Urteil des VG Düsseldorf vom 15.12.2009
VG Düsseldorf (aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, antragsteller, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, eröffnung des verfahrens, vollziehung, gutachten, schule, interesse, wirkung)
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 L 1636/09
Datum:
15.12.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 L 1636/09
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag,
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die aufschiebende Wirkung der am 27. Juli 2009 erhobenen Klage (18 K
5952/09) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. Juni 2009
wiederherzustellen,
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ist unbegründet.
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Die in dem angegriffenen Bescheid des Antragsgegners vorgenommene Anordnung der
sofortigen Vollziehung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner
hat diese Anordnung in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) genügenden Weise begründet, insbesondere
gehen die Ausführungen sowohl über allgemeine Erwägungen als auch über die
Begründung des Bescheides hinaus und lassen die Beweggründe des Antragsgegners
für die Anordnung der sofortigen Vollziehung in hinreichender Weise erkennen.
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Ob das seitens des Antragsgegners angenommene besondere Vollzugsinteresse
tatsächlich vorliegt, ist keine Frage der (formellen) Begründung der
Vollziehungsanordnung, sondern unterliegt der von dem Gericht eigenständig zu
treffenden Interessenabwägung. Diese Interessenabwägung geht zu Lasten des
Antragstellers aus. Weder ist die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig
noch überwiegt das Aussetzungsinteresse im Übrigen gegenüber dem öffentlichen
Vollziehungsinteresse.
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Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO hat das Gericht bei der Frage, ob die
Vollziehung ausgesetzt und die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer
Klage wiederhergestellt werden soll, den voraussichtlichen Erfolg des eingelegten
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Rechtsbehelfs mit zu berücksichtigen. Erweisen sich der Widerspruch oder die Klage
bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen
Überprüfung als offensichtlich begründet, ist ein öffentliches Interesse an der sofortigen
Vollziehung zu verneinen. Ist der Rechtsbehelf dagegen offensichtlich unbegründet, ist
der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls dann
abzulehnen, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung
besteht. Können die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht mit der erforderlichen
Sicherheit beurteilt werden, erweist er sich also weder als offensichtlich begründet noch
als offensichtlich unbegründet, ist eine Interessenabwägung im weiteren Sinne
vorzunehmen. Führt die Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen
Vollziehung mit dem Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung
dazu, dass das öffentliche Interesse als schutzwürdiger anzuerkennen ist, ist die
Anordnung der sofortigen Vollziehung gerechtfertigt; anderenfalls ist die aufschiebende
Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs wiederherzustellen.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Aussetzungsantrag des Antragstellers nicht
begründet und die aufschiebende Wirkung der Klage nicht wiederherzustellen. Der
Bescheid des Antragsgegners vom 24. Juni 2009, der seine Rechtsgrundlage in § 19
des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG) i.V.m. § 13 Abs. 1 der
Verordnung über die sonderpädagogische Förderung, den Hausunterricht und die
Schule für Kranke (AOSF) findet, ist offensichtlich rechtmäßig.
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Der Bescheid dürfte sich als formell rechtmäßig erweisen. Der Antragsgegner ist für
seinen Erlass nach § 13 Abs. 1 AO-SF i.V.m. § 88 Abs. 3 SchulG zuständig. Die in § 13
Abs. 5 AO-SF geforderte Schriftform ist eingehalten und die Entscheidung auch
begründet worden. Dem Bescheid ist ferner ein ordnungsgemäßes Verfahren
vorangegangen. Der Antrag auf Eröffnung des Verfahrens zur Feststellung des
sonderpädagogischen Förderbedarfs wurde am 19. November 2008 durch die
Grundschule S 00 in X gestellt. Das gemäß § 12 Abs. 1 AO-SF erforderliche
sonderpädagogische Gutachten ist – unter Beteiligung der gesetzlichen Vertreter des
Antragstellers gemäß § 12 Abs. 2 AO-SF – eingeholt worden (Gutachten vom 25. März
2009). Zuvor war das schulärztliche Gutachten nach schulärztlicher Untersuchung unter
dem 23. März 2009 erstellt worden. Mit Schreiben vom 2. Juni 2009 hat der
Antragsgegner die gesetzlichen Vertreter des Antragstellers gemäß § 12 Abs. 5 AO-SF
über die beabsichtigte Entscheidung informiert und zu einem Gespräch eingeladen.
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Der Bescheid ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand in materieller Hinsicht
offensichtlich rechtmäßig.
