Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 19.03.2003
VG Frankfurt: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, versammlung, öffentliche sicherheit, organisation, demonstration, verfügung, gefährdung, veranstaltung, gerichtsverfahren, kader
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Gericht:
VG Frankfurt 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 G 1239/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 8 GG, § 20 VereinsG
(Versammlungsverbot gegenüber YEK-KOM)
Leitsatz
Zur Rechtmäßigkeit eines gegenüber der kurdischen Organisation YEK/KOM
ausgesprochenen Versammlungsverbots wegen Unterstützung der verbotenen PKK
bzw. FEYKA-Kurdistan.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 4.000,- € festgesetzt
Gründe
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs
der Antragstellerin vom 17.03.2003 gegen die Verfügung der Oberbürgermeisterin
der Stadt Frankfurt a. M. vom 17.03.2003, mit der die von der Antragstellerin für
den 22.03.2003 angemeldete Demonstration sowie Ersatzveranstaltungen
verboten worden sind, ist zulässig (§ 80 Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 VwGO), jedoch
nicht begründet. Nach dem Sach- und Streitstand, wie er sich zum Zeitpunkt der
Entscheidung des Gerichts darstellt, bestehen an der Rechtmäßigkeit der
Verfügung der Antragsgegnerin vom 17.03.2003, deren sofortige Vollziehung
gemäß § 80 Abs. 3 VwGO hinreichend begründet worden ist, keine ernstlichen
Zweifel. Es überwiegt das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der
sofortigen Vollziehung der Verbotsverfügung.
Die Voraussetzungen für ein Verbot der von der Antragstellerin geplanten
Versammlung am 22.03.2003 gemäß § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz liegen
nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand vor. Nach dieser Vorschrift kann
die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von
bestimmten Auflagen abhängig machen, "wenn nach den zur Zeit des Erlasses der
Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei
Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist".
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 14.05.1985 (1 BvR
233, 341/81, BVerfGE 69, 315 ff.) ausgeführt, dass das Verbot oder die Auflösung
einer Versammlung nur als letztmögliches Mittel, als ultima ratio, in Betracht
kommen kann, sofern das mildere Mittel einer Auflagenerteilung ausgeschöpft ist
(S. 353). Darüber hinaus heißt es in der Entscheidung, dass eine unmittelbare
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne des § 15 Abs. 1
Versammlungsgesetz nur dann angenommen und dementsprechend ein
Versammlungsverbot ausgesprochen werden kann, wenn im Rahmen einer auf
den konkreten Fall bezogenen Gefahrenprognose bestimmte Tatsachen,
Sachverhalte und sonstige Einzelheiten die berechtigte Annahme begründen, dass
eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eintreten
würde. Der bloße Verdacht oder die Vermutung des Eintritts einer solchen
Gefährdung reichen demnach nicht aus (S. 353 ff.).
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Legt man diesen vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstab dem
vorliegenden Sachverhalt zugrunde, so erweist sich das von der Antragsgegnerin
ausgesprochene und an die Antragstellerin gerichtete Versammlungsverbot als
rechtmäßig. Es liegen nämlich hinreichende und gewichtige Anhaltspunkte dafür
vor, dass die Antragstellerin eine Nachfolgeorganisation der mit Erlass vom
22.11.1993 vom Bundesministerium des Inneren verbotenen "Arbeiterpartei
Kurdistans" (PKK) bzw. der gleichfalls verbotenen Teilorganisation "Nationale
Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) sowie der gleichfalls verbotenen "Föderation
der patriotischen Arbeiter- und Kulturvereinigung aus Kurdistan in der
Bundesrepublik Deutschland e. V." (FEYKA-Kurdistan) ist und die Tätigkeiten der
Antragstellerin ein gemäß § 20 Vereinsgesetz strafrechtlich relevanter Verstoß
gegen das Vereinsverbot darstellt. Dies bezieht sich auch auf die von der
Antragstellerin für den 22.03.2003 in Frankfurt a. M. angemeldete Newroz-
Demonstration. Aufgrund der dem Gericht von der Antragsgegnerin vorgelegten
Behördenunterlagen, die die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin
eingesehen hat, ergibt sich nämlich, dass auch die für den 22.03.2003 geplante
Demonstrationen einen eindeutigen Bezug zur verbotenen PKK/HADEK hat.
Dass die Antragstellerin in das Organisationsgefüge der Kurdischen
Demokratischen Volksunion (YDK), wie sich aus dem in den Behördenunterlagen
befindlichen Organigramm ergibt, das vom Bundeskriminalamt nach dem
Sachstand März 2001 erstellt worden ist, eingebunden ist, wird von der
Antragstellerin nicht substantiiert bestritten. Bei der YDK handelt es sich um eine
Umbenennung der früheren ERNK, die vom Vereinsverbot des
Bundesministeriums des Inneren vom 22.11.1993 erfasst ist. Jedenfalls nach dem
gegenwärtigen Sachstand und unter Berücksichtigung der Kriterien, die der
Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 04.02.1998 (3 StR 390/97) aufgestellt
hat, ist davon auszugehen, dass die Umbenennung der ERNK in YDK keine
Neugründung einer Organisation darstellt. Somit ist davon auszugehen, dass die
Antragstellerin in das Organisationsgefüge der YDK eingebunden ist, deren
Tätigkeiten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland von der genannten
Verbotsverfügung erfasst ist.
