Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 27.05.2004
VG Frankfurt: kosovo, serbien und montenegro, widerruf, öffentliches interesse, staatliche verfolgung, politische verfolgung, unverzüglich, anerkennung, bundesamt, ausnahme
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Gericht:
VG Frankfurt 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 E 495/04.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 51 Abs 1 AuslG, § 71 Abs 1 S
1 AsylVfG, Art 16a GG
Rückkehr von Kosovo-Albanern in den Kosovo
Tenor
Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger ist Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro. er ist albanischer
Volkszugehörigkeit und stammt aus dem Kosovo.
Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
vom 01.03.1996 wurde festgestellt, dass in seiner Person die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Mit Verfügung vom 27.05.2003 leitete der Vizepräsident der Beklagten ein
Widerrufsverfahren gegen den Kläger ein. Im Rahmen der Anhörung gab der Kläger
an, dass er inzwischen im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sei und
im Falle einer Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen nicht mit hinreichender Sicherheit
ausgeschlossen werden könnten. Als Rückkehrer müsse der Kläger mit übergriffen
rechnen. Im übrigen verfüge der Kläger über keinerlei Angehörige mehr im Kosovo.
Die internationalen Truppen seien nicht in der Lage die Sicherheit zu garantieren.
Mit Bescheid vom 07.01.2004 widerrief die Beklagte die mit Bescheid vom
01.03.1996 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des
AuslG vorliegen und widerrief die Feststellung, dass Abschiebungshindernisse nach
§ 53 Abs. 1-4 des AuslG vorliegen und stellte darüber hinaus fest, das
Abschiebungshindernisse nach § 53 des AuslG nicht gegeben sind. Zur
Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG nicht mehr gegeben seien, weil sich die erforderliche Prognose
drohender politischer Verfolgung nicht mehr treffen lasse. Aufgrund seiner
albanischen Volkszugehörigkeit habe der Kläger politische Verfolgung nicht mehr
zu befürchten. Eine unmittelbare oder mittelbare staatliche Verfolgung wegen der
Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Albaner könne mit hinreichender Sicherheit
ausgeschlossen werden. Die Ausübung der Regierungsgewalt durch Serbien über
den Kosovo sei de facto suspendiert. Die Macht im Kosovo sei von der
internationalen Staatengemeinschaft übernommen worden. Die Bemühungen zur
Stabilisierung und Demokratisierung zeigten zunehmend Erfolg.
Der Kläger hat am 03.02.2004 Klage erhoben, mit der er Aufhebung des
Widerrufsbescheides begehrt. Er vertritt die Auffassung, der Widerrufsbescheid sei
schon deshalb rechtswidrig, weil der Widerruf nicht unverzüglich i.S.d. § 73 Abs. 1
AsylVfG erfolgt sei. Die Änderung der Verhältnisse habe bereits im Juni 1999
stattgefunden, so dass der Widerruf zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls nicht mehr
unverzüglich sei. Entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes werde
in der jüngeren Rechtsprechung vertreten, dass das Unverzüglichkeitsgebot dem
Schutz privater Interessen des Flüchtlings diene. Schließlich verlange das
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Schutz privater Interessen des Flüchtlings diene. Schließlich verlange das
Rechtsstaatsprinzip, dass die Verwaltung sich an Gesetzesbefehle halte. Des
weiteren liege ein Verstoß gegen Art. 3 GG vor. § 73 AsylVfG verdränge als
Spezialnorm §§ 48, 49 VwVfG da § 73 AsylVfG zum Nachteil des Bürgers im
Hinblick auf den Vertrauensschutz eine nachteilige Regelung treffe, liege eine
Ungleichbehandlung vor. Während bei rechtswidrigen Verwaltungsakten den
Behörden ein Zeitraum von einem Jahr zum Einschreiten zugestanden werde,
habe das Bundesamt nach § 73 AsylVfG unverzüglich tätig zu werden. Wenn dem
