Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 15.07.2003

VG Frankfurt: politische verfolgung, amnesty international, asylbewerber, gutachter, wiedereinreise, organisation, straftat, misshandlung, flughafen, vollstreckung

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Gericht:
VG Frankfurt 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 E 2294/00.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 51 Abs 1 AuslG
Keine politische Verfolgung kurdischer Asylbewerber bei
Wiedereinreise in die Türkei
Leitsatz
Rückkehrgefährdung durch Übergriffe bei Polizeiverhören in der Türkei
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der 1960 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer
Volkszugehörigkeit, der bereits im Jahr 1990 einen Asylantrag in der
Bundesrepublik Deutschland gestellt hat. Dieser wurde am 20.03.1991 durch
Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom
06.06.1990 unanfechtbar abgelehnt. Ein Ausspruch über das Vorliegen von
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG traf die Beklagte nicht.
Mit Schreiben vom 24.03.2000 beantragte der Kläger die Durchführung eines
weiteren Asylverfahrens (Asylfolgeverfahren). Zur Begründung gab er an, dass er
vor Jahren durch die Staatsschutzkammer des Landgerichts Frankfurt am Main
wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz zu einer Geldstrafe verurteilt worden
sei. Ausweislich der Urteilsgründe habe er in Kenntnis des Betätigungsverbotes der
ERNK (Nationale Befreiungsfront Kurdistan) diese mit Geldspenden in Höhe von
50,00 und 30,00 DM unterstützt. Diese Verurteilung werde von den hiesigen
Sicherheitsbehörden an die türkischen Behörden übermittelt, da es sich bei der
Straftat in Deutschland um eine solche mit politischem Hintergrund handele. Nach
dem Strafnachrichtenaustausch werde die Türkei über alle Verurteilungen
hinsichtlich der Personalien, der Straftat, der Strafhöhe, des Gerichts, das die
Verurteilung ausgesprochen hat und hinsichtlich des Aktenzeichens der
Verurteilung unterrichtet. Die türkischen Behörden gingen in Fällen der
Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz davon aus, dass es sich
um eine Betätigung für die in Deutschland verbotene PKK bzw. ERNK handele. Der
Kläger sei daher bei einer Rückkehr in die Türkei gefährdet und ihm drohten
menschenrechtswidrige übergriffe.
Mit Bescheid vom 03.04.2000 lehnte das Bundesamt die Durchführung eines
weiteren Asylverfahrens ab und verneinte das Vorliegen von
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG. Gleichzeitig forderte sie den Kläger
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Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG. Gleichzeitig forderte sie den Kläger
auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe
dieser Entscheidung zu verlassen und drohte ihm für den Fall der Nichteinhaltung
der Ausreisefrist die Abschiebung in die Türkei an. Die Behörde ist der Auffassung,
dass die vom Kläger geltend gemachten Gründe keine Änderung der Sach- und
Rechtslage i.S.d. hier einschlägigen § 51 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
darstellten. Insbesondere habe der Kläger nicht vorgetragen, dass er sich in
Deutschland in hervorgehobener Weise exilpolitisch betätigt habe. Detaillierte
Verfolgungstatbestände seien von ihm nicht geschildert worden. Als einfacher
Anhänger bzw. Sympathisant einer terroristisch aktiven Organisation, für die er
Geld gespendet habe, gerate er nicht in das Visier des türkischen
Sicherheitsdienstes. Abschiebungshindernisse i.S.d. § 53 AuslG seien nicht
ersichtlich.
Mit Schriftsatz vom 18.04.2000, bei Gericht am 20.04.2000 eingegangen, hat der
Kläger Klage erhoben und verfolgt sein Begehren weiter. Zur Begründung seiner
Klage vertritt er die Auffassung, dass im Zuge des Strafnachrichtenaustausches
seine Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz zur Kenntnis der
türkischen Behörden gelangt sei. Aus der Sicht der türkischen Behörden müsse
seine Betätigung von einigem Gewicht sein, weil es ansonsten nicht zu einer
Verurteilung gekommen wäre.
Die drohende Verfolgungsgefahr liege einzig und allein darin, dass die Person, die
in Deutschland wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz verurteilt worden sei,
infolge des Strafnachrichtenaustausch als PKK'ler in die Polizeicomputer der Türkei
eingespeist werde. Diese Personen müssen also so gesehen und beurteilt werden,
wie diejenigen, die in der Türkei wegen Betätigung für die PKK verurteilt worden und
wieder auf freiem Fuß seien. Sie müssten bei jeder Art von Ermittlungen im
Zusammenhang mit PKK-Aktivitäten in der Türkei mit Festnahme und Verhör und
wegen der polizeibekannten computermäßig erfassten politischen Gesinnung auch
mit Misshandlung bei diesen Verhören rechnen. Dies sei die eigentliche
Gefährdungslage.
Die Verfolgungsgefahr ergebe sich also nicht aus der einer möglichen
strafrechtlichen Verfolgung in der Türkei, sondern aus den zu erwartenden
Verhören. Dass die türkischen Behörden Verhöre durchführen werden liege nahe,
weil der Kläger ihnen als PKK'ler über seine Verurteilung bekannt sei und weil
ersichtlich werde, dass der Kläger sich bereits Jahre als Asylbewerber in
Deutschland aufhalte. Es könne also unterstellt werden, dass der Kläger sich im
Ausland für die PKK betätigt habe und auch über Informationen über die PKK und
Personen, die sich für diese betätigten, verfüge. Der Kläger sei also mehrfach ein
interessantes "Objekt", dessen Befragung sich lohne.
