Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 18.07.2003

VG Frankfurt: neues beweismittel, abschiebung, psychische störung, öffentliches recht, aufschiebende wirkung, behandlung, bundesamt, gefahr, erlass, rechtsschutz

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Gericht:
VG Frankfurt 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 G 3209/03.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 40 Abs 1 S 1 AsylVfG, § 40
Abs 1 S 2 AsylVfG, § 71 Abs 5
S 2 AsylVfG, § 75 AsylVfG, § 77
Abs 2 AsylVfG
Psychische Störung und Reiseunfähigkeit als von der
Ausländerbehörde zu berücksichtigende inlandsbezogene
Vollstreckungshindernisse.
Leitsatz
Die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG durch das
Verwaltungsgericht berührt die Rechtsmäßigkeit der behördelichen Androhung der
Abschiebung nicht (§ 50 Abs. 3 Satz 3 AuslG). Die verwaltungsgerichtliche Feststellung
hierüber ist weder im Hauptsacheverfahren (§ 43 VwGO) noch im Eilverfahren eine
Feststellungsentscheidung im prozessualen Sinne. Eilrechtsschutz mit dem Ziel der
Unterlassung der Unterrichtung der Ausländerbehörde (bzw. der "Rücknahme" einer
entsprechenden Unterrichtung) durch das Bundesamt über die Vollziehbarkeit der
Androhung (§ 40 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ist durch den Erlass einer einstweiligen
Anordnung (§ 123 VwGO) zu gewähren.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Gründe
I. Der 1965 geborene Antragsteller ist nach den Feststellungen im Urteil des
Verwaltungsgerichts am Main vom 18.12.2000 (15 E 3587/99.A) türkischer
Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und lebte bis zu seiner Ausreise
in der Provinz Diyarbakir. Er ist mit seiner Familie - nach seinen eigenen Angaben -
1994 in das Inland eingereist und beantragte Asyl; der Antrag wurde (mit Bescheid
vom 07.03.1995) abgelehnt, die dagegen beim Verwaltungsgericht Gießen
erhobene Klage wurde mit Urteil vom 17.03.1999 abgewiesen.
Am 02.08.1999 beantragte der Kläger die Durchführung eines weiteres
Asylverfahrens. Zur Begründung dieses Folgeantrags legte er die Kopie einer
Anklageschrift der Staatsanwaltschaft beim Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir
vom 12.07.1994 gegen seine Ehefrau als neues Beweismittel vor, aus dem sich
ergebe, dass diese im Falle der Rückkehr in die Türkei mit politischer Verfolgung zu
rechnen habe. Den Familienmitgliedern drohe Sippenhaft. Den Antrag lehnte das
Bundesamt mit Bescheid vom 27.09.1999 ab - wie auch den Antrag auf
Abänderung des Bescheides vom 07.03.1995 bezüglich der Feststellung, dass kein
Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG bestehe. Zur Begründung heißt es, der
Kläger berufe sich auf ein neues Beweismittel, das nicht die Voraussetzungen des
§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwGO erfülle. Denn dem als Fax vorgelegten Dokument sei
keinerlei Beweiswert beizumessen, es seien nur Originale beziehungsweise
beglaubigte Kopien als Beweismittel geeignet. Dagegen richtete sich die am
12.10.1999 erhobene Klage (15 E 3587/99.A). Mit Beschluss vom 04.04.2000 (15 G
1962/00) ordnete das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main gegenüber dem Land
Hessen (Ausländerbehörde des Main-Taunus-Kreises) an, bis zur Entscheidung
über diese Klage keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu ergreifen.
