Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 15.12.2003

VG Frankfurt: eheähnliche gemeinschaft, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, sozialhilfe, verweigerung von leistungen, behörde, wohngemeinschaft, wohnung, konstitutive wirkung

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Gericht:
VG Frankfurt 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 G 5989/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 1 BSHG, § 122 BSHG
Voraussetzungen einer eheähnlichen Gemeinschaft
Leitsatz
1. Eine nicht durch handschriftlichen Schriftzug unterschriebener Schriftsatz mit einem
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gilt als nicht gestellt, wenn nicht auf
Grund anderer Umstände zweifelsfrei auf einen Absendewillen des Antragstellers oder
des Bevollmächtigten geschlossen werden kann.
2. Für die Beurteilung der Statthaftigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung ist zuerst das Vorbringen des Antragstellers in der Antragsschrift und -
sofern es die Eilbedürftigkeit der Sache nicht verbietet - die Tatsachenerkenntnis aus
den beigezogenen Behördenakten zu Grunde zu legen.
3. Eine eheähnliche Gemeinschaft nach dem Sozialhilferecht besteht nicht bereits
dann, wenn ein verschiedengeschlechtliches Paar in einer Wohnung lebt und die beiden
Partner eine Wirtschaftsgemeinschaft (-aus-einem-Topf-wirtschaften-) bilden. Es muss
sich vielmehr um eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft handeln. Indizien
hierfür sind insbesondere gemeinsame Kinder und rechtliche oder tatsächliche
Hindernisse eine Ehe bzw. ein anderes Partnerschaftsverhältnis einzugehen. Falls ein
solcher hinweisender Anhaltspunkt nicht besteht, kann auch aus anderen gewichtigen
Umständen, z.B. aus der Dauer des Zusammenlebens auf eine derartige Gemeinschaft
geschlossen werden.
4. Ist die Behörde des Sozialhilfeträgers bisher von der Hilfebedürftigkeit ausgegangen
und hat sie Leistungen über einen längeren Zeitpunkt - regelmäßig ein Jahr - gewährt,
darf sie die weitere Gewährung mit der Begründung, es liege eine eheähnliche
Gemeinschaft mit der Folge des Wegfalls der Hilfebedürftigkeit vor, nur dann
verweigern, wenn sie sich Gewissheit über das Vorliegen der tatsächlichen
Voraussetzungen verschafft hat, insbesondere hat sie den Hilfeempfänger zu den
Tatsachen zu hören.
5. Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer eheähnlichen Gemeinschaft ist der
Sozialhilfeträger darlegungs- und beweispflichtig.
Tenor
Die Anträge werden abgelehnt.
Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens haben die
Beteiligten je zur Hälfte zu tragen.
Gründe
I. Die 1966 geborene Antragstellerin erhielt seit ca. 1992 laufend
Sozialhilfeleistungen.
Mit Bescheid über die "Einstellung von laufenden Leistungen nach dem
Bundessozialhilfegesetz (BSHG)" vom 22.07.2003 stellte die Beklagte die Hilfe mit
Wirkung ab 01.08.2003 ein. In dem Bescheid heißt es:
"Bei der Antragstellung auf eine einmalige Beihilfe wurde von unserem
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"Bei der Antragstellung auf eine einmalige Beihilfe wurde von unserem
Außendienstmitarbeiter festgestellt, dass Sie in einer eheähnlichen Gemeinschaft
leben. Ihre Sachen sind zusammen in einem Schrank. Die Schmutzwäsche befand
sich ebenfalls zusammen im Behälter. Im Kühlschrank wurden die Lebensmittel
gemeinsam aufbewahrt.
Nach Vorlage der Kontoauszüge wurde festgestellt, dass die Rente von Herrn N
mit auf Ihr Konto überwiesen wird. Sie besitzen gemeinsam die Kontovollmacht
über dieses Konto. Ebenso haben Sie beide uns gegenüber erklärt, dass jeder eine
EC-Karte für dieses Konto besitzt."
Dagegen richtete sich der Widerspruch vom 19.08.2003, über den noch nicht
entschieden wurde.
