Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 18.02.2010

VG Frankfurt: wichtiger grund, ausbildung, unverzüglich, rechnungswesen, universität, interessenabwägung, hochschule, gewissheit, unterlassen, nummer

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Gericht:
VG Frankfurt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 L 3907/09.F
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 7 Abs 3 BAföG
Fachrichtungswechsel aus wichtigem Grund und
Gewährung von Ausbildungsförderung
Leitsatz
Einzelfall, bei dem der Eignungsmangel am Ende des zweiten Fachsemesters dem
Auszubildenden nicht verborgen geblieben sein kann.
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.
Gründe
Der am 01. Dezember 2009 gestellte Antrag,
den Antragsgegner im Wege einer einstweilige Anordnung zu verpflichten, dem
Antragsteller vorläufig Ausbildungsförderung für das Wintersemester 2009/2010 in
gesetzlicher Höhe zu bewilligen,
hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung
eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen
werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur
Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint.
Die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs
(Anordnungsanspruch) und der Grund der Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) sind
glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO.
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht
glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, einen
Förderungsanspruch nach den Vorschriften des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes – BAföG – für sein Studium im
Studiengang Wirtschaftspsychologie an der Hochschule F. H. zu haben. Der
Antragsgegner hat mit dem Bescheid vom 15. Oktober 2009 zu Recht die
Bewilligung von Leistungen nach dem BAföG für das vom Antragsteller ab dem
Wintersemester 2009/ 2010 betriebene Studium an der Hochschule F. H. im
Grunde nach abgelehnt.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für die weiterführende
allgemeinbildende und zumindest für drei Schul- oder Studienjahre berufsbildende
Ausbildung im Sinne der §§ 2 und 3 BAföG bis zu einem daran anschließenden
berufsqualifizierenden Abschluss geleistet.
Ob eine Förderung nach einem Fachrichtungswechsel (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BAföG) in
Betracht kommt, richtet sich nach § 7 Abs. 3 BAföG. Danach wird
Ausbildungsförderung für eine andere Ausbildung geleistet, wenn der
Auszubildende die Fachrichtung aus wichtigem (Nummer 1) oder unabweisbarem
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Auszubildende die Fachrichtung aus wichtigem (Nummer 1) oder unabweisbarem
(Nummer 2) Grund gewechselt hat. Bei Auszubildenden an Hochschulen gilt Nr. 1
nur bis zum Beginn des vierten Fachsemesters (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG). Beim
erstmaligen Fachrichtungswechsel wird in der Regel vermutet, das ein wichtiger
Grund vorliegt; bei Auszubildenden an Hochschulen gilt dies nur, wenn der Wechsel
bis zum Beginn des dritten Fachsemesters erfolgt (§ 7 Abs. 3 Satz 4 BAföG). Diese
Anspruchsvoraussetzungen sind im Falle des Antragstellers nicht erfüllt.
Ein wichtiger Grund im oben genannten Sinne liegt nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann vor, wenn dem
Auszubildenden die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung nicht mehr zugemutet
werden kann (BVerwG, Urteil vom 21.06.1990 – BVerwGE 85, 194 (195)). Dabei ist
eine Interessenabwägung vorzunehmen unter Berücksichtigung aller im Rahmen
der Ausbildungsförderung erheblichen Umstände, die sowohl durch die am Ziel
und Zweck der Ausbildungsförderung orientierten öffentlichen Interessen als auch
durch die Interessen des Auszubildenden bestimmt werden (BVerwG, Urteil vom
22.06.1989 – BVerwGE 82, 163 (164)). Im Rahmen dieser Interessenabwägung
kommt es in erster Linie auf die Dauer der Ausbildung bis zum
Fachrichtungswechsel an. Während in der Eingangsphase geringere Anforderungen
an die Anerkennung eines wichtigen Grundes zu stellen sind, werden mit
zunehmender Dauer der bisherigen Ausbildung entsprechend höhere
Anforderungen zu stellen sein (BVerwG, Urteil vom 21.06.1990 aaO; HessVGH,
Urteil vom 19.06.2006 – 10 UE 2260/05 – m. w. N.). Bricht ein Auszubildender sein
Erststudium erst kurz vor dem offiziellen Ende des dritten Fachsemesters ab, wird
seine Motivation dafür an einem strengeren Maßstab gemessen; denn der
Gesetzgeber hat einen wichtigen Grund für einen Studienwechsel ab Beginn des
vierten Semesters gänzlich ausgeschlossen. Die nach dem Gesetz mögliche
Anerkennung eines wichtigen Grundes noch bis zum Beginn des vierten
Semesters markiert also nur die äußerste Grenze und darf nicht dahin
missverstanden werden, dass bis zu diesem Zeitpunkt stets eine Orientierungs-
und Überlegungsfrist besteht.
