Urteil des VG Düsseldorf vom 07.06.2005
VG Düsseldorf: therapie, stationäre behandlung, ärztliche behandlung, tinnitus, bvo, heilbehandlung, beihilfe, richteramt, anerkennung, diagnose
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 7426/04
Datum:
07.06.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
26. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
26 K 7426/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die
Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der am 00.0.1963 geborene Kläger ist Beamter im Dienst der Beklagten. Ausweislich
der ärztlichen Verordnung des M vom 4. Juli 2004 erlitt er am 6. Juni 2004 einen akuten
Hörsturz rechts mit Tinnitus aurium und Dysakusis. Eine zur Therapie verordnete und
vom 8. Juni 2004 bis 27. Juni 2004 durchgeführte ambulante Infusionstherapie blieb
ohne Erfolg. M riet dem Kläger daher zu einer hyperbaren Oxygenationstherapie über 10
Tauchfahrten, da hierdurch in 64 % der Fälle eine erhebliche Besserung zu erwarten
gewesen sei. Der Kläger bat die Beihilfestelle der Beklagten mit Antrag vom 5. Juli 2004
unter Vorlage der Verordnung um Kostenzusage zu der ab dem 7. Juli 2004 geplanten
Therapie. Die Beihilfestelle teilte dem Kläger mit Schreiben vom 6. Juli 2004 mit, bei der
ambulanten HBO-Therapie handele es sich um eine wissenschaftlich nicht anerkannte
Behandlung, die Aufwendungen hierfür seien nicht beihilfefähig. Der Kläger nahm die
Therapie in Anspruch und reichte mit Beihilfeantrag vom 30. Juli 2004 die ihm hierfür
erstellte Rechnung der N vom 26. Juli 2004 betreffend 15 Behandlungseinheiten (vom 7.
bis 26. Juli 2004) über insgesamt 3.399,18 Euro ein. Die Beklagte lehnte mit Bescheid
vom 10. August 2004 die Gewährung einer Beihilfe ab. Der Kläger erhob Widerspruch,
den die Beklagte mit am 25. Oktober 2004 zugegangenem Widerspruchsbescheid vom
18. Oktober 2004 unbegründet zurückwies.
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Am 25. November 2004 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Ansicht, die ihm
verordnete Heilbehandlung sei mindestens "wissenschaftlich noch nicht anerkannt"
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i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 BVO.
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung ihres Beihilfebescheides vom 10. August 2004 und ihres
Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2004 zu verpflichten, ihm auf die Rechnung
der N vom 26. Juli 2004 betreffend 15 Behandlungseinheiten vom 7. bis 26. Juli 2004
über insgesamt 3.637,12 Euro eine Beihilfe in Höhe von 1.818,56 Euro zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verteidigt den Bescheid.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Verpflichtungsklage hat keinen Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind
rechtmäßig; der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe zu der
Rechnung der N vom 26. Juli 2004, § 113 Abs. 5 VwGO.
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Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BVO in der hier zugrundezulegenden Fassung der 19.
änderungsverordnung vom 12. Dezember 2003, GV. NRW. S. 756, sind Aufwendungen
für eine wissenschaftlich nicht anerkannte Heilbehandlung von der Beihilfefähigkeit
ausgeschlossen. Sind wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlungen ohne Erfolg
angewendet worden, so können auf Grund des Gutachtens eines Amts- oder
Vertrauensarztes (-zahnarztes) auch Aufwendungen für wissenschaftlich noch nicht
anerkannte Heilbehandlungen vom Finanzministerium (bei Gemeindebeamten tritt an
die Stelle des Finanzministers der Dienstvorgesetzte, vgl. § 15 Abs. 1 BVO) für
beihilfefähig erklärt werden (Satz 3).
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Die ambulante HBO-Therapie ist bei Hörsturz mit akutem Tinnitus wissenschaftlich nicht
anerkannt. Wissenschaftlich anerkannt ist ein Heilmittel nach der ständigen
Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein- Westfalen
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vgl. Urteil vom 25. Mai 1994, - 6 A 1153/91 -, NVwZ-RR 1995, 453
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wenn es von den Wissenschaftlern, die in dem durch die zu behandelnde Krankheit und
die Art des Heilmittels gekennzeichneten Fachbereich tätig sind, aufgrund
wissenschaftlicher Erkenntnisse als für eine Behandlung der Krankheit wirksam
angesehen wird. Zwar wird die ambulante HBO-Therapie von einer Reihe von auf die
Behandlung von Tinnitus (Ohrgeräusch) spezialisierten HNO-ärzten als Teil einer
abgestuften Gesamtbehandlung empfohlen, wenn bei einem akuten Hörsturz oder
Knalltrauma mit der Folge Tinnitus (Ohrgeräusch) die ambulante Erstbehandlung mit
durchblutungsfördernden Mitteln (Infusion, Medikamente) nicht zum Erfolg geführt hat.
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Vgl. z.B. die ausführliche Darstellung im Internetauftritt des Dr. med. Helmut Schaaf, Ltd.
Oberarzt der Tinnitus-Klinik Arolsen, Große Allee 3, 34454 Bad Arolsen, Adresse:
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http://www.drhschaaf.de/akut.html, vgl. ferner zur Druckkammerbehandlung allgemein
die weiter führende Seite ("Linkliste") des Druckkammerzentrums Freiburg GmbH
http://www.hbo- freiburg.de/diverses/linkshumor.html. u.a. mit Verweisen auf bekannte
Anwendungen der Druckkammertherapie.
