Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 31.01.2003

VG Frankfurt: psychiatrisches gutachten, ohne aussicht auf erfolg, ärztliche behandlung, abschiebung, asylverfahren, rückführung, gerichtsakte, behörde, erlass, duldung

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Gericht:
VG Frankfurt 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 G 392/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 55 Abs 2 AuslG
Anforderungen an ein psychiatrisches Gutachten zur
Reiseunfähigkeit eines Ausreisepflichtigen
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Gründe
I. Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er führte im Bundesgebiet
erfolglos ein Asylverfahren sowie vier Asylfolgeverfahren durch. Das gegen den
zuletzt ablehnenden Bescheid des Bundesamtes geführte Klageverfahren ist unter
dem Aktenzeichen 10 E 5180/02.A(2) beim Verwaltungsgericht Frankfurt a. M.
anhängig. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wurde
mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt a. M. vom 03.12.2002 in dem
Verfahren 10 G 5182/02.A(2) abgelehnt.
Dem Antragsteller wurde seitens des Antragsgegners erklärt, dass er mit der
Abschiebung rechnen müsse.
Mit Schriftsatz vom 27.01.2003, dem Verwaltungsgericht Frankfurt a. M.
zugegangen am 30.01.2003, hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz
nachgesucht. Er leide an einer Verletzung des Trommelfells. Es sei ein operativer
Eingriff indiziert. Insoweit legt er ein Attest von Herrn Dr. F vom 21.01.2003 vor, auf
das Bezug genommen wird. Weiterhin bestehe bei ihm eine chronische
Depression. Insoweit wird ein ärztliches Attest von Herrn Dr. K vom 28.10.2002
vorgelegt, worauf Bezug genommen wird. Ferner legt der Antragsteller die Kopie
eines Medikamentenpasses von Herrn Dr. Sch vor, worauf gleichfalls Bezug
genommen wird. Ferner verweist er auf ein Fachgutachten von Herrn Dr. Sch vom
22.11.2002.
Da bisher eine Prüfung der Reisefähigkeit unterblieben sei, sei der vorliegende
Antrag geboten.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu
verpflichten, einstweilen aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zum Abschluss
des Klageverfahrens 10 E 5180/02.A(2) einzustellen.
Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.
Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den
Inhalt der hinzugezogenen Akten 10 E 5180/02.A sowie 10 G 5182/02.A Bezug
genommen.
II. Der gemäß § 123 Abs. 1 VwGO gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung ist statthaft und auch im übrigen zulässig.
Der gestellte Antrag ist jedoch unbegründet, da der Antragsteller nicht über ein
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Der gestellte Antrag ist jedoch unbegründet, da der Antragsteller nicht über ein
sicherungsfähiges Bleiberecht verfügt. Dieses könnte ihm vorliegend allenfalls in
Form eines Anspruchs auf Erteilung einer Duldung gemäß § 55 Abs. 2 AuslG
zustehen. Danach wird einem Ausländer eine Duldung erteilt, solange seine
Abschiebung u. a. aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Hierzu zählt u. a. eine
krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit. Von einer solchen ist vorliegend jedoch nicht
auszugehen. Aus dem vorgelegten ärztlichen Attest bzw. aus dem
Medikamentenpass ergibt sich auch nicht ansatzweise ein Hinweis auf das
Vorliegen einer Reiseunfähigkeit. Hieraus kann sich allenfalls die Notwendigkeit
einer begleiteten Rückführung ergeben.
Aber auch die vorgetragene Verletzung des Trommelfells erweist sich als nicht
geeignet, derzeit von Abschiebemaßnahmen abzusehen. Es ist gerichtsbekannt,
dass unmittelbar vor einer Rückführung gerade bei Personen mit
Trommelfellverletzungen seitens des Bundesgrenzschutzes die Ärzte der
Flughafenklinik hinzugezogen werden. Es ist nicht ersichtlich, dass dies gerade bei
dem Antragsteller nicht erfolgen soll.
Auch das psychiatrische Gutachten von Herrn Dr. Sch vom 22.11.2002, das sich in
der Gerichtsakte 10 E 5180/02.A befindet, ist nicht geeignet, vom Vorliegen einer
Reiseunfähigkeit auszugehen.
Zunächst ist auffallend, dass der Antragsteller die auf angebliche Erlebnisse in den
80er Jahren gestützte psychische Beeinträchtigung erst im Rahmen des 4.