Bei der Interessenabwägung spielt daneben eine wesentliche Rolle, ob der
Auszubildende die vom Gesetz vorausgesetzte Obliegenheit zur
verantwortungsbewussten, vorausschauenden und umsichtigen Planung sowie zur
zügigen, zielstrebigen Durchführung seiner Ausbildung hinreichend erfüllt hat. Vom
Auszubildenden wird erwartet, dass er vor Aufnahme der Ausbildung gewissenhaft
prüft, ob die Ausbildung seinen Neigungen entspricht und er den Anforderungen
voraussichtlich gewachsen sein wird. Stellt sich die geforderte Prognose im Laufe
der Ausbildung als falsch heraus, so wird vom ihm verlangt, dass er den Neigungs-
oder Eignungsmangel zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkennt und daraus
unverzüglich Konsequenzen zieht.
Dies beinhaltet auch die Verpflichtung des Auszubildenden, sich den
Leistungsanforderungen rechtzeitig, d. h. zu den in den
Ausbildungsbestimmungen oder Studienplänen regelmäßig vorgesehenen
Zeitpunkten zu stellen. Der Auszubildende darf mit dem Fachrichtungswechsel
nicht so lange warten, bis er eine letzte Gewissheit seiner mangelnden Eignung
durch das endgültige Nichtbestehen einer Prüfung erhält. Bei Zweifeln an seiner
Eignung oder Neigung für die gewählte Ausbildung muss sich der Auszubildende
unverzüglich Gewissheit verschaffen und die Ausbildung schon dann aufgeben,
wenn sich ihn der Neigungs- oder Eignungsmangel – etwa aufgrund anhaltend
schlechter Leistungen – aufdrängen muss. Allein der Umstand, dass er subjektiv
immer noch die Hoffnung hat, die Ausbildung doch noch erfolgreich abschließen zu
können, rechtfertigt kein weiteres Zuwarten. Er hat unverzüglich, d. h. ohne
schuldhaftes Zögern, entweder die Ausbildung abzubrechen oder das Studienfach
zu wechseln, wobei diese Verpflichtung selbst Teil der Anforderungen ist, die an
das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 7 Abs. 3 BAföG zu stellen
sind (BVerwG, Urteil vom 21.06.1990 – FamRZ 1991, 119 (120) n. w. N.; HessVGH,
Beschluss vom 07.11.2002 – FamRZ 2003, 1231).
Ob der Auszubildende seiner Verpflichtung zum unverzüglichen Handeln
entsprochen hat, beurteilt sich nach objektiven Umständen, wobei auch in
subjektiver Hinsicht zu prüfen ist, ob ein etwaiges Unterlassen notwendiger
Maßnahmen dem Auszubildenden vorwerfbar ist und ihn damit ein Verschulden
trifft oder ob ein solches Unterlassen durch ausbildungsbezogene Umstände
gerechtfertigt ist. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Auszubildende
durch den speziellen Aufbau seiner Ausbildung erst verhältnismäßig spät mit
besonderen Anforderungen konfrontiert wird, denen er sich nicht gewachsen fühlt.
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Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller in seiner Begründung für den
Fachrichtungswechsel vom 22.07.2009 dargelegt, dass er während des dritten
Semesters erkannt habe, dass der Studiengang Wirtschaftswissenschaften nicht
seinen Neigungen entspreche, da er einerseits zu wissenschaftlich ausgerichtet sei
und er andererseits sehr starkes Interesse an der Psychologie entwickelt habe.
