Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 31.01.2007

VG Frankfurt: wahlvorschlag, fraktion, bff, mehrheit, sitzverteilung, hessen, zusammensetzung, gemeindeordnung, magistrat, gewinnung

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Gericht:
VG Frankfurt 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 E 2932/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 55 Abs 3 GemO HE, § 55 Abs
4 GemO HE, § 10 Abs 4
KomWG HE 2005, § 22 Abs 4
KomWG HE 2005
Rechtmäßigkeit der Wahl der ehrenamtlichen Stadträte
und Zulässigkeit gemeinsamer Wahlvorschläge.
Leitsatz
Zulässigkeit gemeinsamer Wahlvorschläge mehrerer Fraktionen bei der Wahl
ehrenamtlicher Stadträte
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen. Die Kosten der
Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der noch festzusetzenden
Kostenschuld abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit
in entsprechender Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen die Gültigkeit der von der Beklagten am 18.05.2006
durchgeführten Wahl der ehrenamtlichen Stadträte.
Am 18.05.2006 befasste sich die Beklagte unter Punkt 5 der Tagesordnung mit der
Wahl der 14 ehrenamtlichen Stadträtinnen/Stadträte. Hierzu legten die CDU-
Fraktion und die Grünen-Fraktion einen gemeinsamen Wahlvorschlag vor, die
Fraktionen von SPD, die Linke. WASG, FDP, FAG und BFF jeweils einen eigenen
Wahlvorschlag. In geheimer Wahl gaben die 93 erschienenen Mitglieder der
Stadtverordnetenversammlung 92 gültige Stimmen ab. Dabei entfielen auf den
gemeinsamen Wahlvorschlag der CDU-Fraktion und der Grünen-Fraktion 48
Stimmen, auf den Wahlvorschlag der SPD-Fraktion 22 Stimmen, auf den
Wahlvorschlag der Fraktion Die Linke. WASG 6 Stimmen, auf den Wahlvorschlag
der FDP-Fraktion 6 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der FAG-Fraktion 5 Stimmen
und auf den Wahlvorschlag der BFF-Fraktion ebenfalls 5 Stimmen. Aufgrund des
Abstimmungsergebnisses erhielten CDU/Grüne 8 Sitze, die SPD 3 Sitze, die Linke.
WASG 1 Sitz und die FDP 1 Sitz. Der letzte zu vergebende Sitz fiel durch das vom
Wahlleiter gezogene Los zwischen den Wahlvorschlägen der FAG-Fraktion und der
BFF-Fraktion dem Wahlvorschlag der FAG zu, wodurch die BFF-Fraktion bei der
Besetzung des ehrenamtlichen Magistrats leer ausging. Dabei wurde die
Sitzverteilung wie folgt berechnet:
Gemeinsamer Wahlvorschlag von CDU und Grünen-Fraktion: 48 x 14 : 92 = 7,30 =
7 Sitze + 1 (8. Sitz nach § 22 Abs. 4 Kommunalwahlgesetz (KWG)).
SPD: 22 x 14 : 92 = 3,34 = 3 Sitze
Die Linke. WASG: 6 x 14 : 92 = 0,91 = 0 Sitze + 1
FDP: 6 x 14 : 92 = 0,91 = 0 Sitze + 1
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FDP: 6 x 14 : 92 = 0,91 = 0 Sitze + 1
FAG: 5 x 14 : 92 = 0,76 = 0 Sitze + 1 (durch Losentscheid)
BFF: 5 x 14 : 92 = 0,76 = 0 Sitze
Die Kläger legten durch ihren Bevollmächtigten am 12.06.2006 Widerspruch gegen
die Wahl der ehrenamtlichen Stadträte bei dem Stadtverordnetenvorsteher der
Beklagten ein. In ihrer Sitzung am 22.6.2006 hat die Beklagte die Widersprüche
mit Beschluss § 391 als unbegründet zurückgewiesen und die Wahl der 14
ehrenamtlichen Stadträtinnen/Stadträte für gültig erklärt. Mit
Widerspruchsbescheid des Stadtverordnetenvorstehers vom 29.6.2006 wurden die
Widersprüche zurückgewiesen.