Zur Begründung der Klage trug der Antragsteller vor, in der Zwischenzeit das
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Zur Begründung der Klage trug der Antragsteller vor, in der Zwischenzeit das
Original der Anklageschrift und des Zustellungsumschlages erhalten zu haben und
legte die Schriftstücke vor. Weiterhin trägt er vor, dass er sich seit Juni 2000 in
psychotherapeutischer Behandlung befinde (Stellungnahme des psychosozialen
Zentrums für Flüchtlinge und Opfer organisierter Gewalt vom 18.09.2000). Er leide
in Folge von Mißhandlungs- und Mißbrauchserfahrungen unter einer
posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die sich in Defiziten seiner
psychosomatischen Gesundheit zeige. Weiter heißt es in der Stellungnahme, dass
der Antragsteller eine sehr lange Zeit professionelle und familiäre Unterstützung
sowie einen geschützten Raum im Sinne von gesichertem Aufenthalt brauche, um
seine Befindlichkeit zu stabilisieren und ohne Einfluss von traumatischen
Erfahrungen seinen Alltag bewältigen zu können. Ende 2000 habe sich der
Antragsteller in stationärer Behandlung in der psychiatrischen Abteilung des
Klinikums Weilmünster befunden, was in unmittelbarem Zusammenhang mit
seiner PTBS stehe.
Die Klage wies das Gericht mit Urteil vom 18.12.2000 als unbegründet ab. In den
Entscheidungsgründen heißt es, dass die vorgelegte Anklageschrift gefälscht sei,
in den Gründen heißt es zur PTBS u.a.: "Auch den im Folgeantrag inzident
enthaltenen Antrag auf Abänderung des Erstbescheides bezüglich der
Feststellungen zu § 53 AuslG hat das Bundesamt mit dem angefochtenen
Bescheid vom 27.09.1999 zu Recht abgelehnt. Denn Abschiebungshindernisse
gemäß § 53 AuslG sind vorliegend für die Kläger nicht gegeben. Insbesondere stellt
die beim Kläger ... vorliegende posttraumatische Belastungsstörung kein
Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 AuslG dar. Nach § 53 Abs. 6 Satz
1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat
abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete
Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts sind Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG auf
sogenannte zielstaatsbezogene Gefahren beschränkt. § 53 AuslG erfasst
demnach ausschließlich Gefahren die dem Ausländer im Zielland der Abschiebung
drohen. Hindernisse, die einer Vollstreckung der Ausreisepflicht entgegenstehen,
weil andernfalls ein geschütztes Rechtsgut im Bundesgebiet verletzt würde
("inlandsbezogene" Vollstreckungshindernisse), fallen dagegen nicht unter § 53
AuslG (Urteil vom 11.11.1997 - 9 C 13.96 -, InfAusländerrecht 1998, 123; bestätigt
durch Urteil vom 25.11.1997 - 9 C 98.96 -, InfAusländerrecht 190098, 189, 190;
ebenso Urteil vom 21.09.1999 - 9 C 12.99 -, NVWZ-Beilage 2000, 25, 26). Die
Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem
Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeit dort unzureichend
sind, kann demnach ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG
darstellen. Umgekehrt lassen dagegen Einwände des Ausländers gegen die
Durchführung der Abschiebung als solcher, etwa wegen schutzwürdiger familiärer
Bindungen in Deutschland, die Verneinung von Abschiebungshindernissen nach §
53 AuslG unberührt. Sie sind erst auf der Stufe des Vollzuges der Abschiebung
durch die Ausländerbehörde, welche für die Durchführung der Abschiebung
zuständig ist, insbesondere für die Entscheidung, ob diese aus persönlichen
Gründen nicht, noch nicht oder so nicht durchgeführt werden kann (Urteil vom
11.11.1997, AAO, Seite 122) zu prüfen. Dieser Rechtsprechung hat sich das
erkennende Gericht angeschlossen (Urteil vom 22.09.1999 - 15 E 30624/99.A[1];
Urteil vom 29.03.2000 - 15 E 31162/96.A[2]; vergleiche auch HessVGH Beschluss
vom 29.11.2000 - 6 UZ 2376/2000.A)
Der Kläger ... macht vorliegend geltend, dass er psychisch erkrankt sei. In der
psychologischen Stellungnahme vom 18.09.2000 heißt es, dass der Kläger ... für
eine sehr lange Zeit professionelle und familiäre Unterstützung brauchen werde.
