Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 12.05.2009

VG Frankfurt: allgemeine geschäftsbedingungen, treu und glauben, bayern, erwerb, internet, thüringen, nacht, schalter, genehmigung, anteil

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Gericht:
VG Frankfurt 12.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 K 4006/08.F
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 12 Abs 1 AEG, § 12 Abs 5
AEG, § 3 Abs 2 AGG, § 307
Abs 1 BGB, § 305c Abs 1 BGB
(Eisenbahnverkehrsunternehmen; Differenzierung des
Fahrpreises je nach Art des Fahrkartenerwerbs; mittelbare
Benachteiligung älterer Fahrgäste; allgemeine
Geschäftsbedingung)
Leitsatz
Die von einem Eisenbahnverkehrsunternehmen nach der Art des jeweiligen
Fahrkartenerwerbs vorgenommene Differenzierung des Fahrpreises stellt weder eine
mittelbare Benachteiligung älterer Fahrgäste nach § 3 Abs. 2 AGG dar, noch handelt es
sich um eine unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingung.
Tenor
Die in den gegenüber der Klägerin zu 1. ergangenen 14 Bescheiden des
Regierungspräsidiums Darmstadt vom 27.10.2008 enthaltenen Befristungen und
Bedingungen der jeweiligen Genehmigungen werden aufgehoben.
Die in den gegenüber der Klägerin zu 2. ergangenen 7 Bescheiden des
Regierungspräsidiums Darmstadt vom 27.10.2008 enthaltenen Befristungen und
Bedingungen der jeweiligen Genehmigungen werden aufgehoben.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105.000
Euro vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerinnen zu 1. und 2. sind bundesweit operierende
Eisenbahnverkehrsunternehmen mit Sitz in Frankfurt am Main. Die Klägerin zu 1.
ist Betreiberin des Schienenpersonennahverkehrs im Deutschen Bahnkonzern; bei
der Klägerin zu 2. handelt es sich um eine 100%ige Tochter der Klägerin zu 1. Die
Klägerinnen vertreiben ein „Schönes-Wochenende-Ticket“ (SWT) mit bundesweiter
Geltung und verschiedene im Geltungsbereich regional begrenzte Tickets (Länder-
Tickets) für acht Gültigkeitsgebiete (Baden-Württemberg; Bayern,
Brandenburg/Berlin; Mecklenburg-Vorpommern; Niedersachsen mit Bremen und
Hamburg; Rheinland-Pfalz/Saarland, Sachsen-Anhalt/Sachsen/Thüringen;
Schleswig-Holstein). Diese Tickets gelten für alle Nahverkehrszüge der Klägerinnen
(S-Bahn, Regionalbahn, Interregio-Express, Regional-Express) und in vielen
Verkehrsverbünden sowie in zahlreichen Zügen nicht bundeseigner Eisenbahnen
für beliebig viele Fahrten innerhalb eines bestimmten Zeitraumes. Die Klägerinnen
benutzen im Wesentlichen vier verschiedene Vertriebskanäle für das SWT und die
Länder-Tickets, nämlich die DB-Reisezentren in den Bahnhöfen, die DB-Agenturen
(Reisebüros), die DB-Automaten sowie das Internet unter www.bahn.de. Das SWT
und die Länder-Tickets sind bei einem Erwerb in einem DB-Reisezentrum oder
einer DB-Agentur („personenbedienter Erwerb außerhalb des Zuges“) zwei Euro
teurer als beim Kauf an einem DB-Automaten oder im Internet. Diese
Vertriebskanaldifferenzierung gilt beim SWT seit Dezember 2003 und bei den
Länder-Tickets seit November/Dezember 2004. Mit der
Vertriebskanaldifferenzierung verfolgen die Klägerinnen zwei Ziele, nämlich eine
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Vertriebskanaldifferenzierung verfolgen die Klägerinnen zwei Ziele, nämlich eine
