Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 05.08.2004

VG Frankfurt: verordnung, mittelstufe, erlass, wahrscheinlichkeit, politik, englisch, schule, physik, biologie, kunst

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Gericht:
VG Frankfurt 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 G 3308/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 75 Abs 1 SchulG HE
Leitsatz
Zur Rechtmäßigkeit der Nichtversetzung einer Schülerin wegen fehlendem Ausgleichs
einer mangelhaften Leistung
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I
Die Antragstellerin besuchte im Schuljahr 2003/2004 den Realschulzweig der W-
schule in K. Aufgrund eines Beschlusses der Versetzungskonferenz vom 05. Juli
2004 wurde die Antragstellerin nicht versetzt und ihr somit der Mittlere
Bildungsabschluss nicht zuerkannt. Das Zeugnis für das 2. Schulhalbjahr weist
folgende Noten auf:
Deutsch 4 Mathematik 4
Englisch 5 Biologie 3
Erdkunde 4 Chemie 4
Geschichte 3 Physik 4
Politik/Wirtschaft 3 Kunst 1. Hj. 1
Sport 1 Musik 2. Hj. 2
Die Leistungen im Wahlpflichtfach Französisch wurden mit der Note 3 bewertet.
Das Arbeitsverhalten der Antragstellerin wurde mit der Note 4 und das
Sozialverhalten mit der Note 2 beurteilt.
Demgegenüber erzielte die Antragstellerin im 1. Halbjahr des Schuljahres 2003/04
folgende Noten
Deutsch 2 Mathematik 4
Englisch 4 Biologie 4
Erdkunde 4 Chemie 4
Geschichte 2 Physik 4
Politik/Wirtschaft 2 Kunst 1
Sport 1
Die Leistungen im Wahlpflichtfach Französisch wurden mit der Note 3, das
Arbeitsverhalten mit der Note 2 und das Sozialverhalten gleichfalls mit der Note 2
bewertet.
Mit Schreiben vom 13.07.2004 haben die Eltern der Antragstellerin Widerspruch
gegen die Entscheidung der Klassenkonferenz vom 05.07.2004 erhoben.
Die Klassenkonferenz ist am 15.07.2004 erneut zusammengetreten und hielt
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Die Klassenkonferenz ist am 15.07.2004 erneut zusammengetreten und hielt
einstimmig an der Nichtversetzungsentscheidung fest.
Die Antragstellerin hat am 15.07.2004 bei dem erkennenden Gericht einen Antrag
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Begehren, ihr vorläufig
den "Mittleren Abschluss" zuzuerkennen. Sie macht geltend, dass die
Nichtversetzungsentscheidung fehlerhaft sei; sie ist der Ansicht, ihre Leistungen
im Fach Deutsch hätten mit der Note 3 bewertet werden müssen. Mit dieser Note
könnte dann die Note "mangelhaft" im Fach Englisch ausgeglichen werden. Wegen
der Einzelheiten wird auf das ausführliche Vorbringen der Antragstellerin Bezug
genommen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der
Antragstellerin - bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Hauptsacheverfahrens -
den "Mittleren
Abschluss" (Realschulabschluss) zuzuerkennen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur weiteren Begründung verweist der Antragsgegner unter anderem auf die
Stellungnahme der Schulleiterin der W-Schule vom 21.07.2004 sowie auf die
beiden Stellungnahmen der Klassenlehrerin L vom 25.07.2004.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf
den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte verwiesen.
II
Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123
VwGO ist sachgerecht dahingehend auszulegen, den Antragsgegner zu
verpflichten, der Antragstellerin vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung des
Hauptsacheverfahrens den Besuch der 1-jährigen Berufsfachschule an der Konrad-
Adenauer-Schule in K zu gestatten.
Der so verstandene Antrag ist zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet.
In schulrechtlichen Nichtversetzungsstreitigkeiten ist einstweiliger Rechtsschutz
nur dann zu gewähren, wenn glaubhaft gemacht ist, dass gegen die
Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung ernsthafte Bedenken bestehen
und dass die Versetzungskonferenz bei einer erneuten Entscheidung mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Versetzung aussprechen wird (vgl. nur
Hess. VGH, NVwZ-RR 1993, S. 86). Diese Voraussetzungen liegen im Falle der
Antragstellerin nicht vor.
