Urteil des VG Düsseldorf vom 31.10.2003

VG Düsseldorf (bundesrepublik deutschland, amnesty international, nigeria, verwaltungsgericht, politische verfolgung, staat, beschneidung, gefahr, familie, europäische menschenrechtskonvention)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 K 2129/01.A
Datum:
31.10.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 2129/01.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund
des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die im Jahre 1975 in Lagos geborene Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige und
nach eigenen Angaben Volkszugehörige der Yoruba moslemischen Glaubens.
2
Sie reiste nach eigenen Angaben auf dem Luftweg am 4. April 1998 in die
Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte erstmals am 27. Mai 1998 aus der Haft
heraus die Anerkennung als Asylberechtigte. Bei der Anhörung durch das Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) am 28. Mai 1998 gab die
Klägerin im Wesentlichen an, ihr Vater sei Armeeangehöriger gewesen und habe in der
Kaserne Ojugba gearbeitet. An einem Samstag im Oktober 1997 habe er der Familie
gesagt, er würde verreisen. Am selben Tag hätten Armeeangehörige nach ihm gefragt.
Sie selbst habe am folgenden Montag in der Kaserne, in der auch sie arbeitete, gehört,
dass man vorgehabt hätte, ihren Vater zu verhaften. Einige Wochen darauf sei ihre
Familie geflüchtet; ihr Bruder sei dabei getötet worden. Der Vater einer Freundin habe
ihr dann bei der Ausreise geholfen.
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Mit Bescheid vom 9. Juni 1998 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als
Asylberechtigte als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorliegen und auch Abschiebungshindernisse
nach § 53 AuslG nicht gegeben sind und forderte die Klägerin unter Androhung der
Abschiebung nach Nigeria zur Ausreise auf.
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Die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit
rechtskräftigem Urteil - 26 K 6071/98.A -, ergangen auf die mündliche Verhandlung vom
20. Oktober 1998, ab.
5
Am 19. Januar 2001 beantragte die Klägerin ein weiteres Mal die Anerkennung als
Asylberechtigte. Zur Begründung gab sie an, sie sei am 15. Januar 2001 auf dem
Luftweg erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. In Nigeria habe ihr die
Beschneidung gedroht. Sie sei 1998 in ihr Heimatland zurückgekehrt und bei dem Chief
B1 in Agbor, Benin City untergekommen. Dieser sei eng mit ihrem Vater befreundet
gewesen und habe für ihre Familie gesorgt. Im Januar 1999 habe er ihr einen
Heiratsantrag gemacht. Sie sei von ihm schwanger geworden. Da er sie häufig
geschlagen habe, habe sie im Juli 1999 eine Fehlgeburt erlitten. Sie sei dann zu der
Schwester des Chief nach Benin City gegangen. B1 habe versucht, sie mit Geschenken
zur Rückkehr zu bewegen. Nachdem sie zu ihm zurückgegangen wäre, sei sie im Juli
2000 erneut schwanger geworden. Er habe sie weiterhin geschlagen und ihr im
November 2000 mitgeteilt, sie müsse beschnitten werden, um direkt nach der Geburt
seine Ehefrau zu werden. Da sie keine Familie oder Freunde gehabt hätte, habe sie
Nigeria erneut verlassen. Zur Polizei habe sie nicht gehen können, da die Regierung
den Chiefs das Recht gebe, Traditionen aufrecht zu erhalten.
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Mit Bescheid vom 12. März 2001 lehnte das Bundesamt die Durchführung eines
weiteren Asylverfahrens ebenso ab wie den Antrag auf Abänderung des Bescheides
vom 9. Juni 1998 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG. Ferner wurde die Klägerin
unter Androhung der Abschiebung nach Nigeria aufgefordert, die Bundesrepublik
Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen.
7
Gegen diesen am 13. März 2001 im Wege des Übergabe-Einschreibens an ihre frühere
Prozessbevollmächtigte zur Post aufgegebenen Bescheid hat die Klägerin am 22. März
2001 Klage beim Verwaltungsgericht Köln erhoben, die mit Beschluss vom 11. April
2001 - 16 K 2300/01.A - an das Verwaltungsgericht Düsseldorf verwiesen worden ist.