Dämpfung der Personalkosten sowie die Umlegung der Kosten der Dienstleistung
beim personenbedienten Erwerb nur auf diejenigen Fahrgäste, die diese
Dienstleistung in Anspruch nehmen. Am 16. bzw. 22.09.2008 beantragte die
Klägerin zu 1. für sich in 14 Fällen und für die Klägerin zu 2. in 7 Fällen die
unbefristete Weiterführung der Beförderungsbedingungen für das SWT und die
Länder-Tickets nach § 12 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) beim
Regierungspräsidium Darmstadt für die Zeit ab dem 14.12.2008. Mit insgesamt 14
Bescheiden vom 27.10.2008 genehmigte das Regierungspräsidium Darmstadt die
von der Klägerin zu 1. gestellten Tarifanträge auf Weiterführung des SWT und der
Länder-Tickets bis zum 12.12.2009. Ab dem 13.12.2009 wurden die Tarifanträge
nur unter der Bedingung genehmigt, dass die in Ziffer 4.1.1 des jeweiligen
Tarifantrages vorgesehene Entgeltdifferenzierung beim Vertrieb im
personenbedingten Verkauf außerhalb des Zuges und an
Verkaufsautomaten/Internet aufgehoben wird. Zur Begründung wurde im
Wesentlichen ausgeführt, nach § 12 Abs. 5 S. 2 AEG könne die Genehmigung
versagt werden, wenn die Beförderungs- oder Entgeltbedingungen mit dem
geltenden Recht nicht in Einklang stünden. Die in den zugrundeliegenden
Tarifantrag enthaltene Vertriebskanaldifferenzierung zwischen dem
personenbedienten Erwerb außerhalb des Zuges und dem Erwerb am Automaten
bzw. im Internet stelle eine unzulässige mittelbare Benachteiligung aufgrund des
Alters und einer Behinderung dar. Sie verstoße damit gegen das
Benachteiligungsverbot des § 19 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
(AGG). Die Benachteiligung älterer und behinderter, insbesondere sehbehinderter
Menschen ergebe sich vorliegend aus tatsächlichen Erwägungen. Die Bedienung
von technischen Geräten wie Computern und Automaten falle typischerweise
älteren Menschen schwer. Eine Rechtfertigung für die festgestellte
Ungleichbehandlung komme vorliegend nicht in Betracht. Da bei der Entscheidung
neben dem Rechtsverstoß unter Vertrauensschutzgesichtspunkten auch zu
berücksichtigen sei, dass Tarifänderungen für die Klägerinnen mit aufwendigen und
vor allem langfristig angelegten Umstellungsmaßnahmen verbunden seien, sei die
Weiterführung der bisherigen Tarifstruktur bis zum 12.12.2009 befristet genehmigt
worden. Mit einer Ausnahme wurden die jeweiligen Bescheide den Klägerinnen am
27.10.2008 bekannt gegeben; die Bekanntgabe eines Bescheides erfolgte erst am
05.11.2008.
Die Klägerinnen haben am 27.11.2008 die vorliegenden Klagen erhoben.
Die Klägerinnen vertreten die Auffassung, die in den Genehmigungsbescheiden
vom 27.10.2008 enthaltenen Befristungen und Bedingungen seien rechtswidrig.
Das Regierungspräsidium Darmstadt habe zunächst die ihm im Rahmen des § 12
Abs. 5 AEG zukommende Prüfungskompetenz überschritten, weil es sich bei der
beanstandeten Preisdifferenzierung nicht um genehmigungsbedürftige
Entgeltbedingungen als Teil der Beförderungsbedingungen im Sinne des § 12 Abs.
1 S. 2 AEG handele; vielmehr sei der Bereich des Beförderungsentgeltes betroffen,
der jedoch seit Mitte 2007 nicht mehr einer Genehmigungsbedürftigkeit unterliege.