Es kann im Rahmen des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht
festgestellt werden, dass die Nichtversetzungsentscheidung der
Versetzungskonferenz vom 05. Juli 2004 rechtswidrig ist, zumal die gerichtliche
Beurteilung schulischer Leistungsbewertungen nur eingeschränkt einer
gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist. Bei der Bewertung von schulischen
Leistungen handelt es sich nämlich regelmäßig um ein höchstpersönliches
Fachurteil, bei dem die Lehrkräfte Einschätzungen und Erfahrungen heranziehen,
die sie in ihrer täglichen Praxis entwickelt haben und allgemein anwenden. Weil
dabei der während des gesamten Unterrichts gewonnene persönliche Eindruck
eine Rolle spielt, ist den einzelnen Lehrern bei prüfungsspezifischen Wertungen ein
Entscheidungsspielraum zuzubilligen, der vom Verwaltungsgericht nur
eingeschränkt überprüft werden kann. Eine gerichtliche Kontrolle muss sich daher
darauf beschränken, ob bei der Festsetzung von Einzelnoten bzw. bei der
Entscheidung über die Versetzung insgesamt die jeweiligen Verfahrensvorschriften
beachtet wurden, ob die zur Entscheidung befugten Personen von falschen
Tatsachen ausgegangen sind, ob sie sich von sachfremden Erwägungen haben
leiten lassen oder ob allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet
wurden.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben lässt sich jedenfalls im Rahmen des zu
entscheidenden Eilverfahrens nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit
feststellen, dass die Nichtversetzung der Antragstellerin und somit die
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feststellen, dass die Nichtversetzung der Antragstellerin und somit die
Verweigerung des Realschulabschlusses rechtswidrig ist.
Nach § 75 Abs. 1 des Hessischen Schulgesetzes in der Fassung vom 02.08.2002
(GVBl. I S. 466) wird, soweit in diesem Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes
nichts anderes bestimmt ist, eine Schülerin oder ein Schüler in die nächste
Jahrgangsstufe versetzt, wenn 1. die Leistungen in allen Fächern mindestens mit
ausreichend bewertet werden oder 2. trotz nicht ausreichender oder nicht
erbrachter Leistungen in einzelnen Fächern eine erfolgreiche Teilnahme am
Unterricht des nächsthöheren Schuljahrgangs unter Berücksichtigung der
Lernentwicklung der Schülerin oder des Schülers zu erwarten ist.
Nähere Einzelheiten über das Erreichen des Mittleren Abschlusses an Realschulen
sind in § 33 der Verordnung zur Ausgestaltung der Bildungsgänge und
Schulformen der Mittelstufe (Sekundarstufe I) vom 07. Juli 1993 (ABl. des
Hessischen Kultusministeriums 1993, S. 630) in der Fassung der
Änderungsverordnung vom 21. Juni 2000 (ABl. des Hessischen Kultusministeriums
2000, S. 620) geregelt. Diese Vorschriften finden auf die Antragstellerin gemäß §
66 Abs. 1 der Verordnung zur Ausgestaltung der Bildungsgänge und Schulformen
der Grundstufe (Primarstufe) und der Mittelstufe (Sekundarstufe I) und der
Abschlussprüfungen in der Mittelstufe (VOBGM) vom 20. März 2003 (ABl. des
Hessischen Kultusministeriums 2003, S. 163) Anwendung, da sie für einen
Abschluss nach den Rechtsvorschriften der Verordnung vom 07. Juli 1993 optiert
hat.
