Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 15.10.2001

VG Frankfurt: öffentliches interesse, häusliche gemeinschaft, geburt, verordnung, adoption, adoptivmutter, besoldung, dienstverhältnis, dienstrecht, analogie

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Gericht:
VG Frankfurt 9.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 E 3805/00
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
§ 4 HMuSchV kann auf Adoptionsmütter nicht analog
angewandt werden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Bezügen, die ihr für die Zeit
vom 02. August 1999 bis 30. September 1999 i. H. v. 5.302,83 DM brutto gewährt
wurden, obwohl sie während dieser Zeit (und darüber hinaus) im Erziehungsurlaub
stand. Der Erziehungsurlaub war der Klägerin kurzfristig bewilligt worden, da sie
zum 02. August 1999 gemeinsam mit ihrem Ehemann ein am 01. August 1999
geborenes Kind in ihre häusliche Gemeinschaft aufnahmen, und zwar mit dem
Ziel, das Kind später zu adoptieren. Die Adoption wurde am 27. Juni 2000
rechtswirksam, und zwar auf der Grundlage des Beschlusses des Amtsgerichts
Königstein vom 20. Juni 2000.
Die Besoldungsüberzahlung für die Zeit vom 02. August bis 30. September 1999
trat dadurch ein, dass der Erziehungsurlaub kurzfristig bewilligt wurde und deshalb
die Zahlungen durch die Besoldungskasse nicht früher als zum Monat Oktober
1999 angehalten werden konnten.
Nach vorheriger Anhörung der Klägerin forderte das Regierungspräsidium
Darmstadt mit Bescheid vom 12. Mai 2000 von der Klägerin die Rückzahlung der
für den genannten Zeitraum geleisteten Besoldung und Bezüge i. H. v. 5.302,83
DM brutto (Bl. 14 f. d. A.). In dem Bescheid wird davon ausgegangen, dass die
Klägerin den mangelnden rechtlichen Grund für die Zahlung der Bezüge
hinsichtlich des genannten Zeitraumes kannte infolge grober Fahrlässigkeit nicht
kannte. Was die Billigkeitserwägungen nach § 12 Abs. 2 S. 3 BBesG angeht, wird
im Bescheid ausgeführt, diese Entscheidung habe die Aufgabe, eine allen
Umständen des Einzelfalles gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für
den Bereicherten tragbare Lösung zu ermöglichen. Insoweit verneinte das
Regierungspräsidium nach Abwägung des öffentlichen und privaten Interesses
einen gänzlichen oder teilweisen Verzicht auf Rückerstattung. Gleichzeitig wurde
die Möglichkeit der Gewährung angemessener Teilzahlungen angeboten, wobei
näheres nach Darlegung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu regeln
sei.
Mit ihrem Widerspruch vom 12. Juni 2000 machte die Klägerin geltend, es bestehe
ein besonderes öffentliches Interesse daran, dass für eine Adoption in Frage
kommende Eltern auch kurzfristig zur Verfügung stünden. Dies kollidiere mit den
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kommende Eltern auch kurzfristig zur Verfügung stünden. Dies kollidiere mit den
Belangen der Betroffenen, die dann plötzlich eine sehr weitreichende Entscheidung
treffen müssten, andererseits jedoch keinerlei Zuwendungen erhielten. So habe
sie weder einen Zuschuss zu dem Erwerb der Erstausstattung erhalten, noch seien
in der Folgezeit Unterstützungsleistungen erbracht worden. Im Verhältnis zu der
Geburt von leiblichen Kindern, bei denen jedenfalls für die ersten 6 Wochen nach
der Geburt eine Fortzahlung der Bezüge erfolge, liege bei einer Adoption eine
ungerechtfertigte Schlechterstellung vor. Diese Ungleichgewichtigkeit solle
jedenfalls im öffentlichen Dienstrecht mit einer Anwendung des § 12 Abs. 2 S. 3
BBesG angemessen geschlossen werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2000 wies das Regierungspräsidium
Darmstadt den Widerspruch der Klägerin zurück (Bl. 10 f. d. A.). Dabei wird im
wesentlichen auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug
genommen. Die zur Begründung des Widerspruchs gemachten Angaben seien
trotz allen Verständnisses für die außergewöhnliche Situation nicht geeignet, eine
Änderung herbeizuführen.