Unverzüglichkeitsgebot keine Bedeutung zukomme, komme der Asylberechtigte
niemals in den Genuss von Vertrauensschutz. Schließlich habe das Asylrecht wie
viele Einzelregelungen zeigten eine für den Flüchtling eine langfristige Perspektive
und ihm solle die Möglichkeit zur schnellen und sozialen und wirtschaftlichen
Integration gegeben haben. Dem gemäß sei dem Asylberechtigten eine
unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Da das Asylrecht keinesfalls darauf
ausgerichtet sei im Falle einer Änderung der Sachlage dem anerkannten Flüchtling
schnell einer Überprüfung seines Flüchtlingsstatus zu unterziehen, bestehe auch
kein öffentliches Interesse daran, dem Flüchtling nach langer Zeit noch den Status
zu entziehen. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass das weitere Schicksal der
durch die Anerkennungsentscheidung begünstigten Flüchtlinge in
Menschenunwürdigerweise davon abhänge, ob sie im Rahmen des Abschlusses
ihres Einbürgerungsverfahrens den Wettlauf mit dem extrem spät
wachgewordenen Tätigkeitsinteresse des Bundesamts gewinnen oder nicht. So
liege der Fall auch bei dem Kläger, der vor 6 Monaten seine Einbürgerung
beantragt habe und mit einer Entscheidung in den nächsten 3 Monaten rechnen
könne. Vorliegend habe das Verfahren die Funktion, den Kläger auf der
Schlussstrecke der Einbürgerung gewissermaßen abzufangen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 07.01.2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte, den Inhalt der vorgelegten Behördenvorgänge (2 Hefter) sowie
die Erkenntnismittel, wie sie in der Quellenliste nach dem Stand vom 26.06.2003
enthalten sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber offensichtlich nicht begründet. Als offensichtlich
unbegründet darf eine Klage nur abgewiesen werden, wenn nach vollständiger
Erforschung des Sachverhalts kein vernünftiger Zweifel an der Richtigkeit der
tatsächlichen Feststellungen bestehen kann und sich bei einem solchen
Sachverhalt die Abweisung der Klage nach allgemein anerkannter
Rechtsauffassung geradezu aufdrängt (BVerwG, E 66, 312). Diese
Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Bescheid der Beklagten vom 07.01.2004 ist offensichtlich rechtmäßig und
verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Rechtsgrundlage für den Widerruf der
Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, ist § 73
Abs. 1 S. 1 AsylVfG. Danach ist die Anerkennung als Asylberechtigter und die
Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des AuslG vorliegen,
unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzung für sie nicht mehr vorliegen.
Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass die Voraussetzungen für die
Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht mehr
vorliegen, weil der Kläger bei einer Rückkehr in den Kosovo zum derzeitigen
Zeitpunkt vor einer Wiederholung politischer Verfolgungsmaßnahmen mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit sicher ist. Insoweit sieht das Gericht gemäß § 77
Abs. 2 AsylVfG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und
verweist auf die zutreffenden Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid, die
der ständigen Rechtsprechung des HessVGH und der erkennenden Kammer
entsprechen. Auch die Märzunruhen im Kosovo rechtfertigen nicht eine
anderweitige Einschätzung der Situation der Kosovo-Albaner. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass die Märzunruhen überwiegend von Kosovo-Albanern
ausgegangen sind, so dass sich die Sicherheitssituation für die Kosovo-Albaner
nicht grundlegend verändert hat. Dem gemäß sind auch die Rückführungen von
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nicht grundlegend verändert hat. Dem gemäß sind auch die Rückführungen von
Kosovo-Albanern in das Kosovo am 15.04.2004 mit Zustimmung der UNMIK wieder
aufgenommen worden.
