Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 10.03.2008

VG Frankfurt: europäischer gerichtshof für menschenrechte, emrk, schutz des privatlebens, integration, aufenthaltserlaubnis, öffentliche ruhe und ordnung, eltern, eingriff, verteidigung der ordnung

Gericht:
VG Frankfurt 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 E 831/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 25 Abs 5 AufenthG, Art 8
MRK
Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG i.V.m. Art 8
MRK
Leitsatz
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist in Fällen, in
denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechtes zu einem Eingriff in das Privat- und
Familienleben (Art. 8 EMRK) führen kann, grundsätzlich der Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung.
Erfolgt vor der mündlichen Verhandlung bereits eine Abschiebung des Ausländers
wegen des fehlenden Aufenthaltsrechtes ist für die Frage eines möglichen Eingriffs in
die Konventionsrechte auf den Zeitpunkt des Eingriffs, d. h. den Zeitpunkt der
Abschiebung abzustellen.
Eine den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK auslösende Verbindung mit der
Bundesrepublik Deutschland als Aufenthaltsstaat kann insbesondere für solche
Ausländer in Betracht kommen, die aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen
Verhältnisse mit gleichzeitiger Entfremdung von ihrem Heimatland so eng mit der
Bundesrepublik Deutschland verbunden sind, dass sie quasi deutschen
Staatsangehörigen gleichzustellen sind.
Ihre Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass die Bundesrepublik Deutschland
faktisch das Land ist, zu dem sie gehören, während sie mit ihrem Heimatland im
Wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (VGH
Baden-Württemberg, Urteil v. 18.01.2006, Az.: 13 S 2220/05 ZAR 2006 142). 3.
Im Rahmen der Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in den Schutzbereich des
Privatlebens ist die sich aus Art. 8 Abs. 1 EMRK folgende Rechtsposition des Ausländers
gegen das Recht des Konventionsstaates zur Einwanderungskontrolle im Rahmen einer
Verhältnismäßigkeitsprüfung abzuwägen.
Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt dann in Betracht, wenn
der Ausländer aufgrund seiner gesamten Entwicklung faktische in Inländer geworden ist
und ihm wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat seiner
Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug mehr hat, nicht zuzumuten ist.
Minderjährigen Ausländern ist im Rahmen der Schrankenprüfung grundsätzlich das
Verhalten der Eltern zuzurechnen.
Daher verbietet es sich im Regelfall isoliert die Verwurzelung der Kinder allein im
Hinblick auf ihre soziale und schulische Integration zu würdigen und bei insoweit
gelungener Integration eine mangelnde wirtschaftliche Integration wegen
Sozialhilfebezugs der Familie als unschädlich anzusehen.
Die grundsätzlich gebotene familienbezogene Betrachtung, die die fehlende Integration
der Eltern bzw. der fehlende Entwurzelung den Kindern zurechnet, darf nicht dazu
führen, dass die Kinder trotz eines zu bejahenden Eingriffs in den Schutzbereich ihres
Privatlebens automatisch das Land verlassen müssen.
Im Rahmen der Schrankenprüfung ist weiter zu fragen, ob für die Kinder die Möglichkeit
zur Reintegration im Heimatland besteht.
Diese Möglichkeit ist Kindern jedenfalls dann nicht zuzumuten, wenn ihnen ihr
Heimatland unbekannt und fremd ist und sie im Heimatland die im Aufnahmestaat
begonnene Ausbildung nicht fortsetzen können und ihnen letztlich wegen der
Entwurzelung nur ein Leben am Rande der Gesellschaft bleibt.
Tenor
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Die Bescheide der Beklagten vom 13.02.2007 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 5
AufenthG i. V. m. Art. 8 EMRK zu erteilen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
Die Kläger sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Die
Kläger zu 2) bis 7) sind die minderjährigen Kinder der Klägerin zu 1). Die Klägerin
zu 1) sowie der Kläger zu 2) und der Ehemann der Klägerin zu 1) bzw. der Vater
der Kläger zu 2) bis 7) reisten am 17.05.1993 im Besitz türkischer
Personalausweise und Reisepapiere über den Frankfurter Flughafen in die
Bundesrepublik Deutschland ein. Die Kläger zu 3) bis 7) sind in der Bundesrepublik
Deutschland geboren.
Die Asylanträge der Kläger zu 1) und 2) sowie des Ehemannes und Vater der
Kinder wurden vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
abgelehnt. Die erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit Urteil
vom 21.12.1999 ab. Das eingelegte Rechtsmittel wurde mit Beschluss des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 27.05.2002 zurückgewiesen.
