Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 07.08.2001

VG Frankfurt: amnesty international, politische verfolgung, asylbewerber, gutachter, wiedereinreise, vollstreckung, wahrscheinlichkeit, flughafen, heimatstaat, staatsgebiet

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Gericht:
VG Frankfurt 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 E 31063/96.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Leitsatz
Einzelfall einer erfolglosen Klage auf Asyl und Abschiebungsschutz als politisch
Verfolgter eines kurdischen Türken, der 1995 aus seinem Heimatland ausgereist und in
das Inland eingereist ist, und zwar Vorfluchtgründe (lokale Verfolgung) geltend gemacht
hat, die er aber nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger dar die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der 1956 geborene Kläger reiste 1979 in das Inland ein und begehrte Asyl. Der
Antrag wurde (letztlich aufgrund einer Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts) bestandskräftig abgelehnt. Der Kläger wurde nach
eigenen Angaben 1985 in die Türkei abgeschoben, 1995 reiste er erneut aus der
Türkei aus und stellte am 20.03.1995 einen weiteren Asylantrag. Den Antrag
lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.05.1996 ab. Das Gericht folgt im übrigen
den Tatsachen-Feststellungen im Bescheid des Bundesamtes, das zur
Begründung der Ablehnung im wesentlichen anführte, dass die Angaben des
Klägers widersprüchlich und unglaubhaft seien. Der Bescheid wurde am
12.06.1996 zugestellt.
Mit am 18.06.1996 eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger Klage erhoben, er
verfolgt sein Anliegen weiter.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes vom 10.05.1996 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen,
dass die Voraussetzungen der §§ 51 bzw. 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt den angegriffenen Bescheid.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich an dem Verfahren bisher
nicht beteiligt.
Die von der Behörde vorgelegten Akten (Bl. 1 bis 55 ) sind zum Gegenstand der
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Die von der Behörde vorgelegten Akten (Bl. 1 bis 55 ) sind zum Gegenstand der
Beratung gemacht worden.
Die Kammer hat das Verfahren mit Beschluss vom 04.04.2001 auf den
Einzelrichter übertragen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klagefrist eingehalten, sie ist in der
Sache aber unbegründet, denn der klägerseits begehrte Verwaltungsakt ist zu
Recht abgelehnt worden. Auch die im Bescheid enthaltene
Abschiebungsandrohung ist rechtens.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird von der weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe abgesehen, weil das Gericht der Begründung des
Bescheides des Bundesamtes folgt (§ 77 Abs. 2 AsylVfG und § 117 Abs. 5 VwGO).
Zwar ist nach der - von der Kammer geteilten - Rechtsprechung des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofes davon auszugehen, dass Kurden in den
Notstandsprovinzen im Südosten der Türkei seit etwa Mitte 1993 einer
Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, (vgl. u.a. Urteile vom 16.09.1996 - 12 UE
3033/95; 05.05.1997 - 12 UE 500/96 -), weil die Zivilbevölkerung (auch in den
angrenzenden Provinzen) unter übergriffen des Militärs zu leiden, doch handelt es
sich dabei vorwiegend um einzelne Aktionen, die zudem auch zu Entschädigungen
und weiteren Maßnahmen der Regierung geführt haben (Lagebericht des
Auswärtigen Amtes vom 13.03.1995; Auskunft der Gesellschaft für bedrohte
Völker an das VG Aachen vom 03.03.1995). An der Annahme einer Ausdehnung
der Gruppenverfolgung über die Notstandsgebiete hinaus fehlt es jedenfalls an der
erforderlichen Dichte der übergriffe durch die Sicherheitskräfte (Hess.VGH, Urteile
v. 16.09.1996 und 05.05.1997 a.a.O.). Selbst wenn man dem Kläger aber trotz
seiner Herkunft aus einem Bereich außerhalb der Notstandsprovinzen für die
Prognose der Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr in seine Heimat nicht wie sonst
bei unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern den Maßstab der mit "beachtlicher
Wahrscheinlichkeit" drohenden politischen Verfolgung abverlangen - , sondern den
herabgestuften Prognosemaßstab der "hinreichenden Sicherheit" vor politischer
Verfolgung anwenden wollte, (so das Bundesverwaltungsgericht unter Hinweis
darauf, dass für die Prognose einer Verfolgung bei Rückkehr in das Heimatland das
jeweilige Staatsgebiet in seiner Gesamtheit zu betrachten sei. Drohe daher in
einem Teil dieses Gebietes politische Verfolgung, so erweise sich der Heimatstaat
als Verfolgerstaat mit der Folge, dass auch ein unverfolgt ausgereister
Asylsuchender auf andere Gebiete seines Heimatstaates nur dann verwiesen
werden kann, wenn er dort vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sei und
ihm dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohten, die nach ihrer
Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus
politischen Gründen gleichkomme, sofern diese existenzielle Gefährdung am
Herkunftsort so nicht bestünde; BVerwG, 16.02.1993 - 9 C 31./92 -, AuAS 1993,
125 = EZAR 203 Nr. 7 = NVWZ 1995, 791; zuletzt 30.04.1996 - 9 C 171.95 -, EZAR
203 Nr. 8 = DVBl. 1996, 1260 = InfAuslR 1996, 324 = NVWZ 1996, 1113), führt
dies nicht zu einem Erfolg Ihres Begehrens. Denn unabhängig davon, ob man der
genannten Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts oder der
entgegenstehenden Einschätzung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes, der
eine Anwendung des herabgesetzten Prognosemaßstabes der hinreichenden
Sicherheit vor politischer Verfolgung bei einer Rückkehr in das Heimatland des
Asylbewerbers dann für nicht gerechtfertigt hält, wenn der unverfolgt ausgereiste
Asylbewerber bei seiner Rückkehr jedenfalls in einen Teil des Heimatlandes
verfolgungsfrei leben und für die Region, in der er sich tatsächlich aufgehalten hat,
keine Verfolgung von Angehörigen derjenigen Volksgruppe, der auch er angehört,
festgestellt werden kann (vgl. HessVGH Urt. v. 05.05.1997 - 12 UE 500/96-) folgt,
ist der Kläger selbst bei Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabes bei
einer Rückkehr in sein Heimatland als Mitglied der Gruppe kurdischer
Volkszugehöriger jedenfalls außerhalb der Notstandsprovinzen vor politischer
Verfolgung hinreichend sicher. Denn obwohl Kurden in den Notstandsprovinzen im
Südosten der Türkei eine Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, besteht im übrigen
für sie grundsätzliche nach wie vor eine inländische Fluchtalternative (vgl.
