Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 18.02.2009

VG Frankfurt: verdienstausfall, entschädigung, satzung, hessen, vollstreckung, gleitzeit, saldo, fraktion, abrechnung, urlaub

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Gericht:
VG Frankfurt 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 K 458/08.F
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 27 GemO HE, § 18 LKreisO
HE, § 154 Abs 1 VwGO
Verdienstausfall eines kommunalen Mandatsträgers
Leitsatz
1. Ein kommunaler Mandatsträger hat nach dem Kommunalrecht des Landes Hessen
nur Anspruch auf Erstattung eines durch seine Mandatsausübung entstandenen
Verdienstausfalls, wenn dieser konkret nachgewiesen wird.
2. Ein fiktiver Verdienstausfall ist nicht erstattungsfähig.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten
abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist Mitglied des Kreistages des XY. Mit Formularantrag vom 31.01.2007
beantragte er Ersatz des Verdienstausfalls, der ihm durch seine Tätigkeit als
Mitglied des Kreistages im Jahre 2006 entstanden ist. Unter Angabe konkreter
Sitzungstermine listete er insgesamt 48 Stunden auf, für die er entsprechenden
Aufwendungsersatz begehrte.
Mit Bescheid vom 26.03.2007 lehnte der Beklagte den Antrag ab, da im Falle des
Klägers ein zu erstattender Verdienstausfall nicht zu erkennen sei. Der Kläger
habe gemäß § 28a Hessische Landkreisordnung gegenüber seinem Arbeitgeber
einen Anspruch auf Freistellung vom Dienst. Werde der Kläger nicht freigestellt,
liege ein Verstoß des Arbeitgebers vor. Nehme der Kläger hingegen die ihm
zustehende Freistellung nicht in Anspruch, liege lediglich eine Verlagerung der zu
leistenden Arbeit auf andere Zeiten vor.
Mit am 26.04.2007 bei dem Beklagten eingegangenem Schreiben vom 24.04.2007
erhob der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch. Zur Begründung
führte er aus, dass ihm sein Arbeitgeber, die XY Bank Frankfurt, mit Wirkung vom
12.11.2005 für die Ausübung des Abgeordnetenmandats nur noch unbezahlte
Arbeitsbefreiung gewähre und er für die Abrechnung anfallenden Verdienstausfalls
gegenüber dem Beklagten alleine zuständig sei. Dieses Verfahren wäre jedoch mit
erheblichen Nachteilen für ihn verbunden. Durch die Vermittlung des Landrats des
Beklagten sei schließlich erreicht worden, dass der Kläger von seinem Arbeitgeber
für die Wahrnehmung seines Mandats ganze Tage unter Fortzahlung der Bezüge
freigestellt würde und der Beklagte diese Freistellungen mit dem Arbeitgeber des
Klägers abrechne. Für die Wahrnehmung von Sitzungen der Fraktion, von
Arbeitskreisen und Ausschüssen oder anderer mandatsbedingter Termine könne
er seinen Arbeitsplatz verlassen, bekomme aber entsprechende Fehlzeiten
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er seinen Arbeitsplatz verlassen, bekomme aber entsprechende Fehlzeiten
angerechnet. Ein Ausgleich der Fehlzeit durch den Arbeitgeber finde nicht statt.
Um zu vermeiden, dass er am Monatsende wegen angefallener Fehlzeiten
Gehaltskürzungen und damit verbundene weitere Nachteile gewärtigen müsse,
versuche er, die entstandenen Ausfallzeiten an anderen Tagen wieder
aufzuarbeiten. Unter „normalen Umständen“ würden die an anderen Tagen
geleisteten Überstunden bezahlt oder in Freizeitausgleich umgewandelt. Diese
Möglichkeit bestehe für ihn jedoch nicht, da sein Arbeitgeber einen
Fehlzeitausgleich nicht vornehme, sondern ihm nur unbezahlt Arbeitsbefreiung
gewähre.
Der beim Beklagten eingerichtete Anhörungsausschuss empfahl in seiner Sitzung
vom 28.08.2007, dem Widerspruch des Klägers abzuhelfen.
