Urteil des VG Düsseldorf vom 19.01.2004

VG Düsseldorf: anspruch auf bewilligung, echte rückwirkung, erlass, umwandlung, rechtsverordnung, vertrauensschutz, vollstreckung, streichung, rechtsschutzinteresse, einzelrichter

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 2 K 1622/03
Datum:
19.01.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 1622/03
Tenor:
Das beklagte Land wird unter Aufhebung der Mitteilung vom 16. Januar
2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2003
verpflichtet, dem Kläger für den 14. Februar 2003 einen
Arbeitsverkürzungstag zu bewilligen und ihm einen Erholungsurlaubstag
gutzuschreiben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger steht als Steueroberamtsrat im Dienst des beklagten Landes. Er ist beim S
tätig.
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Er beantragte seine Freistellung vom Dienst nach § 2 a der Verordnung über die
Arbeitszeit der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen (AZVO) in der damals geltenden
Fassung der Bekanntmachung vom 28. Dezember 1986 (GV. NRW. 1987 S. 15), zuletzt
geändert durch Verordnung vom 25. Januar 2000 (GV. NRW. S. 26), für den 14. Februar
2003.
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Durch Erlass vom 14. Januar 2003 hatte das Innenministerium des Landes Nordrhein-
Westfalen im Einvernehmen mit dem Finanzministerium darauf hingewiesen, dass es
beabsichtige, die Rechtslage bezüglich des Arbeitszeitverkürzungstages für Beamte
derjenigen für Arbeitnehmer anzupassen, die auf Grund der Tarifrunde 2003 mit
Wirkung vom 1. Januar 2003 keinen Arbeitszeitverkürzungstag mehr beanspruchen
könnten. Mit Rücksicht auf die bevorstehende Rechtsänderung wurde gebeten,
Beamten keinen Arbeitsver- kürzungstag mehr zu bewilligen. Hinsichtlich bereits für die
Zeit nach dem 13. Januar 2003 bewilligter Freistellungstage, die noch nicht in Anspruch
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genommen worden seien, wurde auf eine Widerrufsmöglichkeit nach § 49 Abs. 2 Nr. 4
des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) hingewiesen. Das Finanzministerium gab
dies am 15. Januar 2003 an seine nachgeordneten Dienststellen mit der Weisung zur
entsprechenden Umsetzung weiter.
Am 16. Januar 2003 wurde durch hausinterne e-mail unter Hinweis auf den o.g. Erlass
mitgeteilt, dass die Inanspruchnahme des so genannten AZV-Tages ab sofort nicht mehr
möglich bzw. eine Widerrufsmöglichkeit nach § 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG gegeben sei.
Soweit die Umwandlung in einen Urlaubs- oder Gleittag gewünscht werde, solle die
Geschäftsstelle entsprechend informiert und ggf. die gelbe Urlaubskarte zur Umbuchung
vorgelegt werden.
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Hiergegen erhob der Kläger am 6. Februar 2003 Widerspruch und nahm am 14. Februar
2003 einen Tag "frei".
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Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2003 wies das S den Widerspruch des
Klägers zurück. Das Innenministerium habe im Einvernehmen mit dem
Finanzministerium alle Ressorts angewiesen, im Vorgriff auf eine geplante Änderung
der AZVO Bewilligungen von noch nicht in Anspruch genommenen arbeitsfreien Tagen
nach § 2 AZVO gemäß § 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG zu widerrufen, bzw. künftige Anträge
abzulehnen, da die Rechtsgrundlage insoweit entfallen sei. Dem sei mit der
hausinternen e-mail vom 16. Januar 2003 entsprochen worden. Auf Grund der
geänderten Rechtslage werde der Widerspruch abgelehnt und der Kläger aufgefordert,
am 14. Februar 2003 seinen Dienst anzutreten oder - dem Erlass des Innenministeriums
entsprechend - Erholungsurlaub oder Gleitzeit in Anspruch zu nehmen. Bei Nichterhalt
einer Nachricht werde im Falle des Fernbleibens vom Dienst ein Tag Erholungsurlaub
in Abzug gebracht.