Hiergegen haben die Kläger am 31.07.2006 Klage erhoben.
Zur Begründung tragen sie vor, dass sich bei einer Wahl der ehrenamtlichen
Magistratsmitglieder auf der Grundlage jeweils allein eigener Wahlvorschläge der
Fraktionen folgende Sitzverteilung ergeben hätte:
CDU: 5 Sitze
SPD: 3 Sitze
Grüne: 14 x 14 : 92 = 2,13 = 2 Sitze
Die Linke. WASG: 6 x 14 : 92 = 0,91 = 0 Sitze + 1
FDP: 6 x 14 : 92 = 0,91 = 0 Sitze + 1
FAG: 5 x 14 : 92 = 0,76 = 0 Sitze + 1
BFF: 5 x 14 : 92 = 0,76 = 0 Sitze + 1
Danach wäre ein Losentscheid zwischen den Wahlvorschlägen von FAG und BFF
entbehrlich geworden, weil nach der rechnerischen Sitzverteilung auf beide
Wahlvorschläge jeweils 1 Sitz entfallen wäre.
Der zusätzliche Sitz für den gemeinsamen Wahlvorschlag von CDU und Grünen-
Fraktion nach § 22 Abs. 4 KWG habe diesem Wahlvorschlag nicht zugestanden. Der
Wortlaut dieser Norm kenne keine Zuteilung eines weiteren Sitzes an einen
gemeinsamen Wahlvorschlag mehrerer Gruppierungen. Das Privileg der
Vorabzuteilung eines weiteren Sitzes vor der Verteilung der nach Zahlen und
Bruchteilen zu vergebenden Sitze solle nach den Tatbestandsvoraussetzungen
des Satzes 1 jedenfalls nicht gemeinsamen Wahlvorschlägen gewährt werden. Das
Privileg solle vielmehr allein dann zum Zuge kommen, wenn „Der Wahlvorschlag
einer Partei oder Wählergruppe“ unter den übrigen genannten Voraussetzungen
nicht die Mehrheit der zu vergebenden Sitze erhalte.
Die Wahl der ehrenamtlichen Stadträte sei auch aus einem weiteren Grunde
ungültig, denn das eingeschlagene Wahlverfahren sei verfassungswidrig. Es
widerspreche dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes, nach welchem nicht
allein die Ausschüsse der Vertretungskörperschaft, sondern auch der
ehrenamtliche Magistrat das Stärkeverhältnis der Fraktionen widerspiegeln müsse
und wonach die einzelnen Fraktionen Anspruch auf Berücksichtigung bei der
Sitzverteilung nach Maßgabe ihrer jeweiligen Mitgliederzahl habe. So habe das
Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 10.12.2003 (Az: 8 C 18/03) unter
ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts die Bildung von Zählgemeinschaften zum Zwecke der
Gewinnung zusätzlicher Sitze mit überzeugenden Gründen für rechtswidrig und für
mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes unvereinbar erklärt.
Im Übrigen stelle auch die Hessische Gemeindeordnung in § 55 Abs. 1 HGO den
Grundsatz auf, dass - falls mehrere gleichartige unbesoldete Stellen zu besetzen
sind - in einem Wahlgang nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werde.
Das Gesetz verlange demnach explizit, dass mit dem Verhältniswahlverfahren das
Stärkeverhältnis der Fraktionen in die Ausschüsse und selbstverständlich ebenfalls
in den ehrenamtlichen Magistrat transportiert werde. Von diesem Prinzip lasse das
Gesetz allein bei den im § 55 Abs. 2 HGO normierten Sonderfall eine Ausnahme
zu, dass sich alle Mandatsträger auf einen einheitlichen Wahlvorschlag geeinigt
haben. Daraus lasse sich entnehmen, dass die Hessische Gemeindeordnung
neben der Ausnahme in § 55 Abs. 2 HGO für alle anderen Fälle der Verhältniswahl
gemeinsame Wahlvorschläge/Zählgemeinschaften als mit dem
Verhältniswahlverfahren unvereinbar ansehe.
