfen. Nachdem dies nicht gelang, nahm A einen Stuhl
und warf ihn nach einem Kind. Die Erzieherin ging dazwischen und wurde von A in
den Arm gebissen. A ließ erst von der Erzieherin ab, als diese ihr die Augen zuhielt.
A schlug wild um sich und traf die Erzieherin im Gesicht. Die Erzieherin trug dann
aus der Gruppe und setzte sich gemeinsam mit ihr in die Garderobe auf den
Boden. A. schrie circa 10 Minuten, bevor sie sich langsam wieder beruhigte. A
wurde dann für den kompletten Tag aus der Gruppe genommen und einzeln
betreut. Frau A wurde in der Abholsituation darüber informiert, was vorgefallen war
und was die Konsequenz für A. war. Sie erhielt Einzelbetreuung und sie kann am
folgenden Tag nicht mit den anderen Kindern die Feuerwehr besuchen, da die
Gefahr zu groß ist, dass sie andere Kinder verletzt, bzw. abhaut. Reaktion der
Mutter: Teilnahmslos, ohne Reaktion“.
Mit Schreiben vom 14.12.2010 wandte sich Frau U. an den Eigenbetrieb A-Stadt
Kindertagesbetreuung und bat dringend um Unterstützung. In dem Schreiben
schildert sie, dass es immer wieder zu körperlichen Ausschreitungen, die innerhalb
von Sekunden die Sicherheit von A, den Kindern und den Kolleginnen gefährden,
komme. Es falle den Mitarbeiterinnen der Kita schwer, die Fürsorgepflicht von A,
den Kindern und Erwachsenen während des Gruppenalltages sicher zu stellen.
Durch einen für erstellten Regelplan, Dienstplanumgestaltung mit zwei Kolleginnen
in Anwesenheit von und einer eingeschränkten Funktionsraumöffnung sei es
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in Anwesenheit von und einer eingeschränkten Funktionsraumöffnung sei es
trotzdem kaum möglich, den normalen Tagesablauf mit den Bedürfnissen der
anderen Kinder mit Altersmischung ab zwei Jahren gerecht zu werden. Im Team
seien in Dienstbesprechungen und Supervisionen Regelsysteme für erstellt
worden. A könne nicht an den konzeptionellen Tagesabläufen ohne eine 1 zu 1
Betreuung (bei freier Raumentscheidung, Ausflügen, Essen usw.). teilnehmen. Die
letzten Ausschreitungen seien nur mit Einzelbetreuung über einen längeren
Zeitraum möglich gewesen, bei dem die Kolleginnen mit großem Kraftaufwand den
Wutausbrüchen mit Beißen, Boxen, Spucken und Treten standhielten. Die Kinder
haben, bedingt durch die unkontrollierten Angriffe Angst vor A. Aufgebrachte und
besorgte Eltern werden einfühlsam in ihrer Angst um ihre Kinder, die von
Erlebnissen berichten oder Verletzungen von A aufweisen, von den
Mitarbeiterinnen der Kita begleitet. Frau U. teilt mit, dass sie sich nicht mehr in der
Lage sehe, die Verantwortung für die Kinder zu übernehmen, da die
Unberechenbarkeit der Wutausbrüche von eine Gefährdung für alle Beteiligten in
ihrer Nähe darstelle und dies kaum mehr zu bewältigen sei. Die Grenzen
gegenüber den Erzieherinnen seien erreicht.
Das Ergebnis des Gesprächs im zweiten Helferkreis am 18.01.2011 mit den
gleichen Beteiligten des ersten Helferkreises fasste Frau U. in einem Schreiben
vom 19.01.2011 an den Eigenbetrieb der Stadt Hanau Kindertagesbetreuung wie
folgt zusammen:
Wir bitten um Unterstützung bei der Umsetzung folgender Vorgehensweisen:
Die Betreuung des Kindes A. in der Kindertagesstätte endet zum 15.02.2011 (die
Schreibweise 15.02.20 10 stellt einen offensichtlichen Schreibfehler dar).
- Zur Unterstützung des KSD in der Übergangszeit wird ab 24.01.2011 von 9.00
Uhr bis 12.00 Uhr in der Famta betreut.
