Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 21.02.2006

VG Frankfurt: juristische person, landwirtschaftliches grundstück, satzung, pachtvertrag, prozessvertretung, gaststätte, gebäude, hotel, gewerkschaft, richteramt

1
2
3
Gericht:
VG Frankfurt 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 E 2394/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 191 AO, § 113 Abs 1 VwGO
(Steuerrecht: Haftung des Verpächters für
Steuerschulden.)
Tenor
Der Haftungsbescheid vom 29.11.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 17.07.2000 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
Die Kläger sind Eigentümer des Hauses Brüder-Grimm-Straße X. in S an der
Straße, in welchem sich das Hotel-Restaurant B. befand (das Grundstück steht
inzwischen unter Zwangsverwaltung, ein Zwangsversteigerungsvermerk ist im
Grundbuch eingetragen). Mit der Restaurant C. & D. GmbH (die ihre Firma bereits
am 24.08.1992 in D. GmbH unbenannt hatte) schlossen sie am 23./27.10.1992
einen Pachtvertrag und verpachteten "... das Hausgrundstück Brüder-Grimm-
Straße X., ..., sowie die dazugehörenden Nebenräume, Wirtschaftsanlagen,
Freiflächen, ..., zur Führung eines Hotel- und Gaststättenbetriebes" ab 15.1.1993
für die Dauer von 60 Monaten. Auf den Wortlaut dieses Vertrages (Bl. 68 bis 76 der
Behördenakten) wird Bezug genommen.
Die Pächterin erhielt am 15.01.1993 und am 27.09.1995 von der Stadt S an der
Straße die Erlaubnis zum Betrieb einer Schankwirtschaft, einer Speisewirtschaft
und eines Beherbergungsbetriebes. Die Behörde des Beklagten erhielt hiervon am
16.06.1997 Kenntnis. Am 04.09.1997 setzte sie eine Gaststättenerlaubnissteuer
von “vorläufig“ 1000 DM fest. Die Pächterin erhob gegen die Festsetzung
Widerspruch. Die Schuld ist durch vom Beklagten vorgenommene Umbuchung im
Dezember 1997 erloschen. Mit Schreiben vom 16.10.1997 teilte die Pächterin die
angeforderten Umsatzzahlen für die Monate Februar 1993 bis Januar 1994 mit. Mit
Steuerbescheid vom 12.11.1997 setzte der Beklagte die Steuer (endgültig) auf
18.608,25 DM fest. Auch hiergegen wandte sich die Pächterin mit dem
Widerspruch.
Offenbar danach erfuhr der Beklagte davon, dass die Pächterin sich seit dem
20.12.1996 in Liquidation befinde, denn in den Behördenakten befindet sich ein
(undatierter) Vermerk (Bl. 33 Behördenakten) eingeheftet nach den genannten
Bescheiden. Mit Bescheid vom 13.11.1997 teilte sie den Steuerrückstand den
Klägern mit und wies auf § 2 Abs. 4 der Steuersatzung hin, wonach der Verpächter
gesamtschuldnerisch hafte. Gegen die Mitteilung einer Haftung im Bescheid vom
13.11.1997 erhob der Kläger zu 1) “rein vorsorglich“ Widerspruch und berief sich
darauf, dass die Pächterin lediglich ein Hausgrundstück und nicht etwa einen
gastronomischen Betrieb gemietet habe.
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Nachdem der Kreisausschuss des Beklagten den Widerspruch der Pächterin mit
Widerspruchsbescheid vom 19.02.1998 als unbegründet zurückwies, teilte er den
Klägern mit Bescheid vom 09.11.1999 mit, dass die Pächterin bisher 3250 DM
gezahlt habe, so dass noch eine Forderung von 15.358,25 DM bestehe. Nach der
Satzung bestehe eine gesamtschuldnerische Haftung des Verpächters neben dem
Konzessionsinhaber. Am 29.11.1999 erließ der Kreisausschuss einen
entsprechenden Haftungsbescheid, in dem die Kläger als Gesamtschuldner
herangezogen wurden.
Dagegen richtete sich der Widerspruch der Kläger, in dem sie erneut darauf
hinwiesen, dass kein Unternehmen, sondern ein Hausgrundstück verpachtet
worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.2000 wies der Kreisausschuss
des Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach dem Vertrag
zwischen den Klägern und der Pächterin sei das Hausgrundstück ausdrücklich zur
Führung eines Hotel- und Gaststättenbetriebes überlassen worden. Verträge mit
einer Brauerei seien ferner ausdrücklich Bestandteil des Überlassungsvertrages.