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Der Kläger hat am 6. März 2003 Klage erhoben, mit der er im Wesentlichen geltend
macht, zum Zeitpunkt der Antragstellung habe noch die alte Arbeitszeitverordnung
gegolten. Die lediglich beabsichtigte Änderung habe noch keine Rechtswirkung
entfaltet. Hierin lägen auch keine dienstlichen Belange, die zu einer Ablehnung des
Antrags führen könnten.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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die Mitteilung vom 16. Januar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.
Februar 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Antrag auf
Gewährung des Arbeitszeitverkür-zungstages zu entsprechen und ihm - dem Kläger -
die am 14. Februar 2003 durch die Umwandlung in einen Urlaubstag verloren
gegangenen Stunden wieder gutzuschreiben.
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Das beklagte Land hat keinen ausdrücklichen Klageantrag gestellt.
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Es ist der Klage entgegen getreten und beruft sich für den Widerruf zunächst auf Art. I
der Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamten im Land
Nordrhein-Westfalen sowie zur Änderung der Verordnung über die Arbeitszeit der
Polizeivollzugsbeamten des Landes Nordrhein- Westfalen und zur Änderung der
Verordnung über die Arbeitszeit der Beamten des feuerwehrtechnischen Dienstes in
den Feuerwehren der Gemeinden und Gemeindeverbände des Landes Nordrhein-
Westfalen vom 18. Februar 2003 (GV. NRW. 2003 S. 74) - nachfolgend:
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Änderungsverordnung - wonach § 2 a AZVO rückwirkend mit Wirkung zum 14. Januar
2003 gestrichen worden sei. Im Vorgriff auf diese Rechtsänderung habe das
Innenministerium zum Wegfall des arbeitsfreien Tages den eingangs erwähnten Erlass
vom 15. Januar 2003 bekannt gegeben.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
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Die Kammer hat die Sache dem Berichterstatter mit Beschluss vom 19. Januar 2004 zur
Entscheidung übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend der Inhalt
der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge in Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht konnte mit Zustimmung beider Beteiligter ohne Durchführung einer
mündlichen Verhandlung (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO) entscheiden. Nach der Übertragung
der Sache auf den Berichterstatter (vgl. § 6 Abs. 1 VwGO) war dieser als Einzelrichter
zur Entscheidung berufen.
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Für den auf Bewilligung eines AZV-Tages am 14. Februar 2003 gerichteten Klageantrag
ist das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen. Die Sache hat sich nicht durch Zeitablauf
erledigt. Dies wäre nur dann anzunehmen, wenn der Kläger am 14. Februar 2003 Dienst
verrichtet hätte; in diesem Falle wäre der hier im Streit stehende AZV-Tag für einen
nunmehr in der Vergangenheit liegenden Kalendertag beantragt worden und es wäre
damit mittlerweile unmöglich, dass der Kläger für diesen Tag den AZV-Tag in Anspruch
nimmt. Vorliegend hat er aber am 14. Februar 2003 tatsächlich keinen Dienst geleistet
und deshalb ist ihm ein Urlaubstag in Abzug gebracht worden. Eine Klagestattgabe
hinsichtlich des für den 14. Februar 2003 beantragten AZV-Tages ist daher für ihn noch
von Nutzen, weil der Beklagte ihm für diesen Fall den in Anspruch genommenen
Urlaubstag wieder gutschreiben kann und unter dem Gesichtspunkt der
Folgenbeseitigung auch gutschreiben müsste.
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Die Klage ist auch begründet. Die Versagung der Bewilligung eines AZV Tages für den
14. Februar 2003 durch die angefochtenen Bescheide ist rechtswidrig und verletzt den
Kläger in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Er hat einen Anspruch auf
Bewilligung eines AZV-Tages für den 14. Februar 2003.
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Der Kläger hatte seinerzeit einen Anspruch nach § 2 a AZVO. Dieser Anspruch war
durch den Erlass vom 14. Januar 2003, welchen das Innenministerium im Vorgriff auf
die zu erwartende Änderung der AZVO erlassen hat, nicht entfallen, weil ein Erlass als
untergesetzliche Regelung einen Anspruch, welcher sich aus einer Rechtsverordnung -
also aus einem materiellen Gesetz - ergibt, nicht ausschließen konnte.
