Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 13.02.2003

VG Frankfurt: aufschiebende wirkung, verfügung, vollziehung, parkplatz, kreis, aufsichtsbehörde, gerichtsakte, einzelrichter, verwaltungsbehörde, zukunft

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Gericht:
VG Frankfurt 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 G 4422/01
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
Art 28 Abs 2 GG
Leitsatz
Die Bauaufsichtsbehörde eines Landkreises darf keine ordnungsbehördliche Verfügung
(hier: Anordnung der Beseitigung einer Basketballkorbanlage) gegenüber einer
kreisangehörigen Gemeinde erlassen. Zu Weisungen sind nur die kommunalen
Aufsichtsbehörden befugt.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 16.10.2001 gegen
die Verfügung des Kreises vom 14.07.1999 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 14.09.2001,
mit dem die sofortige Vollziehung der Beseitigungsanordnung hinsichtlich der
Basketballkorbanlage angeordnet worden ist, wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I
Auf einem Grundstück der antragstellenden Gemeinde befinden sich u.a. eine
Grundschule und ein öffentlicher Parkplatz, auf dem im hinteren Teil ein
Metallständer mit einem Basketballkorb montiert ist (Auf die im Klageverfahren
mit der Klageschrift vorgelegten beiden Pläne und beiden Fotos wird Bezug
genommen.). Mit Verfügung des beigeladenen Kreises - Bauaufsichtsamt - vom
14.07.1999 wurde der Antragstellerin u.a. aufgegeben, diese Basketballkorbanlage
binnen drei Monaten nach Bestandskraft des Bescheids zu beseitigen, da die
Anlage formell und materiell illegal sei (Wegen der Einzelheiten der Begründung
wird auf diese Verfügung verwiesen.). Den Widerspruch der Antragstellerin
beschied der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2001
abschlägig, verkürzte die Beseitigungsfrist auf zwei Monate nach Zustellung des
Widerspruchsbescheides und ordnete die sofortige Vollziehung der
Beseitigungsanordnung an (Auf die Begründung dieses Bescheides wird Bezug
genommen.).
Am 16.10.2001 hat die Antragstellerin Klage erhoben und um die Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht (Wegen der Begründung wird
insbesondere auf die Antrags- und Klageschrift verwiesen.).
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der mit Schriftsatz vom heutigen Tage gegen den
Kreis erhobene Klage der Gemeinde gegen die Verfügung des Kreises vom
14.07.1999 (Az. y) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des
Regierungspräsidiums y vom 14.09.2001 (Az. y) unter Aufhebung der erstmals im
Widerspruchsbescheid angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hält beide Bescheide für rechtmäßig, da für die Basketballkorbanlage eine
Baugenehmigung erforderlich sei, die aber nicht erteilt werden dürfte. Außerdem
ist er der Meinung, dass der beigeladene Kreis zum Erlass einer baupolizeilichen
Verfügung gegen die Antragstellerin berechtigt gewesen sei (Auf die Schriftsätze
vom 15.11.2001 -Bl. 42 ff. der GA-, 14.12.2001 -Bl. 57 ff. der GA- und 04.03.2002 -
Bl. 70 ff. der GA- wird Bezug genommen.).
Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Er hat unter Hinweis auf die ergangene Rechtsprechung erhebliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit eines baupolizeilichen Vorgehens (Auf die Schriftsätze vom
06.11.2001 -Bl. 38 ff. der GA-, 03.12.2001 -Bl. 48 ff. der GA- und 28.12.2001 -Bl. 62
ff. der GA- wird verwiesen.).
Mit Beschluss vom 11.12.2001 hat die Kammer den Rechtsstreit dem
Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Folgende Akten haben vorgelegen und sind bei der Entscheidung berücksichtigt
worden: die Gerichtsakte des Klageverfahrens (Geschäftsnummer 4 E 4437/01-2-)
sowie drei Hefter Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners und des
Beigeladenen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt dieser
Akten und Unterlagen sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
II
über den Eilantrag kann gemäß § 6 Abs.1 VwGO der Berichterstatter als
Einzelrichter entscheiden, da ihm der Rechtsstreit übertragen worden ist.
Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 S. 1, 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO
zulässig.
Der Antrag ist auch begründet.
Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und
Rechtslage erweist sich die streitgegenständliche Verfügung in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides hinsichtlich der erstmals angeordneten sofortigen
Vollziehung der Beseitigungsanordnung hinsichtlich der Basketballkorbanlage als
offensichtlich rechtswidrig. Das Interesse der antragstellenden Gemeinde, vor dem
Vollzug der gegen sie getroffenen Regelung diese erst im Klageverfahren
überprüfen zu lassen, überwiegt daher das öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Bescheides.
Bei der Beurteilung der "materiellen" Rechtslage ist die Hessische Bauordnung
vom 18.06.2002 - zitiert als HBO 2002 -, die gemäß § 82 HBO 2002 am
01.10.2002 in Kraft getreten ist, aufgrund der Übergangsvorschrift des § 78 Abs. 2
S. 1 HBO 2002 und mangels eines entsprechenden Verlangens seitens der
Antragstellerin zugrunde zu legen, da das Verfahren vor dem In-Kraft-Treten der
HBO 2002 eingeleitet worden ist. Nach § 78 Abs. 1 HBO 2002 sind solche
Verfahren jedoch nach den bisherigen *Verfahrens*-Vorschriften, als der §§ 62 ff.
der Hessischen Bauordnung i. d. F. vom 20.12.1993 - zitiert als HBO 1993 -,
weiterzuführen.
Die auf Weisung des Antragsgegners erlassene Verfügung des Beigeladenen
(Vergleiche dessen Zitat im Schriftsatz vom 06.11.2001 aus der Verfügung des
Antragsgegners an die Antragstellerin vom 14.04.1999) verstößt gegen § 145 S. 2
i.V.m. § 139 HGO. Da die Vorschrift des § 145 HGO dem Schutz der gemeindlichen
Selbstverwaltung dient, liegt zugleich ein Verstoß gegen Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG und
Art. 137 HessVerf vor. Es ist für das Gericht unverständlich, wieso der
Antragsgegner den ausdrücklichen Wortlaut der genannten Bestimmungen
ignoriert. § 145 HGO "Schutzvorschrift" -!- lautet: "Andere Behörden und Stellen
als die Aufsichtsbehörden (§ 136) -weder der Beigeladene noch der Antragsgegner
sind offenkundig kommunale Aufsichtsbehörden bzw. als solche tätig geworden-
können sich im Benehmen mit der Aufsichtsbehörde über Angelegenheiten der
Gemeinde unterrichten, an Ort und Stelle prüfen und besichtigen sowie Berichte
anfordern, soweit ihnen nach besonderer gesetzlicher Vorschrift ein solches Recht
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anfordern, soweit ihnen nach besonderer gesetzlicher Vorschrift ein solches Recht
zusteht. Im übrigen sind sie zu Eingriffen in die Gemeindeverwaltung nach den §§
137 bis 141 a nicht befugt." § 139 HGO erteilt der (kommunalen) Aufsichtsbehörde
ein Anweisungsrecht.
Das Verhalten des Antragsgegners ist umso weniger nachvollziehbar, weil zum
Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Verfügungen bereits
Entscheidungen hessischer Gerichte vorlagen, die es an Eindeutigkeit nicht fehlen
ließen. So schreibt der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss
vom 07.03.1996 (NVwZ 1997, 304): "Danach sind Hoheitsträger auch bei der
Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben zwar materiell polizeipflichtig, also zur
Beachtung besonderer ordnungsrechtlicher Vorschriften - wie etwa des
Immissionsschutzrechts -oder eben des Baurechts- - verpflichtet. Diese dürfen
ihnen gegenüber durch die Gefahrenabwehrbehörden aber grundsätzlich nicht mit
Befehl -d.h. insbesondere auch Ordnungsverfügungen- und Zwang durchgesetzt
werden, wenn dadurch in ihre hoheitliche Tätigkeit eingegriffen wird." Entsprechend
äußerte sich auch das beschließende Gericht (Geschäftsnummer 4 G 2827/97-2-)
in seinem Beschluss vom 28.01.1998 (bestätigt durch Beschluss des Hess. VGH v.
