Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 23.03.2006

VG Frankfurt: ausweisung, abschiebung, handel mit betäubungsmitteln, befristung, ausländer, verfügung, getrennt leben, öffentliche sicherheit, öffentliches interesse, gefahr

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Gericht:
VG Frankfurt 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 E 5525/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 6 Abs 1 GG, Art 6 Abs 2
GG, § 11 Abs 1 AufenthG, § 53
AufenthG, § 56 Abs 1
AufenthG
Befristung der Wirkungen einer Ausweisung und
Abschiebung eines straffällig gewordenen marokkanischen
Staatsangehörigen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger zu 1) ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er reiste zu einem
unbekannten Zeitpunkt unerlaubt in die Bundesrepublik ein. Er wurde unter den
Alias-Personalien A., geboren am 13.05.1982 bzw. A., geb. am 13.05.1982 mit
Verfügungen der Beklagten vom 04.01. und 07.05.2001 wegen unerlaubter
Einreise ausgewiesen.
Nach einer weiteren unerlaubten Einreise wurde der Kläger zu 1) mit Urteil des
Amtsgerichtes Aachen vom 02.08.2002 wegen gemeinschaftlicher Einfuhr und
gemeinschaftlichen unerlaubtem Handel mit Betäubungsmittel in nicht geringer
Menge zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, wobei
die Strafvollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, und mit weiterem Urteil
des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 26.08.2003 wegen unerlaubtem Besitz
von Betäubungsmitteln (Haschisch) in nicht geringer Menge sowie
Urkundenfälschung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten
verurteilt, wobei das Urteil des Amtsgerichts Aachen in die Entscheidung
einbezogen wurde.
Der Kläger zu 1) wurde am 28.11.2003 aus der Strafhaft heraus nach Marokko
abgeschoben.
Am 16.06.2004 beantragte der Kläger zu 1) über die Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland in Rabbat die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung
aufgrund einer am 25.04.2004 geschlossenen Ehe mit der deutschen
Staatsangehörigen K., der Klägerin zu 2). In dem Antrag gab der Kläger zu 1)
weder an, dass er vorbestraft ist noch dass er ausgewiesen und abgeschoben
wurde. Der Visumsantrag des Klägers zu 1) wurde daraufhin nach Aufklärung des
Sachverhaltes am 09.04.2004 abgelehnt.
Mit Schreiben vom 14.10.2004 beantragte der Kläger zu 1) nachträgliche
Befristung der Ausweisungsverfügung sowie nachträgliche Befristung der Wirkung
der Abschiebung und wies auf die am 24.05.2004 erfolgte Eheschließung hin.
Mit Verfügung vom 21.11.2005 befristete die Beklagte die Wirkung der
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Mit Verfügung vom 21.11.2005 befristete die Beklagte die Wirkung der
Ausweisungen und der vollzogenen Abschiebung zum 31.12.2008. Zur
Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Eheschließung des Klägers zu 1)
mit einer deutschen Staatsangehörigen führe zu einer gravierenden Verkürzung
des Einreiseverbotes. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass die Ehefrau im
Zeitpunkt der Eheschließung von dem Einreiseverbot Kenntnis gehabt habe und
nicht habe davon ausgehen können, dass die Ausweisung des Klägers zu 1)
umgehend befristet werde. Andererseits sei zu berücksichtigen, dass der Kläger zu
1) während seiner Anwesenheit in der Bundesrepublik Deutschland die öffentliche
Sicherheit und Ordnung erheblich beeinträchtigt habe, in dem er massivst gegen
Strafvorschriften insbesondere gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen
habe. Darüber hinaus habe der Kläger wiederholt gegen ausländerrechtliche
Bestimmungen verstoßen und sei mehrfach illegal in die Bundesrepublik
Deutschland eingereist. Hierbei habe er zur Täuschung der Behörden mehrere
Alias-Personalien angegeben. Angesichts der hohen Zahl der sich illegal in
Deutschland aufhaltenden Ausländern bestehe ein erhebliches öffentliches
Interesse daran, dass sich die Einreise und der Aufenthalt in geregelten Bahnen
vollziehen. Schon aus Gründen der Generalprävention, nämlich zur Abschreckung
anderer Ausländer aber auch aus Gründen der Spezialprävention sei die
ausgesprochene Frist erforderlich. Die strafrechtlichen Verstöße seien nicht
geringfügig. Die Gefahr von Wiederholungstaten insbesondere im Bereich der
Rauschgiftkriminalität sei - wie auch das Beispiel des Klägers zeige - hoch. Im
Hinblick auf das bisherige Verhalten des Klägers zu 1) sei zu befürchten, dass er
erneut Straftaten begehen werde, sobald er in die Bundesrepublik Deutschland
und das abgestammte Milieu zurückkehre. Die familiären Kontakte könne der
Kläger zu 1) im Rahmen des Briefverkehrs sowie durch gemeinsame Besuche
außerhalb des Gebiets der Schengener Vertragsstaaten wahren.
