Urteil des VG Düsseldorf vom 03.09.2002

VG Düsseldorf: pfand, feststellungsklage, bekanntgabe, verwaltungsakt, rückgabe, self executing, ultra petita partium, grundsatz der effektivität, vorbehalt des gesetzes, in verkehr bringen

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 17 K 1907/02
Datum:
03.09.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 K 1907/02
Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Klägerin auch ab dem 1. Januar 2003 nicht
verpflichtet ist, für Bier, das sie in Einweg-Getränkeverpackungen
vertreibt, und für das sie oder ein anderer Vertreiber sich am
Abholsystem der Firma Der Grüne Punkt Duales System Deutschland
(DSD) AG beteiligen, von ihren Abnehmern ein Pfand nach § 8 Abs. 1
der Verpackungsverordnung zu erheben und ihnen zu erstatten und die
Verpackungen nach § 6 Abs. 1 und/oder § 6 Abs. 2 der
Verpackungsverordnung zurückzunehmen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Dem beklagten Land und der Beigeladenen werden die Gerichtskosten
und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin je zur Hälfte auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz (Sprungrevision)
wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist eine Brauerei, die Bier in Einwegverpackungen vertreibt. Sie wendet
sich dagegen, für diese Einwegverpackungen ein Pfand zu erheben, bei Rückgabe zu
erstatten und die Verpackung zurückzunehmen. Gleichgerichtete Klagen sind bei
verschiedenen Verwaltungsgerichten in Nordrhein-Westfalen und anderen
Bundesländern anhängig.
2
Die Pflicht zur Erhebung eines Zwangspfandes auf Einweg- Getränkeverpackungen
3
ergibt sich aus der Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von
Verpackungsabfällen - VerpackV -. Die Verpackungsverordnung ist eine
Rechtsverordnung, welche die Bundesregierung auf der Grundlage des
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes erlassen hat. Grundsätzlich besteht bereits seit
über zehn Jahren die Pflicht, ein Pfand auf Getränke in Einwegverpackungen zu
erheben (§ 8 Abs. 1 VerpackV). Die Pflicht wurde jedoch zunächst ausgesetzt. Das
Pflichtpfand sollte nur dann tatsächlich erhoben werden müssen, wenn von allen
verkauften Getränken dauerhaft weniger als 72 % in einer Mehrwegverpackung
("Pfandflasche") abgegeben werden. Der Referenzwert von 72 % bildet die
Mehrwegquote im Jahr 1991 ab, dem Jahr, in dem die erste Verpackungsverordnung
erlassen wurde. Welche Mehrwegquote bei Getränken jedes Jahr erreicht wird, stellt die
Bundesregierung fest. Sie veröffentlicht die Quote im Bundesanzeiger. Ist nach dieser
Feststellung in einem Kalenderjahr die Mehrwegquote unter 72 % gefallen, findet im
Anschluss an die Bekanntgabe eine zwölfmonatige Nacherhebung statt. Liegt in diesen
zwölf Monaten die Mehrwegquote erneut unter 72 %, setzt die Pfandpflicht ein. Sie
erfasst aber nicht alle Arten von Getränken, sondern nur solche, deren individuelle
Mehrwegquote unter derjenigen aus dem Jahr 1991 liegt (§ 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV).
Rechtstechnisch wird dieser Mechanismus dadurch ausgelöst, dass die tatbestandliche
Voraussetzung der Befreiung von der Pfandpflicht entfällt. Befreiungsvoraussetzung in §
9 Abs. 1 VerpackV ist die Feststellung der jeweiligen obersten Landesabfallbehörde,
dass das System des "Grünen Punktes" landesweit verordnungsgemäß besteht. Sie gilt
für die Getränkebereiche als widerrufen, für welche die Nacherhebung ein Ergebnis
unter dem Wert von 1991 feststellt.
Im Bundesanzeiger Nr. 66 vom 4. April 2000 S. 6009 machte die Beigeladene durch das
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die "Erhebungen der
Bundesregierung bezüglich der Anteile ökologisch vorteilhafter Getränkeverpackungen
in den Jahren 1991 bis 1998 gemäß § 9 Abs. 3 der Verpackungsverordnung" bekannt.
Danach lag der Mehrweganteil bei Getränken insgesamt (ohne Milch) im Jahr 1998 bei
70,13 %. Im Bundesanzeiger Nr. 119 des Jahres 2002 S. 14690 machte die
Beigeladene die Ergebnisse der "Nacherhebung der Bundesregierung bezüglich der
Mehrweganteile von Getränkeverpackungen im Zeitraum Mai 2000 bis April 2001
gemäß § 9 Abs. 3 der Verpackungsverordnung" bekannt. Danach blieben die
Mehrwegquoten der Getränkebereiche Mineralwasser, Bier und Erfrischungsgetränke
mit Kohlensäure unter denen des Referenzjahres 1991. In der Nacherhebung für den
Zeitraum Februar 1999 bis Januar 2000 waren die Getränkebereiche Bier und
Mineralwasser bereits unter den Mehrwegquoten des Jahres 1991 geblieben. Auch in
der Folgezeit sank der Mehrweganteil immer weiter. Diese Tatsachen werden von der
Klägerin nicht bestritten.
4
Nach der Regelung der §§ 8, 9 der Verpackungsverordnung sind Getränkewirtschaft
und Einzelhandel ab dem 1. Januar 2003 verpflichtet, auf alle einwegverpackten
Getränke aus den Bereichen Mineralwasser, Bier und Erfrischungsgetränke mit
Kohlensäure ein Pfand von 25 bzw. 50 Cent zu erheben, bei Rückgabe der Verpackung
zu erstatten und diese einer Verwertung zuzuführen. Hiergegen wendet sich die
Klägerin mit ihrer Klage.
5
Sie legt § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV dergestalt aus, dass mit der Bekanntmachung der
Nacherhebungsergebnisse ein fiktiver Teilwiderruf des beklagten Landes ergehe. Die
Feststellung des beklagten Landes vom 18. Dezember 1992 (MBl. NW. 1993, S. 57) in
der Fassung des Änderungsbescheids vom 7. Juli 1994 (MBl. NW. 1994, 1006) nach § 6
6
Abs. 3 Satz 11 VerpackV, dass ein haushaltsnahes Abholsystem für
Verkaufsverpackungen im Sinne des § 6 Abs. 3 Satz 1 VerpackV eingerichtet sei, werde
für die betroffenen Getränkebereiche hierdurch widerrufen. Als fiktiver Verwaltungsakt
stünden gegen ihn alle Rechtsmittel zur Verfügung, die auch bei einem tatsächlich
erlassenen Verwaltungsakt eröffnet seien. Deswegen greift die Klägerin in ihrem
Hauptantrag den fiktiven Teilwiderruf mit einem Anfechtungsantrag an. Hilfsweise
verfolgt sie ihr Begehren mit einem Feststellungsantrag.
In der Sache meint die Klägerin, dass der Teilwiderruf gegen den höherrangigen § 49
Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) verstoße, der einfachgesetzlich den
verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz - GG -)
normiere. Die Voraussetzungen für den Erlass der widerrufenen Feststellung seien nicht
weggefallen. Weiter meint die Klägerin, dass die Pfandpflicht dem Zweck der §§ 22 ff.
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG) zuwiderlaufe. Das
Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung zur kommunalen
Verpackungssteuer erkannt, dass die kooperative kollektive Pflichterfüllung der
individuellen Pflicht zur Produktverantwortung vorgehe. Das Pflichtpfand ziele aber auf
die (nachrangige) individuelle Verpflichtung. Weiter meint die Klägerin, dass die
Verpackungsverordnung nach der Ermächtigungsgrundlage nur die Art und Weise
regeln dürfe, wie die Produktverantwortung wahrzunehmen sei. Eine
Ermächtigungsgrundlage für die mengenmäßige Begrenzung des
Einwegverpackungsverkaufs um das bestehende Mehrwegsystem zu stabilisieren, gebe
es im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz nicht. Darüber hinaus sieht die Klägerin das
Verhältnismäßigkeitsprinzip des § 22 Abs. 3 KrW-/AbfG verletzt, da das Abholsystem
des "Grünen Punktes" ebenso effektiv, aber sie weniger belastend arbeite. Zusätzlich
hält die Klägerin die grundrechtliche Berufsfreiheit (Art. 12 GG) für verletzt, weil sich
auch aus den Feststellungen des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen, den
die Bundesregierung eingesetzt habe, ergebe, dass Mehrwegverpackungen nur in
bestimmten Fällen ökologisch den Einwegverpackungen überlegen seien. Schließlich
rügt die Klägerin einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot (Art. 3 GG), weil die
Mehrwegquote bei Fruchtsäften immer etwa um die Hälfte niedriger als bei anderen
Getränkesorten gelegen habe, diese Getränkeart vom Pflichtpfand aber verschont
bleibe.
7
Die Klägerin beantragt,
8
1. den durch das Unterschreiten der nach § 9 Abs. 2 der Verpackungsverordnung
erheblichen Mehrweganteile bei der Nacherhebung von Februar 1999 bis Januar 2000
ausgelösten Widerruf der Entscheidung nach § 6 Abs. 3 der Verpackungsverordnung
aufzuheben,
9
2.
10
3. den durch das Unterschreiten der erheblichen Mehrweganteile bei der Nacherhebung
von April 2000 bis März 2001 ausgelösten Widerruf der Entscheidung nach § 6 Abs. 3
der Verpackungsverordnung aufzuheben,
11
4.
12
hilfsweise sinngemäß
13
3. festzustellen, dass sie auch ab dem 1. Januar 2003 nicht verpflichtet ist, für Bier, das
sie in Einweg- Getränkeverpackungen vertreibt, und für das sie oder ein anderer
Vertreiber sich am Abholsystem der Firma der Grüne Punkt Duales System Deutschland
AG beteiligen, von ihren Abnehmern ein Pfand nach § 8 Abs. 1 der
Verpackungsverordnung zu erheben und ihnen zu erstatten und die Verpackungen nach
§ 6 Abs. 1 und/oder § 6 Abs. 2 der Verpackungsverordnung zurückzunehmen.
14
4.
15
Das beklagte Land beantragt,
16
die Klage abzuweisen.
17
Das beklagte Land hält die Klage für unzulässig. Es ist der Auffassung, dass das
angerufene Gericht örtlich nicht zuständig sei. Außerdem rügt es die mehrfache
Rechtshängigkeit derselben Sache. Eine Anfechtungsklage sei unstatthaft, weil ein
fiktiver Widerrufsverwaltungsakt des beklagten Landes nicht gegeben sei. § 9 Abs. 2
Satz 2 VerpackV sei eine selbstausführende ("self-executing") Norm. Jedenfalls sei ein
fiktiver Verwaltungsakt mangels Bekanntgabe unwirksam. Gäbe es einen fiktiven
Verwaltungsakt, müsste der als von der Bundesregierung erlassen gelten und die Klage
müsste beim Verwaltungsgericht Berlin gegen die Bundesrepublik Deutschland
erhoben werden. Gleiches gelte für die hilfsweise erhobene Feststellungsklage. Bislang
habe auch nicht das beklagte Land für sich in Anspruch genommen, ab dem 1. Januar
2003 gelte das Pflichtpfand, sondern nur die Bundesregierung bzw. der
Bundesumweltminister. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehle der Klägerin, weil
sie sachdienlicher gegen die Bekanntmachung der Nacherhebungsergebnisse
Anfechtungsklage erheben könne. Deswegen verstoße die Hilfsfeststellungsklage
gegen das Subsidiaritätsgebot des § 43 Abs. 2 VwGO und sei unzulässig.