Mit ihrer am 26. Juli 2000 erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung der
Bescheide und macht geltend, sie habe Anspruch auf Erhalt bzw. Belassung der
Dienstbezüge, da § 4 der Hessischen Verordnung über den Mutterschutz für
Beamtinnen i. V. m. § 3 dieser Verordnung für eine Zeitspanne von 8 Wochen ab
der Entbindung die Fortzahlung der Bezüge garantiere und auf sie als
Adoptionsmutter analog anzuwenden sei. Die Schutzfrist diene dem Zweck, der
Frau die Möglichkeit zu geben, sich dem neugeborenen Kind in seiner ersten
Lebensphase voll zu widmen, es zu pflegen und zu betreuen, ohne durch Pflichten
aus dem Arbeits- bzw. Dienstverhältnis behindert zu werden. Diese Zielsetzung
bestehe neben dem Zweck, der Frau die Möglichkeit zu geben, sich von der
Entbindung zu erholen. Im übrigen fehle es an einer hinreichenden
Ermessensentscheidung zu den Billigkeitserwägungen, wobei die Ausführungen im
Widerspruch vertieft werden.
Die Klägerin beantragt,
den Rückforderungsbescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 12. Mai
2000 und dessen Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2000 aufzuheben.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es verweist auf die ergangenen Bescheide.
Ein Band Verwaltungsvorgänge des Beklagten ist zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht worden. Auf seinen Inhalt und den Inhalt der Gerichtsakte
wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, da der Rückforderungsbescheid rechtens ist
und insbesondere auch ausreichende Billigkeitserwägungen entsprechend dem
Erfordernis des § 12 Abs. 2 S. 3 BBesG enthält, ohne dass insoweit
Ermessensfehler festzustellen wären.
Für den Zeitraum vom 02. August bis 30. September 1999 hat die Klägerin
Dienstbezüge ohne Rechtsgrund erhalten, da sie während dieser Zeit im
Erziehungsurlaub stand, von jeder Dienstleistung befreit war und gleichwohl
Besoldung erhalten hat, und zwar im Umfang von 5.302,83 DM brutto. Dieser
fehlende Rechtsgrund kann weder durch eine unmittelbare noch durch eine
analoge Anwendung von § 4 der Verordnung über den Mutterschutz für
Beamtinnen vom 19.12.1991, hier anzuwenden in der Fassung von Art. 1 der
Änderungsverordnung vom 22.02.1999 (GVBl. I S. 186) beseitigt werden. Die
Bestimmungen dieser Verordnung betreffen lediglich Mütter, die selbst ein Kind
gebären. Dies trifft auf die Klägerin nicht zu, da sie das später von ihr adoptierte
Kind nicht selbst geboren hat. Eine analoge Anwendung auf die Klägerin als
Adoptivmutter scheidet aus, da sich die Klägerin auch dann, wenn man der im
Jahre 2000 durchgeführten Adoption gleichsam rückwirkende Kraft für den
Sommer des Jahres 1999 zumisst, nicht in einer Situation befand, die einer
Wöchnerin vergleichbar ist. Der Schutzzweck des Beschäftigungsverbotes im
Anschluss an die Geburt und die gleichzeitig vorgesehene Weiterzahlung von
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Anschluss an die Geburt und die gleichzeitig vorgesehene Weiterzahlung von
Bezügen aus einem Arbeits- oder Dienstverhältnis nach Maßgabe der
mutterschutzrechtlichen Vorschriften hat den Zweck, Nachteile einer Wöchnerin
auszugleichen, die insbesondere darin begründet sind, dass sie sich von den
körperlichen und psychischen Auswirkungen einer Geburt erholen muss. Eine
Adoptiv- oder Pflegemutter befindet sich nicht in einer derartigen Situation, da sie
den körperlichen und psychischen Auswirkungen infolge einer Geburt gerade nicht
ausgesetzt ist. Daher kann nicht von einer Lücke im gesetzlichen Regelungswerk
hinsichtlich der mutterschutzrechtlichen Bestimmungen ausgegangen werden,
was jedoch Voraussetzung dafür wäre, die von der Klägerin angeführte
Bestimmung überhaupt analog anwenden zu können. Voraussetzung jeder
Analogie ist, dass im geltenden Recht eine Lücke besteht, die nur durch die
Analogie geschlossen werden kann.