Zur Begründung ihrer Klage führt die Klägerin an, sie sei Analphabetin und müsse bei
der Abfassung von Schriftstücken auf die Hilfe Dritter zurückgreifen. Dies müsse
berücksichtigt werden, wenn man bezüglich ihrer schriftlichen Ausführungen darauf
verweise, diese seien zu wenig detailliert. Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria sei sie
dort gänzlich auf sich gestellt. Allein könne sie auch in einer Großstadt nicht überleben.
Es bliebe ihr damit nur, zu Chief B1 zurückzukehren. Dort drohe ihr aber die
Beschneidung.
8
Die mündliche Verhandlung am 19. März 2003 wurde zwecks weiterer Sachaufklärung
vertagt. In der Folgezeit wurden die Auskünfte des Instituts für Afrika-Kunde vom 28.
März 2003, des Auswärtigen Amtes vom 28. April 2003 sowie von amnesty international
vom 24. Juli 2003 in das Verfahren eingeführt. In der (fortgesetzten) mündlichen
Verhandlung am 31. Oktober 2003 hat die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten
geltend gemacht, aus den eingeholten Auskünften ergebe sich, dass sie als allein
stehende, allein erziehende Frau in Nigeria keine Existenzgrundlage habe.
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Die Klägerin beantragt,
10
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 12. März 2001 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte
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anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
vorliegen,
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse
nach § 53 AuslG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
13
die Klage abzuweisen.
14
Sie bezieht sich auf die Begründung des angefochtenen Bescheides.
15
Mit Beschluss vom 27. April 2001 - 1 L 984/01.A - ist dem zugleich mit der Klage
gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit stattgegeben
worden, als der Beklagte aufgegeben worden ist, vorläufig für die Dauer von drei
Monaten ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 AuslG bezüglich Nigeria
festzustellen.
16
Mit Beschluss vom 22. Mai 2003 ist der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt worden.
17
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und des Oberbürgermeisters
der Stadt Köln sowie auf die Auskünfte und Erkenntnisse, die zum Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, Bezug genommen.
18
Entscheidungsgründe:
19
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg; sie ist unbegründet.
20
Der angefochtene Bundesamtsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher
nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
21
Die Klägerin hat - nach den insoweit maßgeblichen Verhältnissen im Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - keinen Anspruch auf
Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, womit auch der Antrag auf Anerkennung
als Asylberechtigte und Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG keinen Erfolg haben kann.
22
Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist für den Fall, dass der Ausländer nach
Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen
Asylantrag (Folgeantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
23
Bei dem am 19. Januar 2001 gestellten Asylantrag der Klägerin handelt es sich um
einen Folgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylVfG, da ihr früheres Asylgesuch vom
27. Mai 1998 mit bestandskräftigem Bundesamtsbescheid vom 9. Juni 1998
unanfechtbar abgelehnt worden ist.
24
Die danach für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens notwendigen Voraussetzungen des
§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG sind nicht gegeben. Gemäß § 51 Abs. 1 und 2 VwVfG ist nur
dann ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage
25
nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat oder dieser neue Beweismittel
vorlegt, die eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden, und der
Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das
Wiederaufgreifen in einem früheren Verfahren geltend zu machen. Gemäß § 51 Abs. 3
VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem
Tag beginnt, an dem der Betroffene Kenntnis von dem Wiederaufgreifensgrund erlangt.
Dabei obliegt es nach § 71 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG dem Folgeantragsteller, die
Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ergibt.
Wird eine Änderung der Sachlage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geltend gemacht, muss
sich aus dem Vorbringen schlüssig ergeben, dass die neuen Tatsachen für eine dem
Folgeantragsteller günstigere Entscheidung geeignet sind. Der Tatsachenvortrag muss
glaub-haft und substantiiert sein. Er muss in sich stimmig, nachvollziehbar und
einleuchtend sein, sodass bei verständiger Würdigung gerade jetzt die Befürchtung
besteht, nach einer Rückkehr in den Herkunftsstaat werde der Betroffene politischer
Verfolgung ausgesetzt sein.
26
Vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1987 - 9 C 251/86 -, Buchholz 402.25, § 10
AsylVfG Nr. 3.