18
In der Sache hält das beklagte Land die Pfandpflicht für rechtmäßig. Vertrauensschutz
könne die Klägerin nicht für sich in Anspruch nehmen, weil die Pfandpflicht bereits in
der ersten Verpackungsverordnung aus dem Jahr 1991 enthalten gewesen sei. Auf die
Regeln des allgemein geltenden § 49 VwVfG könne sich die Klägerin angesichts der
spezielleren Regelung in der Verpackungsverordnung nicht stützen. Die Pfandpflicht in
der Verpackungsverordnung sei von den Ermächtigungsgrundlagen der §§ 22 ff. KrW-
/AbfG gedeckt. Insbesondere § 22 Abs. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG lege fest, Teil der
Produktverantwortung sei die Entwicklung, Herstellung und das Inverkehrbringen von
Erzeugnissen, die mehrfach verwendbar seien. Den Mechanismus der Mehrwegquote
hält das beklagte Land für eine Lenkungsbestimmung mit Signalwirkung. Außerdem
entspreche es der Hierarchie des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, wenn der
Verordnungsgeber die Vermeidung der Verwertung von Abfällen vorziehe. Aus
verschiedenen ökobilanziellen Untersuchungen gehe außerdem hervor, dass höchstens
bei Erfrischungsgetränken ohne Kohlensäure sowie bei Milch und Wein die ökologische
Vorteilhaftigkeit der Mehrweggetränkeverpackungen fraglich sei. Auf diese Getränke
beziehe sich die Pfandpflicht aber gerade nicht. Einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit
(Art. 12 GG) sieht das beklagte Land nicht als gegeben an, weil dem Verordnungsgeber
angesichts der prognostischen Natur der Pfandregelung ein Gestaltungsspielraum
eröffnet sei.
19
Die Beigeladene beantragt,
20
die Klage abzuweisen.
21
Sie tritt dem Vortrag des beklagten Landes bei. Sie bestreitet mit ähnlichen Argumenten
wie es die Existenz eines fiktiven Teilwiderrufs und hält das beklagte Land für nicht
passivlegitimiert. Weiter meint auch sie, dass eine Klage gegen die Bekanntgabe der
Nacherhebungsergebnisse der Hilfsfeststellungsklage vorgehe. Soweit es um die
Rechtmäßigkeit der Pfandpflicht an sich geht, macht sich die Beigeladene die
Argumente des Oberverwaltungsgerichts Berlin (DVBl. 2002, 630) ausdrücklich zu
Eigen.
22
Das beklagte Land hat das Bundesverwaltungsgericht angerufen, nach § 53 VwGO das
zuständige Gericht zu bestimmen. Diesen Antrag hat das Bundesverwaltungsgericht mit
Beschluss vom 5. Juli 2002 - 7 AV 2.02 abgelehnt. In der Beschlussbegründung hat es
mitgeteilt, dass der von der Klägerin angenommene fiktive Verwaltungsakt den
Regelungsgehalt des § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV nicht treffe.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte des Leitverfahrens 17 K 1907/02 sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des beklagten Landes ergänzend Bezug genommen.
24
Entscheidungsgründe:
25
Die Klage ist im Hilfsantrag zulässig und begründet, weil die Klägerin auch ab dem 1.
Januar 2003 nicht verpflichtet ist, von ihren Abnehmern auf die im Antrag näher
bezeichneten Getränkeverpackungen ein Pfand zu erheben bzw. ihnen zu erstatten und
die Verpackungen zurückzunehmen. Im Übrigen ist die Klage unzulässig.
26
I.
27
Die erhobene Anfechtungsklage ist unstatthaft, weil § 9 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung
über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen vom 21. August 1998
(BGBl. I S. 2379), zuletzt geändert durch die Zweite Verordnung zur Änderung der
Verpackungsverordnung vom 15. Mai 2002 (BGBl I. S. 1572) - VerpackV - einen
Widerrufsverwaltungsakt nicht fingiert.
28
Ob eine Anfechtungsklage statthaft ist, richtet sich nach § 42 Abs. 1, 1. Alt VwGO.
Danach ist Voraussetzung, dass ein Verwaltungsakt tatsächlich vorliegt. Die bloße
Behauptung des Klägers, es liege ein Verwaltungsakt vor, genügt nicht.
29
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Oktober 1968 - IV C 101.67, in: BVerwGE 30,
287; Redeker/v. Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Aufl. (2000), § 42 Rn. 10;
Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Auflage (2000), § 42 Rn. 54.
30
Die maßgebliche Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV besagt Folgendes:
31
"Liegt ... der Mehrweganteil im Bundesgebiet unter dem ... festgesetzten Anteil, gilt die
Entscheidung nach § 6 Abs. 3 vom ersten Tage des auf die Bekanntgabe ... folgenden
sechsten Kalendermonats bundesweit ... als widerrufen ... ."
32
Die Beteiligten streiten mit gewichtigen Argumenten darüber, ob aus dieser Norm ein
anfechtbarer fiktiver Verwaltungsakt abzuleiten ist. § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV lässt -
33
insbesondere vor dem Hintergrund seiner Entstehungsgeschichte - keine völlig
zweifelsfreie Auslegung zu. Weil die Klage im Hilfsantrag zulässig und diese Frage im
Endergebnis nicht entscheidungserheblich ist, schließt sich das erkennende Gericht der
bundesverwaltungsgerichtlichen Auslegung des § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV an. Ein
fiktiver Teilwiderruf der Feststellung nach § 6 Abs. 3 VerpackV liegt nicht vor, sodass
eine Anfechtungsklage unstatthaft ist,
vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 5. Juli 2002 - 7 AV 2.02.
34
II.
35
Die Klage ist in ihrem Hilfsantrag zulässig.
36
Die Klägerin hat hilfsweise einen Feststellungsantrag erhoben, mit dem sie sinngemäß
beantragt festzustellen, dass sie zur Pfanderhebung- und Erstattung nach Maßgabe des
§ 8 Abs. 1 VerpackV und zur Rücknahme nach § 6 VerpackV nicht verpflichtet ist, soweit
es sich um einwegverpackte Getränke handelt.
37
1. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf ist gemäß § 52 Nr. 5 VwGO i. V. m. § 1 Abs. 2 lit.
c) AG VwGO NRW für die Feststellungsklage örtlich zuständig, da das beklagte Land
seinen Sitz in Düsseldorf hat.
38
Zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach dem allein vom Kläger bestimmten
Streitgegenstand vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 5. Juli 2002 - 7 AV
2.02; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Oktober 1968 - IV C 101.67, in:
BVerwGE 30, 287; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. Februar 1981 - 2 C 42/78,
in: DVBl 1981, 495.
39
2. Die hilfsweise erhobene Klage auf Feststellung, dass die Klägerin ab dem 1. Januar
2003 bei Einweg-Getränkeverpackungen, für die sie sich oder ein anderer Vertreiber am
Abholsystem der Firma Der Grüne Punkt Duales System Deutschland (DSD) AG
beteiligt, nicht den Verpflichtungen zu Pfanderhebung, Pfanderstattung und Rücknahme
nach §§ 6, 8 Abs. 1 der Verpackungsverordnung unterliegt, ist statthaft.
40
a) Mit einer Klage nach § 43 Abs. 1 VwGO kann das Bestehen oder Nichtbestehen
eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden. Die Klägerin beantragt das
Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festzustellen, nämlich dass sie im Verhältnis
zum beklagten Land eine Pfanderhebungs- und -erstattungspflicht nicht trifft. Eine
Feststellungsklage kann "nur unter der Voraussetzung erhoben werden, dass die
Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten, bereits übersehbaren Sachverhalt
streitig ist". Sie dient "der gerichtlichen Klärung der rechtlichen Beziehungen, die sich
aus einem bestimmten Sachverhalt auf Grund einer öffentlich- rechtlichen Regelung für
das Verhältnis mehrerer Personen (Rechtssubjekte) untereinander ergeben" (=
Rechtsverhältnis).
41
vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Januar 1992 - 3 C 50/89, in: NVwZ 1993,
64; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 8. Juni 1962 - VII C 78.61, in: BVerwGE 14,
235, 236.
42
Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO kann nur das Bestehen
oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses sein, das durch besondere Umstände
43
hinreichend konkretisiert ist. Die streitigen Beziehungen müssen sich zu einer festen
Form verdichtet haben.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. Mai 1987 - 3 C 53.85, in: BVerwGE 77, 207;
vgl. auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13. Januar 1969 - 1 C 86.64 bei
Buchholz 310 § 43 Nr. 31.
44
Anders als das beklagte Land und die Beigeladene meinen, kommt es nicht darauf an,
ob das beklagte Land einer Feststellungsklage dieses Recht ausdrücklich oder
schlüssig für sich in Anspruch genommen hat oder nicht. Maßgeblich ist allein, ob nach
materiellem Recht ein solches Rechtsverhältnis besteht bzw. dies umstritten ist.
45
Es ist unbestritten, dass derzeit eine Pfand- und Erstattungspflicht der Klägerin noch
nicht besteht, weil die sechsmonatige Frist seit der Bekanntgabe der
Nacherhebungsergebnisse noch nicht verstrichen ist. Feststellungsfähig sind entgegen
der Beigeladenen aber nicht nur gegenwärtige, sondern auch zukünftige
Rechtsverhältnisse. Zukünftige Rechtsverhältnisse sind feststellungsfähig, wenn sie
schon jetzt konkretisiert, also die maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen
Grundlagen gelegt sind.
46
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. Mai 1987 - 3 C 53.85, in: BVerwGE 77, 207,
211; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13. Oktober 1971 - VI C 57.66, in: BVerwGE
38, 346; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. April 1996 - 3 C 8.95, in: BayVBl
1997, 90; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen, Urteil vom 4. Mai
1994 - 6 A 690/93, in: NVwZ-RR 1995, 98; zustimmend Kopp/Schenke,
Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Auflage (2000), § 43 Rn. 18; Pietzcker, in:
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (Stand: Januar 2002),
§ 43 Rn. 21.
47
Das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem beklagten Land ist hinreichend
konkretisiert. Durch die für sofort vollziehbar erklärte Bekanntmachung der
Mehrwegquoten im Bundesanzeiger stehen die am 1. Januar 2003 eintretenden
Rechtsfolgen bereits jetzt fest. Das festzustellende Rechtsverhältnis reicht auch schon
insofern in die Gegenwart hinein, als die Klägerin bereits jetzt Vorkehrungen treffen
muss, um einer evtl. Rücknahme- und Pfandpflicht zum 1. Januar 2003 genügen zu
können. Diese Vorkehrungen sind nur durch weit reichende, kaum rückgängig zu
machende Investitionsentscheidungen herbeizuführen. Schon deswegen hat die
Klägerin bereits heute ein Interesse an der baldigen Feststellung, ob das streitige
Rechtsverhältnis besteht oder nicht.
48
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass für eine Klage, die sich gegen eine
unmittelbar aus der Verpackungsverordnung folgende Pflicht richtet, die
Feststellungsklage nach § 43 VwGO statthaft ist, wenn die Norm keines gesonderten
Vollzugsakts mehr bedarf und deshalb unmittelbare Wirkung entfaltet.
49
Bundesverfassungsgericht, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 3. Juli 2001 -
1 BvR 1472/99, in: DVBl 2001, 1429, 1430; vgl. auch Bundesverfassungsgericht, 1.
Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 2. April 1997 - 1 BvR 446/96, in: NVwZ
1998, 169: gegen eine bundesrechtliche Durchführungsverordnung zum Luftverkehr ist
die Feststellungsklage nach § 43 VwGO zulässig; dazu Peters, Zur Zulässigkeit der
Feststellungsklage (§ 43 VwGO) bei untergesetzlichen Normen, in: NVwZ 1999, 506.
50
Auch nach der Auffassung des beklagten Landes handelt es sich bei § 9 Abs. 2 Satz 2
VerpackV um eine selbstvollziehende ("self-executing") Norm (Schriftsatz des beklagten
Landes vom 23. Mai 2002, GA Leitverfahren 17 K 1907/02 Bl. 249). Dem stimmt der
Sache nach das Bundesverwaltungsgericht zu, denn nach seinem Beschluss zum
Antrag nach § 53 VwGO sind weitere (angreifbare) Vollzugsakte zur Umsetzung der
Pfandpflicht nicht von § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV vorgesehen.
51
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 5. Juli 2002 - 7 AV 2.02.
