Urteil des VG Düsseldorf vom 08.04.2010

VG Düsseldorf (aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, ehemann, häusliche gemeinschaft, wiedereinsetzung in den vorigen stand, wohnung, aufenthaltserlaubnis, zusammenleben, türkei, verlängerung)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 22 L 1420/09
Datum:
08.04.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
22. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
22 L 1420/09
Schlagworte:
Zusammenleben häusliche Gemeinschaft Sicherung des
Lebensunterhalts fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung Postleitzahl
Normen:
VwGO § 58 ARB 1/80 Art. 7 Satz 1 AufenthG § 31 Abs. 4 Satz 2
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG § 2 Abs. 3
Leitsätze:
1. Die Angabe einer falschen Postleitzahl des Gerichts in einem in der
Rechtsbehelfsbelehrung enthaltenen zusätzlichen Hinweis macht die
Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig i.S.d. § 58 Abs. 2 VwGO.
2. Ein Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt eines
Mitgliedsstaates angehörigen türkischen Arbeitnehmers erfüllt die
Voraussetzung eines mindestens dreijährigen ordnungsgemäßen
Wohnsitzes i.S.d. Art. 7 Satz 1 1. Spiegelsrich ARB 1/80 nicht, wenn der
Arbeitnehmer während eines Auslandsaufenthalts des
Familienangehörigen vor Ablauf von drei Jahren die häusliche
Gemeinschaft willentlich und nach außen erkennbar beendet hat; selbst
wenn der Familienangehörige später wieder mit dem Arbeitnehmer in
häuslicher Gemeinschaft zusammenlebt, kann die Zeit der
Unterbrechung des Zusammenlebens nicht den Zeiten des
Zusammenlebens gleichgestellt werden, weil die Unterbrechung nicht
ohne Absicht erfolgte, den gemeinsamen Wohnsitz im
Aufnahmemitgliedstaat in Frage zu stellen.
3. Einzelfall fehlender Lebensunterhaltssicherung gemäß §§ 5 Abs. 1 Nr.
1, 2 Abs. 3 AufenthG im Rahmen eines Antrages auf Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m Abs. 4 Satz 2
AufenthG
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe:
1
Der sinngemäße Antrag,
2
die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 5896/09 anzuordnen,
3
hat keinen Erfolg.
4
Der Antrag ist zwar zulässig.
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Insbesondere scheitert das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin
für den gestellten Antrag nicht daran, dass die von ihr am 11. September 2009 erhobene
Klage, deren aufschiebende Wirkung sie begehrt, verfristet wäre. Die Klageerhebung
erfolgte vielmehr innerhalb der sich aus den Vorschriften der
Verwaltungsgerichtsordnung ergebenden Klagefrist.
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Wäre für die Bestimmung der Klagefrist im vorliegenden Fall § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 2
VwGO maßgeblich, wäre die Klage verfristet. Die Ordnungsverfügung vom 22. Juli 2009
wurde der Antragstellerin ausweislich der in dem Verwaltungsvorgang des
Antragsgegners befindlichen Zustellungsurkunde am 24. Juli 2009 durch Einlegung in
den zur Wohnung der Antragstellerin gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche
Vorrichtung zugestellt und damit zugleich im Sinne des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO
bekanntgegeben. Die am 11. September 2009 erhobene Klage erfolgte damit nicht mehr
innerhalb der nach § 74 Abs. 1 VwGO berechneten, am 24. August 2009 abgelaufenen
Frist.
7
Die Frist des § 74 Abs. 1 VwGO musste die Antragstellerin aber nicht einhalten, weil
hier nicht diese, sondern die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO zur Anwendung kommt.
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Nach § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen Rechtsbehelf
nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder
das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die
einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Nach Abs. 2 der
Vorschrift ist, wenn die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt ist, die Einlegung
des Rechtsbehelfs – abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen – nur
innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig.
9
Die Belehrung über den Sitz des Gerichts i.S.d. § 58 Abs. 1 VwGO erfordert allein eine
Benennung des Gerichtssitzes ohne darüberhinausgehende Angaben wie Anschrift
oder Postleitzahl.
10
Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 1966 – V C 169.65 -, BVerwGE 25, 261.