Die Kläger haben am 22.12.2005 Klage erhoben, mit der sie die nachträgliche
Befristung der Wirkung der Ausweisungen und der Abschiebung zum 31.12.2006
begehrt. Die Kläger verweisen darauf, dass die Begründung der Verfügung
widersprüchlich sei, wenn einerseits festgestellt werde, dass der Kläger zu 1)
seinen Lebenswandel nunmehr in rechtskonforme Bahnen gelenkt habe und
andererseits die Verfügung mit spezialpräventiven Gesichtspunkten begründe.
Zum anderen sei die Verfügung aber auch deshalb rechtswidrig, weil die Tatsache,
dass die Ehefrau des Klägers zu 1) voraussichtlich im Juni 2006 niederkommen
werde und der Kläger zu 1) dann auch Vater eines deutschen Kindes sein werde,
offensichtlich nicht berücksichtigt worden sei. Die Beklagte hätte darlegen müssen,
weshalb dem Kind zugemutet werden müsse, in den ersten zweieinhalb Jahren auf
ein Zusammenleben mit dem Kläger zu 1) zu verzichten. Des Weiteren sei die
Verfügung rechtswidrig, weil mit ihr auch ein früheres Verhalten geahndet werden
solle, wenn ausgeführt werde, dass der Kläger zu 1) wiederholt gegen
ausländerrechtliche Bestimmungen verstoßen und mehrfach illegal in die
Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Diese Überlegungen könnten nicht zur
Rechtfertigung des Fortbestandes der Sperrwirkung herangezogen werden, wenn
die Identität des Ausländers geklärt sei, der Kläger zu 1) Ehemann einer deutschen
Staatsangehörigen sei und demnächst Vater eines deutschen Kindes sei und die
Straftaten längere Zeit zurücklägen. Delikte der genannten Art könne der Kläger
zu 1) naturgemäß nicht mehr begehen, wenn er im Wege der
Familienzusammenführung nach Befristung der Sperrwirkung einreise. Schließlich
sei zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 1) zu einer Jugendstrafe verurteilt
worden sei und dass er so genannte harte Drogen besessen habe. Damit sei
festgestellt, dass der Täter die Taten zu einem Zeitpunkt begangen habe, als er
noch nicht reif im Sinne des Strafrechtes gewesen sei. Inzwischen habe bedingt
durch die Eheschließung und durch ein bevorstehendes Familienleben mit dem
Kind eine wesentliche Änderung in der Lebensführung des Klägers zu 1)
stattgefunden. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 1) nach
seiner Rückkehr erst einmal weiter inhaftiert werde, und ihm deshalb im Rahmen
der Fortsetzung der Haft auch vor Augen geführt werde, dass er sich künftig
straffrei zu verhalten habe.