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Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SchulG werden Schüler, die wegen körperlicher, seelischer
oder geistiger Behinderung oder wegen erheblicher Beeinträchtigung des
Lernvermögens nicht am Unterricht einer allgemeinen Schule teilnehmen können, ihrem
individuellen Förderbedarf entsprechend sonderpädagogisch gefördert. Die
Voraussetzungen und das Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen
Förderbedarfs und zur Festlegung des Förderortes wird gemäß § 19 Abs. 3 SchulG
durch Rechtsverordnung bestimmt.
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Hieran anknüpfend bestimmt § 4 Nr. 1 AO-SF, dass Lern- und Entwicklungsstörungen
(Lernbehinderung, Sprachbehinderung, Erziehungsschwierigkeit) zu den
Behinderungen gehören, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf bedingen
können. In diesem Zusammenhang bestimmt § 5 Abs. 3 AO-SF, dass eine
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Erziehungsschwierigkeit vorliegt, wenn sich eine Schülerin oder ein Schüler der
Erziehung so nachhaltig verschließt oder widersetzt, dass sie oder er im Unterricht nicht
oder nicht hinreichend gefördert werden kann und die eigene Entwicklung oder die der
Mitschülerinnen und Mitschüler erheblich gestört oder gefährdet ist.
Ist ein sonderpädagogischer Förderbedarf gegeben, stellt die zuständige
Schulaufsichtsbehörde dies nach § 19 Abs. 2 SchulG, § 13 Abs. 1 AOSF fest und
entscheidet zugleich über den schulischen Förderort.
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Die Feststellung, ob ein sonderpädagogischer Förderbedarf besteht und wenn ja,
welcher Art dieser Förderbedarf ist, beurteilt sich in der Regel nach dem bisherigen
schulischen Werdegang. Die Ergebnisse sonderpädagogischer Gutachten werden
ergänzend und unterstützend dazu herangezogen.
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OVG NRW, Beschluss vom 11. August 1993 - 19 A 2010/93 -; VG Düsseldorf, Urteile
vom 3. Juli 1998 - 1 K 10427/97 -, 25. Oktober 1999 1 K 10413/97 - und
10. März 2000 1 K 6931/99 ; Beschlüsse vom 14. August 2000 - 1 L 2378/00 - und
18. September 2001 - 1 L 2407/01 -.
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Nach diesen Maßstäben ist die Feststellung des Antragsgegners, dass bei dem
Antragsteller ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt Emotionale
und soziale Entwicklung vorliegt, nicht zu beanstanden. Diese Entscheidung basiert auf
dem sonderpädagogischen Gutachten vom 25. März 2009, das schlüssig und
nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Antragsteller eine
Erziehungsschwierigkeit vorliegt.
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Zunächst ist bei der hier gebotenen summarischen Prüfung nicht ernstlich zweifelhaft,
dass sich der Antragsteller der Erziehung nachhaltig verschließt oder widersetzt.
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Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Gutachten vom 25. März 2009 (Bl. 37ff. der
Verwaltungsvorgänge). In Bezug auf das Sozial- und Emotionalverhalten wird
hervorgehoben, dass der Antragsteller "erhebliche Auffälligkeiten im Sozialverhalten"
zeige. Dort heißt es: "Er verfügt nicht über angemessene Methoden der
Kontaktaufnahme. Vielmehr geht er auf Kinder nur mit Provokationen zu. Er zeigt
erhebliche Auffälligkeiten in Bezug auf seine Gruppenfähigkeit. Seine
Kooperationsfähigkeit, sein Unrechtsbewusstsein und seine Kompromissbereitschaft
sind erheblich herabgesetzt. Seine emotionale Steuerung und Selbstkontrolle sind nicht
adäquat entwickelt. Während der Kleingruppenarbeit verringern sich die Störungen
erheblich. Allerdings fehlen ihm nach wie vor ausreichende Strategien zur
Konfliktvermeidung und –lösung." Hinsichtlich der Faktoren, die einen
sonderpädagogischen Förderbedarf bedingen, heißt es weiter: "N hat große
Schwierigkeiten, sich über einen angemessenen Zeitraum auf eine Sache zu
konzentrieren. Er zeigt eine hohe fluktuierende Aufmerksamkeit. Er kann nicht
angemessen an Aktivitäten und Routineabläufen teilnehmen. Er zeigt noch kein
altersadäquates Kommunikationsverhalten. Sein Regelverständnis und seine
Steuerungsfähigkeit sind nicht genügend ausgebildet. Er zeigt Wahrnehmungs- und
Konzentrationsstörungen."
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Diese Schlussfolgerungen decken sich mit denen des Berichts der Grundschule
(Schülerbogen zum AO-SF) für den Zeitraum von August 2007 bis Oktober 2008 (Bl.