Dass es sich bei der Antragstellerin um eine von der verbotenen PKK/HADEK
gesteuerte Organisation handelt, ergibt sich jedenfalls nach dem gegenwärtigen
Sach- und Streitstand überzeugend aus dem ausführlichen Vermerk des
Bundeskriminalamtes vom 30.07.2001 (ST 24-061060/97), der sich in der
Behördenakte befindet und von dem die Vertreterin der Antragstellerin durch
Akteneinsicht Kenntnis genommen hat. Danach wurde die Antragstellerin im Juli
1994 im Vereinsregister des Amtsgerichts Bochum unter dem Aktenzeichen VR
2799 angemeldet. Seit dem 01.09.1999 ist der Sitz der Antragstellerin in
Düsseldorf. Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes handelt es sich bei der
Antragstellerin um eine Nachfolgeorganisation der vom Vereinsverbot des
Bundesministeriums des Inneren vom 22.11.1993 erfassten Teilorganisation der
..., der FEYKA Kurdistan. Zum einen ist die Organisationsstruktur der
Antragstellerin der der verbotenen FEYKA Kurdistan nachgebildet. Zum anderen
besteht zumindest eine partielle personelle Identität. So wurde im Juli 1995 XXX,
der in den Jahren 1984 und 1985 Vorstandsmitglied der FEYKA Kurdistan war, zum
2. Vorsitzenden der YEK-KOM gewählt. Seit dem 24.06.1998 ist Demir als
Vorstandsvorsitzender der YEK-KOM beim Vereinsregister des AG Bochum
eingetragen (S. 2 des BKA-Berichts v. 30.07.2001).
Darüber hinaus liegen hinreichende Erkenntnisse dafür vor, dass in den zurück
liegenden Jahren regelmäßige Treffen zwischen dem Vorstand der Antragstellerin
und der Europaführung der PKK stattgefunden haben (S. 7 des BKA-Berichts).
Dementsprechend sind hinreichende Anhaltspunkte für eine enge Bindung der
Antragstellerin an die PKK, insbesondere an deren Europaführung, gegeben.
Darüber hinaus liegen Erkenntnisse darüber vor, dass die Antragstellerin von der
Europaführung der PKK beauftragt ist, Veranstaltungen zu organisieren und
durchzuführen. Hierbei gebe die Europaführung der PKK Daten und Themen der
Veranstaltungen vor und die Antragstellerin trete dann als offizieller Veranstalter
auf (Seite 10 BKA-Bericht). Die konkrete Durchführung von Veranstaltungen
unterliegt der Kontrolle durch die PKK-Europaführung. So müssen nach
vorliegenden Erkenntnissen anfallende Kosten für von der Antragstellerin
durchgeführte Veranstaltungen, wie zum Beispiel Saalmieten, von der PKK
Europaführung genehmigt werden (S. 11 BKA-Berichts). Es besteht eine
Rechenschaft- bzw. Berichtspflicht der Antragstellerin gegenüber der PKK-
Europaführung (S. 12 BKA-Berichts). Die Anberaumung von Veranstaltungen wird
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Europaführung (S. 12 BKA-Berichts). Die Anberaumung von Veranstaltungen wird
zunächst mit der Leitung der PKK abgestimmt (S. 13 BKA-Bericht). Somit lassen
bereits diese Erkenntnisse darauf schließen, dass die Bewertung des BKA, es
bestehe eine "strukturelle Verknüpfung der PKK und YEK-KOM" sachlich
gerechtfertigt ist.
An dieser Bewertung ändert sich auch nichts mit der im Anschluss an den im
Januar 2002 abgehaltenen 7. Parteikongress der PKK eingeleiteten
Umstrukturierung der kurdischen Vereine. In deren Gefolge wurde besonderes
Gewicht darauf gelegt, nach außen die Tätigkeiten der kurdischen Vereine von
denen der PKK abzugrenzen. So nahm beispielsweise Osman Öcalan im Namen
des Präsidialrates der PKK telefonisch an dem Kongress der YEK-KOM teil, der am
17.06.2001 in Dortmund mit einer Teilnehmerzahl von 8.000 Personen
durchgeführt wurde. Darüber hinaus war die Antragstellerin in die im Mai 2001 auf
Weisung des PKK-Präsidialrats eingeleitete europaweite Kampagne zur
Offenlegung der kurdischen Identität eingebunden. Mit dieser so genannten
Identitätskampagne wurden kurdische Volkszugehörige aus der Türkei
aufgefordert, von der Antragstellerin entworfene Selbstbezichtigungsschreiben mit
dem Titel "Auch ich bin ein PKKler" zu unterschreiben. Nach Erkenntnissen des BKA
lagen bis zum Juli 2001 etwa 28.000 solcher Selbstbezichtigungsschreiben vor (S.
