Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 13.02.2007

VG Frankfurt: gerichtshof für menschenrechte, armenien, behandlung, gefahr, abschiebung, folter, amnesty international, erniedrigende strafe, genfer flüchtlingskonvention

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Gericht:
VG Frankfurt 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 E 3577/04.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 60 Abs 1 AufenthG, § 60 Abs
2 AufenthG, § 60 Abs 5
AufenthG, Art 8 MRK, Art 16a
GG
Misshandlung eines festgenommenen armenischen
Staatsanghörigen
Leitsatz
Bei der Prüfung der Ereignisse und Umstände, die einen Anspruch auf Zuerkennung
eines subsidiären Schutzes i. S.d. Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie -
begründen können, ist im Falle eines vor dem Verlassen des Herkungtslandes
erlittenen ernsthaften Schadens auf den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab
abzustellen.
Tenor
Unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge vom 28.06.2004 wird dieses verpflichtet, dem Kläger den
subsidiären Schutzstatus nach Art. 15 und 18 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates
vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von
Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die
anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu
gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 304 vom 30. September 2004, S. 12)
zuzuerkennen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Kostenschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, wenn der jeweilige Kostengläubiger nicht zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der am 30.08.1988 geborene Kläger ist armenischer Staatsangehöriger. Er
beantragte am 14.04.2004 bei der Außenstelle Gießen des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Asyl. Mit Schreiben vom selben Tage wurde
er zur Anhörung am 20.04.2004, 9.00 Uhr geladen. Eine weitere Ladung erging am
15.04.2004 gleichfalls für den 20.04.2004, 8.00 Uhr. Diesen Termin nahm der
Kläger nicht wahr. Daraufhin wurde ihm mit Schreiben vom 20.04.2004
Gelegenheit gegeben, innerhalb eines Monats schriftlich zu seinen Asylgründen
Stellung zu nehmen. Am 17.05.2004 ging beim Bundesamt eine in Armenisch
abgefasste handschriftliche Stellungnahme des Klägers ein. Ausweislich der
vorliegenden Übersetzung machte der Kläger geltend, dass am 06.01.2004 der
älteste Bruder seines Freundes H. namens E., der in der Militäreinheit M.
gearbeitet habe, zu ihm gekommen sei und ihn gebeten habe, für ihn eine Tasche
zu verstecken. Zugleich habe ihn E. aufgefordert, niemanden zu erzählen, dass er
sich bei dem Kläger aufhalte. Am 10.01.2004 seien dann abends Polizisten in das
klägerische Haus gekommen, hätten dieses durchsucht und die Tasche des E.
gefunden, in der sich Waffen befunden hätten. E. und der Kläger seien zur Polizei
gebracht worden. Dort sei er, der Kläger, grausam bis hin zur Bewusstlosigkeit
geschlagen worden. Als er wieder zu Bewusstsein gekommen sei, habe ein Arzt
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geschlagen worden. Als er wieder zu Bewusstsein gekommen sei, habe ein Arzt
neben ihm gestanden, auf dessen Anordnung hin er in das Krankenhaus
transportiert wurde, weil Verdacht auf Gehirnerschütterung bestand. Dank der Hilfe
einer Krankenschwester habe er aus dem Krankenhaus fliehen können. Er sei dann
zu seiner Nachbarin R. gegangen. Diese habe den Patenonkel A. angerufen. Dieser
habe ihn dann abgeholt und mit nach Tiflis genommen. Dort sei er bis 10.03.2004
geblieben, bis er dann von Tiflis aus nach Kiew geflogen sei und von dort aus mit
einem Bus nach Deutschland gekommen sei.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den
Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 28.06.2004 ab und verneinte das
Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bzw. des § 53 AuslG. Dem Kläger
wurde die Abschiebung nach Armenien angedroht. In dem Bescheid bezweifelt das
Bundesamt, dass der Kläger bis Anfang 2004 in Armenien gelebt habe. Es sei zu
vermuten, dass sich der Kläger bereits seit längerer Zeit in der Bundesrepublik
aufgehalten habe. Selbst wenn aber der Kläger bis Anfang 2004 in Armenien
gelebt hätte, werde der von ihm geschilderte Vorfall vom 10.01.2004 nicht
geglaubt. Gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers spreche auch, dass er
unentschuldigt dem Anhörungstermin fern geblieben sei.
