Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 20.11.1997

VG Frankfurt: abschiebung, aufschiebende wirkung, duldung, aufenthaltsbewilligung, versorgung, registrierung, heimatort, aufenthaltserlaubnis, wohnraum, gefahr

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Gericht:
VG Frankfurt 6.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 G 2203/97
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Leitsatz
Der Abschiebung bosnisch-herzegowinischer Staatsbürger moslemischer oder
kroatischer Volkszugehörigkeit nach Bosnien-Herzegowina stehen
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG auch dann nicht entgegen, wenn sie in ihren
Heimatort nicht zurückkehren können, weil dieser von einer anderen Volksgruppe
dominiert wird und sie dort mit Diskriminierungen und Übergriffen rechnen müssen.
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,– DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger serbischer
Volkszugehörigkeit. Er wohnte zuletzt in Sanski Most. Er reiste mit einem vom
22.12.1992 bis zum 21.03.1993 gültigen Visum zur Arbeitsaufnahme im Rahmen
eines Werkvertrages in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihm wurde eine
Aufenthaltsbewilligung bis zum 21.12.1994 erteilt. Wiederholt beantragte er die
Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung sowie die Erteilung von Duldungen. Am
11.04.1995 wurde ihm erstmals eine Duldung erteilt, die bis zum 12.06.1997
verlängert wurde. Für eine sogenannte Orientierungsfahrt erhielt er für die Zeit
vom 15.05.1996 bis zum 14.07.1996 eine Aufenthaltsbefugnis.
Mit Bescheid vom 13.05.1997 lehnte der Antragsgegner die Anträge vom
09.12.1994, 02.03.1995, 26.03.1996 und 10.07.1996 auf Verlängerung der
Aufenthaltsgenehmigung ab, wies den Antragsteller auf die Ausreisepflicht hin,
setzte eine Ausreisefrist von drei Monaten und drohte die Abschiebung nach
Bosnien-Herzegowina bzw. in einen anderen Staat, welcher zur Rückübernahme
verpflichtet ist, an. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben
vom 30.05.1997 Widerspruch ein.
Der Antragsteller hat am 11.08.1997 einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Zur
Begründung trägt er vor, daß eine Bezugnahme auf die Regelung der
zwischenstaatlichen Vereinbarung fehle. Ferner liege ein Abschiebehindernis
gemäß § 53 Abs.6 AuslG vor.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung vom
13.05.1997 anzuordnen und
die Kosten des Aussetzungsverfahrens dem Antragsgegner aufzuerlegen.
Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, daß ein Anspruch auf Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung nicht bestehe.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze
und auf die beigezogene Akte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen
die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ist zulässig,
insbesondere ist er statthaft. Denn dem Antragsteller stand mit der Beantragung
der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung bei der Ausländerbehörde ein
vorläufiges Bleiberecht in Form der fiktiven Aufenthaltserlaubnis nach § 69 Abs.3
AuslG zu, da der Antragsteller sich zum Zeitpunkt des Antrages mehr als sechs
Monate rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt.
Das gesetzlich begründete öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit
der die begehrte Aufenthaltserlaubnis versagenden Verfügung (§ 72 Abs. 1 AuslG)
überwiegt das private Interesse des Antragstellers an einem weiteren Verbleib in
der Bundesrepublik bis zum Abschluß des Widerspruchsverfahrens und eines
möglichen Hauptsacheverfahrens. Denn der Widerspruch des nur die Abschiebung
gemäß § 49 AuslG in Betracht. Ihre Androhung gemäß § 50 AuslG ist rechtmäßig,
da keine hinreichende Gewißheit besteht, der Antragsteller werde seiner Pflicht
freiwillig nachkommen, da das Ziel der Abschiebung angegeben und eine
angemessene Ausreisefrist bestimmt ist. Die dreimonatige Ausreisefrist gibt dem
Antragsteller die hinreichende Möglichkeit, seine persönlichen Belange zu regeln.
Auch etwaige Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG sind nicht gegeben. Die
Abschiebung des Antragstellers ist nicht gemäß § 53 Abs. 4 AuslG unzulässig. Die
Gefahr von Menschenrechtsverletzungen entgegen Art. 3 der Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1952 steht einer
Abschiebung nicht entgegen. Zwar kommt es in Bosnien und Herzegowina auch
seitens staatlicher Stellen nach wie vor zu Verletzung der Rechte auf Freizügigkeit,
faire Gerichtsverfahren, des Eigentumsschutzes und der demokratischen
Grundrechte, doch beschränken sich derartige Übergriffe auf die Verfolgung
ethnischer Minderheiten in einzelnen Gebieten. Selbst wenn es dem Antragsteller
deshalb nicht zumutbar sein sollte, in seinen Heimatort zurückzukehren, so ist er
doch auf die Möglichkeit zu verweisen, sich an einem anderen Ort innerhalb der
moslemisch-kroatischen Föderation niederzulassen. Einem Moslem ist es möglich,
in einen moslemisch dominierten Ort, für einen kroatischen Volkszugehörigen, in
einen kroatisch dominierten Ort zurückzukehren. Grundrechtsverletzungen der die
jeweiligen Regionen beherrschenden Bevölkerungsgruppen gegenüber
Angehörigen dieser Gruppe sind nach dem Bericht über die asyl- und
abschieberelevante Lage in Bosnien und Herzegowina des Auswärtigen Amts
(Stand Main 1997) nicht bekannt.