Der Kläger trägt weiter vor, nach einem Bericht in der Frankfurter Rundschau vom
15.07.2003 flammten die Kämpfe zwischen der PKK und den Ordnungskräften in
der Türkei wieder auf, es sei damit zu rechnen, dass sie sich in Zukunft ausweiten
werden. Der Heimatort des Klägers gehöre zwar zur Provinz Elazig, die Hauptstadt
liegt aber ziemlich entfernt, bis nach Bingöl seien es lediglich wenige Kilometer.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des den Asylantrag ablehnenden Bescheides des
Bundesamtes vom 3.4.2000 zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten
anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
AuslG und die Voraussetzungen des § 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angegriffene Entscheidung.
Die Kammer hat das Verfahren mit Beschluss vom 02.10.2002 auf den
Einzelrichter übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie den Inhalt der Gerichtsakte in dem Verfahren 10 G
2293/00.A und die beigezogenen Behördenunterlagen (1 Hefter, Blatt 1 bis 42)
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg, denn der klägerseits begehrte Verwaltungsakt ist zu
Recht abgelehnt worden. Auch die Abschiebungsandrohung ist rechtens.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird von der weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe abgesehen, weil das Gericht der Begründung des
Bescheides des Bundesamtes folgt (§ 77 Abs. 2 AsylVfG und § 117 Abs. 5 VwGO).
Eine neue wieder aufgreifensrelevante Lage (§ 51 VwVfG) ist nicht eingetreten. Das
Bundesamt ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Hinweis auf die
allgemeine Lage in der Türkei zu wenig detailliert ist, als dass daraus
asylrelevantes zu schließen ist. Das gilt nicht nur für den Zeitpunkt des Erlasses
des Bescheides sondern auch für den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§
77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).
Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung im
Zusammenhang mit der Wiedereinreise in die Türkei. Es erscheint zwar nach
vorliegenden Erkenntnissen durchaus möglich, dass abgeschobene Asylbewerber,
insbesondere dann, wenn sie nicht über ein gültiges Reisedokument verfügen,
damit rechnen müssen, bei der Wiedereinreise in die Türkei in Polizeigewahrsam
genommen und dabei Misshandlungen ausgesetzt zu werden. Hintergrund für
diese kurzfristigen Überprüfungen ist, dass von den türkischen Behörden geprüft
wird, ob sich der Betreffende politisch gegen den türkischen Staat betätigt hat
oder Informationen über exilpolitische Organisationen geben kann.
Amnesty international geht hierbei davon aus, dass es auch zu Folterungen der
Festgehaltenen kommt, wobei Personen kurdischer Volkszugehörigkeit von dieser
Folter besonders betroffen sind (Amnesty international vom 21.08.1993). Auch der
Gutachter Rumpf geht von möglichen Festnahmen und Überprüfungen aus
(Gutachter Rumpf an das VG Gießen v. 04.08.1993), kann jedoch keine konkreten
Schicksale von Rückkehrern benennen (Rumpf, a.a.O.). Der Gutachter Kaja
bestätigt dies, geht jedoch davon aus, das wiedereinreisende Kurden nach
sorgfältig durchgeführter Überprüfung durch die Polizeikräfte am Flughafen dann
freigelassen werden, wenn die Nachforschungen ergeben, dass die betreffenden
Personen nicht gesucht werden, gegen sie keine strafrechtlichen Verfahren laufen
und keine Anzeichen dafür sprechen, dass sie mit einer illegalen politischen
Organisation in Verbindung stehen (Kaja, Gutachten an das VG Düsseldorf v.
30.06.1992, Kaja Gutachten an das VG Aachen v. 20.09.1993). Diese Einschätzung
teilt auch der Gutachter T. (Gutachten an das VG Bremen v. 4.11.1993). Er selbst
habe bei einer Kontrolle am Flughafen seiner Person miterlebt, wie abgeschobene
Asylbewerber aus Deutschland eingetroffen seien, die alle einen sogenannten
Passersatz ausgestellt von den jeweiligen Konsulaten gehabt hätten. Diese hätten
nach der Feststellung der Personalien ungehindert die Grenze passieren können.
Es erscheint unwahrscheinlich, dass abgelehnte Asylbewerber, die keinen
konkreten Lebenssachverhalt glaubhaft vorgetragen haben, aus dem sich - über
die bloße Asylantragstellung hinaus - Verdachtsmomente der türkischen Behörden
ergeben könnten, bei einer Rückkehr in die Türkei mit Verfolgungsmaßnahmen
erheblicher Intensität zu rechnen haben, selbst wenn es sich bei ihnen um
kurdische Volkszugehörige handelt. Im übrigen sei darauf hingewiesen, dass über
eine von Einzelfällen hinausgehende im großen Ausmaß bestehende Praxis der
Festnahmen und eventuellen Foltermaßnahmen an den Grenzstellen in der
türkischen Presse berichtet worden wäre, insbesondere in einer Zeit, in der von ihr
jede Misshandlung der Polizei veröffentlicht wird.
Aufgrund dieser Erkenntnisse konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen,
dass zurückkehrende Asylbewerber automatisch allein wegen ihrer kurdischen
Volkszugehörigkeit oder weil sie einen Asylantrag gestellt haben bei der Einreise
inhaftiert und asylerheblichen Misshandlungen ausgesetzt sind.
Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs.
1 AuslG in der Person des Klägers nicht vorliegen. Abschiebungshindernisse nach §
53 AuslG sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, da sie unterlegen ist (§ 154
Abs. 1 VwGO). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b Abs. 1 AsylVfG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nach § 167 VwGO i.V.m.
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO geboten.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.