Mit Antrag vom 13.06.2002 stellten die Kläger zu 1) und 2) einen Asylfolgeantrag,
der mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
vom 11.07.2002 abgelehnt wurde. Die erhobene Klage wies das
Verwaltungsgericht Frankfurt mit Urteil vom 15.10.2004 ab. Den Antrag auf
Zulassung der Berufung lehnte der Hess. VGH mit Beschluss vom 11.02.2005 ab.
Auch die Asylanträge der Kläger zu 3) bis 7) blieben erfolglos. In der Folgezeit
wurden die Kläger geduldet, weil sie nicht im Besitz eines Heimreisedokumentes
waren.
Der Aufforderung zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung kamen die Kläger
zunächst nicht nach.
Mit Schreiben vom 28.11.2006 und 16.01.2006 beantragten die Kläger die
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung, hilfsweise nach
§ 25 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 8 EMRK. Mit Bescheiden vom 12.02.2007 lehnte
der Beklagte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Zur Begründung führt der
Beklagte aus, die Kläger könnten aus § 25 Abs. 5 AufenthG keinen Anspruch auf
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis herleiten. Der alleinige Grund für den weiteren
Verbleib der Kläger nach Abschluss ihres Asylverfahrens habe in ihrer Passlosigkeit
gelegen. Seit Rechtskraft der ablehnenden Asylentscheidung hätten die Kläger
keine Eigeninitiativen dafür nachgewiesen, dass sie sich um die Ausstellung eines
Nationalpasses oder eines Reisedokumentes bemüht hätten. Bei entsprechender
Mitwirkung wäre ihnen die Beschaffung möglich gewesen und sie hätten mit dem
entsprechenden Dokument in ihr Heimatland Türkei zurückkehren können. Die
Passbeschaffung sei den Klägern auch möglich und zumutbar gewesen, so dass
der fehlende Pass nicht zu einem tatsächlichen Ausreisehindernis i. S. d. § 25 Abs.
5 AufenthG führe. Somit seien die Kläger nicht unverschuldet an der Ausreise
gehindert gewesen, so dass der Ausschlusstatbestand des § 25 Abs. 5 S. 3
AufenthG der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entgegenstehe. Die Kläger hätten
auch aus § 25 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 8 EMRK keinen Anspruch auf Erteilung
einer Aufenthaltserlaubnis. Ein Eingriff in das von Art. 8 EMRK geschützte Privat-
und Familienleben durch Versagung des Aufenthalts setze voraus, dass der
jeweilige Ausländer in dem betreffenden Land fest verankert und nicht nur auf eine
lose Verbindung beschränkt sei. Eine solche Integration in die Lebensverhältnisse
der Bundesrepublik Deutschland und das deutsche Rechtssystem habe nicht
stattgefunden. Der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der weiteren Kläger sei
wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
AG Gelnhausen, Urteil vom 06.11.1995 wegen Diebstahl, Bedrohung und Betrug in
Tatmehrheit 30 Tagessätze,
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Tatmehrheit 30 Tagessätze,
AG Gelnhausen, Urteil vom 06.09.1996, Verstoß gegen das Asylverfahrensgesetz,
15 Tagessätze zu je 15 DM,
AG Gelnhausen, Urteil vom 07.02.1997, Verstoß gegen das Asylverfahrensgesetz,
25 Tagessätze zu je 15 DM,
AG Hanau, Urteil vom 29.01.1999, Verstoß gegen das Asylverfahrensgesetz, 50
Tagessätze á 15 DM,
Urteil des AG Hanau vom 20.03.2000 wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit
Zuwiderhandlung gegen eine Aufenthaltsbeschränkung, 60 Tagessätze zu je 10
DM,
AG Hanau, Urteil vom 02.10.2001 wegen gemeinschaftlicher Beleidigung, 65
Tagessätze zu je 10 DM,
AG Hanau, Urteil vom 19.10.2001, Verstoß gegen das Asylverfahrensgesetz, 70
Tagessätze zu je 10 DM,
Urteil des AG Hanau vom 02.01.2002, Verstoß gegen das Asylverfahrensgesetz,
100 Tagessätze zu je 5,11 Euro.
Die beiden letzten Verurteilungen wurden zu einer Gesamtstrafe von 120
Tagessätzen zu je 5,11 Euro zusammengefasst. Die genannten Verstöße gegen
die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland begründeten den
Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Des Weiteren seien die
Kläger wirtschaftlich nicht integriert. Die gesamte Familie stehe seit Oktober 1993
ununterbrochen im laufenden Hilfebezug nach dem Stand vom Januar 2007
betrage der monatliche Hilfeanspruch 1.720,00 Euro.