Selbst wenn man den gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen von CDU und
Bündnis 90/Die Grünen nicht als ungültig erachte, hätte diesem nicht ein
zusätzlicher Sitz nach § 24 Abs. 2 KWG zugeteilt werden dürfen, so dass zumindest
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zusätzlicher Sitz nach § 24 Abs. 2 KWG zugeteilt werden dürfen, so dass zumindest
eine Neufeststellung des Wahlergebnisses erfolgen müsse.
Die Kläger beantragen,
festzustellen, dass die am 18.05.2006 von der Beklagten vollzogene Wahl der
ehrenamtlichen Stadträte ungültig ist,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, das Ergebnis der am 18.5.2006 vollzogenen Wahl
der ehrenamtlichen Stadträtinnen und Stadträte unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu festzustellen,
sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für
notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie trägt vor, die Darstellung, dass
bei einer Wahl nach eigenen Wahlvorschlägen der Fraktionen die Fraktion der BFF
aller Wahrscheinlichkeit nach einen Sitz erhalten hätte, sei unzutreffend. Denn
zum Zeitpunkt der Aufstellung der Wahlvorschläge und der Durchführung der Wahl
habe die BFF noch nicht damit rechnen können, dass sie mehr Stimmen erhalten
würde, als sie Mitglieder besitze. Hätte der Wahlvorschlag der BFF nur die Stimmen
der Mitglieder der BFF-Fraktion erhalten, wäre kein Sitz auf die BFF entfallen.
Zudem hätten die Kläger bei ihrer Berechnung darauf abstellen müssen, dass zu
diesem Zeitpunkt von 93 gültigen Stimmen auszugehen gewesen wäre.
Es sei auch zu Recht § 22 Abs. 4 KWG angewandt worden. Diese Regelung komme
hier nicht unmittelbar zur Anwendung, sondern nur in entsprechender Anwendung
über die Regelung des § 55 Abs. 4 HGO. Durch die genannte Verweisung ergäbe
sich aus § 22 KWG die Bestimmung, wie im Falle einer Verhältniswahl die auf die
einzelnen Wahlvorschläge entfallenden Sitze zu berechnen seien. Von daher gehe
das auf den Wortlaut des § 22 Abs. 4 KWG ausgerichtete Argument fehl.
Die vom Kläger herangezogene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom
10. Dezember 2003 beziehe sich auf die Zusammensetzung eines Ausschusses
des Gemeinderates in Nordrhein-Westfalen und sei auf die Zusammensetzung des
Magistrates, des Verwaltungsorgans der Gemeinde nicht übertragbar. Im Übrigen
habe die dieser Entscheidung zugrundeliegende Bestimmung des § 50 Abs. 3 Satz
3 GO NRW lediglich vorgesehen, dass über „die Vorschläge der
Fraktionen/Gruppen des Rates“ abgestimmt werde. Diese Bestimmung habe
mithin die einschränkende Regelung enthalten, dass die Vorschläge bezüglich der
Besetzung der Ausschüsse von den Fraktionen und Gruppen eingereicht würden.
Die in Hessen geltende Gesetzeslage sehe derartige Restriktionen nicht vor. Nach
§ 55 Abs. 3 HGO werde gewählt aufgrund von Vorschlägen aus der Mitte der
Gemeindevertretung. Durch diese offene Formulierung habe der Hessische
Gesetzgeber es in die Entscheidung der Stadtverordneten gestellt, ob und in
welcher Zusammensetzung sich diese Wahlvorschläge darstellten. Es sei möglich,
dass einzelne Stadtverordnete einen Wahlvorschlag einreichen wie auch
Wahlvorschläge mehrerer Personen zulässig seien. Wahlvorschläge der Fraktionen
stellten nur eine mögliche Form der Aufstellung dar.