Mit einem nicht unterzeichneten Schriftsatz vom 28.10.2003, bei Gericht am
29.10.2003 eingegangen, den die Antragstellerin-Bevollmächtigte jedoch mit am
10.11.2003 eingegangenem Schriftsatz bestätigte, hat die Antragstellerin den
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und will erreichen, dass ihr
"vorläufig" die bisher gewährte Sozialhilfe weiter gewährt wird. Gleichzeitig hat sie
Prozesskostenhilfe beantragt.
Sie trägt vor, dass sie zwar mit ihrem Wohnungspartner zusammen lebe, er sei
aber nicht ihr Lebensgefährte. Dies werde nicht nur aus den äußeren Umständen
ersichtlich, denn die Antragstellerin bewohne das Schlafzimmer der Wohnung,
während ihr Wohnungspartner das Wohnzimmer bewohne. Auch der Kleiderschrank
und der Kühlschrank seien in der Weise aufgeteilt, dass jeder seine
Kleidungsstücke bzw. Nahrungsmittel in seinem Teil des Kleiderschrankes bzw.
Kühlschrankes aufbewahre.
Sie kauften aber weder zusammen ein, noch versorgen sie sich gegenseitig, sie
teilten sich aus Kostengründen lediglich eine Wohnung. Obwohl es richtig sei, dass
es im Bad der Wohnung lediglich einen Schmutzwäschebehälter gebe und dieser
sowohl von der Antragstellerin als auch von ihrem Wohnungspartner benutzt
werde, werde die Wäsche getrennt gewaschen, inzwischen gebe es sogar zwei
Schmutzwäschebehälter. Das getrennte Wäschewaschen werde nunmehr auch
durch die getrennten Wäschebehälter ersichtlich. Richtig sei auch, dass die Rente
des Wohnungspartners ursprünglich auf das Konto der Antragstellerin überwiesen
worden sei. Trotzdem spreche diese Tatsache nicht dafür, dass eine
Lebensgemeinschaft besteht. Der Wohnungspartner habe bei der Postbank wegen
eines Schufa-Eintrags kein Girokonto erhalten, auf das er seine Rente überweisen
lassen konnte. Nur insoweit sei das Konto der Antragstellerin gemeinsam genutzt
worden. Inzwischen sei auch hinsichtlich der Bankangelegenheiten eine Änderung
vorgenommen worden. Die Rente des Wohnungspartners werde nicht mehr auf
das Konto der Antragstellerin überwiesen. Somit sind die von dem Antragsgegner
zur Begründung der Aufhebung der Sozialhilfe angeführten Tatsachen nicht mehr
gegeben.
Im übrigen sei nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter einer
eheähnlichen Lebensgemeinschaft eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft
zu verstehen, die daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulasse
und sich durch innere Bindungen auszeichne, die ein gegenseitiges Einstehen der
Partner für einander begründe, also über die Beziehung in einer reinen Haushalts-
und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (BVerfG, NJW 1993, 643, 645). Diese
Rechtsprechung sei auch vom Bundesverwaltungsgericht übernommen worden.
Dementsprechend sei nicht ausreichend, wenn zwischen der Antragstellerin und
ihrem Wohnungspartner eine Wohngemeinschaft bzw. eine Wohn- und
Wirtschaftsgemeinschaft bestehe. Im vorliegenden Fall bestehe ausschließlich eine
Wohngemeinschaft. Die Antragstellerin und der Wohnungspartner wirtschafteten
nicht gemeinsam und lebten auch nicht im Sinne einer eheähnlichen
Lebensgemeinschaft miteinander, sondern teilten sich lediglich eine Wohnung. Die
Zimmer der Wohnung seien klar aufgeteilt, so dass es auch keine Überschneidung
gebe.
Da die Antragstellerin keine Sozialhilfe mehr erhalte und bisher nur durch
Zuwendungen von Freunden, Bekannten und Verwandten überleben konnte, sei
die beantragte einstweilige Anordnung dringend erforderlich.
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der
Antragstellerin vorläufig die bis zum 01.08.2003 gewährte laufende Sozialhilfe
weiter zu gewähren und ihr für das Verfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe zu
bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Ansicht, es lägen weder ein Anordnungsgrund noch ein
Anordnungsanspruch vor. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei
bereits teilweise unzulässig, denn die Antragstellerin begehre die Weitergewährung
der laufenden Sozialhilfe ab dem 01.08.2003, habe aber erst am 20.10.2003 einen
Eilantrag bei Gericht gestellt (gemeint ist wohl der 29.10.2003).