Aber auch wenn man die Vertriebskanaldifferenzierung als Teil der
Beförderungsbedingungen einordnen würde, wäre der Beklagte verpflichtet
gewesen, die beantragten Genehmigungen ohne Nebenbestimmungen zu
erlassen. Aus der Systematik des Gesetzes ergebe sich, dass der
Genehmigungsbehörde nur ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab zustehe, der
sich auf das Vorliegen von evidenten Verstößen gegen die in § 12 Abs. 5 S. 2 AEG
genannten Gesetze beschränke. Die Vertriebskanaldifferenzierung verstoße nicht
gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), da es sich hierbei nicht
um eine mittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG handele. Dies
käme nur in Betracht, wenn beim personenbedienten Erwerb des SWT oder der
Länder-Tickets ältere Fahrgäste überproportional vertreten seien. Dies entspreche
jedoch nicht der Lebenserfahrung. Gerade unter der Gruppe der älteren Fahrgäste
befände sich ein Großteil erfahrender Bahnfahrer, die ihre Tickets schon seit Jahren
an Automaten erwerben würden. Darüber hinaus seien das SWT und die
überwiegende Anzahl der Länder-Tickets auch als Gruppentickets erhältlich, so
dass es wahrscheinlich sei, dass innerhalb dieser Gruppe zumindest eine Person
sei, die das Ticket am Automaten oder im Internet erwerben könnte. Abgesehen
davon, erfordere die Annahme einer mittelbaren Benachteiligung, dass diese
jedenfalls eine gewisse Intensität erreiche, was vorliegend jedoch nicht der Fall sei.
Im Übrigen sei eine Ungleichbehandlung der Fahrgäste je nach dem, auf welche
Weise sie ihre Fahrkarte erwerben, nicht gegeben, da bei dem personenbedienten
Erwerb die zusätzlichen Leistungen Beratung und Erstellen des Fahrscheines
erbracht würden.
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Die Klägerin zu 1. beantragt,
die in den nachfolgend aufgeführten Bescheiden des Regierungspräsidiums
Darmstadt vom 27.10.2008 enthaltenen Befristungen der Genehmigungen bis
zum jeweils 12.12.2009 sowie die enthaltenen Bedingungen der Genehmigungen
für die Zeit ab dem 13.12.2009 aufzuheben:
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Schönes-Wochenende-Tickets“ (SWT),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Baden-Württemberg-Tickets“ (BW-T) und „Baden-Württemberg-
Tickets Single“ (BW-T-S) und „Baden-Württemberg-Tickets Nacht“ (BW-T N),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung des
„Bayern-Tickets“ (BY-T) und „Bayern-Tickets Single“ (BY-T S) und „Bayern-Tickets
Nacht“ (BY-T N),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Brandenburg-Berlin Ticket (BB-B-T)“ und „Brandenburg-Berlin-
Ticket Nacht“ (BB-B-T N),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Mecklenburg-Vorpommern-Tickets“ (MV-T) und „Mecklenburg-
Vorpommern-Tickets Single“ (MV-T S),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Niedersachsen-Tickets“ (NI-T) und „Niedersachsen-Tickets Single“
(NI-T S),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Rheinland-Pfalz-Tickets“ (RP-T) und „Rheinland-Pfalz-Tickets Single“
(RP-T S) und „Saarland-Tickets“ (SL-T) und „Saarland-Tickets Single“ (SL-T S),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Sachsen-Ticket“ (SN-T) und „Sachsen-Ticket Single „SN-T S) und
„Sachsen-Anhalt-Ticket“ (ST-T) und „Sachsen-Anhalt-Ticket Single“ (ST-T S) und
„Thüringen-Ticket“ (TH-T) und „Thüringen-Ticket Single“ (TH-T S),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Schleswig-Holstein-Tickets“ (SH-T),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Regio Tickets Baden-Württemberg“ und „Regio Tickets Bayern“,
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Regio Calw/RegioX plus Calw“,
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Hopper Ticket Thüringen“ und „Hopper-Ticket Sachsen-Anhalt“,
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „EgroNet Ticket“,
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Werdenfels-Ticket, Werdenfels-Ticket + Seefeld
hilfsweise
unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide vom 27.10.2008 den
Beklagten zu verpflichten, der Klägerin zu 1. die am 16.09.2008 bzw. 22.09.2008
jeweils beantragten Genehmigungen nach § 12 AEG ohne die angegriffenen
Nebenbestimmungen zu erteilen.