Die Kläger hätten im Übrigen darlegen müssen, welche Fallgestaltung sie als nicht
gesetzeskonform ansähen, da jede Verbindung mehrerer Stadtverordneter zu
einem gemeinsamen Wahlvorschlag das Stärkeverhältnis verändere. Dies sei
besonders deshalb erforderlich, weil das Wahlrecht in Hessen es zulasse, dass
auch Parteien und Wählergruppen mit nur einem Stadtverordneten in die
Stadtverordnetenversammlung einziehen könnten. Unter Zugrundelegung der
Auffassung der Kläger dürften diese Stadtverordneten weder untereinander noch
mit einer Gruppe oder Fraktion einen gemeinsamen Wahlvorschlag einreichen. Sie
wären darauf beschränkt, nur eigene Wahlvorschläge vorzulegen und auch nur für
diese ihre Stimme abzugeben. Hierin läge jedoch ein Verstoß gegen das durch §
35 HGO gesicherte freie Mandat. Sollten gemeinsame Wahlvorschläge nicht mehr
zulässig sein, bedürfte es eines gesetzlichen Verbotes.
Auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Urteil vom
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Auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Urteil vom
17.10.1991, HSGZ 92, 437 ff.) ausgeführt, dass der Gemeindevorstand kein
Spiegelbild der in der Gemeindevertretung repräsentierten Parteien und
Zusammenschlüsse darstelle. Eine gesetzliche Regelung, wonach sich der
Gemeindevorstand nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen zusammenzusetzen
hätte, fände sich für den Gemeindevorstand nicht. Dies sei im Übrigen auch
sinnvoll, da der Gemeindevorstand (u.a.) die Beschlüsse - der Mehrheit - der
Gemeindevertretung umzusetzen habe.
Mit Beschluss vom 28.12.2006 sind dem Rechtsstreit die am 18.5.2006 gewählten
ehrenamtlichen Stadträte beigeladen worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Klage ist als Feststellungsklage im kommunalverfassungsrechtlichen
Wahlprüfungsverfahren gemäß § 55 Abs. 6 Hessische Gemeindeordnung (HGO)
statthaft. Nach § 55 Abs. 6 Satz 1 HGO kann jeder Gemeindevertreter gegen die
Gültigkeit von Wahlen, die von der Gemeindevertretung im Rahmen des § 55 HGO
durchgeführt werden, Widerspruch einlegen. Die Gemeindevertreter haben als
solche ein objektives Beanstandungsrecht. Es ist nicht erforderlich, dass sie
behaupten, durch die angegriffene Wahl in eigenen Rechten verletzt zu sein. Das
Wahlanfechtungsverfahren soll den Gemeindevertreten ermöglichen, gleichsam im
öffentlichen Interesse darüber zu wachen, ob die von der Gemeindevertretung
durchgeführten Wahlen ordnungsgemäß abgewickelt worden sind (vgl. HessVGH,
Urteil vom 28.10.1986 - 2 UE 1919/85 - HSGZ 1997, 109 f.; HessVGH, Urteil vom
09.12.1993 - 6 UE 404/91; und vom 04.01.1989 - 6 UE 530/87 - NVwZ RR 1990,
2008 f.). Die somit zulässige Wahlprüfungsklage ist jedoch unbegründet, denn die
Wahl der ehrenamtlichen Stadträtinnen und Stadträte durch die Beklagte am
18.05.2006 ist ordnungsgemäß erfolgt. Hier sind bei der Durchführung der Wahl
keine wesentlichen Fehler festzustellen. Maßstab für die Überprüfung der Gültigkeit
der Wahl ist § 26 Kommunalwahlgesetz (KWG). Nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG ist die
Wiederholung der Wahl nur anzuordnen, wenn Unregelmäßigkeiten des
Wahlverfahrens ergebnisbezogen von Einfluss gewesen sein können. § 26 Abs. 1
Nr. 2 KWG ist hier entsprechend anwendbar, da die Wahl der ehrenamtlichen
Magistratmitglieder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchgeführt wird.