Eine einstweilige Anordnung könne jedoch nicht Regelungen eines in der
Vergangenheit liegenden Zustandes betreffen. Insoweit sei der Antrag unzulässig.
Soweit der Antrag zulässig sei, sei er aber unbegründet. Entgegen ihren
Ausführungen lebe die Antragstellerin in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit
ihrem Wohnungspartner. Zwischen der Antragstellerin und ihrem
Wohnungspartner bestehe eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft. Dafür
sprächen die äußeren Umstände, dass sie sich für einander verantwortlich fühlten
und gegenseitig unterstützten. Das Einkommen des Partners sei auch
ausreichend, so dass die Bedarfsgemeinschaft ohne Sozialleistungen leben könne.
Die Antragstellerin erhalte sei langen Jahren laufend Sozialhilfe. Bereits im Jahre
2001 sei das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft überprüft worden. Der
Antragsgegner habe nach der Wohnungsbesichtigung Indizien dafür gehabt, dass
es sich um eine Lebensgemeinschaft gehandelt habe (Ermittlungsbericht Bl. 57/58
der Behördenakten). Nach diversem Schriftwechsel und der Vorsprache der
Antragstellerin und ihres Partners beim Sozialamt ging die Behörde jedoch damals
davon aus, dass der Partner der Antragstellerin wegen des Verlustes seiner
Wohnung "vorübergehend" zu der Antragstellerin gezogen sei. Deshalb gewährte
das Sozialamt die Hilfe zum Lebensunterhalt weiter. Aus diesem "vorübergehend"
seien nun zwei Jahre geworden und der Ermittlungsbericht vom 12.06.2003
beschreibe die vorgefundene Wohnungssituation so, dass nach aller
Lebenserfahrung nur der Schluss gezogen werden könne, dass die Antragstellerin
und ihr Wohnungspartner nicht etwa ein "Untermietverhältnis" hätten, sondern
dass es sich um eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zwischen ihnen
handele, die über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinaus eine
Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft darstelle. Hierfür sprächen folgende
Indizien: Die Tatsache, dass ihr Wohnungspartner sein Bettzeug im Schlafzimmer
der Antragstellerin aufbewahrt hat, spricht nach aller Lebenserfahrung dafür, dass
er entgegen seiner Behauptung nicht etwa auf der unbequemen ausziehbaren
Dreisitzer-Chouce schläft, sondern vielmehr dafür, dass er im Schlafzimmer der
Antragstellerin schlafe.
Auch die Tatsache, dass weder Lebensmittel noch die Wäsche (auch nicht die
Schmutzwäsche) getrennt aufbewahrt würden, spreche dafür, dass es sich um
einen gemeinsamen Haushalt handele. Es sei lebensfremd im Rahmen eines
normalen Untermietverhältnisses die Schmutzwäsche gemeinsam aufzubewahren
und zu waschen.
Auch die Tatsache, dass die Antragstellerin und ihr Wohnungspartner im
Wohnzimmerschrank gemeinsam ihre persönlichen Sachen (Unterlagen,
Unterwäschen, usw.) untergebracht hätten, spreche dafür, dass gemeinsam
gewirtschaftet würde und auch die privaten Dinge miteinander geteilt würden. Die
gegenteiligen Behauptungen der Antragstellerin zielten einzig darauf ab, ihr die
Vorteile der Sozialhilfe zu erhalten.
Auch die Behauptung der Antragstellerin, dass ihr Wohnungspartner aufgrund
eines Schufaeintrages kein Girokonto eröffnen könne, sei offensichtlich unrichtig,
denn er habe ein neues Konto bei der Postbank München eingerichtet. Bezüglich
der gemeinsamen Kontonutzung war zunächst festgestellt worden, dass auf dem
Girokonto der Antragstellerin (Postbank Frankfurt am Main) keine Geldeingänge für
das Kindergeld für die beiden Kinder der Antragstellerin durch die Familienkasse
festzustellen waren, auf telefonische Nachfrage bei der Familienkasse Frankfurt sei
mitgeteilt worden, dass die Antragstellerin aktuell Kindergeld für zwei Kinder
erhalte. Das Kindergeld werde auf das Konto bei der Postbank München
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erhalte. Das Kindergeld werde auf das Konto bei der Postbank München
überwiesen. Der Antragsgegner vermute, dass die Antragstellerin entweder über
weitere Bankkonten verfügt, auf denen Geldeingänge zu verzeichnen seien, die sie
dem Antragsgegner bisher verschwiegen habe oder aber, dass es sich um das
neue Konto ihres Wohnungspartners handele. Der Antragsgegner ist aufgrund der
vorstehenden Indizien der Überzeugung, dass die Antragstellerin und ihr
Wohnungspartner eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft darstellen,
die sich durch innere Bindungen auszeichnet und eine gegenseitiges Einstehen der
Partner füreinander begründe.