Die Trennung eines Ausländers von seiner in Deutschland lebenden
Verwandtschaft beziehungsweise der Abbruch einer hier bereits begonnenen
Behandlung stellt nach der oben zitierten Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts kein "zielstaatsbezogenes" Abschiebungshindernis
dar. Denn die Gesundheitsgefährdung resultiert in einem solchen Fall aus der
Durchführung der Abschiebung selbst. Die Krankheit eines Ausländers ist ein
"klassischer" Fall eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses
(Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25.11.1997, aaO), weil sie in der Person
des Betroffenen ihre Ursache hat. Etwas anderes kann nur dann gelten, - wie oben
ausgeführt - wenn die medizinische Versorgung des Klägers ... im Heimatland
nicht gewährleistet wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall und wird vom Kläger auch
nicht vorgetragen. Vielmehr ergibt sich aus den in das Verfahren eingeführten
Dokumenten, dass die Behandlung psychischer Erkrankungen in der Türkei auf
ähnlichem Standard wie in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist,
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ähnlichem Standard wie in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist,
insbesondere in den Großstädten der Westtürkei."
Weiter heißt es in den Entscheidungsgründen des Urteils:
"Zum Abschluss soll noch auf Folgendes hingewiesen werden: Die Abgrenzung
zwischen inlandsbezogenen und zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen
und die damit verbundene Kompetenzabgrenzung zwischen Ausländerbehörde
und Bundesamt hat nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
auch den Sinn, bei den zielstaatsbezogenen Gründen die besondere Sachkunde
des Bundesamtes bei der Ermittlung und Beurteilung auslandsbezogener
Sachverhalte zu nutzen (Urteil vom 11.11.1997, aaO, Seite 122). Auch dies spricht
dafür, die Bewertung der psychischen Erkrankung des Klägers ... den
Ausländerbehörden zuzuweisen, da kein Grund dafür ersichtlich ist, inwieweit die
besondere Kenntnis des Bundesamtes von den Lebensverhältnissen in der Türkei
im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Abschiebung des Klägers von
Nutzen sein könnte. Vielmehr wird die Zulässigkeit der Abschiebung wohl von
ärztlichen Gutachten über die mit der Abschiebung verbundene
Gesundheitsgefahr für den Kläger ... abhängig zu machen sein."
Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Hessische
Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 30.09.2002 - 12 UZ 358/01.A - ab. Dort
ist zur posttraumatischen Belastungsstörung folgendes ausgeführt: "Die
Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage, ob eine posttraumatische
Belastungsstörung, die auf Ereignissen im Heimatland beruht, ein
zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis bezüglich des Herkunftslandes
darstellt und demnach vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge zu prüfen ist, kann mit der bloßen Behauptung, dass sich am Ort der
die posttraumatische Belastungsstörung auslösenden Ereignisse die Krankheit
regelmäßig verschlimmert und eine Heilung dort schon ganz ausscheidet, und
einem Hinweis auf einen Aufsatz zu dieser These, nicht hinreichend dargelegt
werden. Es fehlt die Angabe und die Auseinandersetzung mit Erkenntnissen, wie