Mit Bescheid vom 11.01.2008 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers
zurück, legte ihm die Kosten des Widerspruchsverfahrens auf und setzte die vom
Kläger zu erstattende Gebühr auf 75,00 € und die zu erstattenden Auslagen auf
2,63 € fest. In der Begründung des Widerspruchsbescheids heißt es, dass gemäß §
27 Abs. 1 Satz 5 HessGO als Verdienstausfall diejenige Einbuße anzusehen sei, die
ein Mitglied der Vertretungskörperschaft an finanziellen Mittel tatsächlich erleide.
Dies setze voraus, dass eine Verringerung des Einkommens tatsächlich infolge
mandatsbedingter Abwesenheit erlitten worden sei. Eine dies bestätigende
Verdienstausfallbescheinigung habe der Kläger jedoch nicht vorgelegt und den
behaupteten Verdienstausfall auch nicht anderweitig belegt. Dem Kläger stehe
auch kein Anspruch auf Erstattung nach der Satzung des Beklagten über die
Entschädigung für ehrenamtlich Tätigkeit in der Fassung der rückwirkend zum
01.07.2006 in Kraft gesetzten Änderungssatzung vom 15.12.2006 zu. Es könne
dem Kläger auch nicht darin gefolgt werden, dass er an der Ansammlung von
Überstunden gehindert worden sei. Der Kläger habe lediglich in zumutbarer Weise
den Zeitpunkt der Erbringung seiner Arbeitsleistung gegenüber seinem
Arbeitgeber verlagert. Insgesamt habe der Kläger im Benehmen mit seinem
Arbeitgeber im Jahr 2006 insgesamt 48 Stunden aus der Kernarbeitszeit
ausgelagert. Dies entspreche in etwa einer Stunde je Arbeitswoche bei
angenommenen 44 Nettojahreswochen. Ein tatsächlicher Verdienstausfall liege
nicht vor. Daher komme die beantragte Erstattung nicht in Betracht. Der
Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 16.01.2008 zugestellt.
Der Kläger hat am 18.02.2008 Klage erhoben. Zur weiteren Begründung verweist
er noch einmal auf das Arbeitszeitmodell seines Arbeitgebers. Gemäß der
zwischen seinem Arbeitgeber und dem Personalrat der XY-Bank geschlossenen
Dienstvereinbarung über die Flexibilisierung der Arbeitszeit betrage die
durchschnittliche Wochenarbeitszeit innerhalb von 18 Monaten insgesamt 39
Stunden pro Woche. Die wöchentliche Arbeitszeitbandbreite liege zwischen 6.00 h
und 20.00 h. Die tägliche Arbeitszeit betrage in diesem Rahmen mindestens drei
und höchstens zehn Stunden, wobei die maximale wöchentliche Arbeitszeit auf 45
Stunden begrenzt sei. Im Rahmen dieses Systems verfüge der Beschäftigte über
Zeitsalden, die am Monatsende berechnet würden. Dabei werde die monatliche
Ist-Arbeitszeit mit der Soll-Arbeitszeit verglichen und der daraus entstehende
Saldo mit den Salden des Vormonats verrechnet. Positive Zeitsalden seien
innerhalb von 18 Monaten durch Freizeitausgleich abzubauen. Ein Anspruch auf
finanziellen Ausgleich bestehe nur in Ausnahmefällen. In der Vergangenheit habe
der Beklagte seinem Arbeitgeber den durch die Teilnahme des Klägers an den
Sitzungen des Kreistages und seiner Ausschüsse sowie für sonstige nach der
Satzung des Beklagten dem Grunde nach eine Entschädigung begründende
Tätigkeiten entstandenen Verdienstausfall erstattet. Mit Schreiben vom
23.11.2005 habe jedoch sein Arbeitgeber mitgeteilt, dass die bisher geübte Praxis
und die damit verbundene Berechnung des Verdienstausfalls zu arbeitsaufwändig
sei und daher nicht mehr fortgeführt werde. In der Folge habe der Kläger jedoch
erreichen können, dass er für ganz- oder mehrtägige Veranstaltungen auch
weiterhin von der Arbeit freigestellt wurde und ihm die auf den jeweiligen Zeitraum
entfallenden Bruttobezüge weitergezahlt wurden. Der entsprechende Betrag werde
dann vom Beklagten dem Arbeitgeber erstattet. Für die Teilnahme an Sitzungen