Weiter argumentiert der Antragsgegner: Um eine Hilfeberechnung anstellen zu
können, müssten die Einkommens- und Vermögensverhältnisse aber weiter
aufgeklärt werden. Der Wohnungspartner beziehe eine Rente von über 1.000 Euro
im Monat. Aufgrund des Renteneinkommens bestehe die Vermutung, dass die
Antragstellerin ihren Lebensunterhalt aus den Leistungen ihres Partners bestreiten
könne. Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft bestünden im
übrigen auch im Hinblick auf die Tatsache, dass in der Zeit zwischen dem
06.04.2003 und 24.04.2003 von dem Postbankkonto der Antragstellerin kein Geld
abgehoben wurde, während in der Zeit davor und danach immer kleinere Beträge
abgehoben worden seien. Auch in der Zeit vom 12.05.2003 bis zum 26.05.2003
seien keine Barabhebungen mit der Karte 2, ab dem 10.05.2003 dann überhaupt
keine Barabhebungen mehr, also auch nicht mit der Karte 1 erfolgt. Die
Antragstellerin sei verpflichtet, diesen unklaren Sachverhalt aufzuklären. Da es zu
dem Postbankkonto in Frankfurt zwei Karten gebe, und die Antragstellerin und ihr
Wohnungspartner angegeben hätten, jeweils nur im Rahmen der ihnen
zustehenden Beträge Gelder abzuheben, sei die Frage, wovon beide ihren
Lebensunterhalt bestritten hätten - wenn es denn keine weiteren Konten gegeben
habe - erklärungsbedürftig.
Der Antragsgegner sehe somit nicht nur genügend Indizien für das Bestehen einer
eheähnlichen Gemeinschaft im Sinne des § 122 BSHG, sondern er gehe nach den
bereits bekannten Tatsachen und weiter aufklärungsbedürftigen Fragen hinsichtlich
bestehender Konten davon aus, dass insgesamt ein Hilfebedarf nicht bestehe und
die Bedarfsgemeinschaft auf den Nachrang der Sozialhilfe gemäß § 2 Abs. 1 BSHG
zu verweisen sei.
Die Behördenakten (2 Hefter, Blatt 1 bis 89 und Blatt 1 bis 61) haben vorgelegen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter
anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
II. Die Anträge haben keinen Erfolg.
Soweit die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung erstrebt, ist
der Antrag zulässig. Zwar ist der in den Gerichtsakten befindliche
Antragsschriftsatz vom 28.10.2003, der am 29.10.2003 bei Gericht ausweislich des
Eingangsstempels der Poststelle bei Gericht eingegangen ist, nicht
unterschrieben, auch die weiter beigefügten Schriftstücke enthalten keinen
handschriftlichen Schriftzug der absendenden Rechtsanwältin, so dass nicht auf
einen zweifelsfreien Absendewillen geschlossen werden kann. Die Antragstellerin-
Bevollmächtigte hat aber den Schriftsatz vom 06.11.2003, bei Gericht am
10.11.2003 eingegangen, unterschrieben und in diesem auf den Antrag vom
28.10.2003 Bezug genommen, so dass der Mangel dadurch geheilt ist. Der Antrag
ist danach am 10.11.2003 gestellt.
Letztlich kann auch hier die Frage dahinstehen, ob der Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung statthaft ist und nicht ein Fall des § 80 VwGO vorliegt (§
123 Abs. 5 VwGO). Weder aus dem Vortrag der Beteiligten noch aus den
Behördenakten ist ersichtlich, ob die Sozialhilfe aufgrund eines
Bewilligungsbescheides gewährt worden ist und welchen Inhalt dieser Bescheid hat.