Asylfolgeverfahrens Ende 2002 thematisiert. Es überrascht, dass diese behauptete
schwerwiegende psychische Erkrankung des Antragstellers in den Jahren zuvor den
befassten behördlichen und gerichtlichen Stellen nicht vorgetragen wurde und
nicht aufgefallen ist. Schon von daher begegnet der nunmehrige Vortrag
erheblichen Glaubwürdigkeitszweifeln. Entscheidend aber ist, dass die vorgelegte
ärztliche Stellungnahme von Herrn Dr. Sch vom 22.11.2002 nicht den
wissenschaftlichen Mindestanforderungen an ein entsprechendes Gutachten
entsprechen. Vorzulegen wäre ein detailliertes Gutachten, welches
nachvollziehbare Aussagen über Ursachen und Auswirkungen der Störung sowie
diagnostische Feststellungen zum weiteren Verlauf der Behandlung enthält. Das
Gutachten hat im methodischen Vorgehen und in der Darstellung den Prinzipien
der Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu gehorchen. Die Befundtatsachen
müssen zunächst getrennt von ihrer Interpretation dargestellt werden. Bei
Interpretation und Schlussfolgerungen aus den erhobenen Informationen muss
angegeben werden, auf welche Befundtatsachen sie sich stützen. Erforderlich ist
auch eine Verschriftlichung des Explorationstextes, da nur auf dieser Grundlage
eine sorgfältige inhaltsanalytische Bearbeitung möglich ist. Ein bloß
zusammenfassender Bericht reicht nicht aus. Wesentlicher Bestandteil der
Begutachtung ist die inhaltliche Analyse der vom Arzt selbst erhobenen Aussage
in Bezug auf das Vorliegen und den Ausprägungsgrad von
Glaubhaftigkeitsmerkmalen. Wesentlich sind dabei methodische Vorkehrungen
(Konstanzanalyse, Kompetenzanalyse, Motivationsanalyse) zur Verhinderung
interessengeleiteter Aussagen und Angaben des Patienten im Hinblick auf einen
weiteren Aufenthalt in Deutschland (vgl. Urt. d. VG München v. 04.12.2000, NVwZ -
RR 2002, S. 230, 231).
Diesen Anforderungen wird das vorgelegte Gutachten in keiner Weise gerecht. Eine
Aussageanalyse wird nicht vorgenommen. Es wird lediglich ausgeführt, dass der
Antragsteller "in die dortigen ethnischen Konflikte persönlich tief involviert war".
Wegen seiner Volks- und Glaubenszugehörigkeit "wurde er ... durch türkische
Polizeikräfte misshandelt". Derartige Feststellungen werden sodann als Basis für
die beim Antragsteller festgestellte Störung genommen ("nach
lebensgeschichtlich belastenden Schlüsselerlebnissen"). Diesen Befundtatsachen
gegenüber steht der Umstand, dass die Asylverfahren des Antragstellers sowohl
im verwaltungsbehördlichen als auch im verwaltungsgerichtlichen Bereich
mehrfach als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurden. Beispielhaft sei hier
nur der Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 11.02.1999 zitiert wo
es heißt:
"Der Antrag war abzuweisen, da auch der 3. Folgeantrag von Herrn C ohne
Aussicht auf Erfolg ist, weil er rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist. Das Gericht
teilt die Ansicht des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid, dass der
Antragsteller versucht, unter Missbrauch der Rechtsformen aus Art. 16 a GG und §
51 AuslG deutsche Behörden gleichsam zu zwingen, ihn hier zu behalten". Sodann
wird dargelegt, dass die Aktionen des Antragstellers "den Hintergrund nicht
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wird dargelegt, dass die Aktionen des Antragstellers "den Hintergrund nicht
verstellen, dass Herr C - wie sich in vielen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren
immer wieder manifestiert hat - als junger Mann unverfolgt aus der Türkei
ausgereist ist und nunmehr versucht, wegen seines schon 13 Jahre langen
währenden hiesigen Aufenthaltes, mit allen Mitteln zu erreichen, in Deutschland
bleiben zu können."
Vor dem Hintergrund dieser gerichtlichen Erkenntnisse erstaunt es auch, dass das
psychiatrische Gutachten von Herrn Dr. Sch vom 22.11.2002 davon von dem
Befund ausgeht, dass der Antragsteller vor dem Hintergrund einer Ausreise seinen
Familienverband und sich erneut existenziell gefährdet und bedroht sieht. Nach
den Erkenntnissen aus einem Asylverfahren sowie vier Asylfolgeverfahren ist nicht
ersichtlich, worin die existenzielle Gefährdung des Familienverbandes und des
Antragstellers liegen sollte, sollte er alsbald zusammen mit seiner Familie in die
Türkei zurückkehren.
Obwohl somit vorliegend nicht von einer glaubhaft gemachten Reiseunfähigkeit
ausgegangen werden kann, soll daraufhingewiesen werden, dass eine mit der
Abschiebung in Zusammenhang stehende Suizidalität oder eine aufgrund einer
Belastungsstörung gegebenenfalls erforderliche ärztliche Behandlung eine
Rückführung nicht ausschließen. Es ist vielmehr Sache der mit der Abschiebung
betrauten Behörde, derartige Gefahren, die der Abzuschiebende bis zur
tatsächlichen Durchführung der Abschiebung muss geltend machen können,
angemessen zu begegnen. Die Behörde hat also gegebenenfalls durch ein
vorübergehendes Absehen von der Abschiebung oder durch eine entsprechende
tatsächliche Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen
(Beschl. d. Bundesverfassungsgerichts v. 16.04.2002, Inf. AuslR 2002, S. 415).
Dazu gehört, dass der Betroffene nicht nur ärztlich begleitet wird, sondern bei
seiner Ankunft eine Übergabe in ärztliche Obhut sichergesellt ist.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen, da er unterlegen ist, §
154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.