etwa Gutachten, die für eine solche These angeführt werden könnten und mit
denen das Berufungsgericht sich dann in einem Berufungsverfahren
auseinandersetzen könnte. Die Abgrenzung von inlandsbezogenen und
zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen im Allgemeinen ist im übrigen
durch die höchstrichterliche Rechtsprechung in jüngster Zeit geklärt worden (siehe
Bundesverwaltungsgericht, 11.11.1997 - 9 C 13.96 -, InfAusländerrecht 1998, 121;
25.11.1997 - 9 C 9896 - InfAusländerrecht 198, 189; 21.09.1999 - 9 C 8.99 -, DÖV
2000, 298; siehe neuestes BVerfG - Kammer, 16.04.2000 - 2 BvR 553/02 -, NVwZ -
Beilage I, 8/2002, 91). "
Am 16.10.2002 stellte der Antragsteller beim Bundesamt (erneut) einen Antrag
auf Abänderung des Bescheides vom 07.03.1995, weil er die Feststellung von
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG erreichen will. Dies begründete er mit
Hinweis auf die psychologische Stellungnahme vom 21.03.2002, die der Hessische
Verwaltungsgerichtshof im Verfahren auf die Zulassung der Berufung nicht mehr
habe rechtlich prüfen können, und das Gutachten von Frau Dr. P. für das
Verwaltungsgericht Stuttgart vom 11.11.2001 in dem Verfahren A 6 K 13444 -
2000. Nach dem Gutachten sei die Behandlung einer posttraumatischen
Belastungsstörung in der Türkei nicht möglich. Wichtigste Voraussetzung sei das
Vertrauen zum Therapeuten und ein sicheres soziales Umfeld. Die Rückkehr in das
Land des Traumas, ohne dass sich die Verhältnisse dort geändert hätten, bedeute
eine Retraumatisierung und die Gefahr, dem Verursacher des Traumas wieder zu
begegnen, der nach aller Erfahrungen weiter im Amt sei; es bedeute auch die
Gefahr, in Polizeigewahrsam zu geraten und mißhandelt zu werden. Die soziale
Situation nach der Rückkehr sei oft schlecht, familiäre Bindungen seien gestört
oder nicht mehr vorhanden, die Arbeitslosigkeit sei hoch, die Wirtschaftskrise
komme erschwerend hinzu. Ferne gebe es nur wenige ausgebildete Ärzte. Die im
Ausland ausgebildeten Ärzte und Therapeuten arbeiteten privat, was bedeute,
dass sie auch privat zu bezahlen seien. An den staatlichen Krankenhäusern mit
psychiatrischer Abteilung könne bestenfalls eine Krisenbehandlung bei akuten
Psychosen erfolgen, die dann in medikamentöser Ruhigstellung und
Wegschließung bestehe. Die Rehabilitationszentren für Folteropfer in Ankara,
Istanbul, Izmir, Adana und Diyarbakir arbeiteten mit großen Schwierigkeiten und
Behinderungen. Besonders in Izmir, Adana und Diyarbakir seien die
Mitarbeiterinnen und Ärzte häufigen Polizeikontrollen ausgesetzt. Immer wieder
würden sie selbst vor Gericht gestellt oder bedrängt, die Unterlagen ihrer
Patienten herauszugeben. Sie könnten ihren Patienten keinerlei Schutz
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Patienten herauszugeben. Sie könnten ihren Patienten keinerlei Schutz
garantieren, was eine Behandlung gerade psychischer Folterfolgen sehr schwierig
mache. Am 07.09.2001 sei das Behandlungszentrum in Diyarbakir von der Polizei
gestürmt worden. Alle Patientenakten und Computer seinen beschlagnahmt und
erst nach mehreren Tagen zurückgegeben worden. Viele Patienten trauten sich
deshalb aus begründeter Angst nicht sich dort in Behandlung zu begeben.
Den Antrag lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 05.12.2000 ab. Dort ist u.a.