Gegen den am 01.07.2004 zugestellten Bescheid erhob der Kläger am 13.07.2004
Klage. Er gibt an, den Anhörungstermin nicht wahr genommen zu haben, weil ihm
seine Mutter gesagt hätte, dass sei nicht notwendig. Im Übrigen bekräftigt der
Kläger sein Vorbringen bzgl. der Vorkommnisse auf der Polizeistation am
10.01.2004.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 28.06.04 zu verpflichten, den Kläger
als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass in seiner Person die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG erfüllt sind;
hilfsweise das Bundesamt zu verpflichten,
festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
Das beklagte Bundesamt hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und
Behördenakte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie auf die
beigezogenen Ausländerakten der Stadt Hanau betreffend den Kläger selbst und
seine Mutter Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der in der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2007 gestellte Antrag des Klägers
ist gemäß § 88 Abs. 1 VwGO sachgerecht dahingehend auszulegen, dass dieser
zudem hilfsweise begehrt, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger den
subsidiären Schutzstatus nach Art. 15 und 18 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates
vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von
Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Person, die
anderweitig nationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden
Schutzes (Amtsblatt Nr. L 304 vom 30.09.2004 S. 12) - Qualifikationsrichtlinie -
zuzuerkennen.
Die so zu verstandene zulässige Klage ist jedoch nur begründet, soweit der Kläger
begehrt, ihm subsidiären Schutz nach der so genannten Qualifikationsrichtlinie
zuzuerkennen. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
Ein Anspruch, als Asylberechtigter i.S.d. Art. 16 a Abs. 1 GG anerkannt zu werden,
steht dem Kläger nicht zu. Seinem eigenen Vorbringen zufolge ist er von Kiew
(Ukraine) kommend auf dem Landwege in die Bundesrepublik Deutschland
eingereist. Somit steht ihm eine Berufung auf das Asylgrundrecht des Art. 16 a GG
nicht zu, da er über einen sicheren Drittstaat i.S.d. Art. 16 a Abs. 2 GG eingereist
ist.
Der Kläger kann auch nicht beanspruchen, gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG den
Flüchtlingsstatus zugesprochen zu bekommen. Es ist nach dem glaubhaften
Vortrag des Klägers nicht ersichtlich, dass die von ihm geschilderten tätlichen
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Vortrag des Klägers nicht ersichtlich, dass die von ihm geschilderten tätlichen
Übergriffe von Polizisten nach seiner Festnahme am 10.01.2004 an
flüchtlingsrelevante Merkmale des Art. 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention bzw.
des Art. 10 der Qualifikationsrichtlinie angeknüpft hätten.
Beim Kläger liegen auch nicht die Voraussetzungen vor, um ihm
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu gewähren. Nach dieser
Vorschrift darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für
diesen die konkrete Gefahr besteht, der Folter unterworfen zu werden. Nach der
Definition des Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere
grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom
10.12.1984 (BGBl 1990 II S. 247), für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft
getreten am 01.06.1990 (BGBl 1990 II S. 491), ist Folter jede Handlung, mit der
einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden
zugefügt werden, z.B. um von ihr oder einen Dritten eine Aussage oder ein
Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächliche oder mutmaßlich von ihr oder
einen Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einem Dritten
einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen auf irgend einer Art von
Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem
Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft
handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit ihrem ausdrücklichen oder
stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Die Annahme des Verbots
der Abschiebung nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 1 der UN-Folterkonvention
setzt jedoch voraus, dass für den betroffenen Ausländer die konkrete Gefahr
besteht, der Folter unterworfen zu werden. Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts erfordert dies, dass ihm entsprechende Übergriffe auf
Leib und Leben mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. nur BVerwG,
Beschluss vom 21.02.2006 - 1 B 107/05, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 323). Die
von einem Verfolgten behauptete Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung
steht einer Abschiebung nicht schon dann entgegen, wenn sie aufgrund eines
bekannt gewordenen und ihn selbst seinerzeit betreffenden früheren Vorfalls nicht
ausgeschlossen werden kann. Vielmehr müssen begründete Anhaltspunkte für die
Gefahr einer (erneuten) menschenrechtswidrigen Behandlung vorliegen (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 31.05.1994 - 2 BvR 1193/93, NJW 1994, 2883 m.w.N.). Der
für das asylrechtliche Verfahren entwickelte herabgestufte
Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Falle einer Vorverfolgung findet demnach in
diesem Zusammenhang keine Anwendung.
Nach den Erkenntnissen, die dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die
Republik Armenien vom 02.02.2006 zugrunde liegen, kann jedenfalls derzeit nicht
davon ausgegangen werden, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach
Armenien der konkreten Gefahr, erneut gefoltert zu werden, ausgesetzt wäre.
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass Armenien dem UN-
Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984 beigetreten und dieses
Abkommen für Armenien am 13.10.1993 in Kraft getreten ist (BGBl 1994 II, S.
274).
Die Voraussetzungen festzustellen, dass im Falle des Klägers ein Verbot der
Abschiebung gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG eingreift, sind gleichfalls nicht erfüllt.
Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich
aus der Anwendung der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention -
EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Im Falle des Klägers käme Art.
3 EMRK in Betracht, der der Abschiebung einer Person in einen Staat
entgegensteht, in dem dieser unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder
Behandlung droht. Ein entsprechender Anspruch des Klägers scheitert daran, dass
nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG im Falle einer Rückkehr in den
Zielstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine entsprechende
konventionswidrige Behandlung droht. Dies kann jedoch - wie bereits ausgeführt -
zum jetzigen Zeitpunkt bezogen auf den Kläger und sein Herkunftsland Armenien
nicht angenommen werden. Darüber hinaus hat das BVerwG mit Urteil vom
07.12.2004 (1 C 14/04, BVerwGE 122, 271 = NVwZ 2005, 704) festgestellt, dass
bei der Abschiebung in einen anderen Vertragsstaat der Europäischen
Menschenrechtskonvention eine Mitverantwortung des abschiebenden Staates,
die Konventionsrechte im Zielstaat der Abschiebung zu gewährleisten, nur dann
besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige
schwere irrreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch
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schwere irrreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch
durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht
rechtzeitig zu erreichen ist. Armenien ist Signatarstaat der Europäischen
Menschenrechtskonvention, die für dieses Land am 26.04.2002 in Kraft getreten
ist (vgl. BGBl 2003 II S. 1575). Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln
lässt sich nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit entnehmen, dass die
Konventionsrechte in Armenien zum derzeitigen Zeitpunkt und auch auf
absehbare Zeit grundsätzlich nicht hinreichend gewährleistet sind. Insbesondere
ist der Zugang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht
verschlossen.
Der Kläger erfüllt jedoch die Voraussetzungen, um subsidiären Schutz i.S.d.
Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) beanspruchen zu können. Nach Art.
2 Buchstabe e) der Richtlinie 2004/83/EG bezeichnet eine „Person mit Anspruch
auf subsidiären Schutz“ einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen,
der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber
stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei seiner Rückkehr
in sein Heimatland oder, bei einem Staatenlosen, in das Land seines vorherigen
gewöhnlichen Aufenthalts tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden
i.S.d. Art. 15 zu erleiden und auf den Art. 17 Abs. 1 und 2 keine Anwendung findet
und der den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen
dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will. Gemäß Art. 15 Buchstabe b) gilt als
ernsthafter Schaden i.S.d. Richtlinie Folter oder unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland. Bei der
Prüfung der Ereignisse und Umstände, die einen Anspruch auf Zuerkennung eines
subsidiären Schutzes i.S.d. Qualifikationsrichtlinie begründen können, ist im Falle
eines vor dem Verlassen des Herkunftslandes erlittenen ernsthaften Schadens auf
den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab abzustellen. Dies ergibt sich aus
Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dieser lautet: „Die Tatsache, dass ein
Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden
erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar
bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers
vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften
Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der
Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht
wird.“
Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten ausführlichen
Vernehmung des Klägers zu seinen Asylgründen steht zur sicheren Überzeugung
des erkennenden Gerichts fest, dass dieser am 10.01.2004 in seiner Heimatstadt
in Armenien von Polizeibeamten festgenommen und im weiteren Verlauf seines
Verhörs auf der Polizeiwache brutal und in erniedrigender Weise misshandelt
worden ist, so dass er einen ernsthaften Schaden i.S.d. Art. 15 Buchstabe b) der
Richtlinie 2004/83/EG erlitten hatte. Der Kläger legte in der mündlichen
Verhandlung sehr detailliert dar, was ihm nach der Festnahme zugestoßen ist und
dass er bis zur Bewusstlosigkeit traktiert wurde. Dies erforderte seine Einweisung
in ein Krankenhaus, von dem aus ihm dann die Flucht gelingen konnte, zunächst
zu Nachbarn mit späterer Ausreise zu seinem Patenonkel nach Tiflis. Zwar hat der
Kläger hinsichtlich der Einzelheiten des von ihm geschilderten Vorfalls bestimmte
Erinnerungslücken, auch vermochte er sich nicht festzulegen, ob dieser Vorfall im
Jahr 2003 oder 2004 stattfand. Der Kläger hat dies jedoch überzeugend damit
begründet, dass er aufgrund der erlittenen Misshandlungen Erinnerungslücken
habe und dass er seit diesem Vorfall auch immer wieder Schwindelanfälle und
neurologische Ausfälle bis hin zu Stürzen erleiden müsse. Aus diesem Grunde sei
er in ständiger medizinischer Behandlung und nehme auch regelmäßig
Medikamente ein. Offensichtlich hat es der Kläger bislang nicht vermocht, die
glaubhaft geschilderten Misshandlungen physisch und psychisch hinreichend zu
verarbeiten. Der Kläger zeigte in der mündlichen Verhandlung starke
Konzentrationsstörungen, war schnell ermüdet und wirkte in jeglicher Hinsicht
psychisch schwer beschädigt. Eine seiner körperlichen und psychischen
Verfassung angemessene und zwingend notwendige therapeutische Betreuung
und Behandlung hat der Kläger offenbar seit seiner Einreise in das Bundesgebiet
nicht erhalten.