Herr W. wird sich mittelfristig um eine Vermittlung von A in eine andere
Einrichtungsform bemühen. Für die Zwischenzeit bedenkt Herr W., die SPFH (wohl
sozialpädagogische Familienhilfe) in der Familie auf 35 Wochenstunden zu erhöhen
(Gesprächsverlauf und Entscheidungsvorlage waren einvernehmlich). Zum
Hintergrund des zweiten Helfergesprächs wird darin ausgeführt, dass As
problematisches Verhalten seit Aufnahme in die Kita Inhalt intensivster, zeitlich
aufwendiger Fallgespräche sei. Im Tagesverlauf treten mehrmals täglich massive
aggressive Behandlungen gegen Kinder und Mitarbeiterinnen auf. A. schlägt, tritt,
beißt, schreit, wirft Sachen und Möbel um, und läuft weg. Der Schutz As vor
Selbstverletzungen und der Schutz der anderen Kinder sind in solchen Situationen
nur durch „Festhalten“ As möglich. Diese aggressiven Schübe treten zumeist sehr
plötzlich – meist im Zusammenhang mit Umständen, die durch
gruppendynamische Prozesse bedingt sind, auf. Teilweise zeigt dieses Verhalten
auch ohne durch die Fachkräfte erkennbare Gründe. Sie benötigt über lange
Zeiträume am Tage Einzelbetreuung und ihre Anwesenheit bedarf nahezu
ständiger Kontrolle. Alle bisher installierten pädagogischen Interventionen haben
nicht zu einer Veränderung des Verhaltens geführt. Die Dienstplangestaltung der
Kita muss vorrangig durch eine kontinuierliche Doppelbesetzung in der Gruppe an
der Betreuung As ausgerichtet werden. Seit Mitte Dezember 2010 gehen die
ersten Elternbeschwerden bei der Leitung ein. Die Mitarbeiterinnen sind in hohem
Maße erschöpft und haben ihre persönlichen emotionalen und fachlichen
Leistungsgrenzen erreicht. Sie bringen dies deutlich zum Ausdruck.
In diesem zweiten Helferkreis teilte Herr W. mit, dass er keine Einrichtung
gefunden habe, die A betreuen könne, was an ihrem Alter liege. Die Tagesgruppen
in A-Stadt und O. würden Kinder erst ab dem Schulalter und dann auch nur am
Nachmittag aufnehmen. Die einzige weitere Alternative sei eine Fremdplatzierung
des Kindes. Die Mutter lehnt nach wie vor eine Aufnahme As in eine
heilpädagogische oder andere Form der Wochengruppe ab. Eine Untersuchung in
der V.-Klinik (Kinder- und Jugendpsychiatrie) wird von Seiten der Mutter zum
momentanen Zeitpunkt als nicht notwendig erachtet. Die Untersuchungen im SPZ
– O. sind noch nicht abgeschlossen. Die derzeitigen dortigen
Untersuchungsergebnisse sind ohne pathologischen Befund.
Auf dem Hintergrund der Ergebnisse dieses Helferkreises bittet Frau U. beim
Eigenbetrieb A-Stadt durch die Notwendigkeit eines Wechsels von A in eine andere
Betreuungsform um Zustimmung und Unterstützung zur geplanten
Vorgehensweise.
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Aus einer Gesprächsnotiz vom 21.01.2011 zur weiteren Betreuung von A ergibt
sich, dass Herr W. Frau J. vom Eigenbetrieb A-Stadt Kindertagesbetreuung darüber
informiert, dass er keine alternative Betreuungsform für gefunden habe. Die
Erhöhung der SPFH (= sozialpädagogische Familienhilfe) auf 35 Wochenstunden
sei nicht möglich. Herr ... könne folgenden Vorschlag anbieten, der im
Wesentlichen eine Halbtagsbetreuung für Montag, Dienstag, Donnerstag und
Freitag von durch die SPFH von insgesamt 20 Stunden vorsehe und eine
Betreuung durch die Kita im Übrigen in Höhe von 30 Stunden.
Aus einer weiteren Gesprächsnotiz vom 01.02.2011 von Frau J., der pädagogischen
Leiterin des Eigenbetriebs ergibt sich, dass ein Projekt zur Integration von A in der
Kita durch den Fachbereich XX, das Jugendamt der Stadt A. initiiert werden soll. Als
Dauer des Projektes sind circa vier bis fünf Monate mit dem Ziel der stufenweisen
Reduzierung des zusätzlichen Einzelbetreuungsaufwandes veranschlagt. Der
Zeitraum diene der weitergehenden Diagnostik der Hintergründe von As
Verhalten. Der Fachbereich XX habe ein großes Interesse an dem
Kooperationsprojekt, um die Familie nicht zu verlieren. Der Fachbereich XX
übernehme die Personalkosten einer 1 zu 1 Betreuung As in der Kita Famta. Es
werde an ein Stundenkontingent analog der notwendigen Betreuungszeit bis zu 10
Stunden gedacht. Da der Fachbereich selbst über keine eigenen
Personalressourcen verfüge, solle eine Anfrage gestartet werden, ob der
Eigenbetrieb Kindertagesstätten für dieses Projekt Personal zur Verfügung stellen
könnte.