Wesentliche Verstöße bei der Durchführung der Wahl sind nicht festzustellen. So
begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass hier ein gemeinsamer
Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU und Grünen vorlag. Aus dem Wortlaut des §
55 Abs. 3 HGO, „Gewählt wird schriftlich und geheim aufgrund von
Wahlvorschlägen aus der Mitte der Gemeindevertretung.“ - ergibt sich nicht die
Unzulässigkeit gemeinsamer Wahlvorschläge. Nach dem Wortlaut der Vorschrift
sind Wahlvorschläge einzelner Stadtverordneter sowie gemeinsame
Wahlvorschläge mehrerer Stadtverordneter sowie Wahlvorschläge einer oder
mehrerer Fraktionen zulässig. Selbst wenn, wie die Kläger vortragen, § 55 Abs. 3
HGO vor allem dem Zweck dient, sicher zu stellen, dass nur Wahlvorschläge von
Mitgliedern der Gemeindevertretung und nicht von Außenstehenden abgegeben
werden, lässt sich aus dem Wortlaut des § 55 HGO nicht ableiten, dass
gemeinsame Wahlvorschläge unzulässig sind. Dabei ist auch zu beachten, dass
der formstrenge Charakter des Wahlrechts einer vom Wortlaut nicht getragenen
einschränkenden Auslegung des § 55 Abs. 3 HGO entgegensteht.
Bei dem gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen von CDU und den Grünen
handelt sich auch um keine unzulässige Listenverbindung nach § 10 Abs. 4 KWG.
Im Unterschied zu einer Listenverbindung, bei der mehrere Wahlvorschläge
verbunden werden, ist bei einem gemeinsamen Wahlvorschlag die Reihenfolge der
Kandidaten von vornherein festgelegt, so dass die Unmittelbarkeit und die Klarheit
der Wahl gewährleistet ist. Der Zulässigkeit eines gemeinsamen Wahlvorschlags
stehen auch nicht die Grundsätze der Verhältniswahl entgegen. So werden in
Rechtsprechung und Literatur (HessVGH, Urteil vom 17.10.1991, Az: 6 UE
2422/90, NVwZ RR 1992, 371 f.; VG Gießen vom 11.04.1990, Az: II 3 E 914/89,
HSGZ 1990, 491 f.; VG Gießen vom 22.12.2004, Az: 8 E 1166/03, NVwZ RR 2005,
843 f.; VG Wiesbaden vom 20.06.2002, Az: 3 E 1384/01, HGZ 2002, 399 f.; VG
Frankfurt vom 26.05.1965, Az: V/2-53/65, VG - Rechtsprechung 1965, 99 f.;
Bennemann in Bennemann u.a., Kommunalverfassungsrecht in Hessen, Band I, §
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Bennemann in Bennemann u.a., Kommunalverfassungsrecht in Hessen, Band I, §
55 Rdnr. 93; Foerstemann, Die Gemeindeorgane in Hessen, 6. Auflage 2002, § 20
Rdnr. 93) in Hessen keine Bedenken an der Vereinbarkeit gemeinsamer
Wahlvorschläge mit den Grundsätzen der Verhältniswahl geäußert. Der
Gesetzgeber hat zwar in § 55 Abs. 4 HGO geregelt, dass nach den Grundsätzen
der Verhältniswahl zu wählen ist, wenn mehrere gleichartige unbesoldete Stellen
zu besetzen sind. Er hat jedoch durch § 10 Abs. 4 KWG ausdrücklich lediglich die
Listenverbindung als unzulässig angesehen. Obgleich die Rechtsprechung und die
Literatur in Hessen stets von der Zulässigkeit gemeinsamer Wahlvorschläge
mehrerer Fraktionen ausgegangen sind, hat der Gesetzgeber keine Notwendigkeit
gesehen, eine Regelung über die Unzulässigkeit gemeinsamer Wahlvorschläge zu
schaffen. Hieraus kann abgeleitet werden, dass gemeinsame Wahlvorschläge nach
dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich als mit der Verhältniswahl vereinbar
angesehen werden. Etwas anderes folgt weder aus der von den Klägern
angeführten Aussage des damaligen Innenministers, Herrn Zinnkann, bei der
ersten Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung in der Plenarsitzung vom
06.09.1950, in der dieser erklärte, dass bei der unechten Magistratsverfassung die