27
Hinsichtlich der allgemeinpolitischen Verhältnisse im Herkunftsstaat wird den
Anforderungen an einen schlüssigen Sachvortrag nur dann genügt, wenn substantiiert
Umstände dargelegt werden, die geeignet sind, die Feststellungen bezüglich der
allgemeinen politischen Situation im Heimatland des Asylbewerbers, die in dem zuvor
bestandskräftig abgeschlossenen oder durch Rücknahme beendeten Asylverfahren
getroffen worden sind bzw. seinerzeit objektiv vorlagen, in ihrer (andauernden)
Rechtmäßigkeit in Zweifel zu ziehen, und somit Anlass zu neuen
Sachverhaltsermittlungen geben.
28
Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 33/90 -, Buchholz 402.25 § 14
AsylVfG Nr. 10.
29
Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin nicht. Nach der Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ergeben sich keine
Anhaltspunkte, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens rechtfertigten. Aus dem
Vorbringen der Klägerin ergeben sich keine Gesichtspunkte, die geeignet wären, auf
eine für sie günstigere Entscheidung zu führen. Soweit sie geltend macht, ihr drohe in
Nigeria die Beschneidung, vermag dies die Gefahr einer politischen Verfolgung nicht zu
begründen.
30
Politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1 AuslG ist derjenige,
dessen Leib, Leben oder persönliche Freiheit in Anknüpfung an seine politische
Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare
Merkmale, die sein Anderssein prägen (asylerhebliche Merkmale), gefährdet oder
verletzt werden. Es muss sich um gezielte staatliche oder jedenfalls dem Staat
zuzurechnende Rechtsverletzungen handeln, die den Einzelnen ihrer Intensität nach
aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen.
31
Vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86, 1000/86 und 961/86 -,
BVerfGE 80, S. 315 (333 ff.), und vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85, 515/89 und
32
1827/89 -, BVerfGE 83, S. 216 (230 ff.).
Dabei ist für die Zurechenbarkeit der Verfolgung keine staatliche Handlung notwendig.
Übergriffe Dritter reichen aus, wenn der Staat hierzu ermuntert oder den erforderlichen
Schutz versagt. Eine dem Staat zurechenbare, tatenlose Hinnahme von Übergriffen
Dritter ist allerdings nicht schon dann gegeben, wenn die Bemühungen des zum Schutz
grundsätzlich bereiten Staates mit unterschiedlicher Effektivität greifen. Es kommt
vielmehr darauf an, ob der Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln im
Großen und Gan-zen Schutz gewährt. Zurechenbar können Übergriffe Dritter nur dann
sein, wenn der Staat gebotene Maßnahmen unterlässt, obwohl er Kenntnis von
bevorstehenden Übergriffen hat.
33
Vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 24. März 1995 - 9 B 747/94 -, AuAS 1995, S. 159 ff.;
siehe auch BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O., S. 333 bis 336 m.w.N.
34
Politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1 AuslG setzt weiter
voraus, dass der Betroffene landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird. Das ist
der Fall, wenn er in anderen Teilen seines Heimatlandes eine zumutbare Zuflucht
(inländische Fluchtalternative) nicht finden kann. Eine inländische Fluchtalternative ist
zu bejahen, wenn der Betroffene in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer
Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm dort auch keine anderen Nachteile und
Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen
Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen.
35
Vgl. BVerfG, Beschlss vom 10. Juli 1989, a.a.O., S. 342 ff.
36
Ausgehend von diesen Maßstäben ist nicht ersichtlich, dass das Vorbringen der
Klägerin auf eine ihr in Nigeria drohende politische Verfolgung führt. Dabei kann
dahinstehen, ob der von ihr geltend gemachte Gesichtspunkt einer drohenden
Beschneidung überhaupt geeignet ist, die Gefahr einer staatlichen Verfolgung zu
begründen.
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Verneinend bisherige Rechtsprechung der Kammer bezüglich Nigeria, vgl. z.B. Urteil
vom 23. Juli 2003 - 1 K 2420/02.A -; Beschlüsse vom 24. April 2001 - 1 L 984/01.A -, 6.
August 2002 - 1 L 3030/02.A -; ferner z.B. Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteil vom 28.
September 1999 - 1 A 4686/96 -; Verwaltungsgericht Trier, Urteil vom 27. April 1999 - 4
K 1157/98.TR; bejahend bezüglich Nigeria Verwaltungsgericht Aachen, Urteil vom 12.