Den Klägern stehe auch kein Aufenthaltsrecht nach der Bleiberechtsregelung vom
17.11.2006 zu. Die Kläger seien vollziehbar ausreisepflichtig. Die Kläger erfüllten
auch die Stichtagsvoraussetzungen. Der Ehemann und Vater der Kläger sei im
Hinblick auf seine Straftaten nach Ziff. 4.4 der Bleiberechtsregelung
ausgeschlossen. Nach Ziff. 6.6 des Bleiberechtsbeschlusses erfolge bei
Ausschluss eines Familienmitglieds wegen Straftaten grundsätzlich der Ausschluss
der gesamten Familie. Die Rückkehr in das Heimatland sei den Klägern auch
zumutbar. Die Klägerin zu 1) sei in der Türkei geboren und den größten Teil ihres
Lebens dort aufgewachsen. Die Kinder müssten sich das Verhalten ihrer
sorgeberechtigten Personen zurechnen lassen, weil sie als Kinder deren
aufenthaltsrechtliches Schicksal teilten und auch im Hinblick auf die Sicherung
ihres Lebensunterhaltes auf die Unterstützung der Familie angewiesen seien. Den
Eltern der Kläger zu 2) bis 7) sei bewusst gewesen, dass der Aufenthalt der Familie
in der Bundesrepublik Deutschland nur geduldet und damit nicht dauerhaft
gewesen sei. Es habe in ihrem Verantwortungsbereich gelegen, ihre Kinder
rechtzeitig darauf vorzubereiten, dass mit einer Rückkehr in ihr Heimatland Türkei
gerechnet werden müsse. Ein schutzwürdiges Vertrauen sei durch ein mögliches
Versäumnis nicht entstanden.
Die Kläger wurden am 13.02.2007 in die Türkei abgeschoben.
Die Kläger haben am 15.03.2007 Klage erhoben, mit der sie weiterhin die Erteilung
einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG begehren. Die Kläger
räumen ein, dass aufgrund der Vorstrafen des Vaters und Ehemannes nach der
Bleiberechtsregelung die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht in Betracht
komme. Der Ausschluss des Vaters und Ehemannes erfasse die gesamte Familie.
Die minderjährigen Kinder hätten jedoch einen Anspruch auf Erteilung von
Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 8 EMRK. Der
Kläger zu 2) sei als Kleinkind in die Bundesrepublik Deutschland gekommen, die
übrigen Kläger seien im Bundesgebiet geboren. Sie seien in die bundesdeutschen
Lebensverhältnisse fest integriert. Einen Bezug zur Türkei hätten sie nicht
aufgebaut. Die minderjährigen Kinder hätten allein das soziale Bezugssystem der
Bundesrepublik Deutschland kennengelernt und seien in der Bundesrepublik zu
faktischen Inländern geworden. Aus Art. 8 EMRK folge ihr Anspruch, ihr Leben in
dem Land zu führen, in dem sie sozial integriert seien. Nach der erfolgten
Abschiebung habe sich gezeigt, dass die minderjährigen Kläger nicht in der Lage
seien, sich in die Verhältnisse der Türkei einzugewöhnen. Die Kläger sprächen
sämtlich kein türkisch. Die Klägerin zu 1) habe die türkische Sprache nie gelernt.
Sie habe früher ausschließlich kurdisch gesprochen. Aufgrund ihres langjährigen
Aufenthalts beherrsche zudem die deutsche Sprache. Den minderjährigen Klägern
sei eine Integration in die türkischen Lebensverhältnisse nicht möglich, was nicht
nur auf die fehlenden türkischen Sprachkenntnisse, sondern auch darauf
zurückzuführen sei, dass sie westeuropäisch geprägt seien. Aufgrund der
fehlenden türkischen Sprachkenntnisse sei es ihnen nicht möglich, in der Türkei
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fehlenden türkischen Sprachkenntnisse sei es ihnen nicht möglich, in der Türkei
eine Schule zu besuchen. Die deutsche Schule in Istanbul können sie nicht
besuchen, da der Schulbesuch ausschließlich deutschen Staatsangehörigen
vorbehalten sei.