11
Andererseits schließt es § 58 Abs. 1 VwGO nicht aus, in die Belehrung auch Hinweise
aufzunehmen, die nicht zwingend erforderlich sind, um die gesetzlichen Rechtsbehelfs-
oder Rechtsmittelfristen in Lauf zu setzen. Solche Zusätze, die an sich entbehrlich sind,
entsprechen aber dann nicht mehr den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO, wenn sie
einen unzutreffenden oder irreführenden Inhalt haben, der sich generell und objektiv
eignet, die Einlegung des Rechtsbehelfs zu erschweren. Eine Rechtsbehelfsbelehrung
ist somit nicht nur dann unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO, wenn sie die in § 58
Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält, sondern auch dann, wenn
sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen
12
Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn
dadurch davon abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen
Form einzulegen. Darauf, ob der zu beanstandende Zusatz der Belehrung im konkreten
Fall tatsächlich einen Irrtum hervorgerufen und dazu geführt hat, dass das Rechtsmittel
nicht oder nicht rechtzeitig eingelegt worden ist, kommt es dabei nicht an. Auch ist
unerheblich, ob eine unverschuldete Fristversäumnis im Einzelfall möglicherweise die
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigt, denn die Erschwernis läge unter
diesen Umständen in der Pflicht, die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung zu erfüllen
Vgl. BVerwG, Urteil v. 21. März 2002 - 4 C 2/01 -, DVBl 2002, 1553 f., Beschluss vom
13. Februar 2000 - 7 B 200/99, 7 PKH 71/99 -, juris, und Beschluss vom 27. August
1997 - 1 B 145/97 -, NVwZ 1997, 1211 ff., jeweils m.w.N.
13
In Anwendung dieser Grundsätze war die vom Antragsgegner in der
streitgegenständlichen Ordnungsverfügung gegebene Rechtsbehelfsbelehrung
unrichtig i.S.d. § 58 VwGO, weil sie in Form einer unzutreffenden Postleitzahl einen
irreführenden Zusatz enthielt, der objektiv geeignet war, die Klageerhebung, namentlich
die rechtzeitige Klageerhebung, zu erschweren.
14
Die Rechtsbehelfsbelehrung benennt in ihrem ersten Absatz die Postleitzahl des
Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit "40213" zwar zutreffend. Jedoch enthält die
Rechtsbehelfsbelehrung den abschließenden Absatz: "Die Klage hat keine
aufschiebende Wirkung. Das Verwaltungsgericht, Bastionstr. 39, 40021 Düsseldorf kann
die aufschiebende Wirkung auf Antrag wiederherstellen." In diesem Zusatz ist die
Postleitzahl des Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit "40021" – vermutlich aufgrund
eines bloßen Tippfehlers – unzutreffend benannt.
15
Bei dem soeben zitierten Absatz handelt es sich um einen Bestandteil der vom
Antragsgegner gegebenen Rechtsbehelfsbelehrung in Form eines erläuternden
Zusatzes. Mit dem Hinweis auf die fehlende aufschiebende Wirkung der Klage und die
Möglichkeit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung durch das
Verwaltungsgericht hat der Antragsgegner die Antragstellerin über den gemäß § 58 Abs.
1 VwGO zwingenden Inhalt einer Rechtsbehelfsbelehrung hinausgehend belehrt.
Insbesondere ist dieser zusätzliche Hinweis, auch wenn er mit dem auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichteten Antragsverfahren
ein Verfahren benennt, welches neben der Klage als in der Rechtsbehelfsbelehrung
ausdrücklich benanntem Rechtsbehelf steht, noch als Bestandteil der
Rechtsbehelfsbelehrung anzusehen. Dies ergibt sich sowohl aus der textlichen
Gestaltung der Rechtsbehelfsbelehrung als auch aus dem unmittelbaren sachlichen
Zusammenhang des Hinweises auf das Antragsverfahren mit dem Rechtsbehelf, über
den belehrt wird.
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Auch wenn der Antragsgegner im ersten Absatz der Rechtsbehelfsbelehrung, in der er
über die Klage als Rechtsbehelf belehrt hat, die für das Verwaltungsgericht Düsseldorf
zutreffende Postleitzahl angegeben hat, ist der abschließende Absatz der
Rechtsbehelfsbelehrung, in der der Antragsgegner über die Möglichkeit der Stellung
eines Antrages auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage belehrt
hat und in diesem Zusammenhang eine für das Verwaltungsgericht Düsseldorf
unzutreffende Postleitzahl angegeben hat, geeignet, die rechtzeitige Erhebung auch der
Klage als maßgeblichem Rechtsbehelf zu erschweren.