Entgegen der Auffassung des Klägers wird dieser nicht dadurch in seinen Rechten
verletzt, dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den
ansonsten berechtigten Widerruf nicht unverzüglich ausgesprochen hat. Die Pflicht
zum unverzüglichen Widerruf besteht nämlich für das Bundesamt nicht im
Interesse des einzelnen Ausländers als Adressaten des Widerrufsbescheides,
sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Beseitigung
der nicht mehr zustehenden Position des anerkannten Asylberechtigten bzw.
Flüchtlings (BVerwG, Urt. v. 27.06.1997, NVwZ RR. 1997, S. 741; HessVGH, Urt. v.
28.10.2002 - 12 UZ 2090/99.A; HessVGH, Urt. v. 10.12.2003, NVwZ 2003
Beilagenr. I 9 74 f.); VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 19.09.2002, Az.: 14 S
457/02; Hailbronner AuslR. § 73 Rn. 21, 46; Marx AsylVfG, § 73 Rnr. 70). Der
gegenteiligen Auffassung des Verwaltungsgerichtes Stuttgart (Urt. v. 07.01.2003
AuAS 2003 S. 82) vermag das Gericht nicht zu folgen. Das Verwaltungsgericht
Stuttgart geht zu Unrecht davon aus, dass im Falle des nicht unverzüglichen
Widerrufs der Asylanerkennung eine Verletzung des ehemaligen Asylberechtigten
bzw. Flüchtlings in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG gegeben ist. Der Umstand,
dass die Beklagte die Asylanerkennung nicht unverzüglich, also bereits Mitte 1999
widerrufen hat, sondern erst im Januar 2004 hat die Handlungsfreiheit des Klägers
nicht eingeschränkt, sondern - im Widerspruch zur verfassungsmäßigen Ordnung -
erweitert. Die Asylanerkennung erweitert nämlich den Rahmen der dem
Betroffenen eingeräumten Handlungsfreiheit, diese Erweiterung konnte der Kläger
noch im Zeitraum zwischen 1999 und Januar 2004 genießen, obwohl das Gesetz
dies eigentlich nicht mehr vorsah. Wenn ihm jetzt die Asylanerkennung entzogen
wird, steht er nicht schlechter als er stehen würde, wenn sie ihm bereits 1999
entzogen worden wäre. Per Saldo hat die Vorgehensweise der Beklagten zu einer
Erweiterung und nicht zu einem Eingriff in die Handlungsfreiheit geführt. Im übrigen
ist Art. 2 Abs. 1 im Falle eines Widerrufs einer Flüchtlingsanerkennung nicht
einschlägig, sondern tritt vielmehr hinter Art. 16 a GG zurück. Eine Verletzung des
Art. 16 a GG liegt gerade nicht vor, weil das Asylgrundrecht den Träger des
Grundrechtes keinen unveränderbaren Status gewährt, vielmehr ist sein Bestand
von der Fortdauer der das Asylrecht begründenden Umstände abhängig.
Der Kläger kann sich auch nicht auf die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG stützen.
Diese Frist ist zwar auch auf den Widerruf nach § 49 VwVfG anzuwenden, nicht
jedoch auf den Widerruf nach § 73 AsylVfG. Zum einen enthält § 73 Abs. 1 AsylVfG
gerade keine der Regelung des § 49 Abs. 2 S. 2 VwVfG entsprechende
Bezugnahme auf die Vorschrift des § 48 Abs. 1 VwVfG. Zum anderen hat der
Gesetzgeber mit der Regelung des § 73 Abs. 1 AsylVfG eindeutig zu erkennen
gegeben, dass die Asylanerkennung unter keinen Umständen Bestand haben soll,
wenn die Verfolgungsgefahr nachträglich entfallen ist. Er hat nicht nur angeordnet,
dass die Asylanerkennung in diesem Fall zwingend zu widerrufen ist, sondern dem
Bundesamt außerdem aufgegeben, den Widerruf unverzüglich nach Wegfall der
Anerkennungsvoraussetzungen auszusprechen. Für eine ergänzende Anwendung
der dem Vertrauensschutz dienenden Vorschrift des § 48 Abs. 4 VwVfG ist bei
diesem auf eine alsbaldige Entlastung der Bundesrepublik Deutschland als
Aufnahmestaat zielenden Gesetzeszweck ganz offensichtlich kein Raum (vgl. VGH
Mannheim, Urt. v. 12.08.2003 - A 6 S 820/03).