Die Klägerin zu 2. beantragt,
die in den nachfolgend aufgeführten Bescheiden des Regierungspräsidiums
Darmstadt vom 27.10.2008 enthaltenen Befristungen der Genehmigungen bis
zum jeweils 12.12.2009 sowie die enthaltenen Bedingungen der Genehmigungen
für die Zeit ab dem 13.12.2009 aufzuheben:
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Schönes-Wochenende-Tickets“ (SWT),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Bayern-Tickets“ (BY-T) und „Bayern-Tickets Single“ (BY-T S) und
„Bayern-Tickets Nacht“ (BY-T N),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Brandenburg-Berlin Ticket (BB-B-T)“ und „Brandenburg-Berlin-
Ticket Nacht“ (BB-B-T N),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Rheinland-Pfalz-Tickets“ (RP-T) und „Rheinland-Pfalz-Tickets Single“
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bezüglich des „Rheinland-Pfalz-Tickets“ (RP-T) und „Rheinland-Pfalz-Tickets Single“
(RP-T S) und „Saarland-Tickets“ (SL-T) und „Saarland-Tickets Single“ (SL-T S),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Sachsen-Ticket“ (SN-T) und „Sachsen-Ticket Single“ (SN-T S) und
„Sachsen-Anhalt-Ticket“ (ST-T) und „Sachsen-Anhalt-Ticket Single“ (ST-T S) und
„Thüringen-Ticket“ (TH-T) und „Thüringen-Ticket Single“ (TH-T S),
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Regio Tickets Baden-Württemberg“ und „Regio Tickets Bayern“,
Bescheid des RP Darmstadt vom 27.10.2008 betreffend die Entscheidung
bezüglich des „Hopper Ticket Thüringen“ und „Hopper-Ticket Sachsen-Anhalt“,
hilfsweise
unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide vom 27.10.2008 den
Beklagten zu verpflichten, der Klägerin zu 2. die am 16.09.2008 bzw. 22.09.2008
jeweils beantragten Genehmigungen nach § 12 AEG ohne die angegriffenen
Nebenbestimmungen zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Der Beklagte vertritt die Auffassung, die in den jeweiligen Genehmigungen
enthaltenen Nebenbestimmungen einer Befristung und einer Bedingung seien
rechtmäßig. Der von den Klägerinnen erhobene Bedienzuschlag unterliege der
Genehmigungspflicht, da es sich hierbei um eine Entgeltbedingung handele. Das
Gesetz enthalte auch keinen Hinweis dahingehend, dass die
Genehmigungsbehörde auf eine bloße Evidenzkontrolle hinsichtlich eines
Rechtsverstoßes beschränkt sei; dem stünde vielmehr das Prinzip der
Gesetzesmäßigkeit der Verwaltung entgegen. Die vorgenommene
Vertriebskanaldifferenzierung stelle auch eine mittelbare Benachteiligung älterer
Fahrgäste dar, wobei die Altersgrenze mit dem gesetzlichen Rentenalter
sachgerecht konkretisiert werden könnte. Bezugsgröße für die Feststellung der
Benachteiligung könne nur die Gesamtgruppe aller Nutzer des SWT bzw. der
Länderticket sein. Unter denjenigen, die zum Ticketerwerb am Schalter gezwungen
seien, und somit den Bedienzuschlag von 2,- € entrichten müssten, sei aufgrund
altersbedingter Einschränkungen der Anteil älterer Menschen besonders hoch. So
habe etwa - wie unstreitig ist - der Anteil der Gruppe der über 60-jährigen, die über
einen Internetanschluss im Jahre 2008 verfügt hätten, nur bei 25,4 % gelegen.