17
Dass die Angabe einer unzutreffenden Postleitzahl generell geeignet ist, die rechtzeitige
Einlegung eines Rechtsbehelfs zu erschweren, ergibt sich daraus, dass bei
Verwendung einer falschen Postleitzahl die Einhaltung der üblichen Postlaufzeiten nicht
gewährleistet ist, weil die Gefahr besteht, dass infolgedessen Verzögerungen bei der
Postverteilung und -zustellung eintreten.
18
Vgl. zur Fehlerhaftigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung aufgrund Verwendung einer
falschen Postleitzahl VG Gelsenkirchen, Urteil vom 27. August 2008 - 9 K 2495/07 -,
juris, und aufgrund der Angabe einer falschen Anschrift Hamburgisches OVG, Urteil vom
6. Mai 2005 – 3 Bf 105/05 -, VRS 115, 315 ff. = juris.
19
Auch ist die vom Antragsgegner konkret gegebene Rechtsbehelfsbelehrung objektiv
geeignet, den Leser dazu zu bewegen, die fehlerhafte Postleitzahl 40021 auch
bezüglich der Klageerhebung zu verwenden.
20
Zum einen ist bei der Angabe unterschiedlicher Postleitzahlen – einmal der richtigen,
einmal einer falschen – nicht gewährleistet, dass der Leser diesen Unterschied
überhaupt bemerkt. Deshalb besteht die Gefahr der Verwendung der Postleitzahl, auf
die der Blick beim Abschreiben aus der Rechtsbehelfsbelehrung – sei es auch mehr
oder weniger zufällig – zuletzt fällt. Im Falle der vom Antragsgegner gegebenen
Rechtsbehelfsbelehrung besteht die besondere Gefahr, dass der Blick zuletzt auf die
falsche Postleitzahl fällt, weil diese sich zusammen mit der Adressangabe in der rechten
unteren Ecke des Belehrungstextes befindet und damit anders als die unauffälliger
mitten im ersten Absatz der Belehrung befindliche zutreffende Postleitzahl sofort ins
Auge fällt.
21
Zum anderen besteht selbst für den Fall, dass der Leser die Unterschiedlichkeit der
beiden Postleitzahlen bemerkt, die Gefahr der Verwendung der falschen von beiden,
insbesondere wenn sich der Leser zwecks Einhaltung der Klagefrist unter Zeitdruck
wähnt und sich gezwungen sieht, wahllos eine der beiden Postleitzahlen zu verwenden
und dabei die falsche "erwischt".
22
Bestimmt sich die Klagefrist somit nach § 58 Abs. 2 VwGO, läuft diese, weil der 24. Juli
2010 ein Samstag ist, in Anwendung von § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO
erst am 26. Juli 2010 ab, so dass die am 11. September 2009 bei Gericht eingegangene
Klage fristgerecht erhoben worden ist.
23
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
24
Es besteht kein Anlass, der von der Antragstellerin erhobenen Klage entgegen der
gesetzlichen Grundentscheidung gemäß §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 84 Abs. 1
Nr. 1 AufenthG (hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis)
bzw. §§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, 8 Satz 1 AGVwGO NRW (hinsichtlich der
Abschiebungsandrohung unter Bestimmung einer Ausreisefrist) aufschiebende Wirkung
zukommen zu lassen. Denn die angefochtene Ordnungsverfügung erweist sich bei der
im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO nur möglichen
summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtmäßig.
25
Dies gilt zunächst hinsichtlich der Ablehnungsentscheidung. Die Antragstellerin hat
weder einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2
AufenthG, weil sie kein Aufenthaltsrecht aufgrund des Beschlusses des
26
Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19.
September 1980 - ARB 1/80 - i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 AufenthG erlangt
hat, noch einen Anspruch auf Verlängerung der ihr erstmals am 6. Januar 2005 nach §
30 AufenthG zum Ehegattennachzug erteilten, zuletzt am 4. Juni 2008 nach § 31 Abs. 1,
Abs. 4 Satz 1 AufenthG zum eigenständigen Ehegattenaufenthalt bis zum 4. Juni 2009
verlängerten Aufenthaltserlaubnis.
Aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 als im vorliegenden Fall einzig ernstlich für ein
Aufenthaltsrecht in Betracht kommender Vorschrift kann die Antragstellerin keine
Rechtsposition herleiten. Nach dieser Vorschrift haben die Familienangehörigen eines
dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen
Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich
des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden
Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit
mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben (erster Spiegelstrich).
Sie haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder
Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen
Wohnsitz haben (zweiter Spiegelstrich).