ausgeführt, Behandlungen psychischer Erkrankungen wie eines PTBS oder einer
depressiven Störung mit Suizidgefahr würden in der Türkei durchgeführt werden,
sie seien allerdings nicht an jedem Ort und nicht für jeden Behandlungsbedürftigen
verfügbar, denn das öffentliche Gesundheitssystem der Türkei sei von der
Dominanz krankenhausorientierter Betreuung gekennzeichnet. Fünf psychiatrische
Kliniken des staatlichen Gesundheitssystems und drei Einrichtungen der
Sozialversicherungsanstalt verfügten insgesamt über 8.127 Betten für psychisch
Kranke. Die Verweildauer der Patienten sei auf drei Monate beschränkt. Auch seien
die öffentlichen Krankenhäuser mit Psychiatern deutlich unterbesetzt, Patienten
müßten oft lange Anfahrtswege sowie zwei- bis dreitägige Wartezeiten bis zur
Vorsprache beim Arzt in Kauf nehmen. Öffentliche Dauereinrichtungen seien nicht
vorhanden; unter Hinweis auf eine bessere Pflege in den Familien würden sie auch
von der türkischen Ärzteschaft nicht für erforderlich gehalten. Eine adäquate
Behandlung etwa der PTBS sei im Rahmen dieses öffentlichen
Gesundheitssystems grundsätzlich nicht möglich. Es gäbe aber neben dem
öffentlichen Gesundheitssystem mehr und mehr leistungsfähige private
Gesundheitseinrichtungen, diese böten auch Behandlungen psychischer
Erkrankungen nach westlichem Standart an, die allerdings privatärztlich honoriert
werden müßten. Aus dieser Lage könne nicht der Schluß gezogen werden, eine
Behandlung sei überhaupt nicht möglich. Angesichts des Umstandes, dass das
Niveau der medizinischen Versorgung in den großen Städten im Westen erheblich
höher liege als im Osten des Landes könne jedenfalls für den Fall einer Rückkehr
eines Antragstellers in den Westen der Türei als dem Ort der inländischen
Fluchtalternative aufgrund der dort grundsätzlich bestehenden
Behandlungsmöglichkeiten nicht von einer wesentlichen oder gar
lebensbedrohlichen Verschlimmerung der Erkrankung ausgegangen werden. Auch
in Deutschland bestehe ein gewisser Mangel an ausreichenden Therapieplätzen
und auch hier müsse gegebenenfalls mit langen Wartezeiten gerechnet werden.
Ferner wird ausgeführt, auch der Hinweis auf mangelnde finanzielle Mittel könne
nicht zum Erfolg des Antrages führen. Von diesem Schicksal seien gerade durch
den Kaufkraftverlust der türkischen Lira einen Großteil der türkischen
Staatsangehörigen betroffen. Unter diesen Umständen könne ebenso wie bei
weitverbreiteten Krankheiten, eine allgemeine Gefahr vorliegen, wenn sich nahezu
die gesamte Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe des Zielstaates aus
ökonomischen Gründen eine an sich möglich medizinische Behandlung im
Krankheitsfall nicht leisten könne. Aus den vorliegenden psychologischen
Stellungnahmen gehe hervor, dass die Behandlung des Antragstellers in einer
Gesprächstherapie bestehe. Dass eine entsprechende Weiterbehandlung in der
Türkei nicht möglich sein werde, sei daher nicht ersichtlich.
Der Bescheid ist am 10.12.2002 als Einschreiben zur Post gegeben worden.
Dagegen richtete sich die am 17.12.2002 erhobene Klage (10 E 5491/02.A).
Mit dem Antrag vom 03.07.2003 begehrt der Antragsteller den Erlaß einer
einstweiligen Anordnung zur Verhinderung seiner Abschiebung. Zur Begründung
trägt er vor, er befinde sich seit Oktober 2000 in Behandlung bei der Ärztin für
Neurologie und Psychiatrie Dr. R.-S. in Frankfurt und bezieht sich auf ein Gutachten
dieser vom 14.02.2003 und ein nervenärztliches Attest vom 30.06.2003 sowie die
Stellungnahme des Kreis-Gesundheitsamtes vom 17.03.2003.
Der Antragsteller beantragt,
im Wege der einstweiligen Anordnung der Antragsgegnerin aufzugeben, der für die
Abschiebung zuständigen Stelle mitzuteilen, dass vor einer erneuten Mitteilung
nach § 71 Abs. 5 AsylVfG die Abschiebung nicht vollzogen werden darf.
Die Antragsgegnerin hat sich zu dem Verfahren nicht geäußert.