Kräftegruppierung der Gemeindevertretung in dem Gemeindevorstand, in der
Exekutive noch einmal wieder gespiegelt sei, noch aus der Tatsache, dass diese
Äußerung in der Plenarsitzung am 06.09.1950 keinen Widerspruch erfuhr. So wird
die Aussagekraft der Aussage des damaligen Innenministers vor 56 Jahren im
Hinblick auf die Zulässigkeit gemeinsamer Wahlvorschläge bereits dadurch in
Frage gestellt, dass nicht erkennbar ist, ob er bei seiner Äußerung überhaupt die
Frage eines gemeinsamen Wahlvorschlages im Blick hatte und sich hierzu äußern
wollte. Darüber hinaus wird auch dann, wenn man von der Zulässigkeit eines
gemeinsamen Wahlvorschlages mehrerer Fraktionen ausgeht, die
Kräftegruppierung der Gemeindevertretung im Wesentlichen in der Exekutive
widergespiegelt. Eine proporzgenaue Repräsentation der politischen Kräfte in der
Gemeindevertretung bei der Wahl der ehrenamtlichen Stadträte und Stadträte ist
kaum praktikabel, zumal der Zugang zur Gemeindevertretung durch die
Abschaffung der 5 % Hürde vereinfacht wurde. Die Zahl der zu besetzenden
Stellen im ehrenamtlichen Magistrat müsste dann zum Teil erheblich erweitert
werden. Ferner ist zu berücksichtigen, dass trotz dieser Äußerung des früheren
Innenministers in der Plenarsitzung am 06.09.1950 das Verbot eines
gemeinsamen Wahlvorschlages gerade nicht in das Gesetz aufgenommen wurde.
Auch dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber nicht von der Notwendigkeit einer
proporzgenauen Präsentation ausging und die Grundsätze der Verhältniswahl mit
gemeinsamen Wahlvorschlägen als vereinbar ansah.
Auch aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.12.2003 (Az: 8
C 18/03, BVerwGE 119, 305 ff.) lässt sich nicht ableiten, dass ein gemeinsamer
Wahlvorschlag von zwei Fraktionen für die Wahl der ehrenamtlichen
Magistratsmitglieder unzulässig ist. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass
das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 10.12.2003
ausdrücklich feststellte, dass Gemeinderatsausschüsse die Zusammensetzung
des Plenums und das darin wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum
widerspiegeln müssen und bei der Besetzung der Ausschüsse deshalb zur
Erlangung eines zusätzlichen Sitzes gebildete gemeinsame Vorschläge mehrerer
Fraktionen unzulässig seien. In der Entscheidung, der ein Rechtsstreit über die
Besetzung von Ausschüssen des Gemeinderates nach § 50 Abs. 3 Satz 3
Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen zugrunde lag, wird
ausgeführt, dass der aus dem Prinzip der repräsentativen Demokratie folgende
Grundsatz der Spiegelbildlichkeit der Zusammensetzung von Ratsplenum und
Ratsausschüssen bei den so genannten beschließenden Ausschüssen, denen der
Rat Angelegenheiten zur abschließenden Erledigung übertragen habe, erhöhte
Bedeutung gewinne, weil sie in ihrem Aufgabenbereich die
Repräsentationstätigkeit der Gesamtheit der vom Volk gewählten Ratsmitglieder
nicht nur teilweise vorwegnehmen, sondern insgesamt ersetzen. Bei
gemeinsamen Wahlvorschlägen gebe das Wahlergebnis dann nicht mehr die
Zusammensetzung des Plenums und das darin wirksame politische Meinungs- und
Kräftespektrum wider, sondern das Zahlenverhältnis des hinter dem
gemeinsamen Wahlvorschlag stehenden Zusammenschlusses zu den daran nicht
beteiligten Fraktionen oder - falls und soweit diese auch ein ebensolches Bündnis
eingegangen sind - zu deren Zusammenschluss. So gebildete
Zählgemeinschaften würden als solche weder vom Volk gewählt noch würden sie
über die Ausschusswahl hinausgehende gemeinsame politische Ziele verfolgen.