Viele ältere Menschen verfügten auch nicht über Verwandte oder jüngere
Bekannte in der näheren Umgebung, die für sie ein Ticket am Automaten bzw. im
Internet erwerben könnten. Die von den Klägerinnen genannten Gründe für die
Vertriebskanaldifferenzierung, nämlich die Ersparnis von Personalkosten und die
Umlegung der Kosten für die Dienstleistung auf die Inanspruchsnehmer, stellten
keine sachliche Rechtfertigung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG dar. Darüber hinaus
verstoße die Vertriebskanaldifferenzierung als überraschende Klausel gegen § 305
c Abs. 1 BGB. Außerdem stelle sie eine unangemessene Benachteilung der
Kunden dar, und verstoße deshalb gegen § 307 Abs. 1 BGB.
Die Klägerinnen vertreten demgegenüber die Auffassung, bei der beanstandenden
Tarifbestimmung handele es sich nicht um eine überraschende Klausel, da es
heute vielfach üblich sei, Dienstleistungen ohne Beratung bzw. Bedienung
günstiger anzubieten. § 307 Abs. 1 BGB sei gemäß Abs. 3 der Vorschrift nicht
anwendbar, da Klauseln, die Art und Umfang der vertraglichen
Hauptleistungspflicht und das dafür zu zahlende Entgelt unmittelbar regeln, der
Inhaltskontrolle nicht unterliegen würden.
Das Gericht hat die Behördenunterlagen (14 Heftstreifen) beigezogen und sie zum
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Klagen sind zulässig.
Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage. Mit ihren Hauptanträgen verfolgen
die Klägerinnen jeweils die Aufhebung der in den Bescheiden des
Regierungspräsidiums Darmstadt vom 27.10.2008 enthaltenen Befristungen und
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Regierungspräsidiums Darmstadt vom 27.10.2008 enthaltenen Befristungen und
Bedingungen. Zwar handelt es sich bei einer Befristung und einer Bedingung nicht
um einen selbständigen Verwaltungsakt, sondern um einen unselbständigen
Bestandteil des Hauptverwaltungsaktes, hier der jeweiligen Genehmigung.
Trotzdem können Befristung und Bedingung als Teile eines Verwaltungsaktes
gesondert mit der Anfechtungsklage angefochten werden (BVerwG, Urt. v.
22.11.2000 - 11 C 2/00 -, BVerwGE 112, 221 Kopp/Schenke, VwGO -Kommentar,
15. Aufl. 2007, § 42 Rn. 22 m.w.N.).
Die Klagen sind auch begründet.
Die in den jeweiligen Bescheiden des Regierungspräsidiums Darmstadt vom
27.10.2008 enthaltenen Befristungen und Bedingungen der Genehmigungen sind
rechtswidrig und verletzen die Klägerin dadurch in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1
S. 1 VwGO). Die Klägerinnen haben einen Anspruch gegen das beklagte Land auf
eine uneingeschränkte Genehmigung der von ihnen vorgelegten Tarife
(Beförderungsbedingungen) für das SWT und die jeweiligen Länder-Tickets.