Die Behördenakten des Bundesamtes (Az.: 2795756-163) sowie die Gerichtsakten
15 E 3587/99.A, 15 G 1962/00.A und 10 E 5491/02.A haben vorgelegen.
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II. Der Antrag hat keinen Erfolg, weil dem Antragsteller kein (subjektiv öffentliches)
Recht auf die den Vollzug der Abschiebungsandrohung vom 07.03.1995 stoppende
Mitteilung des Bundesamtes an die Ausländerbehörde zusteht.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung
auf Antrag einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand
treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden
Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder
wesentlich erschwert werden könnte. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung
setzt voraus, dass sowohl die Dringlichkeit der begehrten einstweiligen Regelung,
als auch das zu sichernde Recht glaubhaft gemacht werden (§ 123 Abs. 3 VwGO
i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Eilbedürftigkeit ist hier darin zu sehen, dass der
Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig ist und somit durch die zuständige
Behörde abgeschoben werden kann (vgl. § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG), da der
gegen den Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 17.12.2002 erhobenen Klage keine aufschiebende Wirkung
zukommt (vgl. § 75 AsylVfG).
Der Antrag ist zwar zulässig, denn anderweitiger Rechtsschutz durch einen Stopp-
Antrag ist nicht zu erlangen, weil die aufschiebende Wirkung der Klage gegen eine
Abschiebungsandrohung nicht wegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53
AuslG - wie es der Antragsteller vorträgt - angeordnet werden darf (vgl. § 50 Abs. 3
AuslG). Um Rechtsschutz zu erlangen, muss der Antragsteller daher den Erlass
einer einstweiligen Anordnung beantragen.
Der Antrag ist auch im übrigen statthaft. In der Kommentarliteratur wird zwar auch
vorgeschlagen, Rechtsschutz nach § 40 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG durch Verpflichtung
des Bundesamtes zur vorläufigen Feststellung eines Hindernisses nach § 53 AuslG
zu gewähren (Kanein/Renner, AuslR, Komm., 6. Aufl., § 40 Rn. 2). Das ist freilich
nicht möglich, weil eine "Verpflichtung" nur im Hauptsacheverfahren erreicht
werden kann und im einstweiligen Rechtsschutz wegen der andersartigen
Verfahrensmaximen nicht angebracht ist. Auch eine "vorläufige" Feststellung kann
allenfalls umgangssprachlich verstanden werden; rechtverstanden kann auch die
Feststellungsentscheidung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
nur in der jeder gerichtlichen Entscheidung innewohnenden Rechtsfeststellung
verstanden werden, zu der aber weitere vollstreckungs- oder mindestens
vollziehungsfähige Entscheidungsformeln für den Ausspruch (Tenor) hinzutreten
müssen. Da der Erlass einer einstweiligen Anordnung seinem Zweck nach letztlich
auf Vollstreckungsverhinderung gerichtet ist, würde eine reine Feststellung einem
"effektiven" Rechtsschutz geradezu zuwider laufen. Der Antragsteller hat deshalb
folgerichtig eine Anordnung beantragt, die eine (vollziehungsfähige Real-)
Handlung des Bundesamtes bewirken soll.
Ein subjektiv öffentliches Recht auf die begehrte Mitteilung des Bundesamtes an
die Ausländerbehörde hat der Antragsteller nicht. Es entspricht der Gesetzeslage,
wenn das Bundesamt die Ausländerbehörde über eine vollziehbare
Abschiebungsandrohung unterrichtet (§ 40 Abs. 1 AsylVfG). Das hat die Behörde
getan, worauf die Ausländerbehörde die Abschiebung angekündigt hat.