Handelt es sich nämlich um einen Verwaltungsakt der auf Dauer laufende
Leistungen festsetzt und dessen Leistungen - wie die Formulierung in dem
Bescheid vom 22.07.2003 nahe legt - "eingestellt" werden, läge es nahe mit einem
Stoppantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs gegen den einstellenden Verwaltungsakt "feststellen" zu
lassen. Dann wäre das Rechtsschutzziel der Antragstellerin erreicht. Von einer
derartigen Tatsachenlage kann jedoch wegen der im vorliegenden Eilverfahren
gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht ausgegangen
werden, zumal die Antragstellerin-Bevollmächtigte auf eine rasche Entscheidung
gedrängt hat.
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Das Gericht geht deshalb davon aus, dass es sich - wovon beide Beteiligte wohl
ebenfalls ausgehen - nicht um die Bewilligung einer Dauerleistung gehandelt hat,
sondern die Sozialhilfeleistungen jeweils für den Bewilligungszeitraum von einem
Monat geleistet worden sind, so dass dem "Einstellungs-" Bescheid vom
22.07.2003 keine konstitutive Wirkung hinsichtlich der Einstellung von
Dauerleistungen zukommt. Es handelt sich offenbar lediglich um die Ankündigung,
dass im nächsten Monat keine Leistungen mehr gezahlt werden, weil das
Sozialamt nicht mehr von einer Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin ausgeht.
Aber auch der so verstandene Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO hat keinen
Erfolg. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur
Regelung des vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um
wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus
anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat die Antragstellerin sowohl die
Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung wie die Voraussetzungen des
geltend gemachten Sozialleistungsanspruchs glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 2
VwGO, §§ 920 Abs. 2, 940 ZPO).
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch nicht nötig, weil eine akute
Notlage, die durch die Gewährung von Mitteln der Sozialhilfe beseitigt werden
könnte, nicht vorliegt. Die Behörde ist zu Recht davon ausgegangen, dass die
Antragstellerin nicht hilfebedürftig ist, denn Sozialhilfe erhält nicht, wer sich selbst
helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen erhält (§ 2 Abs. 1 BSHG).
Eine besondere Typisierung der Bedarfsprüfung nach § 2 Abs. 1 BSHG enthält die
Vorschrift des § 122 BSHG, der bestimmt, dass Personen, die in eheähnlicher
Gemeinschaft leben, hinsichtlich der Voraussetzungen sowie des Umfangs der
Sozialhilfe nicht besser gestellt werden dürfen als Ehegatten (§ 122 Satz 1 BSHG).
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 -, BVerfGE 87,
234) hat diesen Rechtssatz nur dann für verfassungsmäßig angesehen, wenn die
Auslegung des Begriffs der eheähnlichen Gemeinschaft auf eine Verantwortungs-
und Einstehensgemeinschaft beschränkt werde. Es hat ausgeführt, dass die
Regelung über die eheähnliche Gemeinschaft nur dann verfassungsrechtlich
haltbar ist, wenn der Begriff verfassungskonform ausgelegt wird.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich das
Bundesverwaltungsgericht angeschlossen hat und auch das erkennende Gericht
anschließt, liegt eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne des § 122 BSHG dann
vor, wenn sie als auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann
und einer Frau über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft ("aus-
einem-Topf-wirtschaften") hinausgeht und von den Partnern einer solchen
Gemeinschaft ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des
Lebens erwartet werden kann (BVerfG 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 -, BVerfGE 87, 234;
BVerwG 17.5.1995 - 5 C 16/93 -, BVerwGE 98, 195). Ob diese Voraussetzungen
vorliegen, bedarf einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalles.
Dabei trifft den Sozialhilfeträger die Darlegungs- und Beweislast (BVerwG
17.05.1995, aaO und 24.06.1999 - 5 B 114/98 -, juris; Niedersächsisches OVG
26.01.1998 - 12 M 345/98 -, FEVS 48, 545-556; Sächsisches OVG 22.10.2002 - 4
BS 347/02 -, FEVS 54, 328; Wenzel in Fichtner, BSHG 1999, § 122, Rn. 7). Das
Vorliegen einer Wohngemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die sich
nicht als reine Zweckgemeinschaft darstellt, indiziert nicht von vornherein das
Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft (OVG des Saarlandes 03.04.1998 - 8 V
4/98 -, FEVS 48, 557; Münder in LPK-BSHG § 122 Rn. 9). Hierbei entscheidend ist
stets das Gesamtbild der für den umstrittenen Zeitraum feststellbaren Indizien.