Im Übrigen hätten sich die Klägerin zu 1) und ihr Ehemann getrennt. Die
Vorstrafen des Ehemannes könnten daher der Familie nicht mehr
entgegengehalten werden. Die Straftat der Klägerin zu 1) unterliege der Tilgung
nach dem Bundeszentralregistergesetz und könne ihr nicht mehr vorgehalten
werden. Der Lebensunterhalt der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland sei
durch den Unterstützerkreis gesichert. Sieben Mitglieder des Unterstützerkreises
hätten am 09.07.2007 gem. §§ 66 bis 68 AufenthG eine Verpflichtungserklärung
darüber abgeben, dass sie für die Kosten des dauernden Aufenthalts der Kläger zu
1) bis 7) im Bundesgebiet aufkommen.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide vom 13.02.2007 zu
verpflichten, den Klägern Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG zu
erteilen.
Der Beklagte stellt keinen Antrag.
Er verweist auf die ergangene Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte, den Inhalt der beigezogenen Akte der Verfahren 3 G 2436/99, 10
E 2882/02,A, 10 G 2883/02.A, 10 G 3725/03.A, 10 G 22/04.A, 10 G 1222/04.A, 10 G
2786/04.A, 11 G 497/07.A, 1 E 3879/07, 10 G 2050/03.AO, 10 E 2051/03.AO, 10 G
23/04.AO, 6 E 590/07.A und 1 E 3879/07 (V) sowie die vorgelegten
Behördenvorgänge (6 Leitz-Ordner) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Verpflichtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung der
Verpflichtungsklage nicht entfallen. Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis hat
sich durch die Abschiebung der Kläger nicht erledigt (vgl. Hess. VGH, Beschluss v.
26.04.1994, 13 TH 2676/93 InfAuslR 1994 Seite 313). Im Falle einer stattgebenden
Entscheidung hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltsgenehmigung könnte der
Beklagte verpflichtet werden, die erfolgte Vollziehung rückgängig zu machen und
den Klägern die Wiedereinreise in das Bundesgebiet zu ermöglichen. Insoweit ist
deshalb ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse der Kläger anzuerkennen, das
Verfahren vom Ausland aus weiter zu führen.
Die Klage ist auch begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 13.02.2007 sind
rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Die Kläger haben einen
Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.
V. m. Art. 8 EMRK.
Nach § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig
ist, abweichend von § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn
seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit
dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist in Fällen,
in denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechtes zu einem Eingriff in das Privat-
und Familienleben (Art. 8 EMRK) führen kann, grundsätzlich der Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung. Dies folgt daraus, dass nach der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte für die Frage, ob die
innerstaatlichen Behörden ihre Verpflichtungen aus der Konvention erfüllt haben,
auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der innerstaatlichen Entscheidung abzustellen
ist, die den Eingriff verursacht hat (vgl. Europäischer Gerichtshof für
Menschenrechte, Urteil v. 28.06.2007, Az.: 31753/02 InfAuslR 2007 Seite 325 f.).
Dementsprechend muss in Fällen, in denen die Verweigerung eines
Aufenthaltsrechtes zu einem Eingriff in das Privat- und Familienleben des
Ausländers führen kann, auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abgestellt
werden. Unter Hinweis auf diese Rechtsprechung stellt inzwischen auch das
Bundesverwaltungsgericht für den Fall der Ausweisung im Hinblick auf einen
möglichen Eingriff in das Privat- und Familienleben in Abänderung der bisherigen
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möglichen Eingriff in das Privat- und Familienleben in Abänderung der bisherigen
Rechtsprechung für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ebenfalls auf den
Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ab (vgl. BVerwG, Urteil v. 15.11.2007, Az.:
1 C 45.06).Erfolgt jedoch vor der mündlichen Verhandlung bereits eine
Abschiebung des Ausländers wegen des fehlenden Aufenthaltsrechtes ist für die
Frage eines möglichen Eingriffs in die Konventionsrechte auf den Zeitpunkt des
Eingriffs, das heißt hier den Zeitpunkt der Abschiebung am 13.02.2007
abzustellen.
Die Kläger waren in dem maßgeblichen Zeitpunkt vollziehbar ausreisepflichtig.
Denn sie besaßen keinen Aufenthaltstitel. Die Ausreisepflicht war auch vollziehbar,
da die Versagung des Aufenthaltstitels vollziehbar ist.
Die Ausreise ist den Klägern auch rechtlich unmöglich. Unter „Ausreise“ i. S. d.
Vorschrift ist sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise
zu verstehen (vgl. BT Drucksache 15/420 Seite 80 zu § 25 Abs. 6 AufenthG). Nur
wenn sowohl die Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise unmöglich sind,
kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift in Betracht.