52
Die Bekanntgabe der Mehrwegquoten ist kein Vollzugsakt in diesem Sinne, also keine
gegenüber dem Einzelnen verbindliche Festsetzung von Rechtsfolgen, sondern nur die
Feststellung des Tatbestandsmerkmals der sich dann selbst vollziehenden Norm.
53
Die Feststellungsklage ist außerdem statthaft, weil der Klägerin eine repressive
Verfolgung droht, wenn sie ab dem 1. Januar 2003 kein Pfand erhebt. Das
Bundesverwaltungsgericht hat erkannt, dass ein Feststellungsinteresse bei drohender
repressiver Verfolgung in Fällen zukünftiger Rechtsverhältnisse zu bejahen ist. Dem
schließt die Kammer sich an.
54
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13. Januar 1969 - 1 C 86.64 bei Buchholz
310 § 43 Nr. 31; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. Mai 1987 - 3 C 53/85, in:
BVerwGE 77, 207.
55
Nach § 15 Nr. 17 VerpackV handelt derjenige, der ein Pfand nicht erhebt oder erstattet,
ordnungswidrig im Sinne des § 61 Abs. 1 Nr. 5 KrW-/AbfG. § 61 Abs. 3 KrW-/AbfG droht
für diesen Fall eine Geldbuße bis 50.000 Euro an. Die Beigeladene - vertreten durch
den Bundesumweltminister - hat mit Schreiben vom 28. März 2002 (Anlage 1 zum
Antragsschriftsatz im Eilverfahren 17 L 1916/02) mit "Sanktionen durch die
Vollzugsbehörden" gedroht, wenn ein "reibungslos funktionierendes
Rücknahmesystem" nicht bis zum 1. Januar 2003 eingerichtet sei. Es ist daher mit der
Anwendung der repressiven Instrumente zu rechnen.
56
Die Feststellungsklage ist auch nicht etwa deswegen unstatthaft, weil der Antrag darauf
hinausläuft, dass - als Vorfrage - über die Gültigkeit der einschlägigen Normen der
Verpackungsverordnung entschieden werden muss. Der Umstand allein, dass die zu
treffende Entscheidung die Überprüfung einer Norm erfordert und in diesem Bereich
konkreter Normenkontrolle ihr eigentlicher Zweck liegt, macht die Klage nicht
unzulässig. Dem System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes kann nicht etwa
entnommen werden, dass außerhalb des § 47 VwGO die Überprüfung von
Rechtsetzungsakten ausgeschlossen sein soll. Es gehört seit jeher zur richterlichen
Prüfungskompetenz, auch die Gültigkeit einer Rechtsnorm, insbesondere ihre
Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu überprüfen, sofern es für den Ausgang des
Rechtsstreits hierauf ankommt. Daran hat sich durch die Zulassung der abstrakten
Normenkontrolle in den Fällen des § 47 VwGO nichts geändert.
57
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. September 1979 - 7 C 7/78, in: BVerwGE 58,
299, 301 (sub. Ziff. 1); Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13/99,
in: BVerwGE 111, 276.
58
b) Die hilfsweise erhobene Feststellungsklage ist nicht deswegen unzulässig, weil die
59
Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch
Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
Das in dieser Regelung niedergelegte Subsidiaritätsgebot der Feststellungsklage
verfolgt zusammenfassend gesagt zwei Zwecke. Einerseits soll der erforderliche
Rechtsschutz auf ein einziges gerichtliches Verfahren konzentriert werden (Grundsatz
der Effektivität des Rechtsschutzes). Der Kläger soll kein Feststellungsurteil erwirken,
aus dem er später auf Leistung oder Aufhebung klagen muss, wenn er dieses Ziel durch
eine andere Klageart sofort erreichen kann.
60
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18. Juli 1969 - 7 C 56.68, in: BVerwGW 32, 333,
335; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. April 1996 - 3 C 8/95, in: NVwZ-RR
1998, 302.
61
Andererseits soll die Subsidiarität verhindern, dass die für die Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage geltenden Sonderregelungen über Fristen und Vorverfahren
unterlaufen werden.
62
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. Mai 1987 - 3 C 53/85, in: BVerwGE 77, 207,
211.
63
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gilt das Vorrangverhältnis
zwischen Leistungs-/Gestaltungsklage und Feststellungsklage aber nicht stets und
unbesehen, sondern es ist auf die besondere Interessenlage der Beteiligten besonders
Bedacht zu nehmen: "Kann die zwischen den Parteien streitige Frage sachgerecht und
ihrem Rechtsschutzinteresse voll Rechnung tragend durch Feststellungsurteil geklärt
werden, verbietet es sich, den Kläger auf eine Gestaltungs- oder Leistungsklage zu
verweisen, in deren Rahmen das Rechtsverhältnis, an dessen selbstständiger
Feststellung er ein berechtigtes Interesse hat, (...) nur Vorfrage wäre."
64
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. April 1997 - 1 C 2/95, in: NJW 1997, 2534,
2535.
65
Das beklagte Land und die Beigeladene gehen fehl, wenn sie meinen, dass eine
Feststellungsklage wegen Verstoßes gegen § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht statthaft sei,
weil die Klägerin gegen die Bekanntmachung der Mehrwegquoten klagen könne.
66
aa) Eine Klage gegen die Bekanntmachung der Mehrwegquote durch den Bund ist in
ihrem Begehren auf etwas qualitativ anderes gerichtet als eine Feststellungsklage
gegen das vollziehende Land. Es handelt sich im Begehren um ein aliud, auf das im
Verhältnis zur erhobenen Feststellungsklage das Subidiaritätsgebot nicht anwendbar
ist.
67
Das ergibt sich bereits daraus, dass es sich um unterschiedliche Beklagte handelt und
damit verschieden weit reichende Entscheidungen ergehen. Ein zwischen dem Bund
und der Klägerin ergehendes Urteil würde nur zwischen diesen Bindungswirkung
entfalten, § 121 VwGO, nicht zwischen der Klägerin und dem jeweiligen mit dem
Vollzug der Verpackungsverordnung betrauten Land.
68
Da die Anfechtungsklage auf ein anderes Rechtsschutzziel gerichtet ist, kommt dem
Zweck der Sicherung der besonderen Voraussetzungen der Anfechtungsklage und der
69
Vermeidung von mehrfachen Klagen in diesem Fall keine eigene Bedeutung zu.
bb) Des Weiteren ist nicht klar, ob das von der Klägerin verfolgte Begehren, nämlich die
Feststellung, dass sie aus der Verpackungsverordnung keine Pfandpflichten treffen, bei
einer Anfechtungsklage gegen die Bekanntgabe der Ergebnisse der Nacherhebung
überhaupt als Vorfrage entschieden würde. Denn es ist sehr gut möglich, dass die
Anfechtungsklage aus ganz anderen Gründen Erfolg oder Misserfolg hat, das
angerufene Gericht zu dieser Frage also gar nicht Stellung nimmt. Außerdem nähme
das zur Vorfrage gefundene Ergebnis nicht an der Rechtskraft der Entscheidung teil.
70
Zu diesem Einwand vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 9. Dezember 1982 - 5 C
103.81, in: DVBl 1983, 552 und Sodan, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung,
Loseblatt (Stand: Februar 2002), § 43 Rn. 123.
71
Davon abgesehen unterliegt es Zweifeln, ob bei der Klage gegen die Feststellung der
Mehrwegquoten auch gerichtlich überprüft wird, ob eine Ermächtigung besteht, die
angegriffene Pfandpflicht einzuführen. Nur weil das Oberverwaltungsgericht Berlin eine
solche Prüfung im Eilverfahren vorgenommen hat, erscheint dies nicht zwingend. Es
begründet die Prüfung der Pfandpflicht im Rahmen des Eilrechtsschutzes gegen die
Bekanntgabe der Ergebnisse damit, dass nur dann eine künftige Belastung der
Antragsteller durch die Bekanntgabe festgestellt werden könne, wenn die
Pfandpflichtregelung wirksam sei.
72
Oberverwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 20. Februar 2002 - OVG 2 S 6.01, in:
DVBl 2002, 630, 631 (rechte Spalte).
73
Bei der Klage gegen einen feststellenden Verwaltungsakt zu prüfen, ob die
Bekanntgabenorm für sich genommen wirksam ist, kann nicht beanstandet werden. Es
unterliegt jedoch Zweifeln, ob die Prüfung der Wirksamkeit von Normen, die anknüpfend
an den feststellenden Verwaltungsakt weitere Rechtsfolgen anordnen, zu den tragenden
Entscheidungsgründen gehört oder nicht vielmehr als obiter dictum zu werten ist.
Handelt es sich um ein obiter dictum, nimmt dieses erstens nicht an der Rechtskraft der
Entscheidung teil und zweitens kann insofern nicht auf die Anfechtungsklage als der
Feststellungsklage vorgängig verwiesen werden.
74
Würde man den Prüfungsansatz des Oberverwaltungsgerichts Berlin konsequent
durchführen, müsste man bei Klagen gegen feststellende Verwaltungsakte die
Rechtswirksamkeit aller Normen überprüfen, die an diesen Verwaltungsakt anknüpfen.
Ein solches Vorgehen ist nicht nur schlechthin unpraktikabel, sondern überschreitet den
Streitgegenstand der erhobenen Klage (ne eat iudex ultra petita partium), die sich nur
gegen die Feststellung richtet. Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht es bei der
Entscheidung über eine Klage, die sich gegen die Feststellung der Einwohnerzahl einer
Gemeinde richtete, überhaupt nicht in Erwägung gezogen, alle an die Einwohnerzahl
der Gemeinde anknüpfenden Rechtsnormen auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen.
75
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17. März 1992 - 7 B 24/92, in: DVBl
1992, 1295.
76
cc) Die vorzunehmende Differenzierung zwischen der Feststellung der Mehrwegquote
und den daran anknüpfenden Widerruf der Feststellung nach § 6 Abs. 3 VerpackV
übersieht das beklagte Land. Zwar beschreibt es das Rechtsschutzziel der Klägerin
77
zutreffend damit, dass sie ein Wiederaufleben der Pfanderhebungspflichten verhindern
will. Es beachtet aber nicht, dass es verwaltungsprozessual verschiedene Wege und
Ansatzpunkte gibt, um dieses Ziel zu erreichen. Die Klägerin dieses Verfahrens schlägt
einen anderen Weg ein, als es die Antragsteller vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin
getan haben. Jene wandten sich gegen die Bekanntgabe der
Nacherhebungsergebnisse. Diese greifen in einer grundsätzlicheren Art und Weise das
Bestehen einer Pfandpflicht überhaupt an.
Unabhängig davon, dass das beklagte Land seine Ansicht nicht auf den Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts Berlin stützen kann, erscheinen die Regelungswirkungen, die
es der Bekanntgabe beimisst, zu weit gehend. Grundsätzlich sind feststellende
Verwaltungsakte solche, durch die rechtserhebliche Eigenschaften in Bezug auf einen
Einzelfall verbindlich festgestellt werden sollen,
78
Stelkens/Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl.
(2001), § 35 Rn. 142 m. w. N. aus der Literatur.
79
Das Bundesverwaltungsgericht hat als Regelungsgegenstand eines feststellenden
Verwaltungsakts einmal die Verbindlichkeit seiner Feststellung definiert,
80
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. April 1997 - 3 C 2/95, in: BayVBl 1998, 346.
81
Hinsichtlich eines Sachverhaltes, bei dem es auch um Zählungen ging (Volkszählung),
hat das Bundesverwaltungsgericht erkannt, dass die Bekanntgabe der einer Gemeinde
zugeordneten Einwohnerzahl einen feststellenden Verwaltungsakt darstellt, aus dem
sich nach seiner Bestandskraft die amtliche Einwohnerzahl ergibt.
Regelungsgegenstand war hier nur die verbindliche Feststellung der - künftigen
Entscheidungen zugrundezulegenden - Einwohnerzahl.
82
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17. März 1992 - 7 B 24/92, in: DVBl
1992, 1295.