Die vom Kläger geschilderten Misshandlungen Anfang 2004 fügen sich in das
allgemeine Lagebild zu Armenien für den entsprechenden Zeitraum ein. Im
Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 02.02.2006 wird auf Seite 19 berichtet,
dass die armenische Verfassung zwar die Anwendung von Folter verbiete. Es lägen
auch keine Erkenntnisse darüber vor, dass auf dem Gebiet der Republik Armenien
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auch keine Erkenntnisse darüber vor, dass auf dem Gebiet der Republik Armenien
eine landesweit systematische Folter praktiziert werde. Nationale und
internationale Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international und
Human Rights Watch berichteten aber immer wieder von mehreren Fällen, in
denen es bei Verhaftungen oder Verhören zu schweren Übergriffen der
Ordnungsorgane (Elektroschocks und wiederholt Schläge auf den Kopf) gekommen
sein soll. Insbesondere hätten repressive Maßnahmen im Umfeld der
Präsidentschaftswahl 2003/2004 stattgefunden. Laut dem Bericht des „European
Committee for Prevention of Torture“, der auf einem Besuch in Armenien im Jahre
2002 basiert, habe die Polizei vielfach und regelmäßig Festgenommene
misshandelt. Allerdings habe die International Helsinki Federation für Hurman
Rights im Jahre 2004 beobachtet, dass diese Praxis stark zurückgegangen sei.
Doch hätten 60 % der Festgenommenen von Schlägen während der Festnahmen
auf der Polizeistation berichtet. Hinzukomme, dass es keinen wirksamen und
unabhängigen Mechanismus gebe, Folterverdachtsfälle gegenüber Beamten zu
untersuchen. Auch der Länderbericht 2004 des U.S. Departement of State stellt
fest, dass Mitarbeiter der Sicherheitskräfte Menschenrechtsverstöße begangen
hätten. Dass die Menschenrechtslage in Armenien zum Zeitpunkt der Ausreise
des Klägers unbefriedigend war, ergibt auch daraus, dass allein im Jahr 2004 bei
der Ombudsfrau für Menschenrechte, die ihr Amt am 01.03.2004 angetreten
hatte, 1800 Beschwerden eingingen und von ihr 440 zur Prüfung angenommen
wurden. Im Folgejahr wurden 1447 schriftliche und circa 1000 mündliche
Beschwerden entgegengenommen. Die Zahl der angenommenen Beschwerden
bewegten sich bei 478. Dies ist bei einem Land der Größe von Armenien mit
annähernd drei Millionen Einwohnern ein beachtlicher Anteil.
Es ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand auch noch nicht mit der
erforderlichen Gewissheit erwiesen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach
Armenien vor erneuten Maßnahmen, die einen ernsthaften Schaden begründen
könnten, hinreichend sicher wäre. Auch wenn man zu Lasten des Klägers
unterstellt, dass sich die Menschenrechtslage in Armenien zwischenzeitlich
verbessert hat, so ist es gleichwohl nicht ausgeschlossen, dass er erneut Gefahr
liefe, in seiner körperlichen Integrität durch Polizeibeamte verletzt zu werden.
Immerhin lag der Festnahme am 10.01.2004 der Verdacht zugrunde, dass sich der
Kläger am illegalen Waffenhandel beteiligt hatte. Dies ist ein schwerwiegender
Vorwurf, der auch drei Jahre nach Verlassen Armeniens nicht fallengelassen
worden sein dürfte. Vielmehr hat der Kläger im Falle einer Rückkehr nach dort zu
gewärtigen, erneut in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen zu werden und ggf.
auch einer nicht von vornherein auszuschließenden menschenrechtswidrigen
Behandlung ausgesetzt zu sein. Daher hat der Kläger einen Anspruch auf
subsidiären Schutz nach der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie).
Im Falle der Rechtskraft des vorliegenden Urteils und anschließenden
Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus durch die Beklagte ist die für den
Kläger zuständige Ausländerbehörde gemäß Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie
2004/83/EG verpflichtet, diesem einen Aufenthaltstitel zu erteilen, der mindestens
ein Jahr gültig ist und verlängerbar sein muss.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG. Der
Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.