Die Kläger beantragen,
die Verfügung der Beklagten vom 21.11.2005 aufzuheben, darunter die
Wirkungen der Ausweisungen vom 04.11.2001 und 07.05.2001 sowie der
Abschiebung vom 28.11.2003 bis zum 31.12.2006 zu befristen.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt auf den Inhalt der ergangenen Verfügung Bezug und verweist
darauf, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der zu treffenden
Befristungsentscheidung sorgfältig und zutreffend ermittelt worden seien und die
getroffene Entscheidung sodann entsprechend der ständigen Rechtsprechung des
Hessischen VGH und des Verwaltungsgerichts Frankfurt ausreichend in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht widerspruchsfrei begründet worden sei. Der
Kläger zu 1) habe von Beginn seines Aufenthalts in der Bundesrepublik
Deutschland an schwerwiegend und planmäßig gegen aufenthaltsrechtliche
Bestimmungen verstoßen und sei zudem wegen Drogendelikten erheblich
strafrechtlich in Erscheinung getreten und habe hierdurch zum Ausdruck gebracht,
dass er zur Verfolgung seiner wirtschaftlichen Ziele bereit sei, sich über die
Rechtsvorschriften hinweg zu setzen und die grundsätzlich geschützten
hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit anderer Mitbürger in
Deutschland selbst nach der erfolgten Strafhaft Ausweisung und Abschiebung in
seinem Heimatstaat Marokko und der dort erfolgten Eheschließung habe der
Kläger zu 1) bewusst unzutreffende Angaben im aufenthaltsrechtlichen Verfahren
gemacht. Der Kläger zu 1) habe mit diesem Verhalten im Visaverfahren erneut
deutliche gemacht, dass er - wenn es um seinen persönlichen Vorteil gehe - nicht
Willens sei, die Rechtsordnung in Deutschland zu akzeptieren. Demgegenüber
beruhten die Ausführungen des Klägers zu 1) zum künftigen rechtskonformen
Verhalten lediglich auf vagen Vermutungen. Auch die von den Klägern in Bezug
genommene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 08.12.2005
führe zu keiner anderen Beurteilung. Hintergrund der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes sei eine bestehende familiäre Gemeinschaft
zwischen dem Kind und seinem inzwischen von der Mutter geschiedenen
deutschen Vater gewesen. Daraus lasse sich aber ein absoluter und genereller
Schutz von Ausländern vor Ausweisung und Abschiebung insbesondere auch für
Straftäter und werdende Väter nicht ableiten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie den Inhalt der vorgelegten Behördenakten (2 Hefter) Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die als Verpflichtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage der
Kläger ist nicht begründet. Die Verfügung der Beklagten vom 21.11.2005 ist
rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.
Ein Ausländer, der wie der Kläger zu 1. ausgewiesen und abgeschoben worden ist,
darf nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Nach §
11 Abs. 1 S. 3 AufenthG werden diese Wirkungen auf Antrag in der Regel befristet.
Die Frist beginnt nach § 11 Abs. 1 S. 4 AufenthG mit der Ausreise.
Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Befristungsentscheidung sind
grundsätzlich zwei Regelungsbereiche zu unterscheiden. Zum einen die Frage, ob
eine Befristung überhaupt in Betracht kommt und zum anderen die Dauer der
Frist.
Die Frage, ob überhaupt eine Befristung in Betracht kommt, beurteilt sich danach,
ob ein Regelfall im Sinne der Bestimmungen gegeben ist. In der Regel genügt eine
zeitlich befristete Ausweisung zur Erreichung des damit verfolgten Zweckes.
Ausnahmefälle sind durch eine a-typischen Geschehensablauf gekennzeichnet,
der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der
gesetzlichen Regelung beseitigt. Hierbei müssen überwiegende öffentliche
Interessen vorliegen, die in der Regel dadurch begründet sein müssen, dass der
mit der Ausweisung verfolgte Zweck durch eine zeitlich befristete Fernhaltung aus
dem Bundesgebiet nicht erreicht werden kann. Dabei sind neben dem Gewicht des
Ausweisungsgrundes die mit der Ausweisung verfolgten spezial- und
generalpräventiven Ausweisungszwecke zu berücksichtigen (BVerwG, Beschl. v.
02.05.1996 InflAuslR 1996, S.303).
In Ansehung der Ausweisungsverfügung der Beklagten und den dieser Verfügung
zugrunde liegenden Verstößen gegen die Rechtsordnung der Bundesrepublik
Deutschland und der mit der Ausweisungsverfügung verfolgten Zwecke ist ein
Regelfall zu bejahen. Es liegen keine Besonderheiten vor, die einen a-typischen
Geschehensablauf aufweisen.