83
Die Besonderheit des feststellenden Verwaltungsakts liegt demzufolge gerade darin
begründet, dass sich an seinen Verfügungsausspruch keine vollstreckungsfähigen
Rechtsfolgen knüpfen. Er beschränkt sich vielmehr auf die Feststellung der
behördlichen Subsumtion. Weiter gehende Rechtsfolgen zu setzen, bleibt
Folgemaßnahmen überlassen. Bei der Pfandpflicht handelt es sich aber gerade um
vollstreckungsfähige Rechtsfolgen, die von dem Feststellungsverwaltungsakt nicht
umfasst werden. Wird die Bekanntgabe der Mehrwegquoten angefochten, ist
Streitgegenstand der (isolierte) feststellende Verwaltungsakt, der außer der
Verbindlichkeit der in ihm getroffenen Feststellungen keine Rechtsfolgen herbeiführt. Ob
aus der Bekanntgabe der Quoten die Betroffenen tatsächlich die Pflicht trifft, ein Pfand
zu erheben und zu erstatten, ist eine hiervon zu unterscheidende Frage.
84
Wäre die Bekanntgabe der Mehrwegquoten auch auf die Herbeiführung der Pfandpflicht
gerichtet, würde dies der bundestaatlichen Kompetenzverteilung bei der Ausführung von
Bundesrecht (Art. 83 GG) zuwiderlaufen. Nur weil die Verpackungsverordnung die
Pfandpflicht von der Mehrwegquote "im Geltungsbereich dieser Verordnung", also im
gesamten Bundesgebiet, abhängig macht, konnte das Oberverwaltungsgericht Berlin für
diese Feststellungsentscheidung eine ungeschriebene Bundeskompetenz annehmen.
Dass auch die Pfandpflicht selbst nur bundeseinheitlich gelten kann, wird nicht einmal
85
von der Verpackungsverordnung vorausgesetzt, wie § 10 VerpackV zeigt, der
Regelungen für den Fall vorsieht, dass in bestimmten Ländern ein Pfand zu erheben ist
und in anderen nicht.
dd) Durch das den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Landesexekutive (Art. 83 GG)
durchbrechende Zusammenwirken von Bund und Land bei der Pfandpflicht entsteht die
wegen des genannten Grundsatzes ansonsten ungewöhnliche Situation, dass der
Betroffene sich sowohl gegen den Bund als auch gegen das Land zur Wehr setzen
kann. Hätte das Land auf Grund der Mehrwegquote einen gebundenen
Widerrufsverwaltungsakt zu erlassen, würden Zweifel an dessen Anfechtbarkeit nicht
bestehen. Auf Grund der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG)
können solche Zweifel nicht dadurch entstehen, dass durch eine andere Handlungsform
als durch Verwaltungsakt, nämlich durch die Anordnung des Eintritts der Rechtsfolgen
eines Widerrufs, entschieden wird. Die Zeiten, die einen Verwaltungsakt voraussetzten,
um gerichtlichen Rechtsschutz zu eröffnen, sind spätestens seit Einführung des § 40
VwGO beendet. Fehlt es am Verwaltungsakt, ist die Feststellungsklage als
Auffangklageart statthaft, wenn keine Leistungs- oder Gestaltungsklage erhoben werden
kann.
86
Soweit in der Literatur vertreten wird, die Subsidiarität greife auch ein, wenn der Kläger
sein Prozessziel mindestens ebenso gut mit einer Gestaltungsklage gegen einen Dritten
erreichen könne, ist diese Ansicht vereinzelt geblieben.
87
Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Auflage (2000), § 43 Rn. 26.
88
Ihre Vertreter haben ihre Ansicht auch weder begründet, noch hat sie in der
Rechtsprechung - soweit ersichtlich - Widerhall gefunden. Im Übrigen erscheint es wie
dargelegt sehr fraglich, ob im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen die
Bekanntmachung der Mehrwegergebnisse die von der Klägerin angegriffene
Wirksamkeit der Pflichtpfandregelung insgesamt einer Prüfung unterzogen werden
muss,
89
keine Prüfung: Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 15. August 2001 - VG 10 A
708.00, Beschlussabdruck Bl. 12.
90
Ob die Bekanntgabe des Ergebnisses der Nacherhebung gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2
VerpackV (auch) auf die Setzung der Rechtsfolge "Widerruf der Feststellung nach § 6
Abs. 3 VerpackV" gerichtet ist und so den betroffenen Herstellern und Vertreibern
Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnet, braucht aber letztlich nicht entschieden zu werden,
weil die Klägerin weiter gehenden Rechtsschutz begehrt, nämlich die Feststellung, dass
sie einer Pfand- und Erstattungspflicht nicht unterliegt.
91
3. Die Klage ist gegen den richtigen Beklagten gerichtet. Gegen wen eine
verwaltungsgerichtliche Klage zu richten ist, bestimmt sich nach dem
Rechtsträgerprinzip. Für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage findet sich dieser
Grundsatz in § 78 VwGO ausformuliert. Er gilt aber auch für die Feststellungsklage nach
§ 43 VwGO. Sie ist gegen die Rechtspersönlichkeit zu richten, der gegenüber das
streitige Rechtsverhältnis positiv oder negativ festgestellt werden soll.
92
Meissner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (Stand:
Januar 2002), § 43 Rn. 21, 49.
93
Deswegen war das Rubrum der Klage in Bezug auf den Hilfsantrag stillschweigend auf
den Rechtsträger - das beklagte Land - umzustellen.
94
a) Unzutreffend meint das beklagte Land, dass die Klage gegen die beigeladene
Bundesrepublik Deutschland zu richten ist. Aus § 63 KrW-/AbfG folgt, dass die
Landesbehörden für die Durchsetzung der Verpflichtungen aus der
Verpackungsverordnung zuständig sind,
95
vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 20. Februar 2002 - OVG 2 S 6.01, in:
DVBl. 2002, 630, 640 (linke Spalte), das zutreffend darlegt, dass ein feststellungsfähiges
Rechtsverhältnis zum Bund über die Frage, ob eine Pfandpflicht besteht, nicht existiert,
da zur Durchsetzung der Verpackungsverordnung die jeweiligen Bundesländer
zuständig seien.
96
Dem stimmt auch die Beigeladene zu: "Wenn ... die Klägerinnen ... die Auffassung
vertreten, dass die Landesbehörden für die Durchsetzung der Verpflichtungen aus der
Verpackungsverordnung zuständig sind, so ist dies ... für die Zukunft richtig." (GA
Leitverfahren 17 K 1907/02 Bl. 659).
97
Dies entspricht dem Grundsatz der Landesexekutive bei Bundesgesetzen, der in Art. 83
GG niedergelegt ist. Die Verwaltungskompetenz fehlt dem beklagten Land entgegen
seiner Ansicht gerade nicht. Für Nordrhein-Westfalen ist in § 34 Abs. 1 des
Abfallgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (AbfG NRW) festgelegt, dass das
beklagte Land als oberste Abfallwirtschaftsbehörde zum Vollzug des Abfallrechts
zuständig ist. Die Pflicht zur Pfanderhebung und -erstattung obläge der Klägerin damit
gegenüber dem beklagten Land Nordrhein-Westfalen.
98
Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Bund für die Feststellung der
Bekanntgabe der bundesweiten Mehrwegquoten zuständig ist. Diese Feststellung ist
aber nicht Streitgegenstand dieses Verfahrens, sondern allenfalls eine Vorfrage. Soweit
das beklagte Land und die Beigeladene auf die vom Oberverwaltungsgericht Berlin
festgestellte Bundeskompetenz für die Feststellung der (bundesweiten) Mehrwegquote
verweisen, lassen sie außer Acht, dass das Gericht dem Bund diese Kompetenz nur
ausnahmsweise zugesprochen hat. Diese weder in der Verfassung noch im
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz niedergelegte Ausnahmekompetenz lässt sich
nicht auf alle Rechtsakte oder Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit §§ 6, 8 f. der
Verpackungsverordnung ausdehnen.
99
b) Die Bedenken, die das beklagte Land und die Beigeladene wegen eventuell
abweichender Gerichtsentscheidungen der Länder hegen, mögen aus
prozessökonomischen und auch praktischen Erwägungen gerechtfertigt sein.
Divergenzen sind aber als Folge des föderalen Staatsaufbaus und des Grundsatzes der
Landesexekutive (Art. 83 GG) jedenfalls dann unvermeidbar, wenn Bundesrecht jeweils
einzelne (angreifbare) Rechtsverhältnisse zwischen Gesetzesunterworfenem und Land
vorsieht. Wie das vom beklagten Land in dieser Sache angerufene
Bundesverwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, sind Erwägungen der
Prozessökonomie nicht in der Lage, Verfassungsnormen - etwa die des gesetzlichen
Richters, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG - außer Kraft zu setzen.
100
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 5. Juli 2002 - 7 AV 2.02.
101
Im Übrigen hat die Verpackungsverordnung (seit ihrem Erlass) den Fall, dass die
Pfanderhebungspflicht nicht in allen Bundesländern gilt, bereits vorausgesehen. § 10 in
Verbindung mit § 3 Abs. 9 VerpackV regelt diesen Fall ausdrücklich. Danach können
Vertreiber, die in einem Bundesland ansässig sind, in dem die Pfandpflicht nach § 8
VerpackV gilt, die Rücknahme und Pfanderstattung für solche Verpackungen
verweigern, die aus einem Bundesland ohne Pfandpflicht stammen. Der
Verordnungsgeber rechnete also mit der Situation, dass Pfandpflichten nicht
bundeseinheitlich gelten.
102
Schließlich kann auch die Feststellung, dass ein flächendeckendes Abholsystem nach
§ 6 Abs. 3 VerpackV (Duales System) besteht, nur dann "bundesweit" (genauer: in allen
Bundesländern) wirken, wenn jeweils ein entsprechender feststellender Verwaltungsakt
der obersten Landesabfallbehörde ergangen ist. Bedenken dagegen, dass eine um ein
Vielfaches weitreichendere Entscheidung als die über die Pfandpflicht auf Einweg-
Getränkeverpackungen ggfs. von Bundesland zu Bundesland divergieren könnte, sind
bislang nicht geäußert worden.
103
c) Die Klägerin musste die Feststellungsklage auch nicht gegen das Bundesland, in
welchem sie ihren Sitz hat, richten. Nach dem allein maßgeblichen Klagegegenstand
kommt es nur darauf an, ob ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zum beklagten
Land besteht. Das ist der Fall. Ob daneben auch gegenüber dem Land, in dem die
Klägerin ihren Sitz hat, die Pflicht zur Pfanderhebung und -erstattung (= ein weiteres
Rechtsverhältnis) besteht, muss in diesem Rahmen nicht entschieden werden.
104
4. Der Klägerin fehlt nicht das allgemeine Rechtsschutzinteresse. Dass sie bei
verschiedenen Verwaltungsgerichten Klage erhoben haben, stellt keine willkürliche
oder rechtsmissbräuchliche mehrfache Inanspruchnahme der Justiz dar, sondern ist
zwingende Folge des auf Art. 83 GG beruhenden und in § 63 KrW-/AbfG
einfachgesetzlich umgesetzten Grundsatzes der Landesexekutive.
105
Die erhobenen Klagen richten sich jeweils gegen unterschiedliche Beklagte, soweit sie
in unterschiedlichen Ländern anhängig sind. Soweit in einem Land mehrere Klagen
anhängig sind, unterscheiden sich die jeweiligen Kläger, sodass eine mehrfache
Rechtshängigkeit, die § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ausschließt,
wegen unterschiedlicher Streitgegenstände nicht vorliegt.
106
Der der Klägerin angediente Weg, gegen die Bekanntmachung der
Nacherhebungsergebnisse durch die Bundesregierung vor dem Verwaltungsgericht
Berlin zu klagen, ist eine qualitativ andere, aber keine einfachere und effektivere
Möglichkeit zur Erreichung des Rechtsschutzziels. Eine solche Klage dürfte zwar auch
möglich sein, aber es ist Sache der betroffenen Klägerin darüber zu befinden, in welcher
Weise, vor allem mit welcher Reichweite sie gerichtlichen Rechtsschutz sucht.