27
Die Antragstellerin erfüllt die zeitliche Mindestvoraussetzung des Art. 7 Satz 1 erster
Spiegelstrich ARB 1/80 nicht. Die Vorschrift erfordert nicht allein, dass der begünstigte
Familienangehörige seit mindestens drei Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz im
Mitgliedsstaat hat, sondern setzt darüberhinaus ein tatsächliches Zusammenleben in
häuslicher Gemeinschaft mit seinem dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedsstaates
angehörigen Familienangehörigen während des gesamten Mindestaufenthaltszeitraums
von drei Jahren voraus.
28
Vgl. EuGH, Urteile vom 17. April 1997 – C-351/95 -, (Kadiman), Slg. 1997, S. I-02133 =
juris (Randnr. 37 ff.) und vom 22. Juni 2000 – C-65/98 -, (Eyüp), Slg. 2000, S. I-04747 =
juris (Randnr. 28 ff.); Hamburgisches OVG, Beschluss vom 30. Juli 1996 – Bs V 93/96 -,
DÖV 1997, 383 f. = InfAuslR 1997, 191 f. = juris (Randnr. 6 ff.).
29
Es spricht Überwiegendes dafür, dass das zunächst seit der Einreise nach Deutschland
am 28. Dezember 2004 bestehende tatsächliche Zusammenleben der Antragstellerin
mit ihrem Ehemann in häuslicher Gemeinschaft spätestens am 6. Dezember 2007
endete und damit weniger als drei Jahre währte.
30
Unter dem 12. November 2007 gab der Ehemann der Antragstellerin gegenüber dem
Antragsgegner die schriftliche Erklärung ab, im Sinne des Einkommensteuergesetzes
dauernd von seiner Ehefrau getrennt zu leben. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als die
Antragstellerin bereits seit längerem – den Abstempelungen in ihrem Reisepass zufolge
seit dem 29. Juli 2007 – in der Türkei weilte. Nach dem 12. November 2007 – der
genaue Zeitpunkt lässt sich den Akten nicht entnehmen, jedenfalls aber vor Rückkehr
der Antragstellerin aus der Türkei am 6. Dezember 2007 – löste der Ehemann der
Antragstellerin die gemeinsame Ehewohnung auf und zog in eine andere Wohnung,
ohne dies der Antragstellerin mitzuteilen. Dies ergibt sich aus einem handschriftlichen
Aktenvermerk des Antragsgegners vom 16. Januar 2008, wonach der Ehemann die
Antragstellerin vor ihrer Abreise in die Türkei noch zum Flughafen gebracht habe, nach
ihrer Rückkehr aus der Türkei jedoch die Ehewohnung aufgelöst habe und der Mann
weg gewesen sei. Zugleich bekräftigte der Ehemann ausweislich eines weiteren
Aktenvermerks des Antragsgegners bei einer Vorsprache am 22. April 2008, dass für ihn
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seit dem 12. November 2007 ein Getrenntleben vorliege. Ferner teilte er mit, dass in der
Türkei bereits das Scheidungsverfahren laufe.
Stellt man nicht bereits auf den 29. Juli 2007 als Zeitpunkt der Ausreise der Ehefrau des
Antragstellers in die Türkei und damit zugleich des Verlassens der gemeinsam mit
ihrem Ehemann bewohnten Wohnung ab, existierte jedenfalls seit der Rückkehr der
Antragstellerin aus der Türkei am 6. Dezember 2007 keine gemeinsame Ehewohnung
mehr: Der Ehemann hatte die vorherige gemeinsame Ehewohnung aufgelöst und
wohnte nun allein in einer neuen Wohnung. Wo die Antragstellerin seit dem 6.
Dezember 2007 zunächst wohnte, ist den Akten nicht zu entnehmen, jedenfalls wohnte
sie aber nicht in der neuen Wohnung ihres Ehemannes, denn weder hatte sie Kenntnis
vom Verbleib ihres Ehemannes noch von der Existenz der neuen Wohnung. Der
Ehemann hatte somit willentlich das Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft mit
der Antragstellerin beendet und der Antragstellerin war es nach ihrer Rückkehr aus der
Türkei umgekehrt (zunächst) nicht möglich, die häusliche Gemeinschaft
wiederherzustellen.
