Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 07.02.2002

VG Frankfurt: demokratische republik kongo, vorläufiger rechtsschutz, neue tatsache, neue beweismittel, onkel, bundesamt, bevölkerung, gesundheitswesen, grundversorgung, abschiebung

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Gericht:
VG Frankfurt 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 G 5331/01.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 53 AuslG, § 71 AsylVfG, § 48
VwVfG, § 49 VwVfG, § 51
VwVfG
Semiimmunität eines kongolesischen Staatsangehörigen
führt nicht zu Abschiebungsschutz.
Leitsatz
§71 Abs.5 AsylVfG, §53 Abs.6 AuslG, §51 Abs.5 VwVfG
Demokratische Republik Kongo, extreme Gefahrenlage, Versorgungslage,
Gesundheitswesen, Semiimmunität, Ermessensreduzierung auf Null.
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
Der am 11.12.2001 gestellte Antrag nach § 123 VwGO,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von
Abschiebemaßnahmen gegenüber dem Antragsteller bis zu einer Entscheidung
des Gerichts im Klageverfahren abzusehen,
ist ausnahmsweise zulässig. In Fällen des § 71 Abs. 5 AsylVfG ist vorläufiger
Rechtsschutz an sich mittels eines Eilantrags gegen die Bundesrepublik
Deutschland zu suchen mit dem Ziel der Verpflichtung des Bundesamts für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, gegenüber der zuständigen
Ausländerbehörde zu erklären, dass auf die ursprüngliche Mitteilung nach § 71
Abs. 5 Satz 2 AsylVfG hin zunächst keine Vollzugsmaßnahmen ergehen dürfen. Im
vorliegenden Fall kann der direkt gegen die Ausländerbehörde gerichtete Eilantrag
deshalb als zulässig angesehen werden, weil inzwischen möglicherweise
Abschiebemaßnahmen unmittelbar bevorstehen und eine stattgebende
Entscheidung gegenüber dem Bundesamt unter Umständen keinen effektiven
Rechtsschutz mehr gewähren könnte. Allerdings ist zu beachten, dass richtiger
Antragsgegner die zentrale Abschiebebehörde ist, die beim Main-Taunus-Kreis
angesiedelt ist, und nicht die für den Wohnort des Antragstellers zuständige
Ausländerbehörde. Der Antragsteller hat seinen Antrag zwischenzeitlich auch
entsprechend korrigiert.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft
gemacht, dass ihm ein Anspruch auf Abschiebungsschutz im Rahmen des von ihm
eingeleiteten Folgeverfahrens zusteht. Das Gericht hegt im Ergebnis keine
ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids (§ 71 Abs.
4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG). Das beantragte weitere Asylverfahren ist
ohnehin nicht durchzuführen, weil der Antragsteller nicht die Gefahr politischer
Verfolgung, sondern ausschließlich humanitäre Gründe für ein Bleiberecht geltend
gemacht hat. Sein Folgeantrag, das heißt ein weiterer Asylantrag, mit dem sowohl
die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG wie auch die
Anerkennung als Asylberechtigter beantragt wird (§ 71 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 13
Abs. 2 AsylVfG), erfüllt deshalb von vornherein nicht die Voraussetzungen des § 51
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Abs. 2 AsylVfG), erfüllt deshalb von vornherein nicht die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 VwVfG, sodass nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ein asylrechtliches
Folgeverfahren nicht in Betracht kommt.
Aber auch das abgeschlossene Verfahren im Hinblick auf Abschiebungshindernisse
nach § 53 AuslG kann nicht wieder aufgegriffen werden, weil die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 und 2 VwVfG nicht vorliegen. Als Grund für ein Wiederaufgreifen
käme ohnehin nur eine Änderung der Sachlage gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG in
Frage; neue Beweismittel - wie etwa das vorgelegte ärztliche Gutachten - setzen
voraus, dass der zugrundeliegende Sachverhalt bereits im Erstverfahren
thematisiert worden ist. Gerade das ist hier aber nicht geschehen. Die jetzt vom
Antragsteller angeführten gesundheitlichen Gefahren in Verbindung mit der
desolaten Versorgungslage in seinem Heimatland sind im Erstverfahren, das
erstinstanzlich mit Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom
27.04.2000 abgeschlossen wurde, nicht angesprochen worden.
Die Sachlage selbst hat sich seither nicht substantiell zu Gunsten des
Antragstellers geändert. Er macht im Kern geltend, er laufe bei einer Rückkehr
Gefahr, sich wegen des Verlusts seiner Semiimmunität durch seinen langen
Auslandsaufenthalt mit einer Tropenkrankheit zu infizieren und daran zu sterben.
Dieses Risiko für Rückkehrer bestand aber schon während seines Erstverfahrens,
als er etwa zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils bereits seit acht Jahren in
Deutschland lebte. Dass seine Semiimmunität erst während der letzten zwei Jahre
entscheidend abgeklungen sein könnte, geht aus dem zitierten Gutachten von Dr.