Insoweit hat der Antragsgegner in seinem Bescheid vom 15. Oktober 2009
zutreffend darauf hingewiesen, dass angesichts der oben dargelegten
Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 7 Abs. 3
BAföG vom Antragsteller zu verlangen war, das er bereits zu einem früheren
Zeitpunkt erkennt, das ein rein wissenschaftliches Studium nicht seinen
Neigungen und Interessen entspricht. Dies bedarf indessen keiner weiteren
Vertiefung, weil dem Antragsteller bereits in seinem zweiten Fachsemester sein
Eignungsmangel nicht verborgen geblieben sein kann, ohne dass er daraus die
notwendigen Konsequenzen gezogen hätte.
Nach den fächerspezifischen Bestimmungen der Universität B. für das Fach
Wirtschaftswissenschaften vom 01. Oktober 2007 (= Anlage zu § 1 Abs. 1 der
Studien- und Prüfungsordnung für das Bachelorstudium (BPO) an der Universität
B. vom 15. März 2006 mit Berichtigungen vom 05. April 2006 und Änderungen
vom 01. März 2007) setzt die fachliche Basis (§ 8 Abs. 1 Satz 1 BPO), an der die
Studierenden – und damit auch der Antragsteller – regelmäßig und aktiv
teilzunehmen hatten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 BPO), die Teilnahme an den Modulen
„Einführung in die Wirtschaftswissenschaften“ (Modul 1) im ersten Fachsemester
„Mathematik“ (Modul 2), „Statistik“ (Modul 3), „Rechnungswesen“ (Modul 4) und „
Recht“ (Modul 20) als Basismodul im vertiefenden Nebenfach im ersten und
zweiten Semester sowie schließlich „Mikroökonomik“ (Modul 5) im zweiten
Semester voraus.
Nach § 9 Abs. 3 BPO werden für jede Lehrveranstaltung bzw. für jedes Modul
Leistungspunkte vergeben und dokumentiert, wenn alle Anforderung der
Veranstaltung oder des Moduls erfüllt sind.
Für die oben beschriebene Module konnten folgende Leistungspunkte (LP)
erworben werden: Einführung in die Wirtschaftswissenschaften 8 LP, Mathematik 12
LP, Statistik 8 LP, Rechnungswesen 12 LP, Mikroökonomik 6 LP und Recht 8 LP,
insgesamt also 54 LP.
Hiervon hat der Antragsteller im ersten Fachsemester überhaupt keinen
Leistungspunkt erworben. Zwar weist der Antragsteller im Schriftsatz seines
Bevollmächtigten vom 05. Februar 2010 darauf hin, dass er im ersten Semester
drei Klausuren geschrieben hat. Ausweislich des vom Antragsteller überreichten
Transcriptes der Universität B. (Blatt 31 f der Akte) hat der Antragsteller im
Sommersemester 2007, seinem ersten Fachsemester, sogar vier Klausuren
geschrieben (externes Rechnungswesen, Mikroökonomik, Entscheidungstheorie
und Schuldrecht), die jedoch sämtlich mit der Note 5.0 benotet wurden. Im zweiten
Fachsemester hat der Antragsteller durch das Bestehen von zwei Klausuren die
acht Leistungspunkte des Modules 1 (Einführung in die Wirtschaftswissenschaften)
erworben und darüber hinaus im Modul 4 (Rechnungswesen) 8 der 12
Leistungspunkte erworben.
Dass der Antragsteller trotz Teilnahme an vier Klausuren im ersten Fachsemester
keinen Leistungspunkt und am Ende des zweiten Fachsemesters von bei
planmäßigem Studienverlauf erreichbaren 54 Leistungspunkten lediglich 16
Leistungspunkte erworben hatte, belegt einen Eignungsmangel, der auch dem
Antragsteller nicht verborgen geblieben sein kann. Daraus nicht unverzüglich die
oben beschriebenen Konsequenzen gezogen zu haben, führt dazu, dass im Falle
des Antragstellers ein wichtiger Grund im Sinne des § 7 Abs. 3 BAföG für den
Fachrichtungswechsel zum Studium der Wirtschaftspsychologie an der Hochschule
F. H. nicht angenommen werden kann.
Als unterliegender Beteiligter trägt der Antragsteller die Kosten des Verfahrens, §
154 Abs. 1 VwGO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.