52ff. der Verwaltungsvorgänge), den die Klassenlehrerin Frau X1 erstellt hat. Sowohl in
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diesem Bericht als auch in der Zusammenstellung der Konfliktsituationen und
Verhaltensauffälligkeiten, die sich über einen Zeitraum vom 7. Januar 2008 bis zum 25.
September 2008 (Bl. 62ff. der Verwaltungsvorgänge) erstreckt, wird das schulische
Verhalten des Antragstellers erkennbar, das von aggressiven Verhaltensweisen
gegenüber der Klassenlehrerin sowie gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern
gekennzeichnet ist (z.B. Werfen von Steinen auf andere Kinder, Schlagen ins Gesicht
von Kindern, schwere Beleidigungen unterschiedlichster Art, Treten der Klassenlehrerin
vor der gesamten Schulklasse sowie zahlreiche Störungen des Unterrichtsgeschehens).
Diesem Bericht ist zudem zu entnehmen, dass es dem Antragsteller bereits seit dem
Schulbeginn schwer falle, sich konfliktfrei in die Klassengemeinschaft einzufügen,
wobei es ihm "nur selten" gelingt, "sich an die für die Gemeinschaft unerlässlichen
Regeln des Miteinander zu halten".
Eine inhaltlich übereinstimmende Bewertung findet sich zudem in der Stellungnahme
vom 30. Oktober 2009 der derzeitigen Klassenlehrerin, Frau T, die den Antragsteller seit
dem Schulwechsel auf die Q-Schule zu Beginn des Schuljahres 2009/2010 unterrichtet.
Danach benötigt der Antragsteller viel Unterstützung im Unterricht, ist ungeduldig, wenn
ihm nicht sofort geholfen wird, benötigt Lehrerhilfe und hat Regelprobleme. Die soziale
Kompetenz und Frustrationstoleranz sei wenig ausgeprägt, wobei er fördertypische
Verhaltensweisen für Kinder mit emotional-sozialem Förderbedarf zeige.
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Entgegen der Ansicht des Antragstellers wird diese Beurteilung auch nicht durch das
schulärztlichen Gutachten vom 23. März 2009 grundlegend in Frage gestellt, wonach
dieser – wie von der Klassenlehrerin Frau X1 ebenfalls beschrieben – im Einzelkontakt
keine gravierenden Auffälligkeiten zeige. Denn auch die Schulärztin Frau Dr. I spricht
schließlich die Empfehlung aus, eine Beschulung in einer kleinen Gruppe vorzunehmen
und eine Betreuung in einem heilpädagogischen Hort anzustreben, da neben familiären
Erziehungsdefiziten Störungen des Sozialverhaltens vermutet werden könnten. Dessen
ungeachtet lassen sämtliche Berichte der mit dem Antragsteller befassten Lehrerinnen
nach vorstehenden Ausführungen keinen Zweifel daran aufkommen, dass sich der
Antragsteller jedenfalls in einer größeren Gruppe beziehungsweise in Rahmen einer
Schulklasse der Erziehung nachhaltig verschließt und widersetzt.
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Auch die weitere Voraussetzung des § 5 Abs. 3 AO-SF ist erfüllt. Angesichts der
vorliegenden Berichte steht außer Frage, dass der Antragsteller im Unterricht nicht
hinreichend gefördert werden kann und die Entwicklung bereits erheblich gestört ist und
weiter gestört werden wird, wenn er nicht auf eine Förderschule wechselt. Dazu heißt es
in dem sonderpädagogischen Gutachten vom 25. März 2009, dass der Antragsteller
aufgrund starker Aufmerksamkeitsdefizite und Merkfähigkeitsproblemen nur geringe
Fortschritte mache. Ausdrücklich wird hier herausgestellt, dass der Antragsteller über
eine durchschnittliche Intelligenz und eine altersgemäße Entwicklungsmöglichkeit
verfüge; aufgrund der geringen Mitarbeit, der hohen Konzentrations- und
Aufmerksamkeitsstörung jedoch damit gerechnet werden müsse, dass eine schulische
Lernanpassung auf Dauer erschwert werde. Aus der "Anlage zum Schülerbogen zum
AO-SF" (Bl. 60 der Verwaltungsvorgänge) wird deutlich, dass der Antragsteller bereits
zum Ende des 1. Schulbesuchshalbjahres die vorgegebenen Ziele zum großen Teil
nicht erreicht hat. Auch in der Folgezeit sei das eigene Fortkommen stark beeinträchtigt
gewesen. Seine nachhaltigen und zum Teil schwerwiegenden sozialen Auffälligkeiten
haben daher zur Folge, dass seine Erziehung in einem großen Klassenverband nicht
möglich und in diesem Rahmen eine Änderung seiner Verhaltensmuster nicht zu
erwarten ist. Lediglich ergänzend sei zudem darauf hingewiesen, dass durch das
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inakzeptable Verhalten des Antragstellers während des Unterrichts auch die
Mitschülerinnen und Mitschüler in ihren Lern- und Arbeitsprozessen erheblich gestört
werden, wie sich aus den vorliegenden Berichten ausdrücklich ergibt.