32
Ob der sodann im Februar 2008 erfolgte Einzug der Antragstellerin in die neue
Wohnung ihres Ehemannes – den der Ehemann der Antragstellerin nach eigenen
Angaben ohne Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft allein deshalb
erlaubt hat, weil sie ihn mit Selbstmorddrohungen erpresst habe und er seine Ruhe
haben wollte, während die Antragstellerin ein fortgesetztes eheliches Zusammenleben
unter Teilung des Bettes behauptet – zu einem erneuten Zusammenleben beider in
häuslicher Gemeinschaft im Sinne der Rechtsprechung des EuGH geführt hat, hängt
davon ab, ob man hierfür ein bloßes Zusammenwohnen von Eheleuten in einer
Wohnung genügen lässt oder hieran weitergehende Anforderungen stellt in Form einer
die tatsächliche Verbundenheit der Eheleute zum Ausdruck bringenden
Beistandsgemeinschaft, die sich nicht nur durch objektiv messbare und bestimmbare
Mindestkriterien für die Annahme einer schützenswerten Beziehung bestimmen lässt,
sondern darüber hinaus durch eine geistige und emotionale Verbundenheit geprägt
wird,
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so die Definition des Begriffs der "ehelichen Lebensgemeinschaft" im Sinne des
nationalen Ausländerrechts, vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2002
– 2 BvR 231/00 , InfAuslR 2002, 171; BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997
– 1 C 16.96 , InfAuslR 1998, 272 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 3. August 2006
– 18 B 1298/06 , www.nrwe.de = juris, m.w.N.
34
Dies kann jedoch in diesem Zusammenhang dahinstehen. Denn selbst wenn man
hierfür ein bloßes Zusammenwohnen in einer Wohnung genügen lässt, liegt kein
mindestens dreijähriges tatsächliches Zusammenleben der Eheleute in häuslicher
Gemeinschaft zwischen dem 28. Dezember 2004 und dem 6. Januar 2008 vor.
35
Allein auf diesen Zeitraum abzustellen ist deshalb, weil das in Art. 7 Satz 1 ARB 1/80
vorausgesetzte mindestens dreijährige Zusammenleben während des Bestehens eines
Aufenthaltstitels zum Zwecke der Familienzusammenführung mit dem dem regulären
Arbeitsmarkt angehörigen Familienangehörigen vorgelegen haben muss. Dies folgt
daraus, dass Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke
der Familienzusammenführung voraussetzt.
36
Vgl. – sehr ausführlich – OVG NRW, Beschluss vom 3. April 2001 - 18 B 204/00 -,
37
NVwZ-RR 793 f. = juris, m.w.N. insb. aus der Rechtsprechung des EuGH und des
BVerwG.
Einen Aufenthaltstitel zum Zwecke der Familienzusammenführung mit ihrem Ehemann
in Form einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG besaß die Antragstellerin
nur bis zum 6. Januar 2008; danach wurde ihr keine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke
der Familienzusammenführung mehr erteilt, sondern für den Zeitraum 4. Juni 2008 – 4.
Juni 2009 eine Aufenthaltserlaubnis zum eigenständigen Ehegattenaufenthalt, d.h.
einem Aufenthalt unabhängig von ihrem Ehemann.
38
Noch vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG am 6. Januar
2008, nämlich spätestens seit dem 6. Dezember 2007, war das Zusammenleben der
Antragstellerin mit ihrem Ehemann jedenfalls unterbrochen, wenn es nicht sogar
seitdem als endgültig beendet anzusehen ist.
39
Nach der Rechtsprechung des EuGH können zwar kurzzeitige Unterbrechungen der
ehelichen Lebensgemeinschaft den Zeiten gleichgestellt werden, während denen der
betroffene Familienangehörige tatsächlich mit dem türkischen Arbeitnehmer
zusammengelebt hat. Jedoch gilt dies nur dann, wenn diese kurzzeitigen
Unterbrechungen ohne die Absicht erfolgen, den gemeinsamen Wohnsitz im
Aufnahmemitgliedstaat in Frage zu stellen.
40
Vgl. EuGH, Urteile vom 17. April 1997, a.a.O., Randnr. 41, und vom 22. Juni 2000,
a.a.O., Randnummern 29 – 34.