August 2003 - 2 K 1140/02.A -; bezüglich Elfenbeinküste Verwaltungsgericht Frankfurt
am Main, Urteil vom 29. August 2001 - 3 E 30495/98.A(2) -, NVwZ-RR 2002, S. 460;
Verwaltungsgericht Wiesbaden, Urteil vom 27. Januar 2000 - 5 E 31472/98.A(2) -, AuAS
2000, S. 79; bezüglich Kamerun Verwaltungsgericht München, Urteil vom 2. Dezember
1998 - M 21 K 97.53552 -, InfAuslR 1999, S. 306.
38
Denn jedenfalls ergibt sich ausgehend von ihrem Vortrag und unter Heranziehung des
dem Gericht vorliegenden Erkenntnismaterials nicht, dass ihr eine Beschneidung
landesweit drohte. Die Klägerin befürchtet eine Beschneidung für den Fall, dass sie zu
Chief B1 nach Agbor, Benin City zurückkehren müsste. Damit besteht für sie aber die
Möglichkeit, der durch eine Verheiratung mit dem Chief drohenden Beschneidung durch
Wegzug in andere Landesteile, insbesondere größere Städte Nigerias auszuweichen.
Dass ihr dort ebenfalls eine Zwangsbeschneidung drohte, lässt sich weder dem
Vorbringen der Klägerin entnehmen - sie selbst hat in ihrer schriftlichen Stellungnahme
39
gegenüber dem Bundesamt angeführt, dass die Beschneidungspraxis in Städten
verblasse - noch ergibt sich dies sonst aus der Auskunftslage.
Vgl. z.B. Information des Bundesamtes „Weibliche Genitalverstümmelung" vom Februar
2003, S. 20, wonach die Genitalverstümmelung in Nigeria zu 20% verbreitet ist; Institut
für Afrika-Kunde, Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 28. März 2003,
wonach die Gefahr einer Beschneidung im Wesentlichen vom sozialen und familiären
Umfeld abhängig ist; amnesty international, Auskunft an das Verwaltungsgericht Aachen
vom 6. August 2002, verweist auf eine Verbreitungsquote von 50-60%, die allerdings mit
jedem Jahr ein wenig sinke.
40
Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass die Klägerin im Falle des Ausweichens in
andere Regionen Nigerias einem familiären Umfeld ausgesetzt wäre, dass sie zur
Beschneidung zwänge. Sie hat vielmehr vorgetragen, in Nigeria keine Familie mehr zu
haben. Angesichts der Größe und der mangelnden Infrastruktur des Landes lässt sich
schließlich auch hinreichend sicher ausschließen, dass die Klägerin landesweit damit
rechnen müsste, von Chief B1 verfolgt zu werden.
41
Vgl. dazu allgemein Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht
Düsseldorf vom 28. April 2003.
42
Ein Ausweichen in andere Landesteile Nigerias ist der Klägerin auch nicht unzumutbar.
Das Gericht verkennt nicht, dass die Situation allein stehender, allein erziehender
Frauen in Nigeria schwierig ist,
43
vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in
Nigeria vom 10. Februar 2003 -Gz.: 508-516.80/3 NGA -, Seite 6, wonach allein
stehende Frauen besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt sind und meist nur schwer
eine Unterkunft und eine berufliche Tätigkeit finden; Auskunft des Auswärtigen Amtes
an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 28. April 2003; Auskunft des Instituts für
Afrika-Kunde an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 28. März 2003; Auskunft von
amnesty international an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 24. Juli 2003.
44
Der Auskunftslage lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass es für diesen Personenkreis
unmöglich wäre, sich eine wirtschaftliche Existenzgrundlage zu schaffen.
45
Vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Februar 2003, S. 6, wonach im
liberaleren Südwesten des Landes allein stehende Frauen vor allem in den Städten
eher akzeptiert werden; Auskunft des Instituts für Afrika-Kunde an das
Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 28. März 2003, wonach es prinzipiell jedenfalls
nicht ausgeschlossen ist, dass eine Nigerianerin ihren Lebensunterhalt auch außerhalb
ihres Heimatdorfes und ohne Unterstützung ihrer Familie oder ethnischen Gruppe
sichern kann.