und sonstigen Veranstaltungen, die ihn als Kreistagsabgeordneten nur für einige
Stunden beanspruchen würden, sei der Arbeitgeber des Klägers jedoch nicht
bereit, die alte Praxis fortzuführen und dem Kläger auch hierfür die Bezüge weiter
zu zahlen. Daher bestehe insoweit ein Anspruch auf Entschädigung für erlittenen
Verdienstausfall, wobei er diesen auf solche Tätigkeiten beschränke, die er
mandatsbedingt vor 18.00 h ausübe. Die für die Erstattung einschlägige Vorschrift
des § 27 HessGO gehe von einem Arbeitsverhältnis aus, dem eine feste
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des § 27 HessGO gehe von einem Arbeitsverhältnis aus, dem eine feste
Arbeitszeit zugrunde liege. Diese Regelung könne jedoch nicht auf ein
Arbeitsverhältnis wie dem klägerischen übertragen werden, das von einer
generellen Flexibilisierung der Arbeitszeit geprägt sei und noch nicht einmal eine
Unterscheidung nach Kern- und Gleitzeit vorsehe. Der Kläger könne auch nicht
darauf verwiesen werden, für die mandatsbedingte stundenweise Tätigkeit
bezahlten Urlaub in Anspruch zu nehmen oder sich hierfür von seinem Arbeitgeber
unter Verweis auf den Freizeitausgleich ohne Fortzahlung von Bezügen freistellen
zu lassen. Schließlich sei die Situation des Klägers der eines Selbstständigen
vergleichbar, dem ein Anspruch auf pauschale Abgeltung seines Verdienstausfalls
zustehe, wenn er nachweist, dass er während der Zeit der Mandatsausübung
Einkünfte hätte erzielen können. Eine andere Sichtweise würde zu einer
gleichheitswidrigen Behandlung des Klägers führen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 26.03.2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 11.01.2008 aufzuheben und den Beklagten zu
verpflichten, den vom Kläger mit Formularantrag vom 31.01.2007 beantragten
Verdienstausfall in Höhe von 1.507,34 € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verteidigt die mit der Klage angegriffenen Bescheide. Ferner habe
der Kläger nicht nachgewiesen, dass ihm tatsächlich der behauptete
Verdienstausfall entstanden ist. Im Rahmen des bei dem Arbeitgeber des Klägers
praktizierten Arbeitszeitmodells sei es dem Kläger möglich, seine Arbeitszeit so zu
gestalten, dass ihm kein Verdienstausfall entsteht. In diesem Zusammenhang
verweist der Beklagte auf ein Urteil des HessVGH vom 18.05.2000 (8 UE 3165/97),
demzufolge berufstätige Personen, die für die Mandatswahrnehmung die
erforderliche Freistellung erhalten, dafür aber ohne Kürzung des Verdienstes ihre
Arbeit zu einem anderen Zeitpunkt erledigen müssen, keinen Nachteilsausgleich
erhalten. Schließlich sei zweifelhaft, ob ein Teil der vom Kläger geltend gemachten
Kosten tatsächlich mandatsbedingt angefallen seien.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und
Behördenakten (1 Hefter) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Dem Kläger steht für seine ehrenamtliche
Tätigkeit als Kreistagsabgeordneter im Kreistag des XY-Kreises weder nach § 18
der Hessischen Landkreisordnung - HessLKO - in der Fassung vom 01.04.2005
(GVBl. I S. 183), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.7.2006 (GVBl. I S. 394), i.V.
mit § 27 Abs. 1 der Hessischen Gemeindeordnung - HessGO - in der Fassung vom
01.04.2005 (GVBl. I S. 142), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.11.2007 (GVBl.
I S. 757), noch auf Grund der „Satzung des Beklagten über die Entschädigung für
ehrenamtlich Tätige gemäß § 18 Abs. 1 HKO i.V. mit § 27 HKO“ vom 01.09.1992 in
der Fassung der Änderungssatzung vom 15.12.2006 ein Anspruch auf Erstattung
des geltend gemachten Verdienstausfalls zu.