Schließlich ist die Rückkehr dem Kläger auch nicht unzumutbar i.S.v. § 73 Abs. 1 S.
3 AsylVfG. Nach der zitierten Vorschrift ist von einem Widerruf abzusehen, wenn
sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe
berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen
Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Diese Regelung ist aus Art. 1 C Nr. 5 und Nr. 6 des
Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge übernommen. § 73 Abs. 1 S.
3 AsylVfG stellt eine Ausnahme von der Pflicht zum Widerruf dar. Abs. 1 setzt
daher voraus, dass - wie hier - die Voraussetzungen der Anerkennung als
Asylberechtigter oder als Flüchtling nicht mehr vorliegen, der Ausländer also bei
einer Rückkehr in seinen Heimatstaat vor politischer Verfolgung hinreichend sicher
ist. Die Ausnahme soll dem Umstand Rechnung tragen, dass auch dann, wenn
sich die allgemeinen Verhältnisse im Herkunftsland derartig geändert haben, dass
die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht mehr erforderlich ist, im Einzelfall
besondere Umstände gegeben sein können, die eine Aufrechterhaltung des
Schutzes rechtfertigen können.
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Zwingende Gründe liegen vor, wenn Flüchtlinge oder ihre Familienangehörigen
einer außergewöhnlichen menschenverachtenden Verfolgung ausgesetzt waren
und deshalb von ihnen eine Rückkehr in ihr Herkunftsland nicht mehr erwartet
werden kann. Hierunter fallen insbesondere Personen, die interniert, inhaftiert
waren, Opfer von Gewalt waren oder Gewaltanwendungen gegen
Familienmitglieder ansehen mussten. Erforderlich sind immer Gründe von einer
gewissen Schwere und Tragweite. Ein Widerruf muss also immer dann
unterbleiben, wenn schwere physische oder psychische Schäden vorliegen, die
infolge der bereits erlittenen politischen Verfolgungsmaßnahmen entstanden sind
und die sich bei einer Rückkehr in das Heimatland wesentlich verschlechtern (vgl.
HessVGH, Beschl. v. 18.05.2003, Az.: 12 UZ 2805/02.A). Für das Vorliegen
derartiger zwingender Gründe ergeben sich aus dem Vorbringen des Klägers
keinerlei Anhaltspunkte. Allein der Umstand, dass aus Ursachen, die ihren Grund
auch in den Verfolgungsmaßnahmen der Serben gegenüber der albanischen
Minderheit haben, die ökonomische Situation im Kosovo trotz einer Vielzahl von
finanziellen Hilfen der Staatengemeinschaft weitgehend schwierig ist, rechtfertigt
nicht die Annahme einer Ausnahme aus humanitären Gründen. Der Wiederaufbau
einer wirtschaftlichen Existenz ist grundsätzlich nicht unzumutbar, zumal er auch
diejenigen trifft, die im Land geblieben sind. Unbeachtlich sind ferner sonstige
humanitäre Gesichtspunkte sowie Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes im
Hinblick sowie der bereits erfolgten Integration (vgl. Renner, AuslR. § 71 AsylVfG
Rn. 10). Derartige Gesichtspunkte sind von der Ausländerbehörde in dem sich
anschließenden Widerrufsverfahren gemäß § 73 Abs. 1 Nr. 4 AuslG betreffend die
erteilte Aufenthaltsgenehmigung zu berücksichtigen und hat dort zentrale
Bedeutung.
Auch die vom Kläger vorgetragenen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem
laufenden Einbürgerungsverfahren rechtfertigen keine andere Entscheidung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die
Gerichtsgebührenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylVfG.
Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 AsylVfG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.