Nach § 33 Abs. 2 der Verordnung zur Ausgestaltung der Bildungsgänge und
Schulformen der Mittelstufe vom 07. Juli 1993 erhält den Mittleren Abschluss, wer
am Ende der Jahrgangsstufe 10 in allen Fächern oder in den nach § 6 Abs. 3 des
Hessischen Schulgesetzes gebildeten Lernbereichen des Pflicht- und
Wahlpflichtunterrichts mindestens ausreichende Leistungen erreicht hat oder
mangelhafte Leistungen nach Maßgabe des Abs. 3 ausgleichen kann. Nach Abs. 3
der genannten Vorschrift kann die Note mangelhaft in einem der Fächer Deutsch,
erste Fremdsprache oder Mathematik nur durch mindestens die Note gut in einem
oder die Note befriedigend in zwei anderen dieser Fächer ausgeglichen werden
(Satz 1). Ein Ausgleich kann auch durch die Note befriedigend in einem der Fächer
erfolgen, wenn die Leistungen in allen Fächern im Durchschnitt mindestens
befriedigend (3,0) sind (Satz 2). Eine Ausgleichsmöglichkeit i. S. d. Satzes 1
besteht im Falle der Antragstellerin nicht. Auch sind die Voraussetzungen des § 33
Abs. 3 Satz 2 der genannten Verordnung ist jedoch im Falle der Antragstellerin
nicht erfüllt, da sie selbst für den Fall, dass ihre Leistungen im Fach Deutsch mit
der Note befriedigend bewertet werden, eine, wie der Antragsgegner zutreffend
ausführt, Durchschnittsnote von lediglich 3,07 erreichen würde. Somit ist das
erforderliche Quorum dieser Vorschrift nicht erfüllt.
Soweit die Antragstellerin vorträgt, dass sie zu einem Gesamtnotendurchschnitt
von mindestens 3,0 gelange (S. 9 des Antragsschriftsatzes), beruht dies auf der
falschen Annahme, ihr sei im Fach Politik und Wirtschaft die Note gut (2) erteilt
worden. Tatsächlich sind die Leistungen der Antragstellerin in diesem Fach
ausweislich des Zeugnisses für das 2. Halbjahr des Schuljahres 2003/2004 mit der
Note befriedigend (3) ausgewiesen, so dass sich eine Durchschnittsnote von 3,07
errechnet.
Darüber hinaus verkennt die Antragstellerin, dass § 33 Abs. 3 Satz 2 der
genannten Verordnung keineswegs dahingehend zu verstehen ist, es werde bei
Erreichen eines Durchschnitts von mindestens befriedigend (3,0) gleichsam
automatisch eine mit mangelhaft bewertete Leistung in einem der Fächer
Deutsch, erste Fremdsprache oder Mathematik ausgeglichen. Ob ein solcher
Ausgleich tatsächlich zum Tragen kommt, bestimmt sich vielmehr nach der von
Gesetzes wegen zwingend in § 75 Abs. 1 Nr. 2 Hessisches Schulgesetz
vorgeschriebenen Prognoseentscheidung, ob eine erfolgreiche Teilnahme am
Unterricht des nächsthöheren Schuljahrgangs unter Berücksichtigung der
Lernentwicklung der Schülerin oder des Schülers zu erwarten ist. Hiervon kann im
Falle der Antragstellerin jedenfalls nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand
auch nicht nur ansatzweise ausgegangen werden. Bei ihr ist im Verlauf des
Schuljahres 2003/2004 ein deutlicher Leistungsabfall festzustellen, wie sich aus
einem für sich ohne weiteres aussagekräftigen Notenvergleich der beiden
Halbjahreszeugnisse ergibt. Insoweit ist für das Gericht nicht erkennbar, dass die
Nichtversetzungsentscheidung der Klassenkonferenz vom 05.07.2004 und die
diese Entscheidung bestätigende Beschlussfassung vom 15.07.2004 einer
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diese Entscheidung bestätigende Beschlussfassung vom 15.07.2004 einer
tatsächlichen Grundlage entbehren würde. Vielmehr ist aufgrund des von der
Antragstellerin gezeigten Leistungstandes davon auszugehen, dass sie beim
Besuch der Jahrgangsstufe 11 mit großer Wahrscheinlichkeit zum Scheitern
verurteilt wäre. Daher erweist sich die Prognoseentscheidung der
Versetzungskonferenz als in vollem Umfang nachvollziehbar und überzeugend.
Zur Ergänzung wird auf die beiden Stellungnahmen der Klassenlehrerin L vom
25.07.2004 Bezug genommen.
Im Hinblick auf die obigen Ausführungen bedarf es keiner Entscheidung darüber,
ob die von der Antragstellerin geltend gemachten Verfahrensfehler tatsächlich
gegeben waren. Selbst wenn man unterstellt, dass diese stattgefunden haben,
würde dies für sich einen Anspruch auf vorläufige Gestattung des Besuchs der 11.
Jahrgangsstufe nicht rechtfertigen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.