Nach allem spricht daher vieles dafür, dass die Feststellung einer
Erziehungsschwierigkeit im Sinne des § 5 Abs. 3 AO-SF nicht zu beanstanden ist. Dem
stehen auch nicht die von dem Antragsteller vorgebrachten Einwände entgegen. Diese
sind bereits weitgehend unsubstantiiert und schon von daher ungeeignet, die
Ergebnisse der im schulischen Alltag gewonnenen Erkenntnisse in Zweifel zu ziehen.
Hier dürfte in erster Linie der Wunsch der Eltern des Antragstellers im Vordergrund
stehen, ihr Kind auf einer Regelschule beschulen zu lassen; an einer inhaltlichen
Auseinandersetzung mit den gewonnenen Eindrücken der Lehrerinnen fehlt es jedoch –
trotz ausführlicher Erörterung der Sachlage in dem Erörterungstermin am 9. Dezember
2009 – gänzlich. Der pauschale Vorwurf, mit der Klassenlehrerin hätten bereits seit
Schulbeginn Kommunikationsschwierigkeiten bestanden, ist nicht nachzuvollziehen. Es
sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der von der Klassenlehrerin
vorgelegte Bericht über das Verhalten des Antragstellers keine objektive und
unbefangene Bewertung des schulischen Verhaltens des Antragstellers enthält.
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Nichts anderes ergibt sich aus den vom Antragsteller vorgelegten ärztlichen
Stellungnahmen. Nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen ist die Beantwortung der Frage, ob ein Schüler einer
sonderpädagogischen Förderung bedarf, durch einen den Schüler isoliert außerhalb der
Schule überprüfenden Gutachter in der Regel nicht zugänglich.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29. November 2004 – 19 A 3615/04 – und 11. Juni
2004 – 19 A 1982/04 –.
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Vor diesem Hintergrund richtet sich die Beantwortung der Frage, ob ein Schüler einer
sonderpädagogischen Förderung im angenommenen Förderschwerpunkt bedarf,
welche konkreten Fördermaßnahmen erforderlich sind und welcher Förderort geeignet
ist, grundsätzlich nach seinen in der Schule gezeigten Leistungen, seinem Lern- und
Arbeitsverhalten sowie seinem sonstigen schulischen Verhalten.
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Vgl. dazu die ständige Rechtsprechung des OVG NRW, z.B. im Beschluss vom 20.
Februar 2004 – 19 B 320/04 –, m.w.N.
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Ungeachtet dessen widerlegen die vom Antragsteller vorgelegten Befundberichte und
ärztlichen Stellungnahmen ohnehin nicht die durch die Lehrerinnen getroffenen
Feststellungen. Nach dem Ambulanzbericht des I1 Klinikums X vom 22. Oktober 2009
liegt die Diagnose "Visumotorische Koordinationsstörung (F 82.2), Normale Intelligenz
(F 70.0 A) und Ausschluss Aufmerksamkeitsstörung (F 90.0 A)" vor. Dort heißt es weiter,
dass sich "während der gesamten Abklärung bei unterschiedlichen Untersuchern ...
keine Verhaltensauffälligkeiten feststellen" ließen, "wobei das Arbeitsverhalten und
Testprofil ... eher gegen das Vorliegen eines ADHS" sprechen. Therapeutisch wird eine
gezielte ergotherapeutische Therapie empfohlen, welche sich "durchaus positiv auf
mögliche Verhaltensauffälligkeiten auswirken" könne. Selbst wenn der Antragsteller
während der vier Besuchstermine keine Verhaltensauffälligkeiten in der Einzelsituation
gezeigt hat, vermag dies das vom Antragsteller im schulischen Kontext gezeigte und
durch das umfangreiche Protokoll der Klassenlehrerin dokumentierte Verhalten nicht zu
relativieren.
