Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 12.09.2003

VG Frankfurt: ärztliche behandlung, flughafen, beamtenverhältnis, vollstreckung, absicht, dienstleistung, arbeitsunfähigkeit, behörde, verfügung, erfahrung

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Gericht:
VG Frankfurt
9.Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 E 749/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 9 BBesG, § 54 BBG
Verlust der Dienstbezüge
Leitsatz
Die Feststellung der gesundheitlichen Ungeeignetheit für den Polizeivollzugsdienst
rechtfertigt allein nicht das Fernbleiben eines Beamten vom Dienst, wenn eine Eignung
für den allgemeinen Verwaltungsdienst bejaht wird.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger war Kontroll- und Streifenbeamter beim Bundesgrenzschutzamt
Flughafen Frankfurt/Main; er bekleidete zuletzt das Amt eines Polizeihauptmeisters
im BGS im Beamtenverhältnis auf Probe. Zum 30.09.2002 wurde er wegen
Polizeidienstunfähigkeit entlassen.
Der Kläger war im Jahr 1998 erstmals längerfristig, nämlich für einen Zeitraum von
6 Monaten, wegen einer psychischen Erkrankung nicht zum Dienst erschienen.
Auch in der Folgezeit verrichtete er krankheitsbedingt zeitweise keinen Dienst. Seit
dem 20.12.2000 war er wegen der psychischen Beschwerden durchgehend nicht
mehr im Dienst, ohne indes für die Zeiträume vom 04.02. bis 08.02., 23.02. bis
15.07. und 05.08. bis 22.08.2002 ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
vorzulegen. Während dieser Zeiträume hatte er nach eigenen Angaben zwar unter
erheblichen psychischen Beschwerden gestanden, jedoch keinen Arzt aufgesucht.
Auf Veranlassung seiner Dienststelle untersuchte der Sozialmedizinische Dienst
des Bundesgrenzschutzes den Kläger am 23.05.2002. Der Leiter des
Sozialmedizinischen Dienstes gelangte aufgrund der Untersuchung zu der
Einschätzung, dass der Kläger nicht den besonderen gesundheitlichen
Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes genüge und nach ärztlich-
wissenschaftlicher Erfahrung auch nicht zu erwarten sei, dass die volle
Verwendungsfähigkeit innerhalb zweier Jahre wieder erlangt werde, sodass der
Kläger gesundheitlich nicht für den Polizeivollzugsdienst geeignet sei. Allerdings sei
der Kläger gesundheitlich geeignet für eine Tätigkeit im allgemeinen
Verwaltungsdienst und die hierzu notwendigen Schulungsmaßnahmen und
Vorbereitungslehrgänge. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das bei den
Verwaltungsvorgängen befindliche Gutachten Bezug genommen (Bl. 45 ff. d.
Verwaltungsvorgänge).
Mit Schreiben vom 10.07.2002 teilte das Grenzschutzpräsidium Mitte dem Kläger
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Mit Schreiben vom 10.07.2002 teilte das Grenzschutzpräsidium Mitte dem Kläger
mit, es beabsichtige ihn wegen Polizeidienstunfähigkeit aus dem
Bundesgrenzschutz zu entlassen, sofern er nicht einen Laufbahnwechsel für ein
Amt des allgemeinen Verwaltungsdienstes beantrage und die erforderliche
Unterweisung erfolgreich abschließe. In einem Personalgespräch am 12.07.2002
erklärte der Kläger, er habe keinerlei Interesse an dem angebotenen Wechsel in
den Verwaltungsdienst und warte seine Entlassung ab.
Mit Schreiben vom 12.07.2002 forderte das Bundesgrenzschutzamt Flughafen
Frankfurt/Main den Kläger auf, für die Zeiträume vom 04. bis 08.02.2002 und ab
dem 23.02.2002 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen, wobei auf eine
Verfügung derselben Behörde vom 06.01.1998 hingewiesen wurde, mit der der
Kläger verpflichtet wurde, am ersten Tag einer Erkrankung sich einem Arzt
vorzustellen und der Dienststelle spätestens am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit
unaufgefordert eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Mit Schreiben vom
15.07.2002 teilte der Kläger mit, er könne für die erwähnten Zeiträume ärztliche
Atteste nicht vorweisen. Er sei zwar in ein erneutes seelisches Tief geraten, sein
früherer Therapeut sei aber inzwischen in den Ruhestand getreten und habe ihn
nicht mehr behandeln können, so dass er - der Kläger - lediglich auf den Termin
zur sozialmedizinischen Untersuchung gewartet habe. Er werde versuchen, einen
anderen Psychiater zu finden. Mit Schreiben vom 23.07.2002 teilte das
Bundesgrenzschutzamt Flughafen Frankfurt/Main dem Kläger mit, im Falle der
Nichtvorlage der fehlenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei er dem Dienst
unerlaubt ferngeblieben und verliere somit rückwirkend für die gesamte Zeit des
Fernbleibens seine Dienstbezüge. Nachdem der Kläger auch im Zeitraum vom
05.08. bis 22.08.2002 dem Dienst fernblieb, ohne
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen, informierte das
Grenzschutzpräsidium Mitte den Kläger mit Schreiben vom 30.09.2002 über seine
Absicht, für die genannten Zeiträume den Verlust der Dienstbezüge festzustellen
und die Dienstbezüge gem. § 87 Abs. 2 BBG von ihm zurückzufordern. Der Kläger
widersprach dieser Absicht. Zum einen habe er für den Zeitraum vom 05.08. bis
22.08.2002 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht. Zum anderen sei
er in den übrigen Zeiträumen nicht zur Dienstleistung verpflichtet gewesen, da er
nicht dienstfähig gewesen sei.