Eine freiwillige Ausreise ist im Sinne von § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG aus rechtlichen
Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die
Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige
Hindernisse können sich aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben,
zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Völkervertragsrecht (etwa aus
Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Bei Bestehen solcher
Abschiebungsverbote hat nach dem Gesetzeskonzept die zwangsweise
Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben. Dann aber ist in aller
Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen
Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich i. S. d. § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG
(vgl. BVerwG, Urteil v. 27.06.2006, Az.: 1 C 14/05, BVerwGE 126, 192 f.).
Den Klägern zu 2) bis 7) ist die Ausreise im Hinblick auf einen Eingriff in das durch
Art. 8 EMRK geschützte Privatleben rechtlich unmöglich.
Nach Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (BGBl. II 1952, 686, 953/II 1954/14-EMRK- hat
jedermann Anspruch auf Achtung unter anderem seines Privat- und
Familienlebens.
Die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis greift nicht bereits in den
Schutzbereich Familienleben i. S. des Art. 8 Abs. 1 EMRK ein. Der Schutzbereich
des Familienlebens umfasst nach der Rechtsprechung des EuGH zum einen nur
den Schutz der Kernfamilie von Eltern und ihren minderjährigen Kindern (vgl. Urteil
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 09.10.2003, Az.: 48
321/99 - Slivenko/Lettland, EuGRZ 2006, Seite 550) und zum anderen in sachlicher
Hinsicht nur den Schutz vor einem Auseinanderreißen der Familie. Die Konvention
enthält daher kein Recht, das für sich genommen, die Errichtung des
Familienlebens in einem bestimmten Staat garantiert (vgl. Europäischer
Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil v. 09.10.2003 a. a. O.). Daraus folgt, dass
der Anspruch auf Achtung des Familienlebens nicht berührt wird, wenn das
Aufenthaltsrecht für alle Familienmitglieder verneint wird und die Eltern zusammen
mit ihren minderjährigen Kindern ausreisen sollen (vgl. auch VGH Baden-
Württemberg, Beschluss v. 10.05.2006, Az.: 11 S 2354/05 VBlBW 2006, 438).
Die Ablehnung des Aufenthaltsrechts für die Kläger zu 2) bis 7) führt allerdings zu
einem Eingriff in ihr Recht auf Achtung ihres Privatlebens.Grundsätzlich
gewährleisten die Vorschriften der Menschenrechtskonvention als solche nicht das
Recht auf Einreise oder Aufenthalt in einem Vertragsstaat, dessen
Staatsangehörigkeit man nicht besitzt. Die Vertragsstaaten haben vielmehr gem.
einer allgemeinen Regel des Völkervertragsrecht und unbeschadet ihrer
vertraglichen Verpflichtungen unter Einschluss der Konvention das Recht, die
Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Nichtstaatsangehörigen zu
kontrollieren (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom
16.09.2004, Az.: 11 103/03 - Ghiban/Deutschland NVwZ 2005 Seite 1046; EGMR
Urteil v. 07.10.2004, Az.: 33 743/03 - Dragan/Deutschland NVwZ 2005 Seite 1043).
Dessen ungeachtet kann ausnahmsweise auch eine Aufenthaltsbeendigung bzw.
die Verweigerung eines Aufenthaltsrechtes einen rechtfertigungsbedürftigen
Eingriff in das Privatleben darstellen, wenn der Ausländer über intensive
persönliche, soziale und wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat verfügt
(Europäischer Menschenrechtsgerichtshof, Urteil v. 16.06.2005, Az.: 60 654/00 -
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(Europäischer Menschenrechtsgerichtshof, Urteil v. 16.06.2005, Az.: 60 654/00 -
Sisojeva/Lettland InfAuslR 2005, 349; Urteil v. 22.02.2006 - Az.: 59 643/00 -
Kaftailova/Lettland).
Eine den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK auslösende Verbindung
mit der Bundesrepublik Deutschland als Aufnahmestaat kann danach
insbesondere für solche Ausländer in Betracht kommen, die aufgrund eines
Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse mit gleichzeitiger Entfremdung von
ihrem Heimatland so eng mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind,
dass sie quasi deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind. Ihre Situation ist
dadurch gekennzeichnet, dass die Bundesrepublik Deutschland faktisch das Land
ist, zu dem sie gehören, während sie mit ihrem Heimatland im Wesentlichen nur
noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. EGMR Urteile vom
26.03.1992 Az.: 55/1990/246/317 - Beldjoudi, InfAuslR 1994, 86 f. und vom
26.09.1997 Az.: 85/1996/704/896 - Mehemi - InfAuslR 1997 Seite 430 sowie
BVerwG, Urteil v. 29.09.1998, 1 C 8.96, NVwZ 1999 Seite 303; VGH Baden-
Württemberg, Urteil v. 18.01.2006, Az.: 13 S 2220/05, ZAR 2006, 142).