In Übereinstimmung damit geht beispielsweise das OVG Berlin im Beschluss vom
12. Juli 1999 (4 N 16.99 - DÖD 2000, 33 f.) davon aus, dass die
Beschäftigungsverbotsregelungen im Mutterschutzrecht nicht für Adoptivmütter
gelten und ihnen deshalb auch kein Anspruch auf sog. Mutterschaftsurlaub
zusteht. In Übereinstimmung damit hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom
03.06.1981 (3 RK 74/79 - FamRZ 1983, 162 f.) entschieden, dass es
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn Mutterschaftsgeld nur an
leibliche Mütter, nicht jedoch an Adoptivmütter gezahlt wird. Damit wird auch von
diesen Gerichten das Bestehen einer Lücke im gesetzlichen Recht verneint.
Selbst wenn man mit der Klägerin davon ausgeht, dass die wirtschaftliche
Beanspruchung einer Adoptivmutter sich nicht wesentlich von der einer leiblichen
Mutter unterscheidet, so zwingt dies doch keineswegs dazu, ausschließlich den
Dienstherrn auf Fortzahlung von Bezügen für einen Zeitraum zu verpflichten,
während dessen die Beamtin vom Dienst freigestellt ist, ohne dass dies auch nur
ganz wesentlich mit den körperlichen Befindlichkeiten der Beamtin etwas zu tun
hätte. Die Freistellung vom Dienst erfolgte vielmehr zu Zwecken der Erziehung und
Betreuung des Kindes. Diese Zwecke werden zwar mittelbar durch die
Beschäftigungsverbotsregelungen im Mutterschutz ebenfalls verwirklicht. Sie
stehen aber dort nicht im Vordergrund, während sie bei der Bewilligung von
Erziehungsurlaub ganz eindeutig den Hauptgrund entsprechender Maßnahmen
darstellen. Folglich lässt sich der Zweck einer wirtschaftlichen Entlastung von
Pflege- und Adoptiveltern für Zeiten unmittelbar nach der Geburt des in Pflege
genommenen Kindes auch auf andere Weise als durch eine Fortzahlung von
Bezügen aus einen Beschäftigungsverhältnis verwirklichen. Auch aus diesem
Grunde kann deshalb nicht von einer Lücke im geltenden Dienstrecht gesprochen
werden, so dass der Weg zu einer analogen Anwendung des § 4 der Hessischen
Mutterschutzverordnung verschlossen ist.
Wenn die Klägerin insoweit einwendet, sie habe die Pflege des später adoptierten
Kindes unentgeltlich übernommen, so mag dies seine Ursache darin haben, dass
die Leistungen nach dem Kinder und Jugendhilferecht, wie sie für Pflegeeltern bzw.
Pflegekinder vorgesehen sind, unzureichend ausgestaltet sind. Dies aber kann
keine besoldungsrechtlichen Ansprüche auslösen, sondern allenfalls zur
sachwidrigen Ungleichbehandlung im Bereich des Kinder- und Jugendhilferechtes
führen, so dass die entsprechenden Korrekturen dort vorzunehmen sind. Einen
Anspruch auf den Behalt von unrechtmäßig gewährten Dienstbezügen kann eine
Lückenhaftigkeit des Kinder- und Jugendhilferechtes, hier einmal unterstellt,
jedenfalls nicht begründen.
Auch aus den Vorschriften des Europäischen Gemeinschaftsrechts ergibt sich kein
Anspruch der Klägerin in ihrer Eigenschaft als Adoptivmutter mit leiblichen
Müttern, die in der Richtlinie 92/85 EWG als Wöchnerinnen bezeichnet werden.
Diese Richtlinie erfasst nur leibliche Mütter und bewirkt gerade keine Gleichstellung
von Adoptivmüttern. Demgegenüber gilt die Richtlinie 96/34 EG für alle Elternteile,
sieht jedoch für einen Elternurlaub keine finanziellen Leistungen als zwingend
notwendig vor. Folglich lässt sich über das Gemeinschaftsrecht kein Anspruch der
Klägerin auf Belassung der Bezüge begründen.