Nach § 12 Abs. 5 S. 2 AEG kann die Genehmigung von Beförderungsbedingungen
versagt werden, wenn sie mit dem geltenden Recht, insbesondere mit den
Grundsätzen des Handelsrechts und den Vorschriften über die Gestaltung
rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse durch allgemeine Geschäftsbedingungen,
nicht in Einklang stehen. Nach § 12 Abs. 1 S. 2 umfassen die
Beförderungsbedingungen der Eisenbahnverkehrsunternehmen auch die
Entgeltbedingungen. Ob es sich bei dem hier im Streit stehenden Zuschlag für den
Erwerb des SWT und der Länder-Tickets am Schalter um eine der
Genehmigungsbedürftigkeit unterliegende Entgeltbedingung oder um ein
genehmigungsfreies Beförderungsentgelt handelt, bedarf letztlich keiner
Entscheidung. Entsprechendes gilt hinsichtlich des Umfangs der
Prüfungskompetenz der Genehmigungsbehörde, wobei jedoch angemerkt sei,
dass sich dem Gesetzeswortlaut die von den Klägerinnen vertretene Annahme, die
Genehmigungsbehörde sei auf eine Evidenzkontrolle beschränkt, nicht entnehmen
lässt. Beide Probleme bedürfen keiner Entscheidung, da das Regierungspräsidium
Darmstadt zu Unrecht die von den Klägerinnen gewählte
Vertriebskanaldifferenzierung beanstandet hat. Die Vertriebskanaldifferenzierung
verstößt nicht gegen geltendes Recht, insbesondere nicht gegen das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz und die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches
über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Die Vertriebskanaldifferenzierung stellt keine mittelbare Benachteiligung gemäß §
3 Abs. 2 AGG dar. Danach liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem
Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, Personen wegen
eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer
Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien
oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die
Mittel sind zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich. Das Gericht
teilt nicht die Auffassung des Regierungspräsidiums Darmstadt, wonach in der
Vertriebskanaldifferenzierung eine mittelbare Benachteiligung der älteren
Fahrgäste liege. § 3 Abs. 2 AGG setzt für die Annahme einer mittelbaren
Benachteiligung voraus, dass bestimmte Personen in besonderer Weise
benachteiligt werden können. Eine Benachteiligung in besonderer Weise kann zum
einen durch eine überwiegend prozentuale Benachteiligung und zum anderen
durch eine besonders schwerwiegende Benachteiligung eintreten (Roesner, Das
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, 1. Aufl. 2006, S. 92). Auf den vorliegenden
Fall übertragen bedeutet dies, dass eine mittelbare Benachteiligung der älteren
Fahrgäste nur dann angenommen werden könnte, wenn die Gruppe der älteren
Benutzer des SWT bzw. der Länder-Tickets zu einem weitüberwiegenden
Prozentsatz altersbedingt darauf angewiesen wäre, den personenbedienten
Verkauf der Tickets in Anspruch nehmen zu müssen, während dies bei den übrigen
Nutzern der Tickets nicht der Fall wäre. Hiervon kann jedoch nicht ausgegangen
werden. Zunächst liegen keine diesbezüglich aussagekräftigen Statistiken oder
sonstige Unterlagen vor. Auch kann keinesfalls aufgrund der allgemeinen
Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass die älteren Nutzer des SWT
bzw. der Länder-Tickets in einer besonderen Weise benachteiligt werden. Dem
Regierungspräsidium ist insoweit zuzustimmen, wenn es ausführt, das gerade
ältere Personen sich aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen und/oder
fehlender Kenntnisse in der Bedienung von Automaten in einer Vielzahl von Fällen
an die Bediensteten am Schalter der jeweiligen Einrichtung wenden werden, etwa
bei der Abhebung von Geldbeträgen auf einer Bank. Das Regierungspräsidium
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bei der Abhebung von Geldbeträgen auf einer Bank. Das Regierungspräsidium
Darmstadt hat auch mit Recht darauf hingewiesen, dass der Anteil der Gruppe der
über 60-jährigen mit einem Internetanschluss im Jahre 2008 nur 25,4% betragen
hat (van Eimeren/Frees in Media-Perspektiven 2008, 330, 332). Die
diesbezüglichen Ausführungen des Regierungspräsidiums Darmstadt beziehen
sich jedoch nicht auf den Kreis der älteren Nutzer der jeweiligen Tickets, sondern
auf die Gruppe der Senioren als Teil der Gesamtbevölkerung bzw. der
Internetnutzer. Nach Auffassung des Gerichts ist die Frage, welcher Vertriebskanal
in Anspruch genommen wird, weniger eine Frage des Alters der jeweiligen
Bahnkunden. Vielmehr dürfte entscheidend sein, über welchen Erfahrungsschatz
der jeweilige Bahnkunde verfügt, was wiederum wesentlich durch die Häufigkeit der
Inanspruchnahme der Leistungen der Klägerinnen bestimmt wird. Ältere
Fahrgäste, die das SWT oder die Länder-Tickets der Klägerinnen wiederholt als
Einzelperson oder als Mitglied einer Gruppe in Anspruch nehmen, werden in nicht
unerheblicher Anzahl in der Lage sein, diese Tickets an einem Automaten oder im
Internet zu erwerben. Darüber hinaus entspricht es auch der allgemeinen
Lebenserfahrung, dass bei der Inanspruchnahme eines Gruppentickets es die
Ausnahme sein dürfte, dass keines der Gruppenmitglieder in der Lage sein wird,
das Ticket außerhalb des personenbedienten Verkaufs zu erwerben.