Nach § 18 Abs. 1 HessLKO i.V. mit § 27 Abs. 1 HessGO haben ehrenamtlich Tätige
Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls. Dieser Anspruch setzt zwingend
voraus, dass bei dem Kläger als Kreistagsabgeordneten durch die Wahrnehmung
des öffentlichen Ehrenamtes tatsächlich ein Verdienstausfall eingetreten ist und
dass dies gegenüber dem Beklagten auch konkret nachgewiesen wird. Dass das
Gesetz einen entsprechenden Nachweis fordert, ergibt sich aus § 27 Abs. 1 S. 2
HessGO, wonach durch Satzung ein Durchschnittssatz festzusetzen ist, der nur
denen zu gewähren ist, denen nachweisbar ein Verdienstausfall entstehen kann.
Eine Ausnahme vom Nachweiserfordernis enthält Satz 3 dieser Vorschrift lediglich
für Hausfrauen. Dass ein Nachweis eines erlittenen Verdienstausfalls zwingend ist,
ergibt sich auch aus der einschlägigen Spruchpraxis des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Urteil vom 18.05.2000 - 8 UE 3165/97, HessVGRspr
2000, 81; Urteil vom 28.10.2004 - 8 UE 2843/02).
Der Kläger hat weder im vorangegangenen Verwaltungsverfahren noch im Verlauf
des zu entscheidenden Klageverfahrens den Nachweis erbracht, dass ihm durch
die Wahrnehmung seines Kreistagsmandats tatsächlich ein Verdienstausfall
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die Wahrnehmung seines Kreistagsmandats tatsächlich ein Verdienstausfall
entstanden ist. Eine entsprechende Bestätigung seines Arbeitgebers hat er nicht
vorgelegt und konnte dies auch nicht, da dem Kläger auf Grund der vertraglichen
Ausgestaltung seines Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit einer sehr flexiblen
individuellen Arbeitszeitgestaltung eingeräumt worden ist. Allein der Umstand,
dass er in Zeiten, in denen er seinen mandatsbedingten Verpflichtungen
nachgekommen ist, ansonsten hätte arbeiten und sein Arbeitszeitkonto auffüllen
können, rechtfertigt es nicht, ihm einen Anspruch auf Erstattung des
Verdienstausfalls zuzusprechen (so im Ergebnis auch HessVGH, Urteil vom
18.05.2000 - 8 UE 3165/97, HessVGRspr. 2000, 81). Dies scheitert bereits daran,
dass der Kläger nicht darzulegen vermochte, dass er in dieser Zeit, wäre er nicht
mandatsbedingt verhindert gewesen, zwingend seinen arbeitsvertraglichen
Verpflichtungen hätte nachkommen müssen. Vielmehr ist es nicht
ausgeschlossen, dass der Kläger die entsprechende Zeit beispielsweise auch für
Freizeitaktivitäten hätte nutzen können.
Auf Grund der dem Kläger arbeitsvertraglich eingeräumten Möglichkeit zur äußerst
flexiblen Gestaltung seiner Arbeitszeit steht es ihm frei zu entscheiden, wann er
konkret seine dem Arbeitgeber geschuldete Arbeitsleistung erbringt. Da er -
seinem eigenen Vortrag zufolge - über seine Arbeitszeit weitgehend selbst
verfügen kann, ist es ihm auch möglich, durch seine Mandatsausübung
möglicherweise eintretende Arbeitszeit- und gegebenenfalls auch eintretende
Einkommensverluste auszugleichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.09.1989 - 7 C
4/89, NVwZ 1990, 162; OVG Lüneburg, Urteil vom 01.08.2002 - 10 LB 754/01,
NdsVBl 2002, 326).
Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Erstattung von Verdienstausfall nach der
Entschädigungssatzung des Beklagten zu, da in deren § 2 Nr. 1 und 2 gleichfalls
zwingend der Nachweis eines eingetretenen Verdienstausfalls gefordert wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; der Ausspruch über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, war die Berufung gemäß § 124
Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.