Mit Bescheid vom 10.12.2002 stellte das Grenzschutzpräsidium Mitte den Verlust
der Dienstbezüge des Klägers für die Zeiträume vom 04.02.2002 bis 08.02.2002
sowie 23.02.2002 bis 15.07.2002 und 05.08.2002 bis 22.08.2002 fest, da er ohne
Genehmigung schuldhaft dem Dienst ferngeblieben sei und auch keine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt habe. Es stehe zwar außer Frage,
dass er polizeidienstunfähig gewesen sei; dies habe ihn jedoch nicht von der Pflicht
befreit, im Rahmen seiner gesundheitlichen Eignung, nämlich in Bezug auf
Verwaltungstätigkeiten, Dienst zu leisten. Die sozialmedizinische Untersuchung
habe zum Nachweis seiner entsprechenden Dienstfähigkeit geführt.
Der Kläger erhob am 02.01.2003 Widerspruch. Er sei allein dem
Polizeivollzugsdienst zugeordnet gewesen; er habe nicht davon ausgehen können,
dass er im allgemeinen Verwaltungsdienst eingesetzt werden würde. Er sei auch
nicht formell versetzt worden. Das Grenzschutzpräsidium Mitte wies den
Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 17.01.2003 (Bl. 109 ff. d.
Verwaltungsvorgänge) unter Vertiefung der Ausführungen im Erstbescheid zurück.
Im übrigen habe beim Bundesgrenzschutzamt Flughafen Frankfurt/Main eine AG
Kosten bestanden, die mit polizeidienstunfähigen oder eingeschränkt
polizeidienstfähigen Polizeivollzugsbeamten besetzt sei und in deren Rahmen auch
der Kläger habe eingesetzt werden können, ohne dass ihm vorher formell ein Amt
des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes habe übertragen werden
müssen. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am
22.01.2003 zugestellt.
Der Kläger hat am 18.02.2003 Klage erhoben, die er unter Vertiefung seines
Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren begründet. Wegen der Einzelheiten
seines Vorbringens wird auf die Klageschrift (Bl. 1-8 d. A.) und auf den Schriftsatz
vom 19.03.2003 (Bl. 33/34 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Grenzschutzpräsidiums Mitte vom 10.12.2002 und den
Widerspruchsbescheid derselben Behörde vom 17.01.2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
Zur Begründung vertieft sie die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Es habe auch nicht einer besonderen Dienstantrittsaufforderung gegenüber dem
Kläger bedurft.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter allein
einverstanden erklärt und auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung
verzichtet.
Ein Schnellhefter Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Bl. 1-149) lag vor und war
Grundlage der Entscheidung. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf
die Verwaltungsvorgänge sowie die Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze
der Beteiligten, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten der
Berichterstatter allein und im schriftlichen Verfahren entscheiden kann (§§ 87 a
Abs. 2, 3; 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, kann in der Sache aber keinen Erfolg
haben. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger
nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Zur Begründung kann der Berichterstatter zunächst vollinhaltlich auf die
Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug nehmen und hier von einer
weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, da er diesen
Ausführungen folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Der Kläger kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg auf den Umstand berufen,
dass er nach dem Gutachten des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten den
gesundheitlichen Anforderungen des Polizeivollzugsdiensts nicht genügt und
infolge dessen im Hinblick auf seine Polizeidienstunfähigkeit aus dem
Beamtenverhältnis entlassen wurde. Aus dem Gutachten ergibt sich nämlich nicht,
dass der Kläger in den fraglichen Zeiträumen gesundheitlich nicht in der Lage
gewesen wäre, Dienst zu leisten; nur dies hätte indes sein Fernbleiben vom Dienst
rechtfertigen können.