Mit am 03.02.2011 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat die gesetzliche
Vertreterin der Antragstellerin einen Eilantrag gestellt.
Sie trägt vor, auf einen ganztägigen Kindergartenplatz angewiesen zu sein. Frau U.
von der Kita sei nur bereit, ihre Tochter vormittags von 9.00 – 12.00 Uhr zu
betreuen. Außerdem sei angekündigt worden, ihre Tochter zum 15.02.2011
vollständig aus dem Kindergarten auszuweisen. Die Umgangsformen von A hielten
sich im normalen Rahmen und seien für ausgebildete Erzieher absolut
beherrschbar. Im Haushalt der Mutter von A funktioniere die Erziehung normal,
abgesehen von marginalen Hindernissen. A sei ein Mal beim SPZ in O. untersucht
worden. Auffälligkeiten seien nicht festgestellt worden. Bei Kinderärzten sowie im
Rahmen einer Untersuchung bei der Kinder- und Jugendpsychiatrie seien ebenfalls
keinerlei Befunde festgestellt worden. Die Kita habe auch eine Integrationsgruppe,
in der A teilnehmen könne. Der Vorschlag vom Jugendamt A-Stadt, eine 15-
Stunden-Kraft nur für A einzustellen, sei von den Verantwortlichen der Kita
abgelehnt worden. Nach einem weiteren Lösungsvorschlag des Jugendamtes, die
Stundenzahl der Familienhilfe in der Kita zu erhöhen, hätte A früher am Tag aus
der Kita abgeholt werden können. Auch habe das Jugendamt angeboten, dass die
Familienhilfe in der Kita hospitiere, so dass den Erzieherinnen in der Kita
Unterstützung zur Verfügung gestellt werden könnte. Die Kita A-Stadt sei zu einer
solchen Kooperation nicht bereit.
Für die Mutter der Antragstellerin sei die Situation nicht zu bewältigen, weil sie eine
Ausbildung zur Hauswirtschaftlerin ganztägig durchlaufe. Im Übrigen sei die
derzeitige Unterbringung lediglich von 9.00 – 12.00 Uhr nicht annähernd
ausreichend, selbst wenn die Mutter von A nur einer Teilzeitbeschäftigung
nachgehe. Aufgrund der psychischen Belastung sei die Mutter der Antragstellerin
derzeit krank geschrieben. Die Mutter von A sei auf eine ganztägige Betreuung
ihres Kindes angewiesen, um ihre Ausbildung absolvieren zu können, woraus sich
die besondere Eilbedürftigkeit der Angelegenheit ergebe.
Die Antragstellerin beantragt,
1. der Antragstellerin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung
von Rechtsanwalt B., A-Stadt, zu gewähren.
2. die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Tochter der Antragstellerin, A., geb.
05.09.2005, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache, in die städtische
Familientagesstätte, A-Stadt, aufzunehmen und ganztägig betreuen zu lassen;
hilfsweise in eine andere Kindertagesstätte der Stadt Hanau aufzunehmen und
ganztägig betreuen zu lassen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
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Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass gemäß § 10 Abs. 2 Nr. b) und Abs. 3
Satz 2 der Gebühren- und Entgeltsatzung der Stadt Hanau ein Ausschluss von der
Betreuung gerechtfertigt sei. Danach könnten schwerwiegende Gründe, wie
körperliche oder seelische Gewalt gegen sich selbst, andere Kinder, pädagogische
Fachkräfte oder Eltern einen sofortigen Ausschluss des Kindes zur Folge haben.
Die Fremdgefährdung durch und die Selbstgefährdung von sei hinreichend
dokumentiert. Im Zusammenhang mit der Betreuung von A könnten auch nicht
die Interessen der Sorgeberechtigten im Vordergrund stehen. Die
Funktionsfähigkeit einer Kita einerseits und die Interessen des zu betreuenden
Kindes andererseits müssten dabei im Vordergrund stehen. Es könne nur hierauf
abgestellt werden. Welche sonstigen Leistungen der Jugendhilfe das Kind bzw. die
sorgeberechtigte Mutter in Anspruch nehmen könnten, habe zunächst nichts mit
der Gewährleistung der Tagesbetreuung in einer Kita zu tun.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten (1 Heft) verwiesen, welche
vorgelegen haben und zum Gegenstand der Beratung gemacht wurden.