107
Der Klägerin steht auch deswegen ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung zu,
weil die auf das Pflichtpfand bezogenen Normen der Verpackungsverordnung den
Rechtsschein der Gültigkeit tragen und die Beigeladene beständig öffentlich darauf
verweist, dass die Pfandpflicht zum 1. Januar 2003 eintrete.
108
III.
109
Die Klage ist im Hilfsantrag begründet.
110
§ 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV liegt keine wirksame Ermächtigungsgrundlage zu Grunde.
Die Einführung eines Pflichtpfandes auf Einweggetränkeverpackungen zu dem Zweck,
nicht deren Rückgabe sicherzustellen, sondern die bestehenden Mehrwegsysteme zu
schützen, ist vom Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz nicht vorgesehen.
111
Eine belastende rechtliche Regelung - hier die Belastung mit einer Pfandpflicht - muss
von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt sein. Das verlangt bereits das in Art. 20
Abs. 3 GG normierte Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes.
112
Als Ermächtigungsgrundlage kommt nur § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV in Betracht. Die
Beteiligten sind sich darüber einig, dass dessen tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt
sind. Es kommt deswegen allein auf die Wirksamkeit von § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV
an.
113
§ 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV ist Teil einer bundesrechtlichen Rechtsverordnung, welche
die Bundesregierung erlassen hat. Ob § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV wirksam ist, richtet
sich danach, ob er in der in Anspruch genommenen formell-gesetzlichen
Ermächtigungsnorm eine Grundlage findet. Denn nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG muss
die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen durch "Gesetz", d. h. einzelne
parlamentsgesetzliche Bestimmungen erfolgen.
114
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. Oktober 1968 - 2 BvE 2/66, in: BVerfGE
24, 184, 196.
115
Nach ihrem Vorspruch ist die Verpackungsverordnung auf Grund der Ermächtigungen in
§ 6 Abs. 1 Satz 4, § 23 Nrn. 1, 2, 6, § 24 Abs. 1 Nrn. 2, 3, 4, Abs. 2 Nr. 1, § 57, § 59, § 7
Abs. 1 Nr. 3, § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG ergangen. Der Inhalt der Verordnung muss von
diesen Ermächtigungsgrundlagen gedeckt sein. Die Verordnung kann sich hinsichtlich
der Pflichtpfandregelung und damit ihres § 9 Abs. 2 Satz 2 nur auf § 24 Abs. 1 Nr. 2
KrW-/AbfG stützen. Die übrigen zitierten Normen behandeln andere Sachverhalte und
scheiden offensichtlich aus.
116
Oberverwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 20. Februar 2002 - 2 S 6.01, in: DVBl
2002, 630, 635 (rechte Spalte unten). Dem stimmt die Beigeladene zu (GA Leitverfahren
17 K 1907/02 Bl. 666).
117
§ 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG lautet:
118
"Zur Festlegung von Anforderungen nach § 22 wird die Bundesregierung ermächtigt (...)
zu bestimmen, dass Hersteller oder Vertreiber (...) Nr. 2: bestimmte Erzeugnisse
zurückzunehmen und die Rückgabe durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch
Rücknahmesysteme oder durch Erhebung eines Pfandes, sicherzustellen haben, Nr. 3
(...)"
119
Ob diese Vorschrift zum Erlass der angegriffenen Verordungsregelung ermächtigt, muss
durch Auslegung ihrer Reichweite ermittelt werden. Hierbei ist der Rahmen zu
beachten, den Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG dem Erlass von Ermächtigungsnormen setzt.
Danach hat der Gesetzgeber einer solchen Norm "Inhalt, Zweck und Ausmaß der
erteilten Ermächtigung im Gesetz" selbst zu bestimmen. Tendenz und Programm der
120
Rechtsverordnung sind gesetzlich so weit zu umreißen, dass schon aus der
Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig
sein soll,
vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. September 2001 - 6 C 13.00, in: DVBl
2002, 479, 480; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. Februar 2001 - 3 C 9/00, in:
NJW 2001, 1592, 1593; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22. November 2000 - 6 C
8.99, in: BVerwGE 112, 194, 200.
121
Einerseits richtet sich nach den genannten Anforderungen die Beantwortung der Frage,
ob die ermächtigende Norm hinreichend bestimmt und deswegen wirksam ist.
Andererseits begrenzt Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zugleich auch die Reichweite der
Verordnungsermächtigung, hier also des § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG. Er verbietet
Auslegungen, die über das erkennbare Regelungsprogramm des Gesetzgebers
hinausgehen. Solche gesetzgeberischen Festlegungen müssen sich zwar nicht mehr
unmittelbar aus Wortlaut ergeben. Sie müssen sich aber nach den allgemeinen
Grundsätzen der Auslegung von Gesetzen ermitteln lassen.
122
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. September 2001 - 6 C 13.00, in: DVBl 2002,
479, 480. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 10. Oktober 1972 - 2 BvL 51/69, in:
BVerfGE 34, 52, 60: "Es muss entscheidbar sein, ob die Exekutive als
Verordnungsgeber sich innerhalb der gesetzten Grenzen gehalten hat."; zustimmend:
Nierhaus, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Stand: März
2002), Art. 80 Rn. 266.
123
Der im Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot wurzelnde Parlamentsvorbehalt
gebietet es, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der
Grundrechtsausübung, alle wesentlichen staatlichen Entscheidungen dem Gesetzgeber
zu überlassen.
124
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 6. Juli 1999 - 2 BvF 3/90, in: DVBl 1999, 1266,
1268; Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 6. Juni 1989 - 1 BvR 727/84, in: BVerfGE
80, 124, 132; Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87,
in: BVerfGE 83, 130, 142.
125
Das Bundesverwaltungsgericht verdeutlicht diese Anforderungen im Hinblick auf
Ermächtigungsnormen für Rechtsverordnungen, wenn es erklärt, dass die Ermächtigung
so deutlich gefasst sein muss, dass schon aus ihr, nicht erst aus der ermächtigten
Verordnung erkennbar und voraussehbar wird, was vom Bürger verlangt werden kann.
Das lasse jedenfalls in der Tendenz keinen Raum für eine eher weite Auslegung der
Ermächtigungsnorm.
126
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. Februar 2001 - 3 C 9/00, in: NJW 2001, 1592,
1593.
127
Die Beantwortung der Frage, ob der Teilwiderruf der Feststellung nach § 6 Abs. 3
VerpackV durch § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV von der Ermächtigungsnorm des § 24 Abs.
1 Nr. 2 KrW-/AbfG gedeckt ist, lässt keine isolierte Betrachtung der Widerrufsnorm zu.
Diese ist aus sich heraus noch nicht verständlich. Vielmehr ist die Regelung zur
Aktualisierung des Pflichtpfandes, das durch das Zusammenspiel verschiedener
Normen ausgelöst wird, in ihrer Gesamtheit zu betrachten.
128
§ 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV bietet keine in sich geschlossene Regelung, sondern ist Teil
eines sich über verschiedene Vorschriften der Verpackungsverordnung erstreckenden -
rechtstechnisch nicht einfachen - Regelungsmechanismus'. Ausgangspunkt ist § 8 Abs.
1 VerpackV. Er gibt allen Vertreibern, die flüssige Lebensmittel in Einweg-
Getränkeverpackungen in Verkehr bringen, auf, ein Pfand von 25 bzw. 50 Cent zu
erheben und bei Rückgabe zu erstatten. Nach § 9 Abs. 1 VerpackV gilt jedoch eine
Anwendungsausnahme von § 8 VerpackV bei Verpackungen, für die sich der Hersteller
oder ein Vertreiber an einem haushaltsnahen Abholsystem für Verpackungen gemäß §
6 Abs. 3 Satz 1 VerpackV beteiligt. Ein solches System stellt die Duales System
Deutschland (DSD) AG ("Grüner Punkt") gemäß der Feststellung des beklagten Landes
vom 18. Dezember 1992 (MBl. NW. 1993, S. 57) in der Fassung des
Änderungsbescheids vom 7. Juli 1994 (MBl. NW. 1994, 1006) auf der Grundlage des § 6
Abs. 3 Satz 11 VerpackV dar. Deswegen gab es bislang keine Pfandpflicht für Einweg-
Getränkeverpackungen. Wenn in bestimmten Getränkebereichen die von § 9 Abs. 2
VerpackV festgelegten Mehrweganteile nicht erreicht werden, "gilt die Entscheidung
nach § 6 Abs. 3 (...) als widerrufen". Damit fallen die Tatbestandsvoraussetzungen des
befreienden § 9 Abs. 1 VerpackV weg. Die latente Pfandpflicht wird aktualisiert.
129
Es stellt sich die Frage, ob § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG den Verordnungsgeber dazu
ermächtigt, bei Unterschreiten einer bestimmten Gesamt-Mehrwegquote eine
Pfandpflicht auf Einweg-Getränkeverpackungen zum Schutz der bestehenden
Mehrwegsysteme zu begründen. Wendet man auf diese allgemeine Fragestellung
konkret die Kriterien an, die gemäß der Rechtsprechung der obersten Gerichte des
Bundes aus Art. 80 Abs. 1 GG folgen, ergibt sich Folgendes: Entscheidend ist, ob eine
Pfandpflicht mit diesem Schutzzweck und dieser Beschränkung hinsichtlich der
betroffenen Getränke in der Ermächtigungsnorm des § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG
angelegt und für den Gesetzesunterworfenen erkennbar ist.
130
Die Frage, ob die Ermächtigungsnormen der § 14 AbfG 1986/§§ 22, 24 Abs. 1 Nr. 2
KrW-/AbfG zu weit reichenden umweltrechtlichen Verordnungen den Anforderungen des
Art. 80 Abs. 1 GG genügen, wird verschiedentlich verneint: Friauf, Abfallrechtliche
Rücknahmepflichten, in: Baur/Müller-Graff/Zuleeg, Europarecht, Energierecht,
Wirtschaftsrecht - Festschrift für Bodo Börner, 1992 S. 701, 711 ff; Aulehner, Einweg-
Mehrweg-Irrweg, in: Betriebs-Betrater 1995, Beilage 3, S. 1, 9. Kritisch auch
Schink/Schwade, Von der Abfallentsorgung zur Kreislaufwirtschaft, in: Stadt und
Gemeinde 1993, 18, 21; Doose, Der Entwurf eines Kreislaufwirtschafts- und
Abfallgesetzes aus kommunaler Sicht, in: Zeitschrift für angewandte Umweltforschung
1992, 450, 453. A. A. Di Fabio, Die Verfassungskontrolle indirekter Umweltpolitik am
Beispiel der Verpackungsverordnung, in: NVwZ 1995, 1, 3 f. für die Einführung eines
dualen Systems (DSD AG) überhaupt.
131
1. Wie die Anforderungen, die Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG an die Auslegung einer
Ermächtigungsnorm stellt, exakt zu bestimmen sind, kann nicht einheitlich beantwortet
werden. Vielfach hat das Bundesverfassungsgericht nicht deutlich zwischen "Inhalt,
Zweck und Ausmaß" geschieden, sondern festgestellt, dass die Begriffsinhalte sich
gegenseitig ergänzen, durchdringen, erläutern und erst zusammen den vollen
Sinngehalt der Norm ergeben.
132
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 4. Februar 1975 - 2 BvL 5/74, in: BVerfGE 38,
348, 357 f.
133
Hieraus hat es die bereits angeführten allgemeinen aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 folgenden
Auslegungsgrundsätze entwickelt. Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht in
einer jüngeren Entscheidung zur Hennenhaltungsverordnung Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG
sehr normtextorientiert - nach Inhalt, Zweck und Ausmaß gegliedert - angewendet.
134
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 6. Juli 1999 - 2 BvF 3/90, in: DVBl 1999, 1266,
1267.
135
Ein zwingendes methodisches Prüfprogramm lässt sich also aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2
GG nicht ableiten. Es verbleibt vielmehr bei der Erkenntnis, die das
Bundesverfassungsgericht bereits im ersten Band seiner Entscheidungssammlung
veröffentlicht hat: Eine sachgerechte Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG fordert,
dass sie sich an die Eigenart der Regelungsmaterie anpasst.