41
Im vorliegenden Fall liegt keine kurzzeitige Unterbrechung vor, die den Zeiten des
tatsächlichen Zusammenlebens gleichgestellt werden kann, denn der Ehemann der
Antragstellerin hat während deren Türkeiaufenthalts im Zeitraum 29. Juli – 6. Dezember
2007 jedoch gerade nach außen hin erkennbar den gemeinsamen Wohnsitz in Frage
gestellt, indem er am 12. November 2007 die Getrenntlebenserklärung nach dem
Einkommensteuergesetz abgab, sodann ohne Wissen der Antragstellerin die
gemeinsame Ehewohnung auflöste und in eine neue Wohnung umzog. Selbst wenn die
Eheleute i.S.d. Rechtsprechung des EuGH seit Februar 2008 erneut zusammenleben
sollten, handelt es sich jedenfalls nicht um ein an das vorherige Zusammenleben ohne
Unterbrechung anschließendes Zusammenleben, sondern um ein nach (endgültiger)
Beendigung des vorherigen Zusammenlebens aufgrund eines späteren neuen
Willensentschlusses begründetes neues Zusammenleben, aus welchem die
Antragstellerin mangels Bestehens eines Aufenthaltstitels zum Zwecke der
Familienzusammenführung keine Rechts aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 herleiten kann
42
Liegt damit ein für die Begründung eines Aufenthaltsrechts aus Art. 7 Satz 1 erster
Spiegelstrich ARB 1/80 erforderliches häusliches Zusammenleben der Antragstellerin
mit ihrem Ehemann über einen Mindestzeitraum von drei Jahren nicht vor, kann
dahinstehen, ob ihr Ehemann währenddessen dem regulären deutschen Arbeitsmarkt
angehörte, wofür allerdings angesichts der dem Antragsgegner vorgelegten
Arbeitgeberbescheinigungen vom 12. November 2004 und 22. Dezember 2005, wonach
der Ehemann seit dem 20. Juli 1988 ununterbrochen, ungekündigt und unbefristet bei
der Fa. C in T sozialversicherungspflichtig beschäftigt war und mangels Anzeichen
dafür, dass sich hieran seitdem etwas geändert haben könnte, Überwiegendes spricht.
Ebenfalls dahinstehen kann, ob, wovon der Antragsgegner im streitgegenständlichen
Bescheid ausgeht, ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80
43
die erkennbare Absicht des Familienangehörigen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen,
voraussetzt. Der jüngeren Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG dürfte jedoch zu
entnehmen sein, dass Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 Familienangehörigen
eines türkischen Arbeitnehmers lediglich das Recht eröffnet und gerade nicht die
Verpflichtung auferlegt, eine Beschäftigung zu suchen und aufzunehmen und ein
Aufenthaltsrecht gerade unabhängig von der Aufnahme einer Beschäftigung gewährt.
Vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 – C-373/03 -, (Aydinli), Slg. 2005, S. I-06181 = juris
(Randnr. 29); BVerwG, Urteil vom 9. August 2007 – 1 C 47/06 -, BVerwGE 129, 162 ff. =
NVwZ 2007, 1435 ff. = InfAuslR 2007, 431 ff. = juris (Randnr. 27); anders noch OVG
NRW, Beschluss vom 10. Dezember 2004 – 18 B 2599/04 -, DVBl 2005, 323 f. =
InfAuslR 205, 92 ff.
44
Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf (weitere) Verlängerung der ihr zuletzt
am 4. Juni 2008 nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 AufenthG zum
eigenständigen Ehegattenaufenthalt bis zum 4. Juni 2009 verlängerten
Aufenthaltserlaubnis.
45
Nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann "danach", also nach erstmaliger Verlängerung
einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 AufenthG, wie im Falle
der Antragstellerin erfolgt, die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden solange die
Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum
Daueraufenthalt-EG nicht vorliegen. Während die Privilegierung des § 31 Abs. 4 Satz 1
AufenthG, wonach die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder
Zwölften Buch Sozialgesetzbuch der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
unbeschadet des § 31 Abs. 2 Satz 3 AufenthG nicht entgegensteht, für die erste
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG zur Folge hat, dass
insoweit die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung
gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine Anwendung findet, gilt dies für eine nochmalige
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG – um die es im
Falle der Antragstellerin geht – nicht mehr. Eine solche kommt damit in Anwendung des
§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Regel nur in Betracht, wenn der Lebensunterhalt
gesichert ist.
46
Dass der Lebensunterhalt der Antragstellerin i.S.d. §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3 AufenthG
gesichert ist, ergibt sich weder aus deren Vorbringen noch bestehen hierfür sonstige
Anhaltspunkte; auch bestehen insoweit keine Anhaltspunkte für die Annahme einer
Ausnahme von der Regel.