J. nicht hervor. Auch das Gesundheitswesen, auf dessen Dienste er im Falle einer
Infektion angewiesen sein wird, um diese zu überleben, hat sich in diesem
Zeitraum nicht signifikant verschlechtert, es war bereits früher in einem desolaten
Zustand. Die staatlichen Krankenhäuser waren schon vor dem Ausbruch der
Rebellion im August 1998 vollkommen herabgewirtschaftet bzw. geplündert
worden. Auch damals war eine ausreichende medizinische Versorgung für weite
Teile der Bevölkerung nicht gewährleistet. Die Behandlungsmöglichkeiten für
Arbeitslose hingen damals wie heute davon ab, ob die Großfamilie die notwendigen
Kosten aufbringen konnte (vgl. die nahezu gleichlautenden Ausführungen dazu in
den Lageberichten vom 07.05.1999 und 23.11.2001). Ebenso ist die
Ernährungslage, die ein Nährboden für Krankheiten sein kann, nicht erst seit dem
in dem Asylfolgeantrag zitierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom
05.05.2001 angespannt. Bereits im Lagebericht vom 23.03.2000 wurde die
Grundversorgung der Bevölkerung als nicht gesichert bezeichnet, die
Arbeitslosigkeit betrug über 80 %, jetzt liegt sie bei über 90 % (vgl. den jüngsten
Lagebericht vom 23.11.2001). Dass diese graduelle Zuspitzung entscheidend für
das überleben des Antragstellers sein könnte, ist nicht anzunehmen und von ihm
auch nicht dargetan worden. Auch das Fehlen familiärer Bindungen als wichtiger
Faktor für die Existenzsicherung ist keine neue Tatsache, sondern wurde vom
Antragsteller bereits im Erstverfahren angegeben.
Scheidet aber ein Wiederaufgreifen des Verfahrens aus, weil sich die Sachlage
nicht entscheidend geändert hat, bzw. der Antragsteller seine Gefährdung bereits
im Erstverfahren hätte geltend machen können, so ist das Bundesamt nur
verpflichtet, nach § 51 Abs. 5 i.V.m. den §§ 48 und 49 VwVfG ermessensfehlerfrei
darüber zu entscheiden, ob die bestandskräftige frühere Entscheidung
zurückgenommen oder widerrufen wird (BVerwG, Urt. v. 21.03.2000 - BVerwG 9 C
41.99). Ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf eine Ermessensbetätigung zu
Gunsten des Antragstellers, der durch eine Eilentscheidung gesichert werden
könnte, besteht jedoch nur bei einer Ermessensreduzierung auf Null. Dass diese
Konstellation hier vorliegen könnte, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.
Die von ihm geltend gemachten Gefahren fallen unter § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG.
Denn in die Demokratische Republik Kongo abgeschobene Asylbewerber - wenn sie
nicht bereits beim Versuch der Einreise an der Grenze zurückgewiesen wurden,
sondern zunächst ein in aller Regel mehrjähriges Verfahren durchlaufen haben -
sehen sich grundsätzlich alle einem stark erhöhten Erkrankungsrisiko ausgesetzt
und haben mit der schwierigen Versorgungslage zu kämpfen. Da es sich somit um
größere Bevölkerungsgruppen handelt, zumal diese Gesundheitsrisiken nicht nur
im Heimatland des Antragstellers, sondern auch in anderen tropischen Ländern
mit ähnlichen Lebensbedingungen anzutreffen sind, kann die Entscheidung über
eine Aussetzung der Abschiebung in diesen Fällen nur politisch über einen
allgemeinen Abschiebestopp nach § 54 AuslG getroffen werden. Individueller
Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ist daneben ausnahmsweise
nur dann zulässig und geboten, wenn die im Zielstaat der Abschiebung
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nur dann zulässig und geboten, wenn die im Zielstaat der Abschiebung
anzutreffende extreme Gefahrenlage nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit der
Rechtsverletzung dem Betroffenen nicht zugemutet werden kann, ohne seine
Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG zu verletzen (vgl. BVerwG,
Urteil vom 27.04.1998, 9 C 13.97 m.w.N.).