Das damit verbundene "als wirksam betrachten" dieser Behandlung beruht jedoch nicht
auf wissenschaftlicher Erkenntnis. Ausweislich des (im Bundesanzeiger
veröffentlichten) zusammenfassenden Berichts des Arbeitsausschusses "ärztliche
Behandlung" des Bundesausschusses der ärzte und Krankenkassen über die
Beratungen der Jahre 1999 und 2000 zur Bewertung der Hyperbaren Sauerstofftherapie
gemäß § 135 Abs. 1 SGB V
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http://www.g-ba.de/cms/upload/pdf/abs5/berichte/HTA-HBO%20.pdf
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lagen (nach dem Stand der Beratungen 18. November 1999, vgl. Seite 45 unten) "zur
Frage des therapeutischen Nutzens der HBO bei Hörsturz und Tinnitus ... eine Reihe
von Studien vor, die als randomisierte kontrollierte Studien betitelt sind. Keine der
Studien erfüllt auch nur ansatzweise grundsätzliche Qualitätsanforderungen an die
Planung, Durchführung und Auswertung von klinischen Studien. Die Auswertungen sind
inadäquat und werden größtenteils nur unvollständig dargestellt. Eine erhebliche Zahl
von Studienautoren betont Notwendigkeit weiterer Studien zur Klärung des Nutzens der
HBO bei dieser Indikation. < > Mit den bisher vorliegenden klinischen Studien kann
weder ein Nachweis des therapeutischen Nutzens noch ein Ausschluss von Risiken
geführt werden."
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Mit Rücksicht auf diese Erkenntnisse kann nicht festgestellt werden, dass der Einsatz
der HBO-Therapie bei der hier bekannten Diagnose auf der Grundlage
wissenschaftlicher Erkenntnisse beruht. Es kann daher jedenfalls für die hier fragliche
Diagnose (Hörsturz u.a.) nicht beanstandet werden, wenn das Finanzministerium für das
Land Nordrhein-Westfalen mit Erlass vom 23. Januar 2004 in Abstimmung mit dem
Ministerium für Gesundheit und Soziales den Standpunkt einnimmt, die HBO-Therapie
sei nur für die stationäre Behandlung bei den Indikationen "Erkrankungen an Tetanus
und Gasbrand" sowie "arterielle Gasembolie und die Dekompressionskrankheit
(Tauchunfälle)" als wissenschaftlich anerkennt zu betrachten, während die ambulante
HBO-Behandlungen bei allen Erkrankungen als wissenschaftlich nicht anerkannt
einzustufen sei.
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Die Kammer kann ferner nicht beanstanden, dass die Beklagte die Ansicht vertritt, bei
der HBO-Therapie bei Hörsturz mit akutem Tinnitus handele es sich auch nicht um eine
wissenschaftlich noch nicht anerkannte Heilbehandlung im Sinne von Satz 3 des § 4 Nr.
1 BVO. Denn dies setzt über die - nicht genügende - bloße Möglichkeit (diese ist mit
Rücksicht auf die andauernden Forschungen in diesem Bereich durchaus zu bejahen)
einer Anerkennung hinaus voraus, dass nach dem Stand der Wissenschaft die Aussicht,
d.h. die begründete Erwartung auf wissenschaftliche Anerkennung besteht.
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Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 18.06.1998 - 2 C 24.97 -, Schütz, a.a.O., ES/C IV 2 Nr.
120, dem hat sich das OVG NW mit Beschluss vom 27. Juni 2003 - 6 A 1179/02 -, DöD
2004, 111 angeschlossen.
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Eine solche begründete Erwartung auf wissenschaftliche Anerkennung ist gegenwärtig
nicht zu erkennen. Dass seit dem (für die Frage des wissenschaftlichen Nachweises
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unzureichenden) Stand im Jahr 1999 neue Forschungsergebnisse vorliegen könnten,
die aus wissenschaftlicher Sicht besser (im Sinne von wissenschaftlich qualifizierter als
die vom Bundesausschuss verworfenen Studien) den Nachweis der Wirksamkeit der
HNO-Therapie bei Hörsturz (oder Knalltrauma) führen könnten, hat der Kläger nicht
behauptet. Eigene Recherchen des Einzelrichters hierzu blieben ohne Erfolg. Mit
Rücksicht darauf kann nicht beanstandet werden, dass die Beklagte die Ansicht vertritt,
die HBO-Therapie sei wissenschaftlich nicht nur nicht, sondern auch i.S.d. BVO noch
nicht anerkannt.
Die Beklagte hat dem Kläger auch - ungeachtet der rechtlichen Relevanz - zu keiner
Zeit falschen Rat oder falsche Auskünfte erteilt. Sie hatte den Kläger vielmehr mit
Schreiben vom 6. Juli 2004 sachlich richtig darüber informiert, dass die HBO- Therapie
bei der vorliegenden Diagnose eine wissenschaftlich nicht anerkannte Heilmethode sei.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Rechtsmittelbelehrung:
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Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen
Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf
oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) die Zulassung der Berufung beantragt
werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
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Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe
darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
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Die Berufung ist nur zuzulassen,
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1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
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2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten
aufweist,
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3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
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4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein- Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der
Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und
auf dieser Abweichung beruht oder
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5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
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Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei
dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5,
48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) einzureichen.
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über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-
Westfalen.
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Bei der Antragstellung und Zulassungsbegründung muss sich jeder Beteiligte durch
einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des
Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten
vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können
sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie
Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder
Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des
jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören,
vertreten lassen (§ 67 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 VwGO). Auf die besonderen Regelungen in §
67 Abs. 1 Sätze 4 bis 7 VwGO wird hingewiesen.
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Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst dreifach
eingereicht werden.
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Korfmacher
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Beschluss:
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Der Streitwert wird auf 1.818,56 Euro festgesetzt.
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Gründe:
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Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 3 GKG erfolgt.
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