Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 20.08.2003
VG Frankfurt: mittellosigkeit, sozialhilfe, wahrscheinlichkeit, straftat, leistungsanspruch, gewalt, quelle, anhörung, auskunft, form
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Gericht:
VG Frankfurt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 G 3283/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 11 BSHG, § 76 BSHG, § 123
VwGO
Illegal erzieltes Einkommen und sozialhilferechtlicher
Bedarf
Leitsatz
1. Auch illegal - durch Begehung von Straftaten - erzieltes Einkommen ist im Rahmen
sozialhilferechtlichen Bedarfberechnung anrechenbar.
2. Zur Darlegungslast zum Nachweis der Mittellosigkeit.
3. Einzelfall, in dem die begangenen Straftaten nicht geeignet sind, eine Mittellosigkeit
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu verneinen.
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem
Antragsteller vorläufig ab dem 09.07.2003 Sozialhilfe nach dem
Bundessozialhilfegesetz in gesetzlicher Höhe zu gewähren; längstens jedoch bis
zum Eintritt der Bestandskraft des ablehnenden Bescheids vom 18.06.2003.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen. Gerichtskosten
werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag des Antragstellers, der bei richtigem - am Rechtsschutzziel orientierten
- Verständnis seines Vorbringens ( § 122 i. V. mit § 88 VwGO) auf eine
Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung nach §
123 Abs. 1 VwGO gerichtet ist, ihm (weiterhin) Sozialhilfe nach dem
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zu gewähren, hatte Erfolg, weil die hierfür
erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO - der hier allein in Betracht kommt - sind einstweilige
Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden
Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt
zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die tatsächlichen
Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) und
der Grund für eine notwendige vorläufige Regelung (Anordnungsgrund) sind
glaubhaft zu machen §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO.
Der Antragsteller hat einen Sachverhalt glaubhaft gemacht, nach dem ihm ein
Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe ab der Antragstellung bei Gericht am
09.07.2003 zusteht.
Ob ein Leistungsanspruch gegeben ist, beurteilt sich nach § 11 Abs. 1 BSHG und
hängt damit von den Einkünften und/oder dem Vermögen ab. Hier hat der
Antragsgegner sich in seinem Einstellungsbescheid vom 18.06.2003 darauf
gestützt, dass ihm glaubhafte Informationen zugegangen seien, wonach der
Antragsteller wiederholt wegen des Verdachts einer von ihm selbst oder in
Tatbeteiligung verübten Straftat in Erscheinung getreten sei. Weiterhin sei bekannt
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Tatbeteiligung verübten Straftat in Erscheinung getreten sei. Weiterhin sei bekannt
geworden, dass er aus den verübten Straftaten Einkommen erziele und damit in
der Lage sei, seinen Lebensunterhalt auch ohne staatliche
Unterstützungsleistungen selbst zu bestreiten.
Da der ohne vorherige Anhörung des Antragsteller ergangene Bescheid vom
18.06.2003 jegliche konkrete Feststellungen vermissen lässt und es bei diesen
allgemeinen Ausführungen bewenden lässt, kann nur anhand der
Antragserwiderung und des Inhalts der Verwaltungsvorgänge nachvollzogen
werden, was die getroffenen Entscheidung tragen soll. Danach ergibt sich aus
einem bei den Behördenakten befindlichen polizeilichen Polas-Dateiauszug, der
allerdings erst offensichtlich nach Ergehen des Einstellungsbescheides
zugegangen ist, dass der Antragsteller in der Zeit vom 03.03.1994 bis zum
26.01.2003 in 42 Fällen, die dort aufgeführt werden, polizeilich in Erscheinung
getreten ist. Dabei werden Delikte benannt, ohne dass insofern kenntlich gemacht
wäre, ob es insofern auch zu strafgerichtlichen Ahndungen gekommen ist.
Dieserhalb lässt sich nur einer ebenfalls bei den Akten befindlichen Auskunft aus
dem Zentralregister vom 10.06.2003 entnehmen, dass (noch) fünf Verurteilungen
registriert sind. Es handelt sich dabei zuletzt unter dem 05.02.2003 um eine
Verurteilung wegen Diebstahls geringwertiger Sachen (Tankbetrug im Wert von
10,-- €). Zuvor erfolgte am 16.01.2002 eine Verurteilung wegen Körperverletzung.
Die drei weiteren Eintragungen im Register betreffen Verurteilungen aus den
Jahren 1996 und 1998.