Der Beurteilung des sozialmedizinischen Dienstes liegt die prognostische
Einschätzung zugrunde, ob in Bezug auf die Berufung in das Beamtenverhältnis
auf Lebenszeit eine uneingeschränkte Polizeidienstfähigkeit des Klägers besteht
oder jedenfalls innerhalb eines überschaubaren Zeitraums mit ihrer
Wiederherstellung gerechnet werden kann. Sie hat zwar die langwierige Erkrankung
des Klägers zur Grundlage, sagt gleichwohl aber nichts darüber aus, ob der Kläger
in den hier fraglichen Zeiträumen aktuell dienstunfähig war. Zu dieser
Einschätzung hätte die Erkrankung des Klägers nur dann führen können, wenn sie
ihn außer Stand gesetzt hätte, die nach den Aufgaben seines Amts im konkret-
funktionellen Sinn obliegenden Dienstpflichten oder die Dienstpflichten eines
Ersatzamts an seiner Dienstbehörde zu erfüllen (Schwegmann/Summer, BBesG, §
9 Erläuterung II 1 Bst. d). Eine derartige, gleichsam absolute Dienstunfähigkeit ist
in Bezug auf den Kläger indes nicht festgestellt worden. Vielmehr attestierte der
Sozialmedizinische Dienst beim BGS dem Kläger die gesundheitliche Eignung für
Aufgaben des allgemeinen Verwaltungsdiensts. Allein die Feststellung der
Polizeidienstunfähigkeit reichte folglich als Rechtfertigungsgrund für sein
Fernbleiben vom Dienst nicht aus (so auch BayVGH Beschluss vom 17.05.1983 -
BayVBl. 1983 S. 660, 661). Ohnehin wurde dem Kläger erst zum Zeitpunkt der
Eröffnung der Ergebnisse der sozialmedizinischen Untersuchung mit Schreiben
vom 10.07.2002 die Einschätzung der Beklagten bekannt, sie halte ihn für
polizeidienstunfähig, während er bereits zu einem erheblich früheren Zeitpunkt
dem Dienst ferngeblieben war, zu dem er von dieser Einschätzung noch keine
Kenntnis hatte. Jedenfalls war der Kläger auch nach Bekanntgabe des
Untersuchungsergebnisses verpflichtet, der Beklagten unaufgefordert seine
Dienstleistung anzubieten; denn die Dienstleistungspflicht eines Beamten nach §
54 BBG hängt nicht von einer besonderen Aufforderung ab. Darum kann auch
dahinstehen, ob die Bearbeitung von Altfällen im Bereich der Flugsicherung im
Rahmen der AG Kosten den Anforderungen an eine statusangemessene Tätigkeit
des Klägers genügt hätte oder ob womöglich eine statusrechtliche Maßnahme
nötig gewesen wäre, um den Kläger mit diesen Aufgaben zu betrauen; denn der
Kläger hat sich bereits durch sein eigenmächtiges Nichterscheinen einem
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Kläger hat sich bereits durch sein eigenmächtiges Nichterscheinen einem
anderweitigen Einsatz entzogen, zu dem er sich aber grundsätzlich zur Verfügung
hätte stellen müssen.
Dass die Erkrankung des Klägers zur Folge hatte, dass seine Fähigkeit zur
Steuerung seines Willens ausgeschlossen oder wenigstens in einem solchen Maße
beeinträchtigt war, dass ihm die Dienstausübung schlechthin unmöglich oder nicht
mehr zuzumuten war, was eine aktuelle Dienstunfähigkeit hätte begründen
können, hat der Kläger selbst nicht behauptet, geschweige denn belegt; dafür ist
auch nichts ersichtlich. Nach seinen eigenen Angaben nahm er das erneute
Auftreten der psychischen Beschwerden nicht einmal zum Anlass, sich in ärztliche
Behandlung zu begeben; vielmehr wartete er auf die sozialmedizinische
Untersuchung. Wie er unter diesen Voraussetzungen zu der Annahme hat
gelangen können, er dürfe dem Dienst einfach fernbleiben, ohne den Nachweis
seiner Arbeitsunfähigkeit führen zu müssen, ist für den Berichterstatter nicht
nachzuvollziehen. Im übrigen hat der Kläger sich auch nicht auf eine seine freie
Willensentscheidung ausschließende Erkrankung berufen, so dass auch im Hinblick
darauf sein Fernbleiben vom Dienst unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als
gerechtfertigt erscheinen kann.
Da der Kläger unterliegt, hat er die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1
VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V.
m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.