Urteil des VG Düsseldorf vom 21.11.2000
VG Düsseldorf: minderung, vollstreckung, besitzstandswahrung, vorverfahren, einfluss, eng, erfüllung, widerspruchsverfahren, zivilprozessordnung, vollstreckbarkeit
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 22 K 2009/00
Datum:
21.11.2000
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
22 Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 K 2009/00
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Klage
zurückgenommen hat.
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24. Januar
2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2000
verpflichtet, der Klägerin für die Monate Februar und März 2000 weitere
Besitzstandsleistungen in Höhe von jeweils DM 174,-- zu bewilligen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben
werden einschließlich der Kosten des Vorverfahrens, werden der
Klägerin zu vier Fünfteln und der Beklagten zu einem Fünftel auferlegt.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für
notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige
Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben
Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die Klägerin erhielt von der Beklagten bis 31. März 1995 wegen ihrer durch eine
Conterganschädigung hervorgerufenen Behinderung Pflegegeld nach § 69 Abs. 3 und 4
des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG - a.F. in Verbindung mit § 76 Abs. 2 a Nr. 3
BSHG a.F. in Höhe von monatlich DM 1.031,--, auf das die Leistungen der
Krankenkasse gemäß § 57 Sozialgesetzbuch V (SGB V) von monatlich DM 400,-- in
Höhe von DM 200,-- angerechnet wurden, sodass ihr ein Pflegegeld in Höhe von
monatlich DM 1.231,-- zur Verfügung stand. Mit Inkrafttreten des
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Pflegeversicherungsgesetzes (PflegeVG) am 1. April 1995 wurde die Klägerin von der
zuständigen Pflegekasse in die Pflegestufe 2 eingestuft, sodass sie von dort ein
Pflegegeld von DM 800,-- monatlich bekam. Im Wege der Besitzstandswahrung gemäß
Art. 51 PflegeVG wurden ihr daher fortan Leistungen der Beklagten in Höhe von
monatlich DM 431,-- gewährt.
Im Mai 1998 stellte die Beklagte fest, dass der Klägerin an Stelle des alleinigen
Pflegegeldes von der Pflegekasse zum Teil Sachleistungen und ergänzendes
Pflegegeld gewährt wurden. Dabei handelte es sich z.B. im März 1998 um
Sachleistungen von DM 314,-- und Pflegegeld von DM 660,--. Auf dieser Grundlage
setzte die Beklagte durch Bescheid vom 9. Juli 1998 eine neue Besitzstandsleistung
von DM 257,-- für die Zeit ab 1. Juni 1998 fest.
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Mit Schreiben vom 13. Januar 2000 teilte die Klägerin der Beklagten sodann mit, dass
sie ab 1. Februar 2000 an Stelle der Sach- und Pflegegeldleistung wieder das reine
Pflegegeld erhalte. Sie beantragte, ihr auf Grund der Besitzstandsregelung den alten
Betrag von DM 431,-- zu gewähren.
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Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Januar 2000 ab mit der Begründung, die
beantragte Umstellung der Leistungen der Pflegeversicherung könne nicht zu einer
Erhöhung der Besitzstandszahlung führen.
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Hiergegen erhob die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten am 17. Februar 2000
Widerspruch, den die Beklagte nach beratender Beteiligung sozial erfahrener Personen
durch Widerspruchsbescheid vom 16. März 2000 als unbegründet zurückwies. Sie
führte aus, der alte Besitzstand könne nicht wieder aufleben. Art. 51 PflegeVG enthalte
keine Regelung darüber, dass bei Wegfall von Minderungsgründen dies zur Erhöhung
des Besitzstandes führe.
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Am 30. März 2000 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, mit der sie ihr
Begehren weiterverfolgt. Sie führt aus, dem Wortlaut des Art. 51 PflegeVG sei bereits zu
entnehmen, dass der Anspruch auf Pflegegeldleistungen nach Besitzstandsregelung
nur in den dort in Abs. 5 Satz 2 genannten Fällen entfalle. Darüber hinaus widerspräche
ein Entfallen der Besitzstandsleistungen dadurch, dass zeitweilig höhere Leistungen der
Pflegekasse in Anspruch genommen würden, dem Gesetzeszweck. Denn dieses würde
in der Folge dazu führen, dass das Wahlrecht des Pflegebedürftigen nach dem
Pflegegeldversicherung hinsichtlich der Inanspruchnahme verschiedener Leistungen
der Pflegekasse von finanziellen Erwägungen beeinträchtigt würde.
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In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin die Klage insoweit zurückgenommen,
als sich ihr Begehren zuvor auf die Monate April 2000 bis November 2000 erstreckt
hatte.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24. Januar 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16. März 2000 zu verpflichten, der Klägerin für die
Monate Februar und März 2000 weitere Besitzstandsleistungen in Höhe von jeweils DM
174,-- zu bewilligen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen in den angefochtenen
Bescheiden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge
der Beklagten.