136
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 23. Oktober 1951 - 2 BvG 1/51, in: BVerfGE 1, 14,
60 (Leitsatz Nr. 19); kritisch: Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des
Staatsrechts, Band III (1988), § 64 Rn. 18 a. E.
137
In wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Materien wie hier kann wegen der sachgesetzlich
erforderlichen Reaktionsschnelligkeit und der Vielgestaltigkeit abfallwirtschaftlicher
Sachverhalte eine großzügigere Betrachtungsweise der Bestimmtheit geboten sein,
138
vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 12. November 1958 - 2 BvL 4/56, 2 BvL
26/56, 2 BvL 40/56, 2 BvL 1/57, 2 BvL 7/57, in: BVerfGE 8, 274, 321.
139
Die mögliche Großzügigkeit der Betrachtungsweise nimmt indes mit zunehmender
Grundrechtsrelevanz der Maßnahme ab. Je mehr die Eingriffe den Randbereich der
Grundrechtsgarantie verlassen und zu ihrem Kerngehalt vordringen, desto bestimmter
muss die Ermächtigungsnorm gefasst sein.
140
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 3. November 1982 - 2 BvL 28/81, in: BVerfGE 62,
203, 210; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Oktober 1991 - 3 C 45/90, in:
BVerwGE 89, 121, 131 f.
141
2. Dass überhaupt eine Pfandpflicht "Inhalt" einer auf § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW- /AbfG
gestützten Rechtsverordnung sein kann, wird bereits aus dessen Wortlaut deutlich:
"Erhebung eines Pfandes". Die von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG geforderte Festlegung des
"Ausmaßes" der exekutiven Normsetzungsbefugnisse wird aus der Ermächtigungsnorm
weniger deutlich. Modalitäten, Gründe, Anlässe, Reichweite oder Höhe der
Pfandpflichten sind nicht näher bestimmt. Das ist jedoch insoweit unschädlich, als § 24
Abs. 1 Einl. KrW-/AbfG auf die Anforderungen nach § 22 KrW- /AbfG verweist und so die
Einführung der Pfandpflicht an bestimmte Ziele knüpft, die wiederum der
Parlamentsgesetzgeber selbst bestimmt hat. Betroffene Erzeugnisse, Höhe und weitere
Modalitäten des Pfandes können der Verwaltung zur näheren Bestimmung überlassen
werden, da so die Möglichkeit besteht, Einzelheiten differenziert zu regeln und den sich
ggfs. schnell ändernden Bedürfnissen ohne aufwändiges Gesetzgebungsverfahren
anzupassen.
142
Ebenso Beckmann, Rechtsprobleme der Rücknahme- und Rückgabepflichten, in: DVBl
1995, 314, 315.
143
Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG schreibt weiter vor, dass neben Inhalt und Ausmaß auch der
"Zweck" der Ermächtigung zu exekutiver Rechtssetzung in der Delegationsnorm
festzulegen ist. Der Zweck wird vielfach als das herausragende Element der
Bestimmtheitstrias angesehen, weil er gleichermaßen auf Inhalt und Ausmaß der
Ermächtigung ausstrahle,
144
siehe nur Bryde, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Band 3, 3. Auflage
(1996), Rn. 22 "zentrale Kategorie"; Enquête-Kommission Verfassungsreform 1976, in:
BT-Drs. 7/5924 S. 90: Vorschlag, Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG auf "Zweck" zu reduzieren.
145
Den Sinn der Regelung des Art. 80 Abs. 1 GG - der unter dem Eindruck eines sogar
verfassungsändernden Verordnungsgebers in der nationalsozialistischen Diktatur
entstand,
146
Nierhaus, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Stand: März
2002), Art. 80 Abs. 1, Rn. 1-58, insbes. Rn. 52 ff. -
147
hat das Bundesverfassungsgericht so zusammengefasst: "Sinn der Regelung des Art.
80 Abs. 1 GG ist es, das Parlament daran zu hindern, sich seiner Verantwortung als
gesetzgebende Körperschaft zu entäußern." Speziell zur Gestaltungskompetenz der
Verwaltung im Rahmen des Art. 80 Abs. 1 GG hat es wenige Zeilen weiter ausgeführt:
"Es gehört im Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts zum rechtsstaatlich-
demokratischen Gehalt dieser Vorschrift, dass in einer Verordnung, die auf ihrer
Grundlage ergeht und ihrem Grundgedanken entspricht, niemals originärer
Gestaltungswille der Exekutive zum Ausdruck kommen darf."
148
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 8. Juni 1988 - 2 BvL 9/85, 2 BvL 3/86, in:
BVerfGE 78, 249, 273 (Hervorhebung durch das Bundesverfassungsgericht).
149
Der Gestaltungswille eines Normgebers ergibt sich in besonderer Weise aus dem
Zweck eines Vorhabens, da alle Einzelregelungen dazu beitragen sollen, ihn zu
erreichen.
150
Der Pflicht, den Zweck der Ermächtigung anzugeben, ist der Gesetzgeber
nachgekommen. Er hat die Erhebung eines Pfandes an zwei Zwecke gebunden.
Allgemein dürfen nach § 24 Abs. 1 Einl. KrW-/AbfG Rechtsverordnungen - und damit
auch die Verpackungsverordnung - nur erlassen werden zum Zwecke der "Festlegung
von Anforderungen nach § 22". Speziell zur Pfanderhebung ist in § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-
/AbfG weiter gehend festgelegt, dass der Verordnungsgeber die Hersteller oder
Vertreiber bestimmter Erzeugnisse verpflichten kann, dass sie "die Rückgabe ... durch
Erhebung eines Pfandes sicherzustellen haben". Das Pfand ist mit der
Rückgabesicherstellung verknüpft. Der ermächtigende Gesetzgeber hat das Pfand also
(nur) als Mittel dafür angesehen, den Käufern einen starken wirtschaftlichen Anreiz zu
bieten, ihr Rückgaberecht - dem eine Rücknahmepflicht der Hersteller und Vertreiber
korrespondiert - wahrzunehmen. Das Pfand darf also nur zu dem Zweck vorgesehen
werden, die Rückgabequote des Erzeugnisses zu erhöhen oder zu halten.
151
Verschiedentlich wird betont, dass das Pfandsystem der Sicherstellung der Rückgabe
der abgegebenen Erzeugnisse zu dienen hat: Versteyl, in: Kunig/Paetow/Versteyl,
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Kommentar, 1998, § 24 Rn. 24/26; Fluck/Fischer,
152
in: Fluck, Kreislaufwirtschafts-, Abfall- und Bodenschutzrecht, § 24 KrW-/AbfG Rn. 84;
von Lersner, in: von Lersner u. a., Recht der Abfallbeseitigung (Stand: Mai 2002), § 24
KrW-/AbfG Rn. 27.
Diesem Zweck dient das in §§ 8, 9 VerpackV vorgesehene Pflichtpfand auf Einweg-
Getränkeverpackungen indes nicht. Denn es setzt tatbestandlich nicht voraus, dass
Einwegverpackungen von Getränken in bestimmtem Umfang von den Konsumenten
nicht zurückgegeben werden oder dies zu besorgen ist. Es knüpft überhaupt nicht an
Einwegverpackungen, sondern vielmehr an ein gänzlich anderes Erzeugnis an, nämlich
an mehrwegverpackte Getränke. Bei diesen spielt auch nicht die Rückgabequote eine
Rolle, sondern ihr Marktanteil im jeweiligen Getränkesektor. Die Pfandpflicht auf
Einweg-Getränkeverpackungen dient ausweislich der ausdrücklichen Bezugnahme auf
den Marktanteil von Getränken in "Mehrwegverpackungen" in §§ 8, 9 Abs. 2 VerpackV
dem wirtschaftlichen Schutz des bestehenden Getränkevertriebs in
Mehrwegbehältnissen. Hieran ändert auch die
153
- durch die neu erlassene Verpackungsverordnung vom 21. August 1998 (BGBl I, S.
2379) -
154
allgemeiner gefasste Überschrift des § 9 VerpackV von "Schutz der Mehrwegsysteme"
zu "Schutz von ökologisch vorteilhaften Getränkeverpackungen" und die Wiederholung
dieses Begriffs in § 9 Abs. 3, 4 VerpackV nichts. Dadurch, dass der Verordnungsgeber
das Pflichtpfand eingeführt hat, um die bestehenden Mehrwegvertriebssysteme
möglichst davor zu schützen, unter einen Marktanteil von 72 % zu fallen, verfolgt er
einen eigenen politischen Gestaltungswillen, den zu betätigen ihm die Verfassung aber
durch Art. 80 Abs. 1 GG versagt. Wie die öffentliche Diskussion um die Wirksamkeit oder
ökologische Sinnhaftigkeit eines Pflichtpfandes und möglicher Alternativen zeigt,
kommen viele unterschiedliche Wege zur Zielerreichung in Frage. Hierzwischen zu
wählen und insofern gestaltend in den Getränkemarkt und damit zugleich in die
Berufsfreiheit der an ihm Beteiligten einzugreifen, ist Sache des parlamentarischen
Gesetzgebers und nicht der Verwaltung. Der Gesetzgeber hätte in der
Verordnungsermächtigung zum Ausdruck bringen müssen, dass er den Schutz der
bestehenden Mehrweg- Getränkevertriebsform unter den verschiedenen Möglichkeiten,
die abfallwirtschaftlichen Zwecke zu erreichen, als so vorzugswürdig ansieht, dass den
konkurrierenden Einweg-Vertriebsformen gerade zur Erreichung dieses Schutzzweckes
besondere Nachteile aufgebürdet werden dürfen. Einen derartigen gesetzgeberischen
Gestaltungswillen zum Schutz der bestehenden Mehrwegsysteme hat das Parlament
indes nicht betätigt, indem es die Verwaltung nur ermächtigte, in einer Verordnung zu
bestimmen, "dass Hersteller oder Vertreiber ... die Rückgabe ... durch Erhebung eines
Pfandes sicherzustellen haben ...".
155
3. Dass die Pfandpflicht auf Einweggetränkeverpackungen allein dem wirtschaftlichen
Schutz der bestehenden Mehrwegsysteme dienen und nicht die Rückgabe der
Einwegverpackungen an die Hersteller/Vertreiber sichern soll, bestätigen die
Materialien zu den beiden bisherigen Verpackungsverordnungen von 1991 und 1998.
156
Begründung der Verpackungsverordnung 1991 durch die Bundesregierung: "Zum
Schutz der bestehenden Mehrwegsysteme bei Massengetränken gibt es keine
Freistellung ..., wenn die bestehenden Anteile der Mehrwegsysteme unter bestimmte
Bestandsgrenzen fallen.", in: BR-Drs. 817/90 S. 3, 31 (allgemein), S. 57 (speziell zu § 9)
157
Begründung der Bundesregierung zum Entwurf einer Verpackungsverordnung von 1996
(vom Bundesrat später abgelehnt): "Absatz 2 Satz 2 soll ... insbesondere sicherstellen,
dass die in der Bundesrepublik Deutschland als auch in den einzelnen Bundesländern
bestehenden Mehrwegsysteme für Massengetränke nicht über die Einrichtung dualer
Systeme destabilisiert werden.", in: BR-Drs. 992/96 S. 24.
158
Begründung der Bundesregierung zum Entwurf einer Verpackungsverordnung von 1998
(beschlossen): "Absatz 2 Satz 2 soll ... insbesondere sicherstellen, dass die in der
Bundesrepublik Deutschland als auch in den einzelnen Bundesländern bestehenden
Mehrwegsysteme für Massengetränke nicht über die Einrichtung dualer Systeme
destabilisiert werden.", in: BT-Drs. 13/10943 S. 27.
159
Der wirtschaftliche Schutz der überkommenen Mehrwegvertriebsformen soll dadurch
erreicht werden, dass die spezifischen Nachteile der Mehrwegvertriebsform auch der
Einwegvertriebsform auferlegt werden.