Die Verpächterhaftung sei in der Rechtsprechung nicht umstritten. Der Verpächter
eines Gaststättengewerbes könne allein bei Vorliegen eines bürgerlich-rechtlichen
Pachtvertrages für die Steuerschuld des Pächters haftbar gemacht werden. Das
ergebe sich aus einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.10.1971. Der
Widerspruchsbescheid ist den Klägern am 27.07.2000 zugestellt worden
(Postzustellungsurkunde). Die Kläger haben am 22.08.2000 Klage erhoben. Sie
begründen die Klage damit, dass sie kein Unternehmen verpachtet hätten und
auch keine Unternehmer seien. Es liege kein Pachtvertrag vor. Die Kläger seien
Vermieter eines Hausgrundstücks, das zu jedweder Nutzung überlassen worden
sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Klageschrift vom 21.08.2000 verwiesen
und den Vortrag des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung vom 03.04.2001
und - nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens - vom 21.02.2006.
Die Kläger beantragten,
den Haftungsbescheid vom 29.11.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 17.07.2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, und erwiderte auf die Klagebegründung:
Bei dem Vertrag der Kläger mit der Pächterin habe es sich um einen Pachtvertrag
gehandelt, so dass die Steuerhaftung eingreife.
Wegen der Einzelheiten des Vortrags wird insbesondere auf die Schriftsätze vom
11. und 28.09.2001 verwiesen.
Die Behördenakten haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt wird wegen der Einzelheiten
des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten ebenso wie auf den Inhalt
der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Die Kammer hat den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter
übertragen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet, weil die angegriffenen Bescheide rechtswidrig
und deshalb aufzuheben sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der behauptete
Steueranspruch des Beklagten gegen die Kläger als Haftungs- oder
Gesamtschuldner besteht nicht, weil die Tatbestandsvoraussetzungen für das
Entstehen der Haftung oder Schuld nicht vorliegen.
Auf Grund der Ermächtigung in § 2 Nr. 4 der früheren Gaststättenerlaubnissteuer-
Satzung des Main-Kinzig-Kreises vom 13.12.1991 (StO), auf der die Heranziehung
der Kläger beruht, konnte nicht nur derjenige, dem die gaststättenrechtliche
Erlaubnis erteilt worden war, sondern auch der Verpächter des
gaststättenrechtlichen Betriebes herangezogen werden, der von der Ausnutzung
dieser Erlaubnis einen mittelbaren Vorteil hatte und der entweder schon wegen der
vom Umsatz abhängigen Höhe der Pacht oder doch - im Falle einer festen
Pachtsumme - wenigstens deshalb am Betrieb interessiert war, weil dadurch der
Wert des Objektes für spätere Verpachtungsfälle erhalten blieb. Das ist Sinn und
Zweck der Bestimmung in der Steuerordnung und in der Rechtsprechung seit
16
17
18
19
20
21
22
23
Zweck der Bestimmung in der Steuerordnung und in der Rechtsprechung seit
langem als rechtens anerkannt (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.
Oktober 1971
DVBl. 1972, 151 = KStZ 1972, 91 = DGStZ 1972, 37 = GewArch 1972, 81 =
VerwRspr 23, 1008> und Urteile des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28.
Januar 1979 - V OE 93/77 - HessVGRspr 1979, 36 = VerwRspr 31, 98, und 16.
September 1993 - 5 UE 3140/90 -, juris).Die Kläger sind zwar Verpächter, denn der
Vertrag ist zivilrechtlich als Pachtvertrag zu qualifizieren, sie hatten aber nicht
ausschließlich eine Gaststätte verpachtet. Deshalb liegen die Voraussetzungen
der Haftung nach § 2 Abs. 4 StO nicht vor. Hierbei kommt es auf die
Unterscheidung zwischen der Pacht eines Betriebes und eines sonstigen Objektes
an, denn die Kläger haben ein Gebäude mit einer Nutzfläche von ca. 550 qm (und
ein landwirtschaftliches Grundstück) verpachtet, von der lediglich ein Bruchteil für
Zwecke eines gastronomischen Betriebes genutzt worden sind. Verpachtet sind
also nicht nur die für den Betrieb tauglichen Räume und Einrichtungsgegenstände
sondern erheblich mehr. Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen von einer
Gaststättenpacht i.S.d. Steuerrechts ausgegangen werden kann, kommt es auf
eine objektive Gesamtschau des Objektes, seiner Lage und ggf. der Umstände, ob
das Objekt allein nach Willkür der Verfügungsberechtigten anderen zur
entgeltlichen Nutzung überlassen werden kann. Der Zweck der Besteuerung liegt
in dem Vorteil den die Verpächter gerade aus der Verpachtung als
Gaststättenbetrieb ziehen.
Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass
es ihm als Kunsthistoriker und ehemaligen Museumsdirektor darum gegangen sei,
ein historisches Objekt zu erwerben und zu besitzen. Nicht er habe die Nutzung als
Gaststätte präferiert, sondern der Bürgermeister der Stadt S, ihm sei jede
Nutzung recht gewesen, die dem historischen Gebäude angemessen gewesen sei.
Das Interesse der Kläger, dass die Gaststätte dem Gebäude das Gepräge gebe
und damit auch am tatsächlichen Betrieb einer Gastwirtschaft, das ihre
Heranziehung zur Steuer rechtfertigt, ist nicht gegeben. Auch für spätere
Verpachtungen hat es keine Präferenz für eine Gaststätte gegeben. Das wird
belegt durch die Koppelung der Pacht mit den von den Klägern an die Bank zu
entrichtenden Zinsen (nicht Kapital und nicht sonstige Kosten). Aufgrund dieser
Umstände kann nicht von der von der StO vorausgesetzten typischen Lage einer
Gaststättenpacht ausgegangen werden. Auch der Einwand, warum dies nicht in
dem schriftlichen Pachtvertrag nicht zum Ausdruck gekommen ist, sondern der für
die Verpachtung von Gaststätten übliche Vertragstext von den
Vertragschließenden benutzt worden sei, ist nicht durchschlagend. Der Kläger zu
1) hat überzeugend dargelegt, dass er den Vertragstext akzeptiert habe, den die
Pächter gewünscht hätten und er froh gewesen sei, dass das Gebäude
angemessen genutzt würde.
Der Beklagte hat als unterliegender Beteiligter die Verfahrenskosten zu tragen (§
154 Abs. 1 VwGO).Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die
Vollstreckungsabwehrbefugnis sind gesetzlich geboten (§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO i.
V. m. § 167 Abs. 1 VwGO).
Sonstiger Langtext
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung nur zu, wenn sie vom
Hessischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung
ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Antrag ist bei dem
Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Adalbertstr. 44-48 60486 Frankfurt am Main
zu stellen.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe
darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Berufung ist nur
zuzulassen,
1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten
aufweist,
3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des
Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe
24
25
26
27
28
Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe
des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser
Abweichung beruht, oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender
Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung
beruhen kann.
Die Begründung ist bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof Brüder-Grimm-
Platz 1-3 34117 Kassel einzureichen.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung kann nur durch einen Rechtsanwalt oder
Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des
Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt eingelegt werden.
Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch
Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im
höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit
Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen
kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören,
vertreten lassen.
In Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts
sowie der damit in Zusammenhang stehenden Angelegenheiten des
Sozialhilferechts kann er auch von - kraft Satzung oder Vollmacht zur
Prozessvertretung befugten -mitgliedern und Angestellten von Vereinigungen,
deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die
Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen
Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und
die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit sowie
ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Erfüllung dieser Aufgaben
bieten, und von Gewerkschaften erhoben werden. Weiterhin ist auch eine
Antragstellung durch Angestellte einer juristischen Person, deren Anteile sämtlich
im wirtschaftlichen Eigentum einer solchen Vereinigung stehen, zulässig, wenn die
juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der
Mitglieder der Vereinigung entsprechend deren Satzung durchführt und die
Vereinigung für die Tätigkeit des Bevollmächtigten haftet. In
Abgabenangelegenheiten kann der Antrag auch durch einen Steuerberater oder
Wirtschaftsprüfer erfolgen. In Abgabenangelegenheiten sind vor dem Hessischen
Verwaltungsgerichtshof als Prozessbevollmächtigte auch Steuerberater und
Wirtschaftsprüfer zugelassen.
In den Angelegenheiten, die ein Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder
Zivildienstverhältnis oder dessen Entstehung betreffen, in
Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem
Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von
Arbeitnehmern i. S. d. § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes (Arbeiter, Angestellte, zur
Berufsausbildung Beschäftigte, in Heimarbeit Beschäftigte und die ihnen
Gleichgestellten, sonstige Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen
Unselbständigkeit als arbeitsnehmerähnliche Personen anzusehen sind) stehen
einschließlich Prüfungsangelegenheiten, kann der Antrag von Mitgliedern und
Angestellten von Gewerkschaften eingelegt werden, die kraft Satzung oder
Vollmacht zur Prozessvertretung befugt sind; weiterhin ist auch eine
Antragstellung durch Angestellte einer juristischen Person, deren Anteile sämtlich
im wirtschaftlichen Eigentum einer Gewerkschaft stehen, zulässig, wenn die
juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der
Mitglieder der Gewerkschaft entsprechend deren Satzung durchführt und die
Gewerkschaft für die Tätigkeit des Bevollmächtigten haftet.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.