Wesentlicher Gesichtspunkt für das Vorliegen einer Integration eines Ausländers in
die Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland ist zunächst die Dauer des
Aufenthalts im Bundesgebiet. Weitere Gesichtspunkte für die Integration sind gute
deutsche Sprachkenntnisse, wirtschaftliche und soziale Eingebundenheit in die
hiesigen Lebensverhältnisse, Innehabung eines Arbeits- oder Ausbildungsplatzes
und ein fester Wohnsitz. Gesichtspunkte für die Reintegrationsfähigkeit in die
Verhältnisse des Heimatlandes sind die Kenntnisse der Heimatsprache, die
Vertrautheit mit den Verhältnissen im Heimatland und die Existenz dort noch
lebender Verwandter (vgl. hierzu Burr GK - AufenthG § 25 Rdnr. 149 m. w. N.).
Ausgehend von den vorgenannten Gesichtspunkten ist eine Integration der Kläger
zu 2) bis 7) in die Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zu bejahen. Bis auf
den Kläger zu 2), der im Alter von etwa 1 Jahr in die Bundesrepublik Deutschland
gekommen ist, sind alle weiteren Kinder in der Bundesrepublik Deutschland
geboren und leben hier zwischen 15 Jahren (Kläger zu 2)) und sechs Jahren (Kläger
zu 7)). Sämtliche Kinder bis auf den Kläger zu 7) haben in der Bundesrepublik
Deutschland - wie aus den vorgelegten Schulzeugnissen ersichtlich ist - in der
Bundesrepublik Deutschland mit gutem Erfolg die Schule besucht und sind durch
vielfältige schulische und außerschulische Aktivitäten in die Verhältnisse der
Bundesrepublik Deutschland integriert. Sie verfügen über gute deutsche
Sprachkenntnisse und sind aufgrund ihrer vielfältigen Kontakte bestens in die
Schulgemeinde integriert und zeigten Sozialkompetenz was durch die Vielzahl der
zu der Gerichts- bzw. Behördenakte eingereichten Stellungnahmen der Lehrer, der
Elternbeiräte und der Mitschüler belegt wird. Ein Eingriff in den Schutzbereich des
Privatlebens der Kläger zu 2) bis 7) ist daher zu begründen.
Eingriffe einer öffentlichen Behörde in die Ausübung der sich aus Art. 8 Abs. 1
EMRK ergebenden Rechte sind nach Abs. 2 EMRK nur statthaft, soweit dieser
Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer
demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und
Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und
zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der
Moral und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Im
Rahmen dieser Schrankenprüfung ist die sich aus Art. 8 Abs. 1 EMRK folgende
Rechtsposition des Ausländers gegen das Recht des Konventionsstaates zur
Einwanderungskontrolle im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abzuwägen
(vgl. EGMR Entscheidung vom 16.09.2004 Az.: 1103/03 - Ghibam NVwZ 2005,
1046). Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt dann in
Betracht, wenn der Ausländer aufgrund seiner gesamten Entwicklung faktisch ein
Inländer geworden ist und ihm wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im
Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, nicht
zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.09.1988 - 1 C 8.96 - InfAuslR 1999 Seite
54).
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt daher qualitativen Kriterien
wie die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts, evtl. Straffälligkeiten, Arbeitslosigkeit,
Sozialhilfebezug, schulischer Erfolg, sprachliche Integration oder die Bindung an
den Herkunftsstaat erhebliche Bedeutung zu.
Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem bisherigen
Aufenthaltsstatus des Ausländers zu. War der Aufenthalt des Ausländers in der
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Aufenthaltsstatus des Ausländers zu. War der Aufenthalt des Ausländers in der
Vergangenheit legalisiert und ist hierdurch ein gewisser Vertrauensschutz des
Ausländers begründet worden, müssen die einwanderungspolitischen Belange
eher hinter den persönlichen Interessen des Ausländers zurückstehen. Bei
geduldeten Ausländern ist zunächst zu ermitteln, aus welchen Gründen der
Aufenthalt des Ausländers über viele Jahre geduldet wurde. Eine Verweigerung der
Legalisierung des weiteren Aufenthalts ist jedenfalls dann verhältnismäßig i. S. d.