160
Der Hauptnachteil von Mehrwegverpackungen besteht darin, dass der Käufer die
geleerte Verpackung nicht einfach zum Hausmüll geben kann, wenn er den
eingesetzten Pfandbetrag zurückerhalten will. Er muss sich zu einer Rücknahmestelle
bemühen, die Verpackung dort abgeben und erhält erst dann den Pfandbetrag zurück.
Der zweite Nachteil, den die bestehenden Mehrwegsysteme aufweisen, besteht darin,
dass die so vertriebenen Getränke auf den ersten Blick teurer sind als die
einwegverpackten Konkurrenzprodukte, weil der reine Produktpreis auf der
Preisauszeichnungstafel mit dem Pfandbetrag zu einem Gesamtpreis addiert wird. Da
das Pflichtpfand betragsmäßig höher liegt als das (freiwillig) erhobene Mehrwegpfand,
würden Getränke in Einwegverpackungen im Vergleich sogar noch teurer wirken.
161
Kurz gesagt soll der Kauf eines einwegverpackten Getränks mit der Einführung des
Pflichtpfandes genauso unbequem und (scheinbar) teuer werden wie der Kauf eines
Getränks in einem Mehrwegbehältnis.
162
So auch die beigeladene Bundesrepublik Deutschland, GA Leitverfahren 17 K 1907/02
Bl. 649-651, insbes. Bl. 650.
163
Der Verordnungsgeber erhofft sich offensichtlich von dieser Maßnahme, dass die
Verbraucher von ihren geänderten Konsumgewohnheiten - die erst ein Absinken der
Mehrwegquote unter den Wert von 1991 verursacht haben - abrücken und wieder
vermehrt Produkte der klassischen Mehrwegvertriebsform wählen. Ob die
Mehrwegvertriebsform tatsächlich ökologisch generell den Einwegverpackungen
vorzuziehen ist, wird unter Sachverständigen kontrovers diskutiert. Der Streit muss im
Rahmen dieses Verfahrens nicht entschieden werden. Hingewiesen sei lediglich darauf,
dass der vom Verordnungsgeber selbst eingesetzte Rat von Sachverständigen für
Umweltfragen in seinem Umweltgutachten 2002 (erneut) festgestellt hat, dass "sich
nach den zwischenzeitlich verfügbaren Ökobilanzen eine ökologische Überlegenheit
von Mehrwegsystemen nicht in allen Fällen belegen" lässt.
164
Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, in: BT-Drs. 14/8792 S. 410 (Tz. 961).
165
Ob die Getränkekäufer tatsächlich wieder vermehrt zum mehrwegverpackten Getränk
greifen oder der Handel die Pfandsystemkosten durch verstärkte Absatzbemühungen im
Bereich der Einweggetränke zu Lasten der Mehrwegsysteme wieder hereinzuholen
166
versuchen wird, bleibt ungewiss.
Verhältnismäßig sicher ist demgegenüber, dass auf Straßen, Wegen, Plätzen und in der
freien Natur die achtlos weggeworfenen Getränkeverpackungen ("littering") stark
zurückgehen würden, soweit sie pfandpflichtig sind. Erstens würden wegen des
Pfandwerts weniger Käufer die Verpackungen fortwerfen. Zweitens würden sich
zahlreiche Dritte (z. B. Kinder) finden, die die weggeworfenen Verpackungen
einsammeln und das Pfand auslösen. Hierdurch würde - gewissermaßen nebenbei - der
in § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG niedergelegte Zweck der Pfandpflicht, nämlich die
Rückgabe der Verpackungen zu sichern, für einen (vermutlich kleinen) Teil der
verkauften Verpackungen tatsächlich erreicht. Da aber aus §§ 8, 9 VerpackV klar
hervorgeht, dass allein der Schutz der bestehenden Mehrwegsysteme Zweck der
Pfanderhebung ist, handelt es sich hierbei nur um einen Reflex der
Pfandpflichtanordnung, nicht aber um seinen Zweck.
167
Die Regelung des Pflichtpfandes für Einweggetränkeverpackungen entspricht im
Zusammenspiel von § 8 und (nur) § 9 Abs. 1 VerpackV dem Zweck der
Ermächtigungsgrundlage. Wenn nämlich ein haushaltsnahes Abholsystem für
Verkaufsverpackungen im Sinne des § 6 Abs. 3 VerpackV nicht festgestellt werden
kann, besteht zumindest die begründete Befürchtung, dass die Rückgabe der
Getränkeverpackungen an Hersteller/Vertreiber nicht in dem gebotenen Umfang erfolgt.
In dem Fall stellt ein Pfand die Rückgabe sicher. Existiert allerdings ein nach § 6 Abs. 3
Satz 11 VerpackV festgestelltes System und beteiligen sich Getränkehersteller und -
vertreiber hieran, spricht alles dafür, dass die Rückgabe der Getränkeverpackungen
über das System umfänglich erfolgt. Andernfalls könnte es die Verwertungsquoten, die
im Anhang I zu § 6 VerpackV genannt sind, kaum erreichen. Weder das beklagte Land
noch die Beigeladene tragen vor, dass Einweggetränkeverpackungen ungenügend
zurückgegeben werden. In diesem Fall kann eine Pfandpflicht keine wesentlich höhere
Rückgabequote "sicherstellen". § 9 Abs. 2 VerpackV pfropft der in sich stimmigen und
dem gesetzlichen Ermächtigungszweck entsprechenden Verordnungsregelung mit dem
Mehrwegschutz nun einen weiteren Zweck auf. Er knüpft dabei weder an die
tatsächliche Rückgabequote von Einweggetränkeverpackungen an, noch will § 9 Abs. 2
Satz 2 VerpackV sie erhöhen. Der Schutz der Marktanteile der
Mehrwegvertriebssysteme ist aber nicht vom Ermächtigungszweck des § 24 Abs. 1 Nr. 2
KrW-/AbfG gedeckt.
168
4. Von einem solchen Ermächtigungszweck ging auch der historische Gesetzgeber
ausweislich der Materialien zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz nicht aus. Auf
das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (und nicht das frühere Abfallgesetz 1986,
unter dessen Geltung die erste Verpackungsverordnung von 1991 erlassen wurde)
kommt es entscheidend an, weil die Verpackungsverordnung am 21. August 1998 unter
Geltung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes neu erlassen wurde und die
Verpackungsverordnung von 1991 aufgehoben wurde,
169
§ 17 Satz 2 VerpackV 1998: "Mit Inkrafttreten dieser Verordnung tritt die
Verpackungsverordnung vom 12. Juni 1991 (BGBl. I S. 1234) außer Kraft".
170
Die Begründung der Bundesregierung zum heutigen § 24 KrW-/AbfG erschöpft sich in
folgender Aussage: "Hier werden die bewährten Regelungen der Rücknahmepflichten
aufgegriffen und um die Möglichkeit der Verordnung einer Rückgabepflicht ergänzt."
171
Gesetzentwurf der Bundesregierung, in: BT-Drs. 12/5672 S. 47.
172
Zu den gesamten Ermächtigungsregelungen in den heutigen §§ 22 bis 24 KrW- /AbfG
führte die Bundesregierung vorangestellt zusammenfassend aus: "Es werden in §§ 20 ff.
KrW-/AbfG vor allem die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Anordnung
von Rücknahme- und Rückgabepflichten für Hersteller/Vertreiber und Konsumenten
durch Rechtsverordnung auf Grund der bisherigen Erfahrungen mit dem Erlass von
Rechtsverordnungen nach § 14 AbfG konkretisiert."
173
Gesetzentwurf der Bundesregierung, in: BT-Drs. 12/5672 S. 32.
174
Der Bundesrat hatte noch im Gesetzgebungsverfahren kritisiert, dass die
Produktverantwortungen, die im heutigen § 22 KrW-/AbfG niedergelegt sind, in den
Verordnungsermächtigungen nicht hinreichend zum Ausdruck kommen, sondern alle
materiellen Inhalte auf die exekutive Ebene verlagert werden: "Die zur Konkretisierung
des § 20 gedachten §§ 21 und 22 vermögen ebendies nicht zu leisten, verschieben sie
doch die wesentlichen materiellen Inhalte einer Produktverantwortung in von der
Bundesregierung zu erlassende Rechtsverordnungen.",
175
Bundesrat zu §§ 20 bis 22 E-KrW-/AbfG, in: BT-Drs. 12/5672, S. 72.
176
Auch die Sachverständigen, die in den Ausschussberatungen zur Vorgängernorm des §
14 Abfallgesetz 1986 gehört worden waren, hatten auf diese fehlende gesetzliche
Vorgabe hingewiesen. Der Bericht des Innenausschusses des Bundestages teilt dazu
mit: "In Sachverständigenanhörungen wurde bemängelt, dass genaue gesetzliche
Vorgaben in der VO-Ermächtigung fehlen, insbesondere zu Einweg-
/Mehrweggebinden."
177
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zum Entwurf des
Abfallgesetzes von 1986, in: BT-Drs. 10/5656 S. 43.
178
Die Bedenken wies die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren zum Erlass des
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes zurück mit der Gegenäußerung: "Die
Bundesregierung ist nicht bereit, die Regelungen der §§ 21 und 22 zu reduzieren, da sie
weit gehend bereits dem geltenden § 14 AbfG entsprechen und im Wesentlichen eine
Verbesserung der Ermächtigung für Rücknahmeverpflichtungen für Altprodukte
beinhalten."
179
Gegenäußerung der Bundesregierung, in: BT-Drs. 12/5672 S. 123.
180
Die Gesetzesmaterialien zeigen, dass die gesetzgebenden Körperschaften sich beim
Erlass der Ermächtigungsgrundlagen der derzeit geltenden Verpackungsverordnung mit
der Frage, ob auf Einwegverpackungen ein Pfand erhoben werden darf, um bestehende
Mehrwegsysteme zu schützen, nicht befasst haben. Sie haben lediglich auf § 14 des
Abfallgesetzes in der Fassung von 1986 verwiesen. Dieser lässt nach seinem - dem §
24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG sehr ähnlichen - Wortlaut aber auch keinen Rückschluss
darauf zu, dass er zu einer Pfandeinführung zu diesem Zweck ermächtigen sollte. § 14
Abfallgesetz in der vom 1. November 1986 geltenden Fassung lautete in seiner hier
entscheidenden Passage: "... kann die Bundesregierung bestimmen, dass bestimmte
Erzeugnisse, insbesondere Verpackungen und Behältnisse ... Nr. 3: nach Gebrauch
zurückgenommen werden müssen und dass die Rückgabe durch geeignete
181
Rücknahme- und Pfandsysteme sichergestellt werden muss."
Auch die Materialien zu § 14 AbfallG 1986 lassen ebenfalls nicht den Schluss darauf zu,
dass ein Pflichtpfand mit der in der Verpackungsverordnung niedergelegten
Zwecksetzung auf seiner Grundlage solle erhoben werden können. Es heißt vielmehr in
der Einzelbegründung der Bundesregierung zum Entwurf des § 14 Abs. 1 Nr. 4b AbfG
1986: "Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 4 Buchstabe b sind in Betracht zu ziehen, wenn
die Rückführung von Verpackungen und Behältnissen nicht möglich ist. Pfandpflichten
für wiederverwendbare Verpackungen und Behältnisse können erwünscht sein, um den
Rücklauf von Mehrwegflaschen zum Abfüllen zu Gewähr leisten."
182
Gesetzentwurf der Bundesregierung, in: BT-Drs. 10/2885 S. 18 (Hervorhebung durch
das Gericht).
183
Der Gesetzgeber des § 14 AbfG, dessen Regelungen der Gesetzgeber der §§ 22 bis 24
KrW-/AbfG übernehmen wollte, sah also nur ein Pfand für wiederverwendbare
Verpackungen, nicht für Einwegverpackungen vor. Hinweise auf eine
Bepfandungsmöglichkeit zum Zwecke des wirtschaftlichen Mehrwegschutzes sind nicht
erkennbar.