Grund des Zusammenschlusses sei allein die Gewinnung von zusätzlichen
Ausschusssitzen. Diese Ausführungen lassen sich nicht auf die Wahl der
ehrenamtlichen Magistratsmitglieder übertragen. So ist zunächst zu
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ehrenamtlichen Magistratsmitglieder übertragen. So ist zunächst zu
berücksichtigen, dass bereits die Vorschrift des § 50 Abs. 3 Satz 3
Gemeindeordnung NRW von Wahlvorschlägen der Fraktionen und Gruppen des
Rates spricht. Nach § 55 Abs. 3 HGO wird jedoch „aufgrund von Wahlvorschlägen
aus der Mitte der Gemeindevertretung“ gewählt. Dies spricht bereits gegen eine
Übertragbarkeit der zu der Gemeindeordnung NRW ergangenen Entscheidung.
Von entscheidender Bedeutung dürfte jedoch sein, dass sich die Grundsätze über
die Besetzung von Ausschüssen nicht auf die Wahl der ehrenamtlichen
Magistratsmitglieder übertragen lässt. So hat das Bundesverwaltungsgericht in der
oben angeführten Entscheidung ausgeführt, dass die so genannten
beschließenden Ausschüsse in ihrem Aufgabenbereich die
Repräsentationstätigkeit der Gesamtheit der vom Volk gewählten Ratsmitglieder
nicht nur teilweise vorwegnehmen, sondern insgesamt ersetzen, so dass der
Grundsatz der Spiegelbildlichkeit der Zusammensetzung von Ratsplenum und
Ratsausschüssen erhöhte Bedeutung gewinne. Hier ist der Magistrat gerade kein
Teil der Gemeindevertretung sondern nimmt als Verwaltungsorgan der Gemeinde
(§ 66 Abs. 1 Satz 1 HGO) u.a. die Aufgabe wahr, nach den Beschlüssen der
Gemeindevertretung im Rahmen der bereit gestellten Mittel die laufende
Verwaltung der Gemeinde zu besorgen. Die gewählten Mitglieder des
ehrenamtlichen Magistrats gehören nicht mehr der Gemeindevertretung an.
Gerade weil die Aufgabe des Magistrates darin besteht, die Beschlüsse der
Gemeindevertretung im Rahmen der bereit gestellten Mittel zu besorgen, ist hier
eine proporzgenaue Repräsentation der politischen Kräfte der
Stadtverordnetenversammlung im ehrenamtlichen Magistrat nicht erforderlich
(vgl. HessVGH, Urteil vom 17.10.1991, Az: 6 UE 2422/90, NVwZ - RR 1992, 371 f.)
Darüber hinaus diente der gemeinsame Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU
und der Grünen hier, anders als in dem der Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts vom 10.12.2003 zugrundeliegenden Sachverhalt, nicht
allein der Gewinnung eines rechnerischen Vorteils. Es lag kein ad hoc Bündnis zum
Zweck der besseren Gewinnung von Reststimmen vor, sondern eine zuvor
verabredete und für die gesamte Wahlperiode projektierte Zusammenarbeit, die
auch nach der Wahl fortbestand.