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Über die Dauer der Frist und die bei ihrer Bemessung zu berücksichtigenden
Gesichtspunkte trifft das Gesetz keine Aussage. Es ist allein geregelt, dass die
Frist mit der Ausreise in Lauf gesetzt wird. Gemeint ist damit die erstmalige
Ausreise. Die Festlegung der Frist ist eine Ermessensentscheidung, die sich an den
nach § 40 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz geltenden Grundsätzen
auszurichten hat. Für die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung und
Abschiebung bedeutet dies, dass die konkrete Dauer der Frist nach dem im
jeweiligen Einzelfall für die Ausweisung vorgegebenen spezial- und/oder
generalpräventiven Ausweisungszweck zu bemessen ist. Denn auch die
Sperrwirkung soll als gesetzliche Folge der Ausweisung einer künftigen
Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger
erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland vorbeugen, in dem der
Ausländer vom Bundesgebiet ferngehalten wird; Dies ist keine zur Ausweisung
hinzutretende Strafe. Die Sperrwirkung teilt mithin den ordnungsrechtlichen
Charakter der Ausweisung und darf daher nur solange aufrecht erhalten werden,
als der Ausweisungszweck die Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet
noch erfordert oder anders ausgedrückt, wann voraussichtlich die die Ausweisung
begründende Gefahr entfallen ist. Bei dieser Prognose sind alle wesentlichen
Umstände des Einzelfalles - soweit sie von dem Kläger im Rahmen seiner aus § 82
Abs. 1 AufenthG folgenden Mitwirkungspflicht geltend gemacht wurden oder -
soweit sie von der Behörde erkennbar sind, zu berücksichtigen und ihrem Gewicht
entsprechend unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen des behördlichen
Ermessens vor allem des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der
Schutzwirkung der Grundrechte sachgerecht abzuwägen. Besonders Gewicht
kommt dabei den Umständen zu, die nach den für die gerichtliche Beurteilung der
Rechtmäßigkeit einer Ausweisung maßgebenden Zeitpunkt der letzten
Behördenentscheidung eingetreten sind und die Fahrtdauer der Sperrwirkung als
ungeeignet, nicht erforderlich oder unangemessen erscheinen lassen; insoweit ist
die Befristungsentscheidung Ausdruck des verfassungsrechtlichen Grundsatzes
der Verhältnismäßigkeit.
Ungeachtet einer vom Ausländer ausgehenden Gefahr, die es aus spezial-
oder/und generalpräventiven Gründen abzuwehren gilt, sind im Übrigen bei der
Entscheidung über die Befristung strafgerichtliche Verurteilungen unerheblich, die
nach den Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes nicht mehr gegen den
Ausländer verwendet werden dürfen (Ziff. 11.1.4.5 der vorläufigen
Anwendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz nach dem Stand vom 22.12.2004).
Im Hinblick auf die Regelungen über die Tilgungsfrist im
Bundeszentralregistergesetz erscheint es bei Vorliegen von Straftaten des
Ausländers sowohl bei Ausweisungen als auch bei der Frage der Befristung der
Wirkung von Ausweisungen grundsätzlich sachgerecht, von der jeweiligen
Tilgungsfrist des Bundeszentralregisters als Obergrenze der Dauer der Frist
auszugehen.
Vorliegend wurde der Kläger durch rechtskräftig gewordenes Urteil des
Amtsgerichtes Frankfurt am Main vom 26.08.2003 unter Einbeziehung eines
Urteils des Amtsgerichte Aachen vom 02.08.2002 mit dem der Kläger wegen
gemeinschaftlicher Einfuhr und gemeinschaftlichem unerlaubtem Handel mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden war, wegen
unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln (Haschisch) in nicht geringer Menge
sowie Urkundenfälschung zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten
verurteilt. Damit beträgt die Länge der Tilgungsfrist nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 c
Bundeszentralregistergesetz 10 Jahre.