II
Der Antrag nach § 123 VwGO bleibt ohne Erfolg.
Der gestellte Antrag,
„die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Tochter der Antragstellerin, A.,
geboren 05.09.2005, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache, in die
städtische Familientagesstätte, A-Stadt, aufzunehmen und ganztägig betreuen zu
lassen;
hilfsweise in eine andere Kindertagesstätte der Stadt Hanau aufzunehmen und
ganztägig betreuen zu lassen“
Ist sinngemäß dahingehend auszulegen, dass die Antragsgegnerin vorläufig
verpflichtet werden soll, die Antragstellerin A. in der städtischen
Familientagesstätte ganztägig betreuen zu lassen.
Eine Aufnahme von A steht nicht im Raum, da A, wenn auch in unterschiedlichem
zeitlichen Umfang seit August 2010 in der Kita durchgängig betreut ist.
Die Antragstellerin hat das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft
gemacht (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Nach der hier
gebotenen summarischen Überprüfung ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass
der Antragstellerin ein Rechtsanspruch auf den von ihr begehrten ganztägigen
Kindergartenplatz zusteht.
Anspruchsberechtigt nach § 24 SGB VIII ist das Kind selbst (Wiesner, SGB VIII,
Kinder- und Jugendhilfekommentar, 3. Auflage, 2006, § 24 Rn. 27), weshalb das
Aktivrubrum insoweit zu korrigieren war.
Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hat ein Kind vom vollendeten 3. Lebensjahr bis
zum Schuleintritt Anspruch auf den Besuch einer Tageseinrichtung. Das Nähere
über Inhalt und Umfang dieser Aufgaben und Leistungen regelt gemäß § 26 Satz 1
SGB VIII das Landesrecht. Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII haben die Träger der
öffentlichen Jugendhilfe darauf hinzuwirken, dass für diese Altersgruppe ein
bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht. Insoweit hat
der Träger der öffentlichen Jugendhilfe, hier die Stadt Hanau als örtlicher
Jugendhilfeträger, nur die (allein objektiv rechtliche) Verpflichtung, darauf
hinzuwirken, dass ein bedarfsgerechtes Angebot solcher Plätze zur Verfügung
steht (Hamburgisches OVG, Beschluss v. 12.12.1997 – Bs IV 169/97 – in juris).
Insoweit ist hinsichtlich des Mindestbetreuungszeitraumes allgemein anerkannt,
dass es sich um eine Halbtagsbetreuung handeln muss (vgl. Kunkel: LPK – SGB
VIII, § 24 Rn. 12). Dabei hat die zu leistende Halbtagsbetreuung sich an den
weiteren in § 24 und anderen Vorschriften des SGB VIII genannten Maßstäben zu
halten. Insbesondere ist § 80 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII zu berücksichtigen. Danach
sollen Einrichtungen so geplant werden, dass Väter und Mütter Aufgaben in der
Familie und Erwerbstätigkeit besser miteinander vereinbaren können. Deshalb sind
Öffnungszeiten von Kindergärten grundsätzlich bedarfsgerecht so zu gestalten,
dass mindestens eine Halbtagsbeschäftigung eines alleinerziehenden Elternteils
ermöglicht werden kann. Bedarfsgerecht kann im Einzelfall für alleinerziehende
Elternteile bzw. berufstätige Eltern auch bedeuten, dass ein
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Elternteile bzw. berufstätige Eltern auch bedeuten, dass ein
Ganztagskindergartenplatz erforderlich ist. Dies hat die Mutter der Antragstellerin
vorgetragen, die derzeit eine ganztägige Ausbildung zur Hauswirtschafterin
durchläuft. Aus den §§ 22, 24 und 80 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII besteht indes hierauf
kein einklagbarer Rechtsanspruch. Die genannten Vorschriften zeichnen lediglich
objektive Rahmenbedingungen vor.
Es bestehen in Hessen auch keine landesrechtlichen Regelungen, vergleichbar den
Kinderförderungsgesetzen anderer Bundesländer, welche einen Anspruch auf
Ganztagsbetreuung festschreiben. Das Hessische Kinder- und
Jugendhilfegesetzbuch – HKJGB – definiert in § 25 HKJGB die Tageseinrichtungen,
wozu auch Kindergärten gehören, regelt in § 26 HKJGB die Aufgaben der
Tageseinrichtungen, in § 27 HKJGB die Elternbeteiligung und in § 28 HKJGB den
Kostenausgleich.