HessVGH, Urt. v. 05.05.97 - 12 UE 500/96-).
Das Gericht nimmt Bezug auf die in dieser Entscheidung getroffenen tatsächlichen
Feststellungen und schließt sich den daraus gezogenen rechtlichen
Schlussfolgerungen an.
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Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aus individuellen Gründen daran gehindert
sein könnte, die Fluchtalternative wahrzunehmen, sind nicht ersichtlich.
Es soll nicht verkannt werden, dass das vom Kläger in de mündlichen Verhandlung
vorgetragene Schicksal des Enkels seiner Tante, der in Istanbul erschossen wurde,
tragisch ist. Aber auch dies lässt keinen Schluss auf eine asylrelevante Verfolgung
des Klägers zu, zumal der Junge Opfer einer Straftat geworden ist , die auch in der
Türkei verfolgt wird.
Es besteht auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung
im Zusammenhang mit der Wiedereinreise in die Türkei. Es erscheint zwar auch
vorliegenden Erkenntnissen durchaus möglich, dass abgeschobenen
Asylbewerber, insbesondere dann, wenn sie nicht über ein gültiges Reisedokument
verfügen, damit rechnen müssen, bei der Wiedereinreise in die Türkei in
Polizeigewahrsam genommen und dabei Misshandlungen ausgesetzt zu werden.
Hintergrund für diesen kurzzeitigen Überprüfungen ist, dass von den türkischen
Staat betätigt hat oder Informationen über exilpolitische Organisationen geben
kann.
Amnesty international geht hierbei davon aus, dass es auch zu Folterungen der
Festgehaltenen kommt, wobei Personen kurdischer Volkszugehörigkeit von dieser
Folter besonders betroffen sind (Amnesty international vom 21.08.1993). Auch der
Gutachter Rumpf geht von möglichen Festnahmen und Überprüfungen aus
(Gutachter Rumpf an das VG Gießen v. 04.08.1993), kann jedoch keine konkreten
Schicksale von Rückkehrern benennen (Rumpf a. a. O.). Der Gutachter Kaja
bestätigt dies, geht jedoch davon aus, das wiedereinreisende Kurden nach
sorgfältig durchgeführter Überprüfung durch die Polizeikräfte am Flughafen dann
freigelassen werden, wenn die Nachforschungen ergeben, dass die betreffenden
Personen nicht gesucht werden, gegen sie keine strafrechtlichen Verfahren laufen
und keine Anzeichen dafür sprechen, dass sie mit illegalen politischen
Organisationen in Verbindung stehen (Kaja, Gutachten an das VG Düsseldorf v.
30.06.1992, Kaja Gutachten an das VG Aachen v. 20.09.1993). Diese Einschätzung
teilt auch der Gutachter Taylan (Gutachten an das VG Bremen v. 14.11.1993). Er
selbst habe bei einer Kontrolle am Flughafen seiner Person miterlebt, wie
abgeschobene Asylbewerber aus Deutschland eingetroffen sind, die alle einen
sogenannten Passersatz von den jeweiligen Konsulaten gehabt hätten. Diese
hätten nach der Feststellung der Personalien ungehindert die Grenze passieren
können. Es erscheint unwahrscheinlich, dass abgelehnte Asylbewerber, die keinen
konkreten Lebenssachverhalt glaubhaft vorgetragen haben, aus dem sich - über
die bloße Asylantragstellung hinaus - Verdachtsmomente der türkischen Behörden
ergeben konnten, bei einer Rückkehr in die Türkei mit Verfolgungsmaßnahmen
erheblicher Intensität zu rechnen haben, selbst wenn es sich bei ihnen um
kurdische Volkzugehörige handelt. Im übrigen sei darauf hingewiesen, dass eine
von Einzelfällen hinausgehende im großen Ausmaß bestehende Praxis der
Festnahmen und eventuellen Foltermaßnahmen an den Grenzstellen in der
türkischen Presse berichtet worden wäre, insbesondere in einer Zeit, in der von ihr
jede Misshandlung der Polizei veröffentlicht wird. Aufgrund dieser Erkenntnisquellen
konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass zurückkehrende
Asylbewerber automatisch asylerheblichen Misshandlungen ausgesetzt sind.
Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs.
1 AuslG in der Person des Klägers nicht vorliegen.
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG sind weder vorgetragen noch
ersichtlich.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, da er unterlegen ist (§ 154
Abs. 1 VwGO). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b Abs. 1 AsylVfG).
Das Urteil ist wegen der Kosten (§ 167 Abs. 2, § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO) nach der
gesetzlichen Anordnung der §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO i. V. m. § 167 Abs. 1 VwGO für
vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Rechtsmittelbelehrung...
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.