47
Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert,
wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne
Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann; dabei bleiben die in Satz 2 der
Vorschrift aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Es bedarf mithin der positiven
Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne
Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich
des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den tatsächlich zur Verfügung stehenden
Mitteln. Dabei richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs seit dem 1. Januar 2005
bei erwerbsfähigen Ausländern nach den entsprechenden Bestimmungen des
2. Sozialgesetzbuchs - SGB II -.
48
Vgl. BVerwG, Urteile vom 7. April 2009 - 1 C 17/08 -, BVerwGE 133, 329 ff. =
49
NVwZ 2010, 262 ff. = InfAuslR 2009, 270 ff., und vom 26. August 2008 - 1 C 32/07 -,
DVBl 2008, 1579 ff. = NVwZ 2009, 248 ff. = InfAuslR 2009, 8 ff.
Bei der hinsichtlich der Sicherstellung des Lebensunterhalts anzustellenden Prognose
kommt es neben den aktuellen Verhältnissen auch auf die voraussichtliche Entwicklung
an. Die vom Gesetz verlangte Existenzsicherung des Ausländers kann nicht allein durch
eine punktuelle Betrachtung der jeweils aktuellen Verhältnisse beurteilt werden. Sie
setzt vielmehr eine Abschätzung - auch auf Grund rückschauender Betrachtung -
voraus, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass
der Ausländer den Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel
aufbringen kann.
50
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Dezember 2007 - 17 E 47/07 -, juris; OVG Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 28. Februar 2006 - 11 S 13.06 -, InfAuslR 2006, 277 ff.
51
In Anwendung dieser Grundsätze erscheint unter Berücksichtigung des Vorbringens der
Antragstellerin und sonstiger, nach Aktenlage gewonnener Erkenntnisse prognostisch
für die Zukunft eine Lebensunterhaltssicherung der Antragstellerin gemessen an dem
Unterhaltsbedarf nach dem SGB II als nicht gewährleistet.
52
Prognostisch ist davon auszugehen, dass zwischen der Antragstellerin und ihrem
Ehemann keine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft besteht, sondern dass sie
ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln erwirtschaften muss. Dies folgt zum einen
aus der von ihr abgegebenen "eidesstattlichen Versicherung" vom 10. September 2009,
in der die Antragstellerin ausgeführt hat, ihr Mann trage sämtliche mit der Wohnung
zusammenhängenden Kosten, also "Miete, Heizung, Strom, Telefon etc". Außerdem
verfüge sie durchschnittlich über 200 bis 250 Euro, die ihr ihre Eltern und ihr Bruder aus
der Türkei auf ihr Konto überweisen würden und von dem sie Einkäufe bestreite, die sie
sich mit ihrem Mann teilen würde. Aus den eigenen Angaben der Antragstellerin ergibt
sich damit, dass der Ehemann der Antragstellerin bereits bislang trotz Wohnens in einer
gemeinsamen Wohnung nicht deren Lebensunterhalt in vollem Umfang sicherstellt,
sondern die Antragstellerin diesen zu einem erheblichen Anteil – nämlich abgesehen
von den Unterkunftskosten im weitesten Sinne – selbst erwirtschaften muss. Zum
anderen folgt sowohl aus den eigenen Angaben der Antragstellerin als auch aus den
gegenüber dem Antragsgegner gemachten Angaben ihres Ehemannes, dass
prognostisch davon auszugehen ist, dass die Antragstellerin nicht weiterhin kostenlos in
der Wohnung ihres Ehemannes wohnen wird.
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Der Ehemann der Antragstellerin hat nach deren Einzug in seine neue Wohnung
fortlaufend an seiner bereits zuvor nach außen hin abgegebenen Erklärung
festgehalten, seit dem 12. November 2007 von ihr getrennt zu leben und zugleich
sinngemäß erklärt, mit der "Aufnahme" der Antragstellerin in seine neue Wohnung sei
gerade keine Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern
gewissermaßen lediglich eine vorübergehende Beherbergung seiner Ehefrau
verbunden. In ihrem Schreiben vom 29. Oktober 2009 an den Antragsgegner hat die
Bevollmächtigte des Ehemannes der Antragstellerin nochmals bekräftigt, dass in der
neuen Wohnung des Ehemannes zu keinem Zeitpunkt ein Zusammenleben zwischen
der Antragstellerin und ihrem Ehemann stattgefunden hat. Insbesondere hat der
Ehemann das in der Türkei eingeleitete Ehescheidungsverfahren fortgesetzt, welches
nach den übereinstimmenden Angaben sowohl seiner Bevollmächtigten als auch des
Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 26. Juni 2009 auch zu einem
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erstinstanzlichen Scheidungsurteil geführt hat, gegen das die Antragstellerin allerdings
Rechtsmittel eingelegt hat. Auch hat die Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren durch
ihren Prozessbevollmächtigten erklären lassen, nunmehr selbst erkannt zu haben, dass
ein weiteres Zusammenleben mit ihrem Ehemann unmöglich erscheint. Konkret hat der
Ehemann die Antragstellerin durch Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 29. Oktober
2009 bereits ausdrücklich aufgefordert, seine Wohnung zu verlassen und angekündigt,
dies notfalls gerichtlich zu erzwingen.