Zwar ist auch illegal erzieltes Einkommen zu berücksichtigen und anzurechnen,
wenn es um die Frage geht, ob ein sozialhilferechtlich relevanter Bedarf für den
jeweiligen Bedarfszeitraum besteht. Dies hat das Gericht wiederholt entschieden
(vgl. z. B. Beschluss vom 10.07.2000 - 3 G 3226/00 - Juris, Beschluss vom
04.09.2001 - 3 E 3292/01 - Juris). Dabei hat es auch darauf hingewiesen, dass dem
Antragsteller zum Nachweis der Mittellosigkeit, an den an sich keine zu hohen
Anforderungen zu stellen sind, eine besondere Darlegungslast erwächst, wenn
Anknüpfungspunkte bzw. Ungereimtheiten gegeben sind, die zu Zweifeln an der
Mittellosigkeit veranlassen. Dies kann auch darin bestehen, dass kontinuierlich
Straftaten begangen worden sind, die Anlass zu der Annahme geben, es werde
durch die Begehung von Straftaten mehr oder weniger kontinuierlich Einkommen
erzielt. Dabei kommt es einerseits auf den Typus der begangenen Straftaten
(Vermögensdelikte, Drogenhandel) und auch darauf an, ob solche Straftaten noch
in die jüngere Vergangenheit hinein feststellbar sind. Hier ergibt der schon
erwähnte Auszug aus dem Zentralregister derzeit keinen durchgreifenden Anlass,
an der Mittellosigkeit des Antragstellers unter dem Blickwinkel erzielter Einnahmen
in Folge der Begehung von Straftaten zweifeln. Denn aus der jüngeren
Vergangenheit ist insoweit nichts - außer dem Tankbetrug in Höhe von 10,-- € -
dokumentiert. Soweit es den polizeilichen Dateiauszug betrifft, hat das Gericht aus
den vorerwähnten Gründen bereits Verwertungszweifel, weil erkennungsdienstliche
Maßnahmen noch nichts darüber aussagen, ob eine strafrechtliche Ahndung auch
erfolgt ist. Abgesehen davon ist der Typus der benannten Delikte nicht dergestalt,
dass derzeit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von einer mehr oder weniger
kontinuierlichen Einkommenserzielung ausgegangen werden könnte. Nimmt man
die hier besonders ins Auge zu fassende jüngere Vergangenheit zurück bis zum
Jahr 1999, so ergibt sich, dass die erkennungsdienstlichen Maßnahmen ganz
überwiegend im Zusammenhang mit Körperverletzungen und Tankbetrug
bestanden. Darüber hinaus werden als Delikte noch je einmal aufgeführt:
Beförderungserschleichung, allgemeiner Verstoß nach § 29 BtMG,
Leistungskreditbetrug und Unterschlagung geringwertiger Sachen. Dies alles
würde die im Bescheid vom 18.06.2003 enthaltenen allgemeinen Feststellungen
quantitativ und qualitativ nicht tragen. Hier kommt hinzu, dass der Antragsteller,
der derzeit unter nicht widerrufener Bewährungsaufsicht steht, sich seit einiger
Zeit in einem Drogensubstitutionsprogramm befindet. Die vom Antragsgegner
zuletzt gehegte Annahme, auch die Heroinabhängigkeit des Antragstellers müsse
ebenfalls nicht unerhebliche Kosten verursacht haben, die aus Mitteln der
Sozialhilfe nicht aufgebracht werden könnten, ist hier deshalb derzeit nicht
überzeugungskräftig. Denn angesichts des Umstandes, dass sich der Antragsteller
seit einigen Monaten in der Substitutionstherapie befindet, bei der regelmäßig
Kontrollen auf unerlaubten Beikonsum von illegalen Drogen stattfinden, kann -
mangels anderer Erkenntnisse - nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon
ausgegangen werden, dass solche Drogen derzeit beschafft werden.
Soweit der Antragsgegner aus dem Umstand, dass der Antragsteller in der
Vergangenheit zu Geldstrafen verurteilt worden sei, gegen eine Mittellosigkeit
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Vergangenheit zu Geldstrafen verurteilt worden sei, gegen eine Mittellosigkeit
sprechende Anhaltspunkte daraus ableitet, dass diese Beträge nicht aus Mitteln
der Sozialhilfe ohne weiteres aufgebracht worden sein könnten, hat der
Antragsteller dazu ausgeführt, dass er aufgrund seiner finanziellen Situation
gerade nicht in der Lage gewesen sei, die Geldstrafen zu bezahlen, so dass diese
demnächst in Form von Arbeitsstunden abgeleistet werden müssten. Mangels
anderer Erkenntnisse des Antragsgegners und des Gerichts kann derzeit nicht mit
dem erforderlichen beachtlichen Maß an Wahrscheinlichkeit von der
Unglaubhaftigkeit dieser Darstellung ausgegangen werden.
Es liegt auch der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche
Anordnungsgrund vor. Da es hier um existenzielle Mittel zur Grundsicherung geht,
ist dem Antragsteller ein Zuwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht
zuzumuten.
Die Kosten des Verfahrens hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO der Antragsgegner zu
tragen, weil er unterlegen ist. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2
VwGO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.