Der zulässige gemeinsame Wahlvorschlag der Fraktionen von CDU und den
Grünen erhielt auch nach § 22 Abs. 4 Satz 1 und 2 HGO in nicht zu
beanstandender Weise einen weiteren Sitz zugeteilt. Bei der Verhältniswahl werden
die Stellen nach dem System Hare-Niemeyer unter Berücksichtigung der auf sie
entfallenden Stimmen auf die einzelnen Wahlvorschläge verteilt, (§ 55 Abs. 4 HGO
i.V.m. § 22 KWG). Danach verhält sich die Zahl der auf einen Wahlvorschlag
entfallenden Sitze zur Zahl der zu vergebenden Sitze wie die Zahl der auf den
Wahlvorschlag abgegebenen Stimmen zur Gesamtzahl der Stimmen aller an der
Sitzverteilung teilnehmenden Wahlvorschläge. Führt die Berechnung nach dem
Hare-Niemeyer-System dazu, dass der Wahlvorschlag, welcher die absolute
Mehrheit der an der Sitzverteilung teilnehmenden gültigen Stimmen erhalten hat,
nicht die absolute Mehrheit der Sitze erhält, wird diesem Wahlvorschlag nach § 22
Abs. 4 Satz 2 KWG zunächst ein weiterer Sitz zugeteilt. Somit wird sichergestellt,
dass der Wahlvorschlag, der die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen erhalten
hat, auch die absolute Mehrheit der Sitze erhält. Hier spricht der Wortlaut des § 22
Abs. 4 KWG zwar ausdrücklich von dem Wahlvorschlag „einer Partei oder
Wählergruppe“, so dass vom Wortlaut der Vorschrift zunächst ein Wahlvorschlag
mehrerer Fraktionen nicht darunter fallen dürfte. Hierbei ist jedoch zu
berücksichtigen, dass das Kommunalwahlgesetz unmittelbar die Wahl der
Gemeindevertreter und Ortsbeiratsmitglieder sowie der Kreistagsabgeordneten
durch die Wahlberechtigten regelt. § 55 Abs. 4 Satz 1 HGO erklärt die Vorschrift
des § 22 Abs. 4 KWG für Wahlen durch die Gemeindevertretung für entsprechend
anwendbar. Diese entsprechende Anwendung kann gerade im Hinblick auf den
Grundsatz der Gleichheit der Wahl nur so zu verstehen sein, dass alle nach § 55
Abs. 3 HGO zulässigen Wahlvorschläge auch nach § 22 Abs. 4 Satz 2 KWG einen
zusätzlichen Sitz erhalten, sofern sie die absolute Mehrheit der an der
Sitzverteilung teilnehmenden gültigen Stimmen erhalten haben, jedoch nicht die
absolute Mehrheit der Sitze erhalten würden. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber
durch das Wahlrechtsänderungsgesetz vom 16.06.1988 (GVBl I S. 235)
Missbräuchen dadurch entgegen gewirkt, dass § 22 Abs. 4 KWG dann keine
Anwendung findet, wenn lediglich zwei Stellen zu besetzen sind. Daraus folgt im
Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber, dem die Bedenken gegen die
uneingeschränkte Anwendbarkeit des § 22 Abs. 4 KWG bekannt waren, mit
Ausnahme des in § 55 Abs. 4 Satz 1 HGO geregelten Sonderfalles von der
Zulässigkeit des Sitzverteilungsverfahrens nach § 22 Abs. 4 KWG in allen übrigen
Fällen ausgegangen ist (HessVGH, Urteil vom 17.10.1991, 6 UE 2422/90, NVwZ RR
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Fällen ausgegangen ist (HessVGH, Urteil vom 17.10.1991, 6 UE 2422/90, NVwZ RR
1992, 371 f.; zur Anwendbarkeit des § 22 Abs. 4 KWG auf den gemeinsamen
Wahlvorschlag zweier Fraktionen vgl. auch VG Wiesbaden, Urteil vom 20.06.2002,
Az: 3 E 1384/01, HGZ 2002, 399 ff.; vgl. auch VG Gießen vom 22.12.2004, Az: 8 E
1166/03, HGZ 2005, 101 ff.).
Da der gemeinsame Wahlvorschlag der CDU und der Grünen-Fraktion somit zu
Recht einen zusätzlichen Sitz nach § 22 Abs. 4 KWG erhielt, bleibt auch der
Hilfsantrag der Kläger erfolglos.
Als unterlegene Partei haben die Kläger die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 154
Abs. 1 VwGO zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Gemäß § 162 Abs. 3 VwGO sind die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen
nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei
oder der Staatskasse auferlegt. Die Kosten der Beigeladenen sind nur dann aus
Billigkeit der unterliegenden Partei oder Staatskasse aufzuerlegen, wenn diese
eigene Anträge gestellt und damit das Risiko eigener Kostenpflicht nach § 154 Abs.
3 VwGO übernommen haben oder wenn sie das Verfahren in sonstiger Weise
wesentlich gefördert haben. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus den §§
167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufungszulassung beruht auf § 124 a Abs. 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.