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Entscheidungsgründe:
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Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92
Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
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Im Übrigen ist die zulässige Klage begründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, dass diese ihr für den
streitbefangenen Zeitraum die volle Besitzstandsleistung in Höhe von monatlich DM
431,-- abzüglich der gezahlten DM 257,-- gewährt. Dieser Anspruch folgt aus Art. 51
Abs. 1 PflegeVG.
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Voraussetzung für die Gewährung von Besitzstandsleistungen ist gemäß Art. 51 Abs. 1
PflegeVG, dass der Anspruchsteller am 31. März 1995 Pflegegeld nach § 69 des
Bundessozialhilfegesetzes in der bis zum 31. März 1995 geltenden Fassung bezogen
hat. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin, da ihr bis zum 31. März 1995 diese
Pflegegeldleistungen sowie Leistungen nach § 57 SGB V in Höhe von insgesamt DM
1.231,-- monatlich gewährt wurden.
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Die Parteien streiten vorliegend allein über die Frage, ob dadurch, dass die Klägerin
zwischenzeitlich höhere Leistungen der Pflegekasse als das alleinige Pflegegeld von
800,- DM monatlich in Anspruch genommen hat, sich ihr Anspruch nach Art. 51 Abs. 1
PflegeVG dauerhaft auf den zuletzt gewährten Betrag reduziert hat und nicht in seiner
ursprünglichen Höhe wieder aufleben kann, wenn die Pflegekasse wieder geringere
Leistungen erbringt.
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Diese Frage ist zu verneinen.
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Art. 51 PflegeVG enthält in Abs. 5 Satz 2 eine eng gefasste ausdrückliche Regelung
darüber, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf Gewährung von
Besitzstandsleistungen entfällt, nämlich wenn die Leistungsvoraussetzungen des § 69
BSHG a.F. nicht mehr vorliegen (Nr. 1) oder wenn der Pflegebedürftige für mehr als ein
Jahr in einer Einrichtung untergebracht ist (Nr. 2). Diese Regelung ist als abschließend
anzusehen.
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Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. Januar 1998 - 12 L 107/98 -.
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Dass die in Absatz 4 genannten Gründe für die Minderung der Besitzstandsleistung - im
Wesentlichen - durch Leistungen der Pflegekasse nicht zu einem dauerhaften,
möglicherweise schrittweisen Entfallen des Anspruchs auf Besitzstandswahrung führen
können, ergibt sich nach Auffassung der Kammer auch aus dem Wortlaut der Vorschrift.
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Art. 51 PflegeVG unterscheidet nämlich zwischen "Anspruch" und "Leistung": Während
der Anspruch nach Abs. 5 Satz 2 unter den dort genannten Voraussetzungen entfällt,
mindert sich die Leistung gemäß Abs. 4 Nrn. 1 bis 5 um den Wert anderer Leistungen
der Pflegekasse oder des Sozialhilfeträgers. Auch diese Unterscheidung macht nach
Auffassung der Kammer deutlich, dass die Minderungs-gründe des Abs. 4
ausschließlich Einfluss haben können auf die Höhe der zur Erfüllung des Anspruches
(aus Art. 51 Abs. 1 PflegeVG) zu erbringenden (einzelnen) Leistungen. Dann aber kann
auch nicht die über einen längeren Zeitraum fortdauernde Minderung der
Besitzstandsleistung durch höhere Leistungen der Pflegekasse dazu führen, dass der
Anspruch sich mindert. Eine derartige Sichtweise widerspräche im Übrigen dem
gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift des Art. 51 PflegeVG. Der hierdurch
geschaffene Anspruch ist nämlich gegen die hiergegen vorgebrachten Bedenken mit
zeitlich unbegrenzter Geltungsdauer ausgestaltet worden.
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Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. Januar 1998 - 12 L 107/98 -; Holtbrügge in LPK-
SGB XI, Art. 51 PflegeVG, Rdnr. 7.
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Damit stünde auch ein teilweises Entfallen des Anspruches nicht in Einklang.
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Auch ist nichts dafür erkennbar, dass der Gesetzgeber beabsichtigt hätte, den
Pflegebedürftigen dadurch in seiner nach dem Pflegeversicherungsgesetz gegebenen
Möglichkeit der freien Wahl der Leistung der Pflegekasse faktisch zu beeinträchtigen,
dass die Inanspruchnahme höherer Leistungen der Pflegekasse auf Dauer zu einem
Entfallen der Besitzstandsleistung führte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO. Bei
der Ermittlung der Kostenquote hat die Kammer den zugesprochenen Betrag (DM 348,--
) ins Verhältnis gesetzt zu der von der Klägerin ursprünglich begehrten Leistung
(Zeitraum bis zum Monat der mündliche Verhandlung, insgesamt DM 1.740,--). Daher
war die Klage nur in Höhe eines Fünftels erfolgreich.
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Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird nach § 162 Abs. 2
Satz 2 VwGO für notwendig erklärt, weil es der Klägerin nach ihren gesamten
persönlichen Umständen nicht zumutbar war, das Widerspruchsverfahren selbst zu
führen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
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