Ausgehend von dieser Obergrenze hat die Ausländerbehörde in Ansehung der
vom jeweiligen Ausländer ausgehenden und fortbestehenden spezial- oder
generalpräventiven Gefahr unter Berücksichtigung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und eventuell betroffener Grundrechte des
Ausländers einer Ermessensentscheidung zu treffen, in die die einzelnen
Gesichtspunkte entsprechend ihrem Gewicht einzustellen sind.
Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, dass der Kläger zu 1. nach seiner
Ausweisung eine deutsche Staatsangehörige geheiratet hat.
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Ehefrau des Klägers als deutsche
Staatsangehörige grundsätzlich einen unentziehbaren Rechtsanspruch darauf hat,
in Deutschland eine Ehe zu führen und eine Ausweisung bzw. die
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in Deutschland eine Ehe zu führen und eine Ausweisung bzw. die
Aufrechterhaltung der Ausweisung des Ehepartners daher nur gerechtfertigt ist,
wenn die Ausweisungsgründe schwerwiegend sind und der Verbleib im Inland trotzt
der Ehe nicht weiter hingenommen werden kann bzw. die Wirkungen der
Ausweisung aufrecht erhalten bleiben müssen. Insoweit sind letztlich die
Grundsätze die bei der Ausweisung eines deutsch verheirateten Ausländers
anzuwenden sind, entsprechend bei der nachträglichen Entscheidung über die
Frage der Aufrechterhaltung der Wirkungen mit einer Ausweisung zur Geltung zu
bringen. Vorliegend liegt im Falle des Klägers zu 1. im Hinblick auf seine
Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mehr als drei Jahren der Fall einer
zwingenden Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG vor. Die eheliche
Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen würde dazu führen,
dass der Ausländer besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 4
AufenthG genießt mit der Folge, dass die zwingende Ausweisung zu einer
Regelausweisung herabgestuft wird (§ 56 Abs. 1 S. 4 AufenthG) und eine
Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung erfolgen darf (§ 56 Abs. 1 S. 2 AufenthG). In dieser Situation haben die
Ausländerbehörden zu überprüfen, ob die regelmäßig gebotene Ausweisung
deshalb zu unterbleiben hat, weil ein Sachverhalt so erheblich von der gesetzlich
vorausgesetzten Normalsituation, dass die Ausweisung ungerecht und
insbesondere unverhältnismäßig erscheint und daher ein Ausnahmefall vorliegt.
Bei der Feststellung eines Ausnahmefalles sind alle Umstände zu berücksichtigen
die in einer Ermessensentscheidung über eine Ausweisung einzustellen sind, also
neben general- und spezialpräventiven Aspekten insbesondere auch die im § 55
Abs. 2 AufenthG aufgeführten Gesichtspunkte. Dabei ist insbesondere auch der
Umstand, dass die Ausweisung die Fortführung bzw. Aufnahme der Ehe im Inland
unmöglich macht, als nach § 55 Abs. 2 AufenthG zu berücksichtigender Belang
auch dann zu beachten, wenn erst diese eheliche Lebensgemeinschaft zur
Herabstufung der zwingenden Ausweisung zu einer Regelausweisung geführt hat.
Denn mit der formalen Herabstufung, die die individuellen Verhältnisse der
Lebensgemeinschaft wie etwa die Ehedauer oder das besondere Angewiesensein
des einen auf den anderen Ehepartner nicht berücksichtigt, wird dem Schutzgebot
des Art. 6 Abs. 1 GG nicht genüge getan. Ferner muss berücksichtigt werden, dass
die Ehefrau des Klägers zu 1. als deutsche Staatsangehörige grundsätzlich einen
unentziehbaren Rechtsanspruch darauf hat, in Deutschland eine Ehe zu führen
und eine Ausweisung des Ehepartners daher nur gerechtfertigt ist, wenn die
Ausweisungsgründe schwerwiegend sind und der Verbleib im Inland trotz der Ehe
nicht weiter hingenommen werden kann. Dieser Anspruch wird nicht dadurch
relativiert, dass die deutsche Ehefrau marokkanischer Abstammung ist und
deshalb die ansonsten noch zusätzlich zu berücksichtigenden Probleme einer
Eingewöhnung des deutschen Ehegatten im Herkunftsstaat des Partners geringer
wären. Denn die einer deutschen Staatsangehörigen gewährleistete
Rechtsposition wird nicht durch Gegebenheiten wie etwa ihre Abstammung
relativiert (vgl. hierzu HessVGH, Beschl. v. 15.07.2003, Az.: 12 TG 1484/03 (V)).