Auch der in diesem Verfahren geltend gemachte Umstand einer psychischen
Störung kann nicht zum Erfolg des Eilantrages führen. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG,
der hier in Betracht käme, bestimmt: "Von der Abschiebung eines Ausländers in
einen anderen Staat kann abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine
erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht." Die Vorschrift
enthält die Ermächtigung für die Ausländerbehörde, nach ihrem Ermessen zu
handeln. Dabei hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung
auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens (§ 40 VwVfG)
einzuhalten. In aller Regel kann im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO eine Ermessensentscheidung nicht überprüft
werden, weil dies eine Vorwegnahme des Klageverfahrens (der Hauptsache) wäre
und dem Charakter des Eilverfahrens, eine Vereitelung künftiger Vollstreckung zu
verhindern entgegensteht. Eine Durchbrechung des Vorwegnahmeverbotes ist nur
im Hinblick auf die aus Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz entnommene
Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes vertretbar. Sie ist im vorliegenden
Fall wegen der humanitären Intension des Asylrechts und der davon abgeleiteten
Abschiebungsschutzvorschriften gerechtfertigt.
§ 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erfasst aber nur solche Gefahren, die in den spezifischen
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§ 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erfasst aber nur solche Gefahren, die in den spezifischen
Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der
Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als
inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (vgl.
dazu die Ausführungen in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main
vom 18.12.2000 -15 E 3587/99.A mwN.). Ein sogenanntes zielstaatsbezogenes
Abschiebungshindernis im Sinne der Vorschrift kann sich auch aus der Krankheit
eines Ausländers ergeben, wenn zu besorgen ist, dass diese sich im Heimatstaat
verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Das ist
nach den Feststellungen in dem bereits zitierten Urteil und in dem Beschluss des
Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 30.09.2002 - 12 UZ 358/01.A - nicht der
Fall. Wegen der Ausführungen im Einzelnen wird zur Vermeidung von
Wiederholungen auf die beiden Entscheidungen verwiesen.
Ein veränderter Umstand, der gegebenenfalls zu einer anderen Beurteilung als
damals nötigt, liegt nicht vor. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird zu
Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen der Antragsgegnerin im
Bescheid vom 05.12.2002 (Az.: 2795756-163) verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG, §
117 Abs. 5 VwGO). Die zur Begründung des Antrags vom 03.07.2002 vorgelegten
Atteste vom 30.06.2003, 17.03.2003 bieten keinen Anhalt zu einer anderen
Betrachtungsweise.
Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller eine Existenzgrundlage nur in seiner
Heimatregion im Südosten der Türkei habe, in dessen erreichbarer Nähe es keine
der genannten Behandlungsmöglichkeiten gäbe, sind nicht erkennbar. Zum einen
sind Gefahren in dem Heimatstaat des Antragstellers, der die Bevölkerung oder
die Bevölkerungsgruppe, der der Antragsteller angehört, allgemein ausgesetzt
sind, lediglich - von Ausnahmen abgesehen - bei der Entscheidung nach § 54
AuslG zu berücksichtigen. Eine derartige Entscheidung ist nicht Gegenstand dieses
Verfahrens. Ein Ausnahmefall, etwa dass der Antragsteller derart
betreuungsbedürftig wäre, dass er auf Grund seiner Erkrankung nicht in der Lage
wäre, ein Behandlungszentrum aufzusuchen (dazu BVerwG 29.10.2002 - 1 C 1.02 -
AuAS 2003, 76; EzAR 043 Nr. 56; DVBl. 2003, 463) ist weder vorgetragen noch
sonst ersichtlich.
Soweit sich der Antragsteller auf die vom Kreisgesundheitsamt des
Hochtaunuskreises vom 17.03.2003 gezogene Schlussfolgerung der
Reiseunfähigkeit beruft, ist der Antrag unzulässig, weil es sich nicht um ein
zielstaatsbezogenes Hindernis handelt und zur Entscheidung darüber, die
Ausländerbehörde und nicht das Bundesamt berufen ist.
Als unterliegender Beteiligter hat der Antragsteller die Verfahrenskosten zu tragen
(§ 154 Abs. 1 VwGO). Gerichtskosten werden in Asylstreitigkeiten nicht erhoben (§
83 b Abs. 1 AsylVfG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.