Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 12.12.2007

VG Frankfurt: verwaltungsverfahren, behörde, akteneinsichtsrecht, verwaltungsakt, erlass, hessen, anhörung, leistungsklage, ermessen, gerichtsakte

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Gericht:
VG Frankfurt
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 E 2249/07 (3)
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 44a VwGO, Art 19 S 4 GG, §
9 VwVfG HE, § 29 VwVfG HE, §
82 S 1 AufenthG
Tenor
Der Beklagten wird aufgegeben, der Klägerin Einsicht in ihre bei der
Ausländerbehörde der Beklagten geführten Akte zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin verfolgt mit der Klage die Durchsetzung eines Akteneinsichtsrechts in
die bei der Beklagten über sie geführte Akte kraft Aufenthaltsrecht.
Die Klägerin hat als Ehegattin eines deutschen Staatsangehörigen eine bis zum
18.11.2008 befristete Aufenthaltserlaubnis. Mit Schreiben vom 18.07.2007 wurde
die Klägerin von der Beklagten mit Hinweis auf eine aufenthaltsrechtliche
Ermittlung zu einer Vorsprache gebeten. Auf die Mitwirkungsverpflichtung der
Klägerin gemäß § 82 AufenthG wurde verwiesen.
Unter Vollmachtsanzeige beantragte die Bevollmächtigte der Klägerin mit
Schreiben vom 31.07.2007 Akteneinsicht, die vor einer Einlassung der Klägerin im
Rahmen der persönlichen Vorsprache genommen werden sollte.
Mit Schreiben vom 03.08.2007 teilte die Beklagte mit, dass derzeit ein
Verwaltungsverfahren anhängig sei, in welchem die Verkürzung des
Aufenthaltstitels der Klägerin geprüft werde. Die Vorsprache diene zum einen der
Klärung von Zeiten des Auslandsaufenthaltes und zum anderen der Abgabe einer
persönlichen Erklärung zur ehelichen Lebensgemeinschaft. Es stehe der
Bevollmächtigten frei, die Klägerin zur Vorsprache zu begleiten, jedoch könne für
die Gewährung von Akteneinsicht unter Beachtung des § 29 HVwVfG derzeit keine
Begründung erkannt werden. In der Folge wurde die Bevollmächtigte der Klägerin
schriftlich dahingehend unterrichtet, dass Akteneinsicht unmittelbar nach der
Vorsprache genommen werden könne.
Am 08.08.2007 hat die Klägerin Klage bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am
Main erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, dass ein
gesetzlicher Anspruch auf Akteneinsicht gegeben sei. Das berechtigte Interesse
der Klägerin leite sich aus dem eröffneten Verwaltungsverfahren der Beklagten
und aus der begründeten Vermutung ab, dass in der Verwaltungsakte
Wesentliches enthalten sei, das der wirksamen Vertretung ihres rechtlichen
Standpunktes diene.
Die Klägerin beantragt,
der Beklagten aufzugeben, der Klägerin umfassende Einsicht in die
gesamte Ausländerakte, die bei der Stadt Frankfurt am Main geführt wird, zu
gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass die Klage unzulässig sei, weil
die Klägerin gegen eine bloße Verfahrenshandlung der Beklagten vorgehe, welche
nur gleichzeitig mit den für die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen
angegriffen werden könne, § 44 a VwGO. Die Voraussetzungen für eine
ausnahmsweise Durchbrechung lägen nicht vor, da die Nichtgewährung von
Akteneinsicht nicht zu unzumutbaren Nachteilen führten, welche in einem
späteren Verwaltungsstreitverfahren nicht vollständig beseitigt werden könnten.
Zudem sei noch festzustellen, dass ein Verwaltungsverfahren noch nicht eröffnet
worden sei. Die Gewährung von Akteneinsicht liege somit im Ermessen der
Behörde. Erforderlich sei jedenfalls die Geltendmachung eines berechtigten
Interesses, das vorliegend nicht ersichtlich sei. Auch mit der Klage sei dieses nicht
substantiiert worden. Ein mögliches eigenes Interesse der Klägerbevollmächtigten
selbst sei nicht ausreichend.
Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die
Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 12.12.2007 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
Der Anwendungsbereich dieser Klageart ergibt sich aus dem Umstand, dass die
vorliegend die Verurteilung der Beklagten zu einer Leistung begehrt wird, die nicht
den Erlass eines Verwaltungsaktes voraussetzt. Unbeachtlich bleibt in diesem
Zusammenhang, dass die Versagung der Akteneinsicht auch durch
Verwaltungsakt hätte erfolgen können. Entscheidend ist, dass die Beklagte von
dieser formellen Bescheidung Abstand genommen hat, was sie auch durfte, denn
hierdurch wird – im Ergebnis – der Rechtschutz der Klägerin nicht eingeschränkt
(vgl. dazu VGH München, Urteil vom 05.09.1989 - 25 B 88.01631 -, NVwZ 1990, S.
775, 776). Insbesondere kann die Klägerin ihren Anspruch auf tatsächliche
Akteneinsicht durch eine tatsächliche Handlung – Vorlage der Akten zumindest bei
der Behörde – durchsetzen. Das Gericht geht im Übrigen davon aus, dass die
Klägerin auch klagebefugt ist, denn sie ist – was noch auszuführen sein wird –
durch die Unterlassung dieses schlichten Verwaltungshandelns in ihren Rechten
verletzt.
Die Klage ist auch begründet.
Zunächst ist festzustellen, dass ein Verwaltungsverfahren eröffnet worden ist. Dies
ergibt sich zwanglos aus dem Inhalt des Vorladungsschreibens. Nach dem
Gesetzeswortlaut ist unter Verwaltungsverfahren jede nach außen hin wirkende
Tätigkeit einer Behörde zu verstehen, die – unter anderem – auf die Prüfung der
Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes
gerichtet ist, § 9 HVwVfG. Diesem Zweck sollte aber die Anhörung der Klägerin
gerade dienen.
Es ist auch festzustellen, dass ein Akteneinsichtsrecht der Klägerin - kraft erteilter
Vollmacht in der Person der Klägerbevollmächtigten - nach § 29 Absatz 1 Satz 1
HVwVfG besteht. Danach hat eine Behörde Beteiligten Einsicht in die das
Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur
Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist.
Ausnahmen hiervon, die gemäß § 29 Abs. 2 HVwVfG in Frage kommen könnten,
sind weder vorgetragen worden noch sind sie ersichtlich. Der Beklagten kommt es
offensichtlich nur darauf an, der Klägerin, die nach § 13 Abs 1 Nr. 2 HVwVfG auch
Beteiligte ist, Akteneinsicht bis zum Ende der Vorsprache zu verweigern, denn
danach soll der Klägerbevollmächtigten nach der behördlichen Ankündigung die
Akteneinsicht gewährt werden.
Dem sich aus § 29 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG herleitenden Akteneinsichtsrecht steht
vorliegend nicht die Bestimmung des § 44 a Satz 1 VwGO entgegen.
Danach können in der Regel Rechtsbehelfe gegen behördliche
Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung
zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Für eine ausnahmsweise
Durchbrechung dieser Regel vorliegend gibt § 44 a Satz 2 VwGO allerdings nichts
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Durchbrechung dieser Regel vorliegend gibt § 44 a Satz 2 VwGO allerdings nichts
her.
Diese Vorschrift soll nach ihrem Zweck die isolierte Anfechtung von
Verfahrenshandlungen nach Möglichkeit ausschließen, damit die
Ermittlungstätigkeit von Behörden oder die Beiziehung externer Akten,
Sachverstandes oder Urkunden bzw. sonstiges der Vorbereitung von
Entscheidungen dienendes Verwaltungshandeln nicht durch einen
Zwischenrechtsstreit behindert wird. Die Auslegung der Norm ist begrenzt auf
Verfahrenshandlungen, deren Rechtmäßigkeit mit der Sachentscheidung zugleich
überprüft werden kann, weil sie regelmäßig der Vorbereitung einer Entscheidung
dienen und im Rechtsbehelfsverfahren selbst zum Gegenstand der
abschließenden Prüfung werden können. Diese Verfahrenshandlungen liegen
immer dann vor, wenn sie selbst nicht abschließend über den
Verfahrensgegenstand insgesamt oder auch nur zum Teil entscheiden (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 14.07.2004 – 6 B 30/04 -, dokumentiert in juris).
Diese gesetzliche Einschränkung des Klagerechts gilt zur Überzeugung des
Gerichts jedoch nicht für das streitgegenständliche Akteneinsichtsrecht gemäß §
29 Abs. 1 Satz 1 HVwVG.
Die Gewährung des Akteneinsichtsrechts durch gerichtlichen Rechtsschutz, der
durch Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz verfassungsrechtlich gewährleistet sein muss,
darf nämlich für den Rechtssuchenden nicht zu unzumutbaren Nachteilen führen,
die in einem späteren Rechtsbehelfsverfahren nicht mehr vollständig zu beseitigen
sind. Dies ist schon dann der Fall, wenn schon die praktischen Folgen der
behördlichen Versagung zu erheblichen Nachteilen führen können (BVerfG,
Beschluss vom 24.10.1990 – 1 BvR 1028/90 - , NJW 1991, S. 415 f.).