Die vorgenannten Gesichtspunkte die im Rahmen einer Ausweisungsentscheidung
zu berücksichtigten sind, sind auch dann einzustellen, wenn - wie hier - über die
Aufrechterhaltung der Wirkungen einer Ausweisung zu entscheiden ist. Genauso
wie bei einem Ausländer, der während eines laufenden Ausweisungsverfahrens
eine deutsche Staatsangehörige heiratet, eine sogenannte Ist-Ausweisung zu
einer Regelausweisung herabgestuft wird, ist bei der Frage, ob eine Ausweisung
aufrecht zu erhalten ist der Umstand zu berücksichtigen, dass der ausgewiesene
Ausländer inzwischen mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist. Für
die Frage der Aufrechterhaltung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung
bedeutet dies, dass gewissermaßen inzident zu prüfen ist, ob bei Vorliegen von
zwingenden Ausweisungsgründen auch im Falle ihrer Herabstufung zu einer
Regelausweisungsgründen die Ausweisung weiter aufrecht erhalten werden kann.
Es ist kein Grund ersichtlich, einen ausgewiesenen Ausländer, der nach seiner
Ausweisung eine deutsche Staatsangehörige geheiratet hat, rechtlich anders zu
behandeln als einen Ausländer, der im Zeitpunkt seiner Ausweisung bereits mit
einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war. Die Schutzwirkungen von Ehe
und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG müssen grundsätzlich für beide Fallgruppen
gleich sein.
Vorliegend hat die Beklagte den Umstand, dass der Kläger mit einer deutschen
Staatsangehörigen verheiratet ist in der Weise eingestellt, dass er das im Hinblick
auf das Verhalten des Klägers vor seiner Abschiebung an sich aufrecht zu
erhaltene Einreiseverbot gravierend verkürzt hat. Er hat darauf verwiesen, dass im
Hinblick auf die zweimalige Verurteilung wegen Betäubungsmitteldelikten die
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Hinblick auf die zweimalige Verurteilung wegen Betäubungsmitteldelikten die
Anwesenheit des Klägers zu einer schwerwiegenden Störung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung geführt hat und wegen der Gefahr von Wiederholungstaten
gerade von Ausländern die sich in der Drogenszene bewegt haben, die Gefahr von
Wiederholungstaten besonders hoch ist, wie auch das bisherige Verhalten des
Klägers gezeigt habe, so dass die Wirkungen der Ausweisungen wegen der nach
wie vor bestehenden Gefährlichkeit des Klägers aufrecht zu erhalten sei. Diese
Schlussfolgerungen der Beklagten können rechtlich nicht beanstandet werden,
zumal der Kläger - wie sich aus den Gründen des Strafurteiles des Amtsgerichtes
Frankfurt am Main ergibt über keinerlei Ausbildung verfügt und ein erhebliches
Persönlichkeitsdefizit aufweist, so dass die Gefahr, dass der Kläger bei der
Rückkehr nach Deutschland wegen der schlechten Ausbildung und fehlenden
Integration in die Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland und der mit der
damit verbundenen schlechten beruflichen Möglichkeiten erneut in Kontakt mit
dem Drogenmilieu gerät, zumal er noch eine Reststrafe von 655 Tagen
abzuleisten hat. Das der Kläger zu 1. auch nach wie vor die Vorschriften der
Bundesrepublik Deutschland missachtet zeigt sich auch daran, dass er nach
seiner Eheschließung einen Visumsantrag gestellt hat, in dem er falsche Angaben
gemacht und weder seine Vorstrafen noch seine Ausweisungen und seine
Abschiebung angegeben hat. Auch dieses Verhalten des Klägers zu 1. zeigt, dass
ein Wandel in seiner Einstellung zur Rechtsordnung nicht eingetreten ist.