Auch aus der Kindertagesbetreuungsgebühren- und Entgeltsatzung der
Antragsgegnerin vom 01.01.2007 in der Fassung der 2. Änderung vom
26.03.2010, welche die Antragsgegnerin als Trägerin der öffentlichen Einrichtung
Kita erlassen hat, lässt sich ein Anspruch auf eine ganztägige Betreuung nicht
herleiten. So ist in § 2 Abs. 2 der Satzung lediglich geregelt, dass unter
Berücksichtigung des Bedarfes in Stadtteil und der Betreuungsstruktur der
Einrichtung eine Anpassung der Betreuungszeit im Zeitrahmen von 6.00 Uhr bis
20.00 Uhr durch den Träger möglich ist. Nach § 3 Abs. 1 der Satzung besteht kein
Anspruch auf einen bestimmten Belegungswunsch der Personensorgeberechtigten
oder auf eine bestimmte Betreuungsform, hier möglicherweise in Form einer 1 zu
1 Betreuung für A. § 10 der Satzung regelt sogar für Fälle der Selbst– und
Fremdgefährdung wie vorliegend die Möglichkeit, ein Kind vom Besuch einer Kita
auszuschließen. Nach § 10 Abs. 2 b der Satzung kann ein Kind vom Besuch einer
Kita ausgeschlossen werden, wenn es sich selbst oder andere Kinder wiederholt
gefährdet. Diese Fälle von Selbst- und Fremdgefährdung sind in der Behördenakte
ausreichend dokumentiert. Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 der Satzung können
schwerwiegende Gründe, wie körperliche und seelische Gewalt gegen sich selbst,
andere Kinder, pädagogische Fachkräfte oder Eltern einen sofortigen Ausschluss
zur Folge haben. Auch diese Fälle körperlicher Gewalt, die gegen sich selbst,
andere Kinder und Erzieherinnen richtet, sind präzise chronologisch seit Aufnahme
von in die Einrichtung ab dem 01.08.2010 in der Behördenakte geschildert.
Da As Verhalten unter Berücksichtigung ihres Schutzinteresses, dem Interesse am
Schutz der anderen Kinder und der Funktionsfähigkeit der Einrichtung einen
Ausschluss aus der Kita ermöglichen würde, erscheint vor diesem Hintergrund eine
Reduzierung der Betreuungszeit unter Aufrechterhaltung des hohen
Betreuungsschlüssels 1 zu 1 für mehr als sachgerecht.
Aus dem Protokoll des Helferkreises am 18.01.2011 wurde hierzu u.a. folgende
Entscheidungsvorlage getroffen:
„Zur Unterstützung des KSD... wird ab 24.01.2011 von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr in
der Famta betreut“
Im Protokoll ist ausdrücklich vermerkt, dass der Gesprächsverlauf und die
Entscheidungsvorlage einvernehmlich waren, also auch im Einvernehmen mit As
Mutter.
Aufgrund As Problematik erscheinen ergänzend zu den Betreuungsleistungen in
der Kita Jugendhilfemaßnahmen sinnvoll, welche die Sorgeberechtigten bei der
Antragsgegnerin als Trägerin der örtlichen Jugendhilfe beantragen müssten.
Zusätzlich erscheint eine fundierte Diagnostik notwendig, um adäquate
Jugendhilfemaßnahmen in die Wege leiten zu können. In diesem Zusammenhang
wird darauf hingewiesen, dass die Mutter nach wie vor eine Aufnahme As in eine
heilpädagogische oder andere Form der Wochengruppe ablehnt. Ebenso erachtet
sie eine Untersuchung in der V.-Klinik (Kinder- und Jugendpsychiatrie) als nicht
notwendig.
Der hilfsweise gestellte Antrag war ebenfalls abzulehnen, da auch in einer anderen
Kindertagesstätte kein Anspruch auf eine ganztägige Betreuung besteht (siehe
oben).
Als unterliegende Beteiligte hat die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu
tragen, § 154 Abs. 1 VwGO.
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Das Verfahren ist gemäß § 188 VwGO gerichtskostenfrei.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, da der
Eilantrag keine Aussicht auf Erfolg hat und die Antragstellerseite eine
Prozesskostenhilfeerklärung nicht vorgelegt hat.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.