Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 27.05.2004

VG Frankfurt: sozialhilfe, krankheit, krankenversicherung, belastungsgrenze, beihilfe, krankenkasse, versorgung, form, beteiligter, quelle

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Gericht:
VG Frankfurt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 G 2025/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 37 Abs 1 S 2 BSHG, § 1 Abs
1 S 2 RegSatzV
Übernahme eines Eigenanteils von Sozialhilfeempfängern
Leitsatz
Seit dem 1. Januar 2004 müssen nicht chronisch kranke Sozialhilfeempfänger bis zu 2%
des Jahresbetrages des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes an Zuzahlungen
aufbringen.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Gründe
Der am 28. April 2004 gestellte Antrag,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem
Antragsteller eine Beihilfe i. H. v. 71,28 Euro in Form der Übernahme der
Zuzahlung bei der Inanspruchnahme von Leistungen der medizinischen
Versorgung zu gewähren,
hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines
vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn
diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder
drohende Gewalt zu verhindern. Die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend
gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) und der Grund der Eilbedürftigkeit
sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht
glaubhaft gemacht.
Bis zum 31. Dezember 2003 regelte § 38 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz - BSHG -
a.F., dass der Träger der Sozialhilfe bei Krankheit den im Einzelfall notwendigen
Bedarf in voller Höhe befriedigen musste, wenn finanziell Eigenleistungen von
Versicherten, insbesondere die Zahlung von Zuschüssen, die Übernahme nur
eines Teils der Kosten oder einer Zuzahlung der Versicherten vorgesehen waren
und nach den §§ 61 u. 62 SGB V eine vollständige oder teilweise Befreiung durch
die Krankenkasse nicht erfolgte. Diese Vorschrift wurde aber mit Wirkung vom 01.
Januar 2004 durch Artikel 28 Nr. 4 c) des Gesetzes zur Modernisierung der
gesetzlichen Krankenversicherung - GMG - vom 19. November 2003 (BGBl. I Seite
2190 ff. ) aufgehoben. An dessen Stelle bestimmt nunmehr § 37 Abs. 1 Satz 2
BSHG in der Fassung von Artikel 28 Nr. 3 GMG, dass die Regelung zur
Krankenbehandlung nach § 264 SGB V den Leistungen zur Hilfe bei Krankheit
nach § 37 Satz 1 BSHG vorgehen. § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V n.F. regelt, dass die
Krankenbehandlung von Empfängern laufender Leistungen zum Lebensunterhalt
und von Empfängern von Hilfen in besonderen Lebenslagen von der Krankenkasse
übernommen wird. Für diesen Personenkreis gelten gemäß § 264 Abs. 4 Satz 1
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übernommen wird. Für diesen Personenkreis gelten gemäß § 264 Abs. 4 Satz 1
SGB V n.F. die §§ 61 u. 62 SGB V entsprechend. § 62 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1
SGB V n.F. bestimmt, dass Versicherte während jedes Kalenderjahres
Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten haben. Diese beträgt gemäß §
62 Abs. 1 Satz 2 SGB V n.F. 2% der jährlichen Bruttoeinnahmen zum
Lebensunterhalt; für chronisch Kranke, die wegen derselben schwerwiegenden
Krankheit in Dauerbehandlung sind, beträgt sie 1% der jährlichen
Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Dies bedeutet, dass der Empfänger von
Hilfe zum Lebensunterhalt seit dem 01. Januar 2004 einen Eigenteil i. H. v. 2%, bei
chronisch Kranken v. 1% des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes aufbringen
muss. Bei dem derzeitigen Regelsatz für einen Haushaltsvorstand i. H. v. 297,00
Euro monatlich ist die Belastungsgrenze aus einem Jahresbetrag i. H. v. 3.564,00
Euro zu berechnen. Der Eigenanteil von 2% beträgt daher 71,28 Euro jährlich, der
vom Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt selbst zu tragen ist.
Einer Belastung des Antragstellers bis zu dieser Obergrenze ist auch nicht mit
einer Bewilligung einer einmaligen Beihilfe nach den Vorschriften der §§ 11 ff. , 21
BSHG zu begegnen. Grundsätzlich kommen einmalige Beihilfen nur dann in
Betracht, wenn die begehrte Leistung nicht bereits in den Regelsätzen enthalten
ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 13.12.1990 - FEVS 41, 221). So ist es
aber hier. Nach dem durch Artikel 29 GMG neu geregelten § 1 Abs. 1 Satz 2 der
Regelsatzverordnung umfassen die Regelsätze nunmehr auch die Leistungen für
Kosten bei Krankheit, bei vorbeugender und bei sonstiger Hilfe, soweit sie nicht
nach den §§ 36 bis 38 BSHG übernommen werden. Damit hat der Gesetzgeber die
Praxisgebühr und die Zuzahlungen zur Medikamenten zum Regelbedarf erklärt.
Die Übernahme eines Eigenanteils durch Empfänger von Sozialhilfe widerspricht
auch ansonsten nicht der Aufgabe der Sozialhilfe gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG,
dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde
des Menschen entspricht. Soll die Sozialhilfe dem Hilfeempfänger die Führung
eines menschenwürdigen Lebens ermöglichen, muss sie der sozialen Ausgrenzung
des Hilfebedürftigen begegnen und ihm ermöglichen, in der Umgebung von
Nichthilfeempfängern unter Berücksichtigung des Lohnabstandsgebotes des § 22
Abs. 3 BSHG ähnlich wie diese zu leben (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil v.
01.10.1998 - NJW 1999, 664). Da die Mitglieder der gesetzlichen
Krankenversicherung einen Eigenanteil von 2% ihres jeweiligen Bruttoeinkommens
leisten müssen, wird der Empfänger von Sozialhilfe nicht ausgegrenzt, wenn er
ebenfalls einen Eigenanteil von 2% des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes
leisten muss (vgl. zu dem Vorstehenden insgesamt VG Neustadt an der
Weinstraße, Beschluss v. 17.02.2004 - 4 L 441/04.NW).
Als unterliegender Beteiligter hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu
tragen, § 154 Abs. 1 VwGO, wobei Gerichtskosten nicht erhoben werden, § 188
Satz 2 VwGO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.