Zu ihnen gehört als ein wichtigstes Indiz das Bestehen einer Wohngemeinschaft
mit einem gemeinsamen Hausstand. Weitere Indizien, die für die Annahme einer
eheähnlichen Gemeinschaft sprechen können, sind beispielsweise: eine lange
Dauer des Zusammenlebens, Betreuung und Versorgung von gemeinsamen
Kindern, eine Verfügungsmacht über Einkommen und Vermögensgegenstände
des anderen Partners, ein gemeinsames Girokonto und die vertragliche
vereinbarte gegenseitige Unterstützung in Anlehnung an Unterhaltspflichten, wie
sie zwischen Ehegatten bestehen (Wenzel in Fichtner, aaO, Rn. 6).
Auch die vom Antragsgegner für seine Auffassung herangezogene Entscheidung
des VGH Baden-Württemberg (14.04.1997 - 7 S 1816/95 -, FEVS 48, 29) geht von
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus und entwickelt
Grundsätze zur Bewältigung der in der Praxis mit der Feststellung einer
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Grundsätze zur Bewältigung der in der Praxis mit der Feststellung einer
eheähnlichen Gemeinschaft verbundenen Schwierigkeiten. Der dazu aufgestellte
Leitsatz, auf den sich der Antragsgegner stützt, lässt nicht den Schluß zu, dass für
die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft allein das Vorliegen einer
tatsächlichen Wohngemeinschaft der Partner ohne plausible Gründe für ein
Zusammenwohnen aus reiner Zweckmäßigkeit ausreichen solle. In der
Entscheidung heißt es, dass bei Zusammenleben zweier Partner in einer Wohnung
der Sozialhilfeträger grundsätzlich davon ausgehen darf, dass eine eheähnliche
Gemeinschaft vorliegen könnte , und er deshalb vor der Hilfegewährung weitere
Ermittlungen anstellen darf. Auch der VGH Baden-Württemberg betrachtet dabei
die Umstände des Einzelfalls und begründet, woraus er über die Feststellung der
Wohngemeinschaft hinaus die Überzeugung des Vorliegens innerer Bindungen im
Sinne eines gegenseitigen Einstehens gewonnen hat, wobei er im entschiedenen
Fall wesentlich darauf abstellt, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt
(Umbaumaßnahmen) die Partner der Wohngemeinschaft ein längerfristiges
Zusammenleben ins Auge gefasst hatten und dies auch verwirklicht wurde; hinzu
kamen im übrigen Fallumstände - bereits vierjährige Dauer der
Wohngemeinschaft, gemeinsames Kind -, die auch ohne die vom VGH Baden-
Württemberg aufgestellten Grundsätze keinen Zweifel am Vorliegen einer
eheähnlichen Gemeinschaft offen lassen konnten.
Die Entscheidung kann also aus der Sicht des Gerichts nicht etwa dahin
verstanden werden, dass bereits vom Beginn einer Wohngemeinschaft zwischen
einem Mann und einer Frau, die sich nicht als reine Zweckgemeinschaft darstellt,
ohne weiteres von einer "festen Beziehung" als dem Prototyp der eheähnlichen
Gemeinschaft ausgegangen werden kann. Wäre die Entscheidung so zu verstehen,
könnte sie den fließenden Übergängen von in mehr oder weniger
Wohngemeinschaft gelebten bloßen Freundschaftsverhältnissen bis hin zu "festen
Beziehungen" im Sinne einer Einstehensgemeinschaft nicht gerecht werden und
würde über das mit §122 BSHG intendierte Ziel des Vermeidens der
Schlechterstellung der Ehe im Leistungsvollzug hinausschießen.
Für die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft im vorliegenden Falle sind
jedoch die Tatsachen, die die Behörde der dieser Annahme entgegenstehenden
Behauptung der Antragstellerin entgegenbringt, nicht ausreichend. Der
Antragsgegner geht nämlich nach seinen Darlegungen im nicht abgeschlossenen
Widerspruchsverfahren und in der Antragserwiderung von einer Wohn- und
Wirtschaftsgemeinschaft aus. Dies ist aber nicht ausreichend eine eheähnliche
Gemeinschaft zu begründen. Auch der in § 122 Satz 2 BSHG enthaltene Verweis
auf den § 16 BSHG kann die Argumentation der Behörde nicht stützen. Die dort
ausgesprochene gesetzliche Vermutung, dass ein Hilfesuchender Leistungen zum
Lebensunterhalt von Verwandten oder Verschwägerten erhält, trifft hier nicht zu,
weil die Antragstellerin nicht in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder
Verschwägerten lebt.