184
Vgl. dazu Backes, Das neue Abfallgesetz des Bundes und seine Entstehung, in: DVBl
1987, 333, 337 f.
185
5. Eine erweiternde Auslegung des § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG hinsichtlich seines
Ermächtigungszwecks kommt nicht in Betracht. Die Sanktionierung einer Vertriebsform
mit einem Pflichtpfand stellt bereits einen nicht ganz unbeachtlichen Eingriff in die
Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 GG dar.
186
Eine Verletzung mindestens des Art. 12 GG bei pauschaler Bevorzugung der
Mehrwegvertriebsform vor Einwegverpackungen erblicken: Papier,
Mehrwegkampagnen der Kommunen in öffentlich-rechtlicher Beurteilung, in: VerwArch
Bd. 84 (1993), S. 417, 436; Arndt/Fischer, Das Zwangspfand für Getränkeverpackungen
- Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und Europäischem Gemeinschaftsrecht, in:
Betriebs-Berater 2001, 1909, 1914; Aulehner, Einweg- Mehrweg-Irrweg, in: Betriebs-
Betrater 1995, Beilage 3, S. 1, 9-13.
187
Wenn dieser Eingriff mit der Zielrichtung erfolgt, eine unmittelbar konkurrierende
Vertriebsform auf einem Marktanteil zu halten, der nach kartellrechtlichen Grundsätzen
als marktbeherrschend im Sinne des § 19 Abs. 3 Nr. 2 des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) einzustufen wäre, handelt es sich um einen so
erheblichen Eingriff, dass über ihn nach der Wesentlichkeitsrechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts durch den parlamentarischen Gesetzgeber entschieden
werden muss. Diesem käme dann auch die Gestaltungsbefugnis hinsichtlich der
wesentlichen Frage zu, ab welchem Marktanteil in etwa die Mehrwegsysteme geschützt
werden sollen. Die von der Verpackungsverordnung gesetzten 72 % folgen ausweislich
der Gesetzgebungsgeschichte keiner sachlich begründeten Notwendigkeit, sondern
schreiben nur die im Jahr 1991 - dem Jahr des Erlasses der ersten
Verpackungsverordnung - vorgefundenen Verhältnisse fort. Es handelt sich bei der
Frage, ab welchem Marktanteil Schutzmaßnahmen zu Gunsten einer Vertriebsform zu
ergreifen sind, aber um ein ganz entscheidendes Moment, sodass der Gesetzgeber
zumindest die Größenordnung vorgeben muss, ab der die Eingriffsschwelle
188
überschritten ist.
Eine Pfandvorschrift, die genau dem in § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG zum Ausdruck
kommenden Zweck der Rückgabesicherung dient, findet sich beispielsweise in § 6 Abs.
1 der Verordnung über die Rücknahme und Entsorgung gebrauchter Batterien und
Akkumulatoren vom 2. Juli 2001, BGBl I S. 1486 (BattV). Danach muss der Vertreiber
von Autobatterien (so genannte "Starterbatterien") ein Pfand erheben, wenn der
Endverbraucher im Zeitpunkt des Kaufs keine gebrauchte Starterbatterie zurückgibt.
189
6. Soweit die Kammer eine fehlende Ermächtigungsgrundlage für die Einführung der
Pfandpflicht zu dem in der Verpackungsverordnung normierten Zweck feststellt, folgt sie
nicht der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Bekanntgabe der
Mehrwegquoten vom Oberverwaltungsgericht Berlin geäußerten Ansicht. Das
Oberverwaltungsgericht Berlin war im Eilrechtsschutz der Auffassung gewesen, dass
die Einführung eines Pflichtpfandes zur Stützung des Marktanteils von
Mehrwegvertriebsformen durch die Verpackungsverordnung von § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-
/AbfG gedeckt sei,
190
Oberverwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 20. Februar 2002 - 2 S 6.01, in: DVBl
2002, 630, 635 f.
191
Die erkennende Kammer lässt insoweit offen, ob das Oberverwaltungsgericht Berlin
überhaupt Anlass hatte, im Rahmen eines Antrages, der sich nur gegen den
feststellenden Verwaltungsakt der Bekanntgabe der Mehrwegquoten durch den Bund
richtete, die von der Feststellungswirkung verschiedenen, später eintretenden
Rechtsfolgen und deren Ermächtigungsgrundlage zu prüfen.
192
Das Berliner Oberverwaltungsgericht befasst sich - dem Eilcharakter seiner
Entscheidung entsprechend - jedoch weder mit den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1
GG noch mit den Materialien zur Verpackungsverordnung, zum Kreislaufwirtschafts- und
Abfallgesetz oder zum Abfallgesetz 1986. Es behandelt vielmehr nur den
Einleitungssatz von § 24 Abs. 1 KrW-/AbfG, der u. a. auf § 22 Abs. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG
(irrtümlich im Beschluss als Nr. 2 bezeichnet) verweist, und den Einsatz mehrfach
verwendbarer Erzeugnisse als zur Produktverantwortung gehörend ansieht. Dazu ist
gegen die Meinung der Beigeladenen festzustellen, dass die Produktverantwortung aus
§ 22 Abs. 1 KrW-/AbfG - die dessen Absatz 2 näher definiert - nach dem
Gesetzeswortlaut nur denjenigen trifft, der "Erzeugnisse entwickelt, herstellt, be- und
verarbeitet oder vertreibt". Im Zusammenspiel von § 22 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 KrW-
/AbfG bedeutet dies, dass hiernach verordnet werden kann (vgl. § 22 Abs. 4 Satz 1 KrW-
/AbfG), dass für bestimmte Erzeugnisse nur Mehrwegverpackungen zulässig sein
sollen. Das Pflichtpfand aus der Verpackungsverordnung trifft aber keine
Mehrwegverpackungen, sondern nur Einweg-Getränkeverpackungen.
193
Selbst wenn man dem Oberverwaltungsgericht Berlin und seiner in der Eilentscheidung
geäußerten Auffassung, dass die Pfandpflicht die Produktverantwortung nach § 22 Abs.
1 KrW-/AbfG konkretisiere, folgt, bleibt die besondere Zweckbestimmung in § 24 KrW-
/AbfG bestehen. § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW- /AbfG gibt für die Einführung einer Pfandpflicht
zusätzlich zu § 24 Abs. 1 Einl. KrW- /AbfG eine spezielle Zweckbestimmung vor: die
Sicherstellung der Rückgabe (der mit einem Pfand zu belegenden Verpackung).
194
Vgl. Versteyl, in: Kunig/Paetow/Versteyl, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz,
195
Kommentar, 1998, § 24 Rn. 24 ff., insbesondere Rn. 26.
Die Sicherstellung der Rückgabe ist mit der Pfandregelung in §§ 8, 9 VerpackV aber
nicht bezweckt, sondern ausweislich der Tatbestandsvoraussetzungen und der
Entstehungsgeschichte der Schutz der bestehenden Mehrwegsysteme.
196
Angesichts der sich aus dem Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG
ergebenden Folgerungen kann die Produktverantwortung nach § 22 KrW-/AbfG - zu
deren Konkretisierung die nach § 24 KrW-/AbfG erlassenen Verordnungen unter
anderem dienen sollen - nicht auf "fremde" Produkte ausgedehnt werden. Den
Hersteller und Vertreiber von einwegverpackten Getränken trifft keine
Produktverantwortung insofern, dass er dafür Sorge zu tragen hat, dass weniger von
seinem und mehr von konkurrierenden mehrwegverpackten Produkten gekauft wird. Wie
sich aus der beispielhaften ("insbesondere") Reihung in § 22 Abs. 2 KrW-/AbfG ergibt,
trifft die Produktverantwortung (die stets erst durch eine Rechtsverordnung konkretisiert
werden muss, § 22 Abs. 4 KrW-/AbfG) denjenigen, der irgendwie am Inverkehrbringen
eines bestimmten Erzeugnisses beteiligt ist. Der so Beteiligte muss beispielsweise
Erzeugnisse herstellen, die geeignet sind, mehrfach verwendet zu werden und die
technisch langlebig sind (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG), er muss bei der Herstellung
vorrangig verwertbare Abfälle verwenden (§ 22 Abs. 2 Nr. 2), er muss seine
schadstoffhaltigen Erzeugnisse kennzeichnen (§ 22 Abs. 2 Nr. 3) und so fort. Stets
treffen ihn also besondere Pflichten in Bezug auf genau das Produkt, um dessen
Herstellung/Verkauf/Inverkehrbringen/ Rücknahme es geht, an dem er "beteiligt" ist. Aus
der beispielhaften Aufzählung der Produktpflichten in § 22 Abs. 1, 2 i. V. m. § 24 Abs. 1
Einl. KrW-/AbfG ist nicht ohne Verstoß gegen die dargelegten Grundsätze des Art. 80
Abs. 1 Satz 2 GG ableitbar, dass die Produktverantwortung umfasst, das
Inverkehrbringen des eigenen Produkts zum Zweck des Schutzes eines anderen
Produkts zu erschweren (indem ein Pfand zu erheben/erstatten ist). Leitgedanke der
Produktverantwortung, der in § 22 Abs. 1, 2 KrW-/AbfG, aber auch in den
Verordnungsermächtigungen der §§ 23, 24 KrW-/AbfG zum Ausdruck kommt, ist, dass
das in Verkehr gebrachte Erzeugnis abfallwirtschaftlich so unbedenklich wie möglich zu
gestalten und zu handhaben ist. Die Produktverantwortung kommt aber nicht dergestalt
zum Ausdruck, dass einem Erzeugnis gezielt Vertriebsnachteile zugefügt werden
dürfen, deren Anwendung von den Marktanteilen einer konkurrierenden Vertriebsform
abhängt. Jedes Erzeugnis - so folgt aus §§ 22 Abs. 2, 23, 24 KrW-/AbfG - darf immer
dann uneingeschränkt in Verkehr gebracht werden, wenn mit seinen Rückständen im
Einklang mit den abfallwirtschaftlichen Zielen des Kreislaufwirtschafts- und
Abfallgesetzes verfahren wird oder verfahren werden kann. Sogar bei gefährlichen
Erzeugnissen findet nur eine Betrachtung des Erzeugnisses selbst statt. Die
Indienstnahme eines Erzeugnisses zur Förderung/Absatzstabilisierung eines anderen
ist in den §§ 22 ff. KrW-/AbfG nicht vorgesehen.
197
7. Da der Klage im Hilfsantrag wegen fehlender Ermächtigungsgrundlage stattzugeben
ist, trifft das Gericht keine Feststellungen zu den aufgeworfenen Fragen, ob ein Verstoß
gegen Grundrechte (Art. 3, 12, 14 GG) vorliegt, das Mehrwegvertriebssystem dem
Einwegsystem generell oder unter bestimmten Bedingungen aus ökologischen Gründen
vorzuziehen ist, die Feststellung der Mehrwegquoten rechtmäßig ist oder die
Pfandpflichtregelung mit europäischem Recht vereinbar ist.
198
IV.
199
1. Wegen der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung der Sache ist nach § 124a Abs. 1
VwGO die Berufung zugelassen. Die Einlegung der Revision unter Übergehung der
Berufungsinstanz (Sprungrevision) ist gemäß § 134 Abs. 1 Satz 1 VwGO ebenfalls
zuzulassen, weil nicht um Tatsachen-, sondern nur um Rechtsfragen gestritten wird und
die Sache grundsätzliche Bedeutung hat.
200
2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1, 154 Abs. 3 VwGO. Dabei war bei
der Ermittlung der Kostenverteilung mit Blick auf § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG das
Unterliegen des beklagten Landes bezüglich des wertmäßig gleichwertigen
Hilfsantrages maßgeblich;
201
Olbertz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsgerichtsordnung (Stand: Januar
2002), § 155 Rn. 4; Neumann, in: Sodan/Ziekow, Kommentar zur
Verwaltungsgerichtsordnung (Stand: Dezember 2001), § 155 VwGO Rn. 54.
202
Die Vollstrecksbarkeitsentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 709 Sätze
1, 2 ZPO.
203