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Auch im konkreten Fall der Klägerin ist nicht erkennbar, dass es ihr bei einer Rückkehr
nach Nigeria nicht möglich wäre, eine ausreichende Existenz aufzubauen. Gründe,
weshalb ihr dies insbesondere in Lagos nicht gelingen sollte, sind weder von der
Klägerin substantiiert vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Sie hat dort nach
eigenen Angaben bis zu ihrer ersten Ausreise 1998 gelebt und auch gearbeitet. Sie
kennt mithin die dortigen Verhältnisse, und es ist davon auszugehen, dass sie dort
zumindest noch über einen Bekanntenkreis verfügt, der ihr jedenfalls eine erste
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Anlaufstelle bietet. Im Übrigen unterliegt das Vorbringen der Klägerin, in ihrem
Heimatland keine Familie mehr zu haben, auch erheblichen Zweifeln. Im Rahmen ihres
Asylerstverfahrens hat sie noch angegeben, eine ältere Schwester sowie drei jüngere
Geschwister zu haben. Hinsichtlich ihrer damals sechsjährigen Schwester hat sie weiter
ausgeführt, diese bei einer Freundin und deren Familie gelassen zu haben. Im Rahmen
ihres Asylfolgeverfahrens hat die Klägerin lediglich pauschal darauf verwiesen, sie habe
keine Familie oder Freunde mehr. Eine weitere Erläuterung, worauf sich dieses gründet,
hat sie weder gegenüber dem Bundesamt abgegeben noch im Laufe des
Klageverfahrens.
Auch sonst liegen keine Erkenntnisse vor, wonach die Schaffung einer wirtschaftlichen
Existenz nicht möglich wäre.
48
Vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Februar 2003, wonach trotz der
schwierigen wirtschaftlichen Lage Nigerias die Basisversorgung der Bevölkerung mit
Grundnahrungsmitteln zumindest im städtischen Bereich grundsätzlich Gewähr leistet
ist (S. 19).
49
Der Umstand der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland vermag
ebenfalls nicht die Annahme einer bei der Rückkehr nach Nigeria drohenden politischen
Verfolgung zu begründen. Erkenntnisse, dass abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr
nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu
rechnen hätten, liegen nicht vor.
50
Vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in
Nigeria vom 10. Februar 2003, S. 16, 19; im Übrigen ständige Rechtsprechung des
Gerichts, vgl. z.B. Urteile vom 28. Juli 1998 - 26 K 13722/94.A - , vom 15. Januar 1999 -
26 K 10364/97.A - und vom 22. August 2000 - 26 K 4353/00.A - sowie z.B. Beschlüsse
der Kammer vom 27. Februar 2001 - 1 L 383/01.A - und vom 3. Juli 2002 - 1 L 2482/02.A
-.
51
Gesichtspunkte, die zu einer abweichenden rechtlichen Bewertung Anlass geben
könnten, sind weder von der Klägerin vorgetragen noch sonst ersichtlich.
52
Anhaltspunkte für eine nachträgliche Änderung der Rechtslage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt.
VwVfG) oder das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO (§
51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG) bestehen ebenfalls nicht. Schließlich liegen auch die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG nicht vor; Beweismittel im Sinne dieser
Bestimmung sind nicht vorgelegt worden.
53
Ebenso wenig ist rechtlich zu beanstanden, dass das Bundesamt abgelehnt hat,
hinsichtlich der Klägerin eine positive Feststellung zu § 53 AuslG zu treffen.
54
Der durch § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG Gewähr leistete Abschiebungsschutz richtet sich
gegen Gefahren, die von dem betreffenden Staat ausgehen oder ihm jedenfalls
zuzurechnen sind, wobei insoweit grundsätzlich dieselben Maßstäbe gelten wie im
Rahmen von Art. 16 a GG und § 51 Abs. 1 AuslG. Auch § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3
der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November
1950 - Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) schützt regelmäßig nur vor
einer im Zielstaat vom Staat oder einer staatsähnlichen Gewalt ausgehenden oder einer
von diesen zu verantwortenden Misshandlung. Ausnahmsweise können auch
55
Misshandlungen durch Dritte eine unmenschliche Behandlung darstellen, wenn sie dem
Staat zugerechnet werden können, weil dieser sie veranlasst, bewusst duldet oder
ihnen gegenüber keinen Schutz gewährt, obwohl er dazu in der Lage wäre.
BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 -, BVerwGE 99, 331 (335), und - 9 C
56.95 -, InfAuslR 1996, 254 (255), vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 -, BVerwGE 104, 265
(267 ff.), und vom 2. September 1997 - 9 C 40.96 -, BVerwGE 105, 187 (188).
56
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da wie ausgeführt nicht ersichtlich ist, dass die
Klägerin in Nigeria landesweit mit vom Staat ausgehenden oder diesem zurechenbaren
Gefahren rechnen müsste.
57
Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG lassen sich ebenfalls nicht
feststellen.
58
Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen
anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche
konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Anwendung des § 53 Abs. 6
Satz 1 AuslG setzt die Feststellung einer konkreten Gefahr für eines der dort genannten
Rechtsgüter voraus, die dem Betreffenden bei einer Abschiebung persönlich mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen muss; hierbei kommt es nicht darauf an, von
wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird. Allgemeine Gefahren,
die dem Betreffenden nicht persönlich, sondern zugleich der gesamten Bevölkerung
oder einer Bevölkerungsgruppe drohen, unterfallen hingegen § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG,
der im Regelfall die Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ausschließt. Allgemeine
Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG können auch dann nicht
Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen, wenn sie den
Ausländer konkret und in individualisierter Weise betreffen. Trotz bestehender konkreter
erheblicher Gefahr ist die Anwendbarkeit des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG „gesperrt", wenn
dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht.
59
Vgl. im Einzelnen z.B. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4/98 -, NVwZ 1999,
S. 666 (667 m.w.N.).
60
Derartige allgemeine Gefahren führen nach der von den Verwaltungsgerichten zu
respektierenden Entscheidung des Gesetzgebers nur dann zu einem
Abschiebungshindernis, wenn auf Grund einer politischen Leitentscheidung ein
genereller Abschiebestopp durch das Innenministerium verfügt wird (§ 53 Abs. 6 Satz 2
i.V.m. § 54 AuslG). Darüber hinaus ist Abschiebungsschutz unter verfassungskonformer
Auslegung von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ausnahmsweise dann zu gewähren, wenn
dem Ausländer kein Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1 bis 4 und Abs. 6 Satz 2
AuslG zusteht, er aber gleichwohl im Lichte der Grundrechte der Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2
Satz 1 GG wegen einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, das heißt einer Lage, die
ihn gleichsam „sehenden Auges" dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen
aussetzen würde, nicht abgeschoben werden darf.
61
Vgl. z.B. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9/95 -, DVBl. 1996, S. 203, und
vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4/98 -, DVBl. 1999, S. 549.
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Nach diesen Maßstäben lassen sich Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG
in der Person der Klägerin nicht feststellen. Gefahren, die mit den allgemeinen
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Lebensbedingungen in Nigeria verbunden sind, ist die gesamte Bevölkerung
ausgesetzt. Soweit die Klägerin auf ihre Situation als allein stehende Frau verweist,
macht sie ebenfalls Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG geltend, da die
gesamte Gruppe allein stehender Frauen in Nigeria solchen Gefahren ausgesetzt wäre.
Ein Abschiebestopp im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. § 54 AuslG besteht nicht.
Auch die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Gewährung von
Abschiebungsschutz wegen einer extremen allgemeinen Gefahrenlage liegen mangels
einer entsprechenden Gefährdungslage nicht vor. Konkrete Anhaltspunkte, dass es der
Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria nicht möglich wäre, sich dort eine
ausreichende Existenzgrundlage zu schaffen, sind nicht erkennbar. Insoweit wird auf die
obigen Ausführungen Bezug genommen.
Individuelle Besonderheiten, die eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne von § 53
Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen könnten, liegen danach gleichfalls nicht vor. Soweit die
Klägerin Übergriffe durch Chief Agbomilere befürchtet, ist dies aus den dargelegten
Gründen nicht beachtlich wahrscheinlich. Sonstige individuelle Gesichtspunkte, die ein
Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen könnten, hat die
Klägerin nicht geltend gemacht.
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Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 71 Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs.
1 Satz 1 AsylVfG, § 50 AuslG. Die gesetzte Ausreisefrist ergibt sich aus § 71 Abs. 4
i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylVfG.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die
Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
66
67