Insoweit ist ferner zu berücksichtigen, dass nach § 2 Abs. 2 BBesG kein Dienstherr
berechtigt ist, Bezüge vom Charakter einer Besoldung zu gewähren, wenn dafür
keine ausdrückliche Rechtsgrundlage im einschlägigen Besoldungsrecht
vorhanden ist. Leistungen vom Dienstherrn an eine Beamtin können daher nur im
einschlägigen Besoldungs- und Dienstrecht selbst ihre Grundlage finden. Soweit
Sozialleistungen betroffen sind, müssen sie außerhalb des dienstrechtlichen
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Sozialleistungen betroffen sind, müssen sie außerhalb des dienstrechtlichen
Bereichs ihre Rechtsgrundlage finden.
Die vom Beklagten getroffene Billigkeitsentscheidung ist nicht zu beanstanden, da
das Angebot von Teil- oder Ratenzahlungen genügt, um für die Abwicklung des
dem Grunde nach bestehenden Rückzahlungsanspruchs, der zutreffend i. H. der
Bruttobezüge festgesetzt wurde, eine angemessene Ausgleichsregelung zu
treffen. Es ist Sache der Klägerin, unter Darlegung ihrer wirtschaftlichen,
persönlichen und sozialen Verhältnisse die Voraussetzungen für eine
Teilrückzahlung in Gestalt von Raten zu schaffen, über die das beklagte Land dann
durch ggf. neu anfechtbare Bescheide gesondert zu entscheiden hätte.
Die mit dem Widerspruch vorgebrachten Erwägungen durfte das beklagte Land
ohne eingehendere Erwägungen als letztlich unbeachtlich behandeln. Einerseits
hat das beklagte Land die entsprechenden Ausführungen ausdrücklich zur
Kenntnis genommen, sich jedoch im Hinblick auf den Grundsatz der Sparsamkeit
der Haushaltsführung nicht in der Lage gesehen, ganz oder teilweise von einer
Rückforderung abzusehen. Dies war schon deshalb sachgerecht, weil die Einwände
der Klägerin letztlich auf die Voraussetzungen des Besoldungsanspruches
abzielen, nämlich einen Rechtsgrund für die Fortzahlung von Besoldungsleistungen
während der ersten Wochen nach der Inpflegenahme eines Neugeborenen
begründen wollen. Genau dies ist jedoch durch § 2 Abs. 2 BBesG ausdrücklich
untersagt. Folglich dürfen Aspekte im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung
grundsätzlich nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie als solche nicht geeignet
sind, das Verbot des § 2 Abs. 2 BBesG zu unterlaufen, sondern ausschließlich im
konkreten Einzelfall in Erscheinung treten und damit letztlich persönlichen
Besonderheiten in der Durchführung des konkreten Dienstverhältnisses Rechnung
tragen. Die Fallkonstellation, die für die Klägerin relevant ist, berührt jedoch nicht
nur sie persönlich, sondern betrifft alle Adoptivmütter. Folglich handelt es sich
nicht um Aspekte, die eine auf das konkrete einzelne Dienstverhältnis hin
orientierte Billigkeitsentscheidung erforderlich machen. Dies gilt auch im Hinblick
auf die verfassungsrechtlichen Erfordernisse, wie sie sich aus Art. 6 Abs. 4 GG, Art.
30 Abs. 2 HV ergeben. Durch die Leistung von Erziehungsgeld in den ersten
Monaten des Erziehungsurlaubs übernimmt der Staat bereits eine gewisse
Mitverantwortung für die Erziehung und Betreuung von Kindern. Wenn diese
Leistungen den verfassungsrechtlichen Erfordernissen nicht genügen sollten, so
handelt es sich um eine Unzulänglichkeit des entsprechenden
Sozialleistungsrechtes nicht aber des Dienstrechts. Auch insoweit ist wiederum
von entscheidender Bedeutung, dass sich Adoptivmütter schon deshalb nicht in
einer mit Wöchnerinnen vergleichbaren Situation befinden, weil letztere durch die
Geburt des Kindes körperlich und psychisch ganz anders beansprucht werden, als
dies für Adoptivmütter gilt. Jedenfalls dürfen dienstrechtliche Regelungen an
diesem Unterschied anknüpfen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen, da sie unterliegt (§ 154 Abs.
1 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO,
708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.