22 f. des BKA-Berichts vom 30.07.2001). Schließlich gibt es hinreichende
Anhaltspunkte dafür, dass durch die Antragstellerin PKK-Kader und deren
Gerichtsverfahren betreut werden.
Das Bundeskriminalamt kommt in seinem Bericht vom 30.07.2001 unter anderem
zu der Bewertung, dass die Antragstellerin Nachfolgeorganisation der FEYKA-
Kurdistan ist, Veranstaltungen für und im Auftrag der PKK organisiert,
rechenschaftspflichtig gegenüber der PKK und Befehlsempfänger der PKK ist, als
Anmelder für die PKK-Veranstaltungen fungiert, sowohl Mitglieder- als auch
Identitätskampagnen durchführt, PKK-Kader und deren Gerichtsverfahren betreut.
Es liegen für das erkennende Gericht keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, diese
Bewertung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt hinsichtlich ihrer fachlichen Richtigkeit
in Frage zu stellen. Im übrigen ist auch die Antragstellerin dieser Bewertung nicht
substantiiert entgegengetreten. Vielmehr hat die Bevollmächtigte der
Antragstellerin mit Schriftsatz vom 18.03.2003 nach erfolgter Einsichtnahme in die
Behördenakte selbst vorgetragen, dass "die sich aus den Behördenakten
entnehmbare "Nähe" der YEK-KOM zur PKK/HADEK (...) nichts Neues" ist.
Im Hinblick auf die vorliegende Erkenntnisse und unter Berücksichtigung des vom
Polizeipräsidium Frankfurt am Main, Abteilung Staatsschutz, mit Schreiben vom
13.03.2003 zu den Behördenakten gereichten mehrseitigen Schreibens betreffend
den Demonstrationszug vom 22.03.2003 in Frankfurt am Main, in dem detaillierte
Anweisungen zur Organisation der Versammlung vorgegeben werden, ist davon
auszugehen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Versammlung um eine
von der PKK gesteuerte Veranstaltung handelt. Dementsprechend teilt das
erkennende Gericht die Bewertung der Antragsgegnerin, dass bereits die
Organisation und beabsichtigte Durchführung der von der Antragstellerin für den
22.03.2003 angemeldeten Versammlung gegen das vom Bundesministerium des
Inneren gegenüber der PKK und ihren Unterorganisationen erlassene
Vereinsverbot vom 22.11.1993 verstößt. Daher ist es auch rechtlich unerheblich,
ob im Rahmen der Veranstaltung für die verbotene PKK und ihre
Unterorganisationen sowie deren Ziele geworben würde. Allerdings lässt sich den
Vorbereitungsunterlagen entnehmen, dass mit der Veranstaltung auch eine
Werbung für die Ziele der verbotenen PKK-HADEK und deren Unterorganisationen
beabsichtigt ist.
Unter den genannten Umständen scheidet daher auch das mildere Mittel einer
Auflagenerteilung zur Durchführung der angemeldeten Demonstration aus, da
bereits die Organisation und Durchführung der angemeldeten Demonstration
gegen das Vereinsverbot verstößt.
Schließlich kann sich die Antragstellerin auch nicht darauf berufen, dass im
Hinblick auf das ursprüngliche Verhalten der Antragsgegnerin ein
Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen worden wäre, dass jedenfalls ein
Verbot der Versammlung unterbleibt. Zwar ist zutreffend, dass die
Antragsgegnerin nach Eingang der Anmeldung zunächst nicht die Absicht hatte,
die Versammlung zu verbieten. Vielmehr wurde in einem Kooperationsgespräch
am 25.02.2003 über die Modalitäten und gegebenenfalls zu erteilende Auflagen in
Anknüpfung an die Verfügung der Antragsgegnerin vom 29.09.1999 zu einer für
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Anknüpfung an die Verfügung der Antragsgegnerin vom 29.09.1999 zu einer für
den 09.10.1999 angemeldeten und dann auch durchgeführten Demonstration
gesprochen. Im Hinblick auf den Ausgang dieses Kooperationsgesprächs kann
jedoch die Antragstellerin nicht beanspruchen, von einem Versammlungsverbot
verschont zu bleiben. Es bleibt der Behörde unbenommen, insbesondere bei
Vorliegen neuer Erkenntnisse, die der Versammlungsbehörde nach dem
Kooperationsgespräch zur Kenntnis gebracht worden sind, sich dazu zu
entschließen, die von der Antragstellerin angemeldete Demonstration zu
verbieten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 S. 2, 20 Abs. 3 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.