13.08.1998 - 4 TZ 1180/98 - ): "Für ein Einschreiten des Antragsgegners -= Kreis-
gegenüber der beigeladenen Gemeinde als Bauaufsichtbehörde fehlt es bereits an
einer Rechtsgrundlage." Im Hauptsacheverfahren des o.g. Eilverfahrens hat der
Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 29.08.2001 (NVwZ 2002, 889)
diese Grundsätze nochmals bekräftigt. Wie die Schriftsätze des Antragsgegners
zeigen, ist ihm nicht hinreichend deutlich, dass es hier nicht um die Frage geht, ob
an einen Hoheitsträger grundsätzlich Verwaltungsakte gerichtet werden dürfen
und schon gar nicht verengt auf Maßnahmen der Zwangsvollstreckung. Es geht
vielmehr um die Frage der aufsichtbehördlichen Befugnisse, und hier gilt der
Grundsatz, dass Ordnungsbehörden wie das Bauaufsichtsamt des beigeladenen
Kreises ohne "besondere "gesetzliche Ermächtigung - die hier weder vorgetragen
noch ersichtlich ist - nicht mit obrigkeitlichen Mitteln wie Verfügungen in den
hoheitlichen Zuständigkeitsbereich einer anderen Verwaltungsbehörde wie hier der
antragstellenden Gemeinde eingreifen darf. Mit Recht weist der Beigeladene im
Schriftsatz vom 03.12.2001 darauf hin, dass der in Rede stehende Parkplatz mit
der Basketballkorbanlage eine öffentliche gemeindliche Einrichtung i.S.d. §§ 19 und
20 HGO ist und damit der hoheitlichen Aufgabenwahrnehmung im Bereich der
Daseinvorsorge dient.
Angesichts dieser Rechtslage bedarf es keines Eingehens darauf, ob die
streitgegenständlichen Verfügungen in der Sache berechtigt sind. Das Gericht hat
aufgrund der zahlreichen, fortdauernden und sorgfältig belegten Beschwerden von
Anwohnern wegen der Lärmbelästigung durch Nutzer der Basketballkorbanlage
allerdings durchaus den Eindruck, dass insoweit Handlungsbedarf der Gemeinde
und möglicherweise auch der zuständigen kommunalen Aufsichtsbehörde, also
gemäß § 136 Abs. 3 HGO des Landrats des Kreises als Behörde der
Landesverwaltung besteht. Auch erscheint die Doppelnutzung als Parkplatz und
Spielfeld nicht unproblematisch; dass in den zurückliegenden Jahren bzw.
Jahrzehnten keine Unfälle bekannt geworden sind, ist erfreulich, begründet jedoch
leider keine Gewissheit, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu
tragen, da er unterlegen ist. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind
gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeitsgründen nicht erstattungsfähig, da er sich
nicht durch Stellung eines Antrags am Kostenrisiko beteiligt hat (vgl. § 154 Abs. 3
VwGO).
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 25 Abs. 2 S. 1 i.V.m. §§ 13 Abs. 1 S.
2, 20 Abs. 3 GKG. Mangels genügender Anhaltspunkte, um die Bedeutung der
Sache für die Antragstellerin bestimmen zu können, ist der Auffangstreitwert von
4.000,00 € zugrunde zu legen, der im Hinblick auf die Vorläufigkeit einer Regelung
im Eilverfahren zu halbieren ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.