Für die vorliegende Sachlage bedeutet dies, dass die Klägerin hinsichtlich der für
sie günstigen Tatsachen, die sie vorbringen könnte, mit einem späteren
Vorbringen nach Ergehen der angekündigten aufenthaltsrechtlichen Entscheidung
formell ausgeschlossen wäre. Weil sich zumindest im Bundesland Hessen an einen
Verwaltungsakt in einem aufenthaltsrechtlichen Verfahren kein
Widerspruchsverfahren, in dem dieses Vorbringen Berücksichtigung finden könnte,
anschließt, wäre sie bei gegebener Beschwer auf ein gerichtliches Verfahren
verwiesen, welches neben einem immer bestehenden Prozessrisiko auch
unmittelbar, zu einer statusrechtlichen Verschlechterung ihres Aufenthaltsrechts
führen könnte. Bis zur gerichtlichen Entscheidung könnten zudem als Nebenfolge
Rechte aus sozialer Teilhabe suspendiert werden, etwa arbeitrechtliche
Erlaubnisse.
Bei der gegebenen Sachlage kann die Klägerin vernünftigerweise nur durch
Wahrnehmung der Akteneinsicht Nachteile verhindern, die in einem späteren
Rechtsbehelfsverfahren nicht mehr vollständig zu beseitigen sind. Hierdurch dürfte
sie bei gegebener Sachlage in den Stand versetzt werden Rechtsnachteile zu
vermeiden, die insbesondere durch Auseinandersetzung mit den zum Akteninhalt
gewordenen Erkenntnissen und rechtzeitiger anwaltlicher Beratung nicht auftreten
würden. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Klägerin gemäß § 82 Abs. 1
AufenthG die für sie günstigen Umstände unverzüglich gelten zu machen hat.
Diese Pflicht obliegt ihr – wovon auch die Beklagte unter Verwendung des
entsprechenden Hinweises ausgeht – bei der Vorsprache, zu welcher die Klägerin
vorgeladen wurde. Soweit der Bevollmächtigten der Klägerin das Angebot
unterbreitet wurde, nach der Vorsprache Einsicht in die Verwaltungsakte zu
nehmen, reicht dies nicht aus, da das nachträgliche Vorbringen lediglich eine
Ergänzung oder Vertiefung des Vorgebrachten bedeuten würde oder für die
abschließende Entscheidung nachteilig sein könnte, falls die Klägerin schweigen
würde, weil die gesetzliche Anforderung – jedenfalls für günstige Umstände –
unverzügliches Vorbringen fordert. Auch eine Begleitung der Klägerin durch ihre
Bevollmächtigte vermag mangels sachkundiger Vorbereitung diese
Verfahrensnachteile nicht auszugleichen.
Aus diesen Ausführungen ist ersichtlich, dass die rechtlichen und die schon nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügenden praktischen
Folgen der Versagung der Akteneinsicht erhebliche Nachteile für die Klägerin
bedeuten. Sie könnte die angekündigte und für sie nachteilige
Verwaltungsverfügung – je nach Tiefe des Eingriffs in den Aufenthaltsstatus nur
unter – zumindest zeitweiser - Hinnahme unzumutbarer Nachteile angreifen. Zur
Wahrung ihrer Rechte durch sachkundige Rechtsverteidigung ist zur Vermeidung
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Wahrung ihrer Rechte durch sachkundige Rechtsverteidigung ist zur Vermeidung
dieser Nachteile das geltend gemachte Akteneinsichtsrecht geeignet und
erforderlich.
Dem Antrag war demnach im tenorierten Umfang Rechnung zu tragen. Der mit
der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung beabsichtigte Konkretisierung
der "vollständigen" Akteneinsicht ist nicht gefolgt worden, da sich deren Umfang
aus § 29 Abs. 1 S. 2 HVwVfG erschließt.
Als unterliegende Beteiligte hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen,
§ 154 Abs.1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m.
§§ 708 Nr.11, 711 ZPO.
BESCHLUSS
Der Streitwert wird auf 5000,- Euro festgesetzt.
GRÜNDE
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs 2 GKG. Mangels anderweitiger
Anhaltspunkte ist das Gericht von dem Auffangstreitwert ausgegangen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.