Art. 8 Abs. 2 EMRK, wenn der Ausländer die bisherige Unmöglichkeit der
Aufenthaltsbeendigung selbst zu vertreten hat, weil er zum Beispiel bei der
Passbeschaffung nicht mitgewirkt hat oder die Ausländerbehörden getäuscht oder
durch das Stellen von einer Vielzahl von erkennbar aussichtslosen
Asylfolgeanträgen oder Petitionen im Anschluss an abgeschlossene Verfahren
seine absehbare Abschiebung hinausgezögert hat. In derartigen Fällen konnte und
durfte der Ausländer nicht auf eine Legalisierung seines Aufenthalts vertrauen (vgl.
hierzu Burr a. a. O. Rdnr. 153 m. w. N. aus der Rechtsprechung).
Da die Kläger zu 2) bis 7) sämtlich minderjährig waren und sie selbst insoweit keine
eigenständigen Rechtshandlungen vorgenommen haben, ist auf das Verhalten
ihrer Eltern abzustellen und ihnen dieses zuzurechnen. Die Zurechenbarkeit folgt
zum einen bereits aus familienrechtlichen Regelungen. Denn den Eltern steht im
Rahmen der elterlichen Sorge auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre
Kinder zu. Minderjährige Kinder teilen auch ausländerrechtlich das Schicksal ihrer
Eltern. Daher haben sich minderjährige Ausländer das Verhalten ihrer Eltern
zurechnen lassen (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 10.05.2006 -
11 S 2354/05 - VBlBW 2006 Seite 438; Burr GK-AufenthG a. a. O. Rdnr. 155).
Betrachtet man die Integrationsleistung der Klägerin zu 1) und ihres Ehemannes,
ist eine Integration der Eltern in die Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland
zu verneinen. Der Ehemann der Klägerin zu 1) und der Vater der Kläger zu 2) bis
7) ist in erheblichem Umfang in der Bundesrepublik Deutschland straffällig
geworden, was gegen eine Integration in die sozialen und rechtlichen Verhältnisse
der Bundesrepublik Deutschland spricht. Hinzu kommt, dass die gesamte Familie
auch wirtschaftlich nicht in die Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland
integriert war, sondern seit Anbeginn ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik
Deutschland auf den Bezug von staatlichen Unterstützungsleistungen angewiesen
war, weil die Klägerin zu 1) und ihr Ehemann keiner Berufstätigkeit nachgegangen
sind. Hinzu kommt, dass die Klägerin zu 1) und ihr Ehemann nach Abschluss des
Asylverfahrens die Beendigung ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik
Deutschland auch dadurch zunächst unmöglich gemacht haben, dass sie sich
geweigert haben, an einer Passbeschaffung mitzuwirken, wodurch die Abschiebung
der Familie tatsächlich unmöglich war. Dieses Verhalten der Eltern und deren
mangelnde wirtschaftliche Integration in die Verhältnisse der Bundesrepublik
Deutschland müssen sich die Kläger zu 2) bis 7) grundsätzlich zurechnen lassen.
Da die minderjährigen Kinder wegen des Schulbesuches regelmäßig ihren
Lebensunterhalt nicht sichern können, ist die wirtschaftliche Integration ihrer Eltern
entscheidend. Es verbietet sich daher im Regelfall in diesen Fällen, isoliert die
Verwurzelung der Kinder allein im Hinblick auf ihre soziale und schulische
Integration zu würdigen und bei insoweit gelungener Integration eine mangelnde
wirtschaftliche Integration wegen Sozialhilfebezugs der Familie als unschädlich
anzusehen. Allerdings darf diese grundsätzlich gebotene familienbezogene
Betrachtung, die letztlich die fehlende Integrationsleistung der Eltern bzw. deren
fehlende Entwurzelung den Kindern zurechnet, nicht dazu führen, dass die Kinder
trotz des zu bejahenden Eingriffs in den Schutzbereich ihres Privatlebens
automatisch das Land verlassen müssen. Vielmehr ist im Rahmen der
Schrankenprüfung weiter zu fragen, ob für die Kinder die Möglichkeit zur
Reintegration im Heimatland besteht. Entscheidend kommt es daher darauf an, ob
die Kinder über Kenntnisse der Heimatsprache verfügen, mit den Verhältnissen im
Heimatland vertraut sind sowie auf von noch im Heimatland lebende Verwandte
für die Reintegration zurückgreifen kann. In diesem Zusammenhang ist auch zu
berücksichtigen, dass die Kinder in solchen Fällen regelmäßig gemeinsam mit
ihren Eltern zurückkehren, die ihnen die Reintegration in das Herkunftsland
erleichtern können.