Die Antragsgegnerin kann von der Abschiebung auch nicht gemäß § 53 Abs. 6 S. 1
AuslG absehen. Dies verbietet sich durch die Berücksichtigung gruppenrelevanter
Belange nach § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG. Die Gefahren, die dem Antragsteller drohen,
hindern seine Abschiebung nicht, da sie allen Flüchtlingen aus Bosnien und
Herzegowina entsprechend ihrer Volkszugehörigkeit drohen und das H Ministerium
des Innern die oberste Landesbehörde durch die Erlasse über die Behandlung von
Personen aus Bosnien und Herzegowina entschieden hat, daß die früher
angeordnete Aussetzung der Abschiebung nicht fortbesteht (§§ 53 ABs. 6 S. 2, 54
AuslG). Anders wäre es nur, wenn eine extreme Gefahrenlage bestünde,
derzufolge die Abschiebung des Antragstellers absolut unzumutbar wäre, was der
Fall wäre, wenn der Antragsteller gleichsam sehenden Auges in den sicheren Tod
geschickt oder schweren Verletzungen ausgesetzt würde (vgl. BVerwG, Urt. v.
17.10.1995, 9 C 9.95 u. 9 C 15.95; DVBl. 1996 S. 203 und S. 612). Eine derart
extreme Gefahrenlage läßt sich nicht feststellen. Durch die Präsenz der
internationalen Friedenstruppe ESFOR und der internationalen Polizeitruppe IPTF
erscheint selbst in den von den jeweils anderen Bevölkerungsgruppen
beherrschten Gebieten eine lebensgefährliche Situation für Heimkehrer so gut wie
ausgeschlossen. Berichte über derartige Vorkommnisse aus jüngster Zeit
existieren nicht.
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Auch hinsichtlich der Versorgung mit Wohnraum und Lebensmittel besteht keine
Existenzbedrohung für den Antragsteller. Zwar ist die Versorgungslage in allen
Gebieten Bosniens und Herzegowinas nach wie vor angespannt, doch ist sie nicht
existenzbedrohend. Durch weitere Bereitstellung kostenloser Nahrungsmittelhilfe
und das Anlaufen internationaler Wiederaufbauprogramme verbessert sich die
wirtschaftliche Lage im Gebiet der moslemisch-kroatischen Föderation langsam.
Die Versorgung mit Wohnraum erfolgt größtenteils über persönliche Beziehungen
(Verwandte oder Freunde). Sofern dies nicht möglich ist, ist zumindest zur Zeit die
Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften gesichert. Aufgrund der zeitlich
gestaffelten Rücksiedlung sowohl der Inlands- als auch der Auslandsflüchtlinge ist
mit einem kurzfristigen Zuzugsdruck, dem die örtlichen Behörden nicht gewachsen
sind, nicht zu rechnen. Langfristig wird dem Unterbringungsproblem durch
internationale Wiederaufbauprogramme begegnet.
Auch die Gefahr einer unzureichenden Versorgung aufgrund der Verweigerung der
Registrierung von Rückkehrern durch die örtlichen Behörden besteht nicht mehr.
Zwar ist der Zugang zu humanitärer Hilfe von einer Registrierung abhängig, doch
erfolgt diese auch bei Rückkehrern, die sich in anderen Gebieten als ihrer früheren
Heimat niederlassen wollen. Die Regierung Bosnien und Herzegowina hat sich zur
Versorgung der Heimkehrer mit dem Rückführungsabkommen vom 14.01.1997
vertraglich verpflichtet. Die hierzu erforderliche Registrierung erfolgt nach
Feststellungen des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen für
Deutschland in aller Regel, da die Einhaltung der vertraglichen Pflichten
Voraussetzung internationaler Aufbauhilfe ist. Soweit sich hierbei Probleme
ergäben, würden die Kantonsverwaltungen oder Stellen des
Flüchtlingsministeriums abhelfen (vgl. VGH München, B. v. 12.03.1997, AuAS 1997
S. 186).
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs kann
auch unter dem Gesichtspunkt einer weiteren Duldung gemäß § 55 AuslG keinen
Erfolg haben. Die Voraussetzungen einer Duldung gemäß § 55 Abs. 2 AuslG sind
nicht gegeben. Die Abschiebung ist weder unmöglich noch nach §§ 53 Abs. 6, 54
AuslG auszusetzen.
Eine Duldung gemäß § 55 Abs. 3 AuslG scheitert bereits an der Unanwendbarkeit
der Norm. Diese ist durch die Anwendbarkeit des § 53 gesperrt, da diese Regelung
lex speciales gegenüber § 55 Abs. 3 AuslG ist. Die Ermächtigung zur Erteilung
einer Duldung nach § 55 Abs. 3 AuslG ist auf Gründe beschränkt, die nicht der
Einreise in den Zielstaat, sondern der Beendigung des Aufenthalts in der
Bundesrepublik entgegenstehen. Hierfür spricht bereits der Wortlaut der Norm, der
vom weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik spricht. Dementsprechend wirkt die
Duldung gemäß § 55 Abs. 3 AuslG auch absolut gegen die Abschiebung in jeden
anderen Staat, wohingegen die Abschiebungshindernisse des § 53 AuslG nur
relative Abschiebungshindernisse zur Folge haben (vgl. § 50 Abs. 3 S. 2 AuslG).
Allein der gesicherte Lebensunterhalt des Antragstellers begründet jedoch weder
dringende persönliche Gründe des Antragstellers noch ein erhebliches Interesse
der Bundesrepublik an der weiteren Anwesenheit des Antragstellers.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
den Streitwert beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 S. 2 GKG. Wegen der geringeren
Bedeutung einer einstweiligen Sicherung war von der Hälfte des Regelstreitwerts
auszugehen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.