Die Beklagte hat auch erkannt, dass durch die weitere Aufrechterhaltung der
Wirkungen der Ausweisung die Grundrechte der Kläger aus Art. 6 Abs. 1 GG
tangiert werden und hat den Konflikt zwischen dem öffentlichen Interesse an der
Fernhaltung des Klägers zu 1. und den Grundrechten dahin gelöst, dass sie die
Wirkungen der Ausweisung auf den 31.12.2008 befristet hat. Sie dürfte in diesem
Zusammenhang in ihre Überlegungen einbeziehen, dass der Kläger und seine
deutsche Ehefrau erst nach der Abschiebung des Klägers in Marokko die Ehe
miteinander geschlossen haben und zu diesem Zeitpunkt für beide Ehepartner
absehbar war, dass sie im Hinblick auf die Ausweisung des Klägers zu 1. in
absehbarer Zeit nicht gemeinsam in Deutschland leben können. Insofern haben
die Kläger von vornherein in Kauf genommen, dass sie - sofern die Klägerin ihrem
Ehemann nicht nach Marokko folgt - zunächst getrennt leben müssen. Da die
Kontakte zwischen den Klägern durch Telefongespräche und Besuche der Klägerin
in Marokko aufrecht erhalten werden können, kann auch nicht gesagt werden, dass
die Dauer der Sperrfrist zu einer völligen Entfremdung der Eheleute führt, zumal
nicht ersichtlich ist, dass die Klägerin zu 2. und ihr marokkanischer Ehemann
bisher jemals zusammengelebt haben.
Soweit die Kläger nach Ergehen der Entscheidung der Beklagten vorgetragen
haben, dass die Klägerin zu 2. von ihrem Ehemann schwanger sei und die Klägerin
zu 2. voraussichtlich Ende Juni 2006 niederkommen werde, kann dies im
vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigt werden. Maßgeblicher Zeitpunkt für
die Überprüfung von Ermessensentscheidungen über Aufenthaltsgenehmigungen
ist grundsätzlich der Erlass der letzten Behördenentscheidung, dies gilt auch für
die Befristung einer Ausweisung im Rahmen des Ermessens (vgl. etwa OVG
Nordrhein-Westfalen, Beschl v. 23.03.2005, Az.: 18 A 4394/03).
Die neue, nach Ergehen der Entscheidung der Beklagten vorgetragene Tatsache
der Schwangerschaft der Klägerin zu 2. können die Kläger nach der Geburt des
Kinder in der Weise geltend machen, dass sie entweder bei der Beklagten einen
neuen Befristungsantrag stellen oder im Falle der Bestands- oder Rechtskraft der
streitbefangenen Entscheidung einen Antrag nach näherer Maßgabe von § 51
HessVwVfG stellen. Im Rahmen einer dann zu treffenden Ermessensentscheidung
wird die Beklagte Erwägungen darüber anzustellen haben, inwieweit eine Vater-
Kind-Beziehung besteht und welcher Trennungszeitraum dem Kind zumutbar ist.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Entwicklung von Kindern sehr schnell
voranschreitet, so dass eine lange Trennungszeit zwischen Vater und Kind sich im
Lichte des Art. 6 Abs. 2 GG als unzumutbar darstellen kann (vgl. hierzu
Bundesverfassungsgericht , Beschl. v. 31.08.1999, NVwZ 2000, S. 59). Des
weiteren ist es nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte im Hinblick auf die von
dem Kläger zu 1. ausgehenden Rückfallgefahr von diesem einem
Strafregisterauszug aus Marokko sowie einen Nachweis über das Nichtvorliegen
einer Drogenabhängigkeit verlangt.
Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen, da sie unterlegen sind (§§
154 Abs. 1, 159 VwGO, 100 ZPO).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m.
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,- € festgesetzt.
Mangels anderweitiger tatsächlicher Anhaltspunkte war der Auffangstreitwert
anzusetzen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.