Der vorliegende Fall weist insofern Besonderheiten auf, als die Kläger zu 2) bis 7)
lediglich kurdisch, nicht aber türkisch sprechen und - da sie die Türkei im Alter von
einem Jahr verlassen haben bzw. in der Bundesrepublik Deutschland geboren sind
- mit den kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Türkei in
keiner Weise vertraut sind. Aufgrund dieser Tatsachen besteht für die Kläger zu 2)
bis 7) wegen der fehlenden Kenntnisse der türkischen Sprache und der
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bis 7) wegen der fehlenden Kenntnisse der türkischen Sprache und der
mangelnden Vertrautheit mit den Verhältnissen im Heimatland auch wenn sie mit
ihren Eltern bzw. ihrer Mutter in die Türkei zurückkehren müssten, keine
realistische Chance zur Reintegration in die Verhältnisse in der Türkei.
Insbesondere wären die schulpflichtigen Kinder gezwungen, die begonnene und
bisher sehr erfolgreich absolvierte Schullaufbahn ohne das Erreichen eines
qualifizierten Schulabschlusses abzubrechen, ohne die Möglichkeit zu haben, diese
Schullaufbahn in der Türkei fortzusetzen. Mangels türkischer Sprachkenntnisse
und Vertrautheit mit den türkischen Verhältnissen bliebe ihnen nur ein Leben am
Rande der türkischen Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist den Klägern zu 2)
bis 7) die Rückkehr in ein für sie fremdes Land, das ihnen keine auch nur
annähernd vergleichbare Lebensperspektive bietet unzumutbar.
Ein Eingriff in den Schutzbereich des Privatlebens aus Art. 8 EMRK der Klägerin zu
1) ist hiergegen zu vermerken.
Die Klägerin zu 1), die Mutter der Kinder, hält sich zwar ebenfalls seit 1993 in der
Bundesrepublik Deutschland auf, doch ist sie nicht in gleicher Weise in die
Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert. Insbesondere ist die
Klägerin zu 1) nicht in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bundesrepublik
Deutschland integriert und hat durch ihre fehlende Mitwirkung bei der
Passbeschaffung die Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung über einen langen
Zeitraum hinweg selbst zu vertreten, so dass sie sich insoweit wegen der langen
Aufenthaltsdauer nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Hinzu kommt, dass die
Klägerin zu 1) in der Türkei aufgewachsen ist und mit den Verhältnissen in der
Türkei vertraut ist. Überdies spricht sie kurdisch und kann daher auch insoweit
ohne Probleme zumindest in dem kurdischen Teil der Türkei zurückkehren.
Gleichwohl hat die Klägerin zu 1) als Mutter der Kläger zu 2) bis 7) einen Anspruch
auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 i. V. m. Art. 8 EMRK aus
Gründen des Schutzes des Familienlebens. Denn bei einer Ablehnung des
Aufenthaltsrechtes der Klägerin zu 1) würde in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK,
der den Familienverband von Eltern und minderjährigen Kindern schützt,
eingegriffen, weil die Familie auseinandergerissen würde. Ein solcher Eingriff ist
nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht zu rechtfertigen.
Auch die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an
die Kläger liegen vor. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt nach § 5 Abs. 1 Nr.
1 bzw. Nr. 2 in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist und kein
Ausweisungsgrund vorliegt. Vorliegend ist der Lebensunterhalt der Kläger aufgrund
der Verpflichtungserklärungen von sieben Mitgliedern des Helferkreises gesichert.
Selbst wenn der Lebensunterhalt nicht gesichert wäre, würde sich die Frage
stellen, ob im Hinblick auf die obigen Ausführungen gem. § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG
i. V. m. Art. 8 EMRK von der Anwendung des Absatzes 1 des § 5 abgesehen
werden muss (vgl. VG Frankfurt, Beschluss v. 21.01.2008, Az.: 1 G 4243/07 (1);
Bergmann ZAR 2007 Seite 128 (132)).
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen, da er unterlegen ist (§ 154
Abs. 1 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V.
m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufungszulassung beruht auf § 124 a Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO. Die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG i. V.
m. dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gem. Art. 8 EMRK im
Lichte der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte ist obergerichtlich noch nicht abschließend geklärt (vgl. BVerwG,
Beschluss v. 25.10.2006 - 1 C 32.06 in dem das BVerwG die Revision zugelassen
hat, um den Anwendungsbereich des Art. 25 Abs. 5 AufenthG und des Art. 8 EMRK
weiter zu klären).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.