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Der Anspruch ist auch nicht dadurch entfallen, dass durch Art. I i.V.m. Art. V der
Änderungsverordnung § 2 a AZVO rückwirkend mit Wirkung vom 14. Januar 2003
gestrichen worden ist. Diese Vorschriften sind nämlich nichtig.
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Art. I i.V.m. Art. V der Änderungsverordnung enthält - ggf. im Zusammenhang mit der
Regelung des Art. IV, wonach Arbeitstage, die ab dem 14. Januar 2003 als
Arbeitszeitverkürzungstage genommen worden sind, in Erholungsurlaubstage
umgewandelt werden - zunächst für die Fälle, in denen AZV-Tage bewilligt und als
solche genommen worden sind, eine unzulässige echte Rückwirkung, weil durch die
Regelungen der Art. I, IV und V nachträglich ändernd in abgewickelte, der
Vergangenheit angehörende Tatbestände eingegriffen wurde,
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vgl. hierzu hinsichtlich der Art. I und V, VG Gelsenkirchen, Urteile vom 25. November
2003 - 1 K 4348/03 - und - 1 K 4269/03 - m.w.N.
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Diese echte Rückwirkung ist hier auch nicht ausnahmsweise unter dem Aspekt
zulässig, dass sich kein Vertrauen in den Fortbestand des geltenden Rechts bilden
konnte, was dann der Fall ist, wenn in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der
Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, mit einer solchen Regelung gerechnet
werden musste. Der Vertrauensschutz betreffend den Fortbestand der geltenden
Regelung entfällt nämlich im Falle der Änderung der Rechtslage durch eine
Rechtsverordnung erst mit der Beschlussfassung durch den Verordnungsgeber, was
auch dann gilt, wenn der Verordnungsgeber - wie durch den Erlass vom 14. Januar
2003 - die Änderung der Verordnung zuvor angekündigt hat,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002, a.a.O.; VG Gelsenkirchen, Urteile vom 25.
November 2003, a.a.O.
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Der Vertrauensschutz ist auch nicht aus anderen Gründen, insbesondere nicht unter
dem Gesichtspunkt ausgeschlossen, dass durch die Rückwirkung kein oder nur ein
ganz unerheblicher Schaden entstanden ist,
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vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 1996 - 1 BvL 44/92 -, BVerfGE 95, 64,
87, m.w.N.
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Geht man von der zutreffenden Betrachtung aus, dass der AZV-Tag eine reine
Arbeitszeitregelung ist, die in keinem Zusammenhang mit den Bestimmungen über den
Erholungsurlaub steht, und dass ein solcher Freistellungstag dem Beamten jeweils nur
einmal im jeweiligen Kalenderjahr zusteht, so entfällt durch die rückwirkende Streichung
ein wesentliches Element der Arbeitszeitregelung, die daher mehr als nur eine
unerhebliche Verschlechterung der Rechtsstellung des Beamten darstellt,
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vgl. VG Gelsenkirchen, a.a.O.
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Das Vertrauen auf diesen Anspruch, welches nicht nur eine bloße Hoffnung darstellte,
konnte auch durchaus im Einzelfall zu gewissen Dispositionen oder Planungen Anlass
geben, ohne dass dies von den Betroffenen im Einzelnen dargelegt werden musste,
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vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23. März 1971 - 2 BvL 2/66 u.a. -, BVerfGE 30, 367,
389.
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Stellt sich damit für die Fälle, in denen der AZV Tag im Zeitraum vom 14. Januar 2003
bis zum Inkrafttreten der Änderungsverordnung rechtmäßigerweise bewilligt und
genommen worden ist, die Regelung als eine unzulässige echte Rückwirkung dar, so
kann die rückwirkende Streichung des AZV-Tages auch nicht in den Fällen zu Lasten
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des Beamten zum Tragen kommen, in denen der AZV-Tag dem Beamten von
vornherein rechtswidrigerweise vorenthalten wurde und er für seinen freien Tag einen
Urlaubstag opfern musste.
Hat der Kläger damit einen Anspruch auf Bewilligung des AZV-Tages für den 14.
Februar 2003, so ist ihm auch unter dem Rechtsgedanken einer Folgenbeseitigung der
für diesen Tag in Abzug gebrachte Urlaubstag gutzuschreiben.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Das Gericht lässt die Berufung nicht gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO zu, da es die
Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO nicht als gegeben ansieht.
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