Eine extreme Gefahrenlage in diesem Sinne vermag das Gericht nicht
festzustellen. Zwar ist die Grundversorgung in der Bevölkerung nicht mehr
gewährleistet, doch kann von einer akuten Unterversorgung, wie in anderen
Hungergebieten Afrikas, bisher nicht gesprochen werden. Auch sind die
Lebensbedingungen trotz der für alle spürbaren Versorgungsengpässe
unterschiedlich: Eine im September 2001 veröffentlichte Studie ergab, dass von
den untersuchten Haushalten in Kinshasa 22 % eine Mahlzeit, 61,1 % zwei und
16,1 % drei Mahlzeiten pro Tag zu sich nehmen können (vgl. dazu den jüngsten
Lagebericht vom 23.11.2001 und den in seiner Bewertung der
Versorgungssituation damit übereinstimmenden früheren Bericht vom
05.05.2001). Auch Infektionen, mit denen der Antragsteller rechnen muss, führen
nicht unweigerlich zum Tode, sondern sind Teil des allgemeinen Lebensrisikos in
diesen Ländern. Nach dem vom Antragsteller vorgelegten Gutachten ist die dem
Antragsteller inzwischen fehlende Semiimmunität meist nicht angeboren, sondern
im Laufe der Kindheit durch immer wieder erfolgte Infektionen und deren
überleben erworben. Bei seiner Rückkehr wird der Antragsteller in eine ähnliche
Situation geraten wie zu Beginn seines Lebens, als er ebenfalls einer erheblichen
Lebensgefahr ausgesetzt war, bis sich der notwendige partielle Immunschutz
gebildet hatte. Im Unterschied zu Säuglingen und Kleinkindern ist bei ihm
allerdings damit zu rechnen, dass sein immunologisches Gedächtnis in absehbarer
Zeit wieder aufgefrischt sein und ihn vor tödlichen Komplikationen schützen wird,
wie das Gericht den Ausführungen auf Bl. 13 des Gutachtens von Dr. J. entnimmt.
Seine Aussichten, die schwierige Phase der Reintegration unbeschadet zu
überstehen, hängen in erster Linie von seinen finanziellen Möglichkeiten und seiner
persönlichen Konstitution ab.
Als gesunder Mann im besten Alter, der die ersten dreißig Jahre seines Lebens in
der Demokratischen Republik Kongo verbracht hat, also mit den
Lebensbedingungen und Überlebensstrategien dort vertraut ist, hat er eine
wesentlich günstigere Ausgangsbasis als Kinder oder alleinstehende Frauen. Da er
in Deutschland berufstätig ist, hat er Rücklagen bilden können, die ihm - auch
wenn es sich dabei nicht um ein Vermögen handeln wird - angesichts des enormen
Kaufkraftgefälles zwischen seiner Heimat und hier in der Anfangsphase hilfreich
sein werden, insbesondere falls er medizinische Hilfe benötigen sollte. Zu
bedenken ist auch, dass seinen Angaben, er könne bei einer Rückkehr nicht auf
familiäre Unterstützung zählen, nicht ohne weiteres Glauben geschenkt werden
kann. Dabei ist sein Verhalten im Asylerstverfahren zu berücksichtigen, das
eigentlich bereits ein Folgeverfahren war, was der Antragsteller wohlweislich
verschwiegen hatte. Er hatte nämlich zuvor unter anderen Personalien einen
Asylantrag gestellt. Seine gesamte Verfolgungsgeschichte erwies sich im
Nachhinein als erfunden, als sich herausstellte, dass er sich zur Zeit der
angeblichen Verfolgungsereignisse bereits in der Bundesrepublik Deutschland
befunden hatte. Es kann deshalb nicht außer Acht gelassen werden, dass er
offensichtlich bedenkenlos falsche Angaben macht, wenn es der Sicherung seines
Aufenthalts hier dient. Seine jetzige Behauptung, es sei ihm nicht gelungen, mit
seinem Onkel in Kinshasa Verbindung aufzunehmen, muss bezweifelt werden.
Denn offensichtlich hatte er im Rahmen der Beweiserhebung im
vorausgegangenen Asylverfahren seinen Onkel kontaktiert und instruiert, sodass
dieser Angaben machte, die geeignet waren, die Verfolgungslegende des
Antragstellers zu stützen. Der Onkel hatte gegenüber Beauftragten des
Auswärtigen Amtes angegeben, der Antragsteller habe früher beim Roten Kreuz in
Kinshasa gearbeitet und das Land erst nach dem Tode seines Vaters verlassen.
Beide Angaben sind nachweislich unzutreffend, entsprechen aber dem damaligen
Asylvorbringen des Antragstellers, in dem sie eine Rolle spielten. Wie Recherchen
beim Roten Kreuz in Kinshasa ergaben, ist der Antragsteller dort weder bekannt
noch im Archiv als ehemaliger Mitarbeiter registriert. Außerdem hatte der
Antragsteller zum Beweis seiner Mitarbeit beim Roten Kreuz einen Dienstausweis
vorgelegt, der mit hoher Wahrscheinlichkeit gefälscht war. Den - angeblich
fluchtauslösenden - Tod seines Vaters datierte der Antragsteller selbst auf Anfang
August 1992. Tatsächlich befand er sich aber bereits seit Mai 1992 im
Bundesgebiet. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass der Antragsteller nach
wie vor Kontakte zu seiner Familie pflegt und von ihr im Falle einer Rückkehr auch
Unterstützung zu erwarten hat. Angesichts dieser Umstände kann nicht davon
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Unterstützung zu erwarten hat. Angesichts dieser Umstände kann nicht davon
gesprochen werden, dass eine Rückkehr für den Antragsteller so unzumutbar
wäre, dass das Bundesamt nur rechtmäßig handeln könnte, wenn es ihm ein
Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG zubilligen würde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.