Solange sich die Indizien für eine eheähnliche Gemeinschaft nicht verdichten, aber
eine Wohngemeinschaft vorliegt, ist dieser im Rahmen der Hilfe zum
Lebensunterhalt durch Abzug des auf den nicht hilfebedürftigen Partner
entfallenden Unterkunftskostenanteils Rechnung zu tragen. Ferner ist bei
Erbringung von Dienstleistungen des Hilfeempfängers für den Partner, falls sie
nicht ohnehin durch Geld entlohnt werden, sondern - wie häufig - durch
Sachleistungen abgegolten werden, an deren Erfassung durch eine
dementsprechende Einkommensanrechnung zu denken.
Scheiden die gesetzlichen Grundlagen, auf die sich der Antragsgegner zur
Stützung seiner Verweigerung von Leistungen berufen hat, aus, so bleibt lediglich
§ 2 Abs. 1 BSHG, der der Behauptung der Antragstellerin von der Behörde
entgegengesetzt werden kann. Nach den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 BSHG
kommt es weder auf das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft noch auf das
einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft sondern ausschließlich auf die
Nachrangigkeit der Sozialhilfegewährung an. In ihrem Antragsschriftsatz hat die
Antragstellerin selbst eingeräumt, dass sie seit dem 01. August 2003
Zuwendungen von Freunden, Bekannten und Verwandten erhalten hat, also ein
akuter Hilfebedarf nicht ansteht. Es liegen also gewisse Anhaltspunkte dafür vor,
dass die Antragstellerin sich selbst helfen kann.
Ob dies in der nahen Zukunft noch der Fall sein wird, bedarf der weiteren
Aufklärung der Behörde. Dazu wird die Behörde insbesondere deshalb gehalten
sein, weil sie weder von den Voraussetzungen des § 122 BSHG noch denen des §
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sein, weil sie weder von den Voraussetzungen des § 122 BSHG noch denen des §
16 BSHG ausgehen darf und es bislang auch unterlassen hat - wie sie selbst
einräumt - die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Wohnungspartners
der Antragstellerin in hinreichender Weise aufzuklären. Diese Fehler der Behörde
führen aber andererseits nicht dazu, dass der Antrag erfolgreich ist, weil es der
Antragstellerin obliegt die Anspruchsvoraussetzungen vollständig und erschöpfend
darzulegen und sie dies nicht getan hat. Dazu gehört insbesondere auch, warum
die Antragstellerin entgegen der Regel von ihrem Wohnungspartner keinerlei
Leistungen, welcher Art auch immer erhält. Die nähere Aufklärung dieses
Umstandes obliegt jedoch nicht dem Gericht im Eilverfahren sondern der Behörde,
die dies eventuell aufgrund eines neuen Antrags bzw. im Rahmen des noch
anhängigen Widerspruchsverfahrens aufzuklären haben wird.
Da die Antragstellerin unterlegen ist, hätte sie die außergerichtlichen Kosten des
Verfahrens (Gerichtskosten werden nach § 188 VwGO nicht erhoben) zu tragen
gehabt (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Vorschrift kann hier aber insbesondere im
Hinblick auf die obigen Ausführungen über die mangelhafte Aufklärung des
Sachverhalts durch die Behörde und die entgegen der Vorschrift des § 75 Satz 1
und 2 VwGO überlange Dauer des Widerspruchsverfahrens ohne zureichenden
Grund nicht voll Platz greifen. Dabei hat das Gericht den Verschuldensanteil des
Antragsgegners (§ 155 Abs. 4 VwGO) mit mindestens der Hälfte der
Verfahrenskosten bewertet, so dass die außergerichtlichen Kosten zu teilen sind.
Aus dem oben Ausgeführten ergibt sich auch, dass der Prozesskostenantrag, der
sich hier lediglich auf die außergerichtlichen Kosten beziehen kann, scheitern
muss, weil der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung erfolglos ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.