Prognostisch ist damit – mangels Annahme einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem
Ehemann i.S.v. §§ 20 Abs. 3, 7 Abs. 3 SGB II – auf der Bedarfsseite von einem
Regelbedarf gemäß § 20 Abs. 2, Abs. 4 SGB II in Höhe von derzeit 359 Euro sowie von
einem Unterkunfts- und Heizkostenbedarf gemäß § 22 Abs. 1 SGB II in Höhe der
tatsächlichen Aufwendungen für eine künftig von der Antragstellerin bewohnte
Wohnung auszugehen.
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Es ist nicht im Entferntesten ersichtlich, mit welchen finanziellen Mitteln die
Antragstellerin diesen Bedarf decken kann und will. Die in ihrer "eidesstattlichen
Versicherung" angegebenen Zuwendungen ihrer Verwandten aus der Türkei in Höhe
von 200 bis 250 Euro reichen – auch wenn man zu ihren Gunsten unterstellt, dass es
sich um monatliche Einnahmen handelt, über die sie weiterhin verfügt – bereits der
Höhe nach nicht einmal annähernd zur Deckung des monatlichen Regelbedarfs.
Überdies taugen diese Zuwendungen deshalb nicht für eine positive
Lebensunterhaltssicherungsprognose, weil vollkommen ungesichert ist, ob der
Antragstellerin diese Mittel in der Zukunft (weiterhin) zur Verfügung stehen. Weder ist
ein Rechtsanspruch der Antragstellerin auf Unterstützung durch ihre Verwandten in der
Türkei ersichtlich noch hat die Antragstellerin zumindest für die Vergangenheit einen
regelmäßigen Zufluss in der angegebenen Höhe nachgewiesen.
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Auch lässt sich derzeit nicht prognostizieren, dass der Antragstellerin in Zukunft
sonstige Einnahmen gesichert zur Verfügung stehen würden. Weder im ersten Jahr der
Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 AufenthG bis
zum 5. Juni 2009 noch in der seitdem vergangenen Zeit ist es der Antragstellerin
gelungen, Arbeit zu finden, durch die sie ihren Lebensunterhalt sichern kann; sie hat
nicht einmal dargelegt, in diesem Jahr versucht zu haben, Arbeit zu finden und deutsche
Sprachkenntnisse zu erlangen. Angesichts dessen fehlt eine belastbare Grundlage für
die Prognose, dass ihr dies nunmehr noch gelingen könnte. Ferner hat die
Antragstellerin nicht dargelegt noch ist sonst ersichtlich, dass sie der Ankündigung ihres
Prozessbevollmächtigten in der Antragsschrift vom 11. September 2009, sie werde
gegen ihren Ehemann Ansprüche auf Getrenntlebendenunterhalt geltend machen,
Taten hat folgen lassen, so dass zugunsten der Antragstellerin derzeit auch keine
Prognose möglich ist, ihren Lebensunterhalt vollständig oder zumindest zu erheblichen
Teilen durch Unterhaltszahlungen ihres Ehemannes finanzieren zu können.
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Sonstige Rechtsvorschriften, die im Falle der Antragstellerin einen Anspruch auf
Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zu begründen geeignet wären,
sind nicht ersichtlich.
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Schließlich erweisen sich die Abschiebungsandrohung und die vom Antragsgegner in
der angegriffenen Ordnungsverfügung gesetzte Ausreisefrist ebenfalls als offensichtlich
rechtmäßig. Sie beruhen auf den §§ 58 Abs. 1, 59 AufenthG.
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Die im Übrigen vorzunehmende Interessenabwägung geht ebenfalls zu Ungunsten der
Antragstellerin aus. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass deren Interesse, von der
Vollziehung der verfügten (rechtmäßigen) Maßnahmen vorerst verschont zu bleiben,
aus sonstigen Gründen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung
überwiegt, sind nicht erkennbar.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und
berücksichtigt den im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 unter
Nr. 8.1 vorgesehenen Betrag für Aufenthaltstitel und die unter Nr. 1.5 vorgesehene
Regelung für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.
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