Wie bereits ausgeführt, kann eine Benachteiligung in besonderer Weise auch dann
vorliegen, wenn zwar eine überwiegende prozentuale Benachteiligung einer
Personengruppe nicht festgestellt werden kann, die Maßnahme jedoch einen
besonders schwerwiegenden Eingriff mit sich bringt. Ein solcher schwerwiegender
Eingriff liegt hier jedoch nicht vor. Selbst bei einer mehrmaligen Nutzung des SWT
oder der Länder-Tickets entstehen durch die bei einem personenbedienten Erwerb
zusätzlich anfallenden 2,- € keine unverhältnismäßigen Mehrbelastungen, zumal
hier zusätzliche Dienstleistungen der Klägerinnen in Anspruch genommen werden.
Die Vertriebskanaldifferenzierung verstößt auch nicht gegen die Bestimmungen
des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Gestaltung rechtsgeschäftlicher
Schuldverhältnisse durch Allgemeine Geschäftsbedingungen. Zunächst stellt die
Tarifbestimmung keine überraschende Klausel im Sinne des § 305 c Abs. 1 BGB
dar. Nach dieser Vorschrift werden Bestimmungen in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem
äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich sind, dass der
Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht
Vertragsbestandteil. Bei der unter Ziff. 4. 1.1 der Beförderungsbedingungen
getroffenen Vertriebskanaldifferenzierung handelt es sich um eine für eine Vielzahl
von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung und damit um eine Allgemeine
Geschäftsbedingung i.S.d. §§ 305 ff. BGB. Die genannte Tarifbestimmung ist
jedoch nicht als eine überraschende Klausel zu werten, da es im heutigen
Geschäftsverkehr vielfach üblich ist, Dienstleistungen ohne Beratung bzw.
Bedienung günstiger anzubieten. Hiervon geht auch das Regierungspräsidium
Darmstadt aus. Die von ihm erhobenen Einwände gegen die Klausel betreffen
nicht deren Inhalt, sondern deren Bewerbung, wobei das Regierungspräsidium von
der unzutreffenden Annahme ausgeht, in dem von den Klägerinnen betriebenen
Personennahverkehr sei eine Sitzplatzreservierung möglich.
Es liegt schließlich auch kein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 BGB vor, wonach
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam sind, wenn sie
den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und
Glauben unangemessen benachteiligen. Klauseln, die die Art und den Umfang der
vertraglichen Hauptleistungspflicht und den dafür zu zahlenden Preis (Entgelt)
unmittelbar regeln, unterliegen nicht der Inhaltskontrolle (BGH, Urt. vom
18.04.2002 - III ZR 199/01, NJW 2002, 2386-2388). Die Ausstellung der Fahrkarte
an einem Schalter eines DB Reisezentrums oder einer DB Agentur (Reisebüro) ist
untrennbarer Teil der vertraglichen Hauptleistungspflicht der Klägerinnen, da sich
der Anspruch auf die Beförderungsleistungen aus dem Fahrschein ergibt; der
Fahrschein ist die Urkunde, die zur Beförderung berechtigt (vgl. BGH, Urt. v.
01.02.2005 - X ZR 10/04 -, veröffentlicht in juris).
Der Beklagte hat als unterliegender Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu
tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf §§
167 VwGO, 709 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.