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Gleiches gilt für das ärztliche Attest vom 30. Juni 2009 des Facharztes für
Kinderheilkunde und Jugendmedizin, U, der auf die Defizite in der Sprachentwicklung
sowie in der Wahrnehmungsfähigkeit Bezug nimmt. Zeitweilig geringe
Aufmerksamkeitsdefizite hätten zum größten Teil durch ergotherapeutische Maßnahmen
behoben werden können, so dass der Besuch einer Sonderschule "nicht angebracht
sei". Mangels näherer Darlegungen, anhand welcher Erkenntnisse der behandelnde
Arzt zu dieser Schlussfolgerung gelangt, kann dieser Stellungnahme ebenfalls nicht
entnommen werden, was gegen die Richtigkeit der Feststellungen in dem
sonderpädagogischen Gutachten vom 25. März 2009 sprechen könnte.
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Nichts anderes folgt aus der "Ergotherapeutischen Einschätzung" von Frau E vom 29.
Juli 2009, die im Übrigen auf einen bereits längere Zeit zurückliegenden
Behandlungszeitraum vom 20. Februar 2008 bis 22. September 2008 Bezug nimmt.
Denn auch dort heißt es ohne nähere Angabe von Gründen, zum damaligen Zeitpunkt
sei nicht angezeigt gewesen, den Antragsteller in eine Sonder- oder Förderschule
einzuschulen. Eine Auseinandersetzung mit der im schulischen Alltag gezeigten
Verhaltensweisen findet ebenfalls nicht statt, so dass es nach allem dabei verbleibt,
dass sich die Beurteilung hier nach dem in der Schule gezeigten Lern- und
Leistungsverhalten sowie nach dem sonstigen schulischen Verhalten richtet.
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Weiterhin spricht bei summarischer Prüfung ausgehend davon, dass bei dem
Antragsteller eine Erziehungsschwierigkeit vorliegt, alles für die Rechtmäßigkeit der von
dem Antragsgegner vorgenommenen Festlegung einer Förderschule mit dem
Förderschwerpunkt "Emotionale und soziale Entwicklung" als schulischen Förderort.
Dass der von dem Antragsgegner bestimmte Förderort nicht geeignet wäre, ist weder
von dem Antragsteller substantiiert geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Soweit der
Vater des Antragstellers in dem Erörterungstermin am 9. Dezember 2009 erklärt hat, an
der Förderschule sehe er aufgrund der zahlreichen verhaltensauffälligen Kinder das
Kindeswohl seines Sohnes gefährdet, vermag dieser Vortrag die Stellungnahme der
derzeitigen Klassenlehrerin Frau T nicht zu entkräften, die geschildert hat, aufgrund der
fördertypischen Verhaltensweisen des Antragstellers sei dieser an der Q-Schule, und
damit an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt "Emotionale und soziale
Entwicklung" als schulischen Förderort gut aufgehoben.
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Die Interessenabwägung im Übrigen geht auch zu Lasten des Antragstellers. Ein
besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung liegt
ebenfalls vor. Es liegt im öffentlichen Interesse, die Interessen des betroffenen Schülers
an einer optimalen schulischen Förderung zu wahren. Diese können nötigenfalls sogar
gegen den Willen seiner Erziehungsberechtigten durchzusetzen sein, so dass es
gerechtfertigt ist, die objektiven Interessen des betroffenen Schülers auch als öffentliche
Interessen im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen.
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Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschlüsse vom 3. September 2002 - 1 L
1250/02 -, und vom 30. Dezember 2002 - 1 L 4556/02 -.
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Käme der Klage aufschiebende Wirkung zu, wäre mit der Durchsetzung der
angefochtenen Entscheidung nach der derzeitigen durchschnittlichen Dauer
verwaltungsgerichtlicher Klage- und Rechtsmittelverfahren voraussichtlich in Kürze
nicht zu rechnen. Dann aber würde der Antragsteller weiterhin auf nicht absehbare Zeit
auf einer Schule belassen, die ihn nicht in hinreichender Weise zu fördern vermag.
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Damit wäre zu befürchten, dass sich Entwicklungsdefizite verstärken und vertiefen, die
nicht mehr behebbar sind. Es liegt im öffentlichen und darüber hinaus im eigenen
Interesse des Antragstellers an einer angemessenen Schulausbildung und einer
positiven Persönlichkeitsentwicklung, dass er ab sofort eine Schule besucht, die ihn in
seinen individuellen Fähigkeiten entsprechend fördern kann.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 2001 - 19 B 1341/01 -; vgl. ebenfalls OVG
NRW, Beschlüsse vom 27. August 2004 - 19 B 1516/04 - und - 19 E 876/04 -.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Im
Hinblick auf die Vorläufigkeit des Rechtsschutzes im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO
war der gesetzliche Auffangwert um die Hälfte zu reduzieren.
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