Urteil des VG Düsseldorf vom 17.03.2004
VG Düsseldorf: eltern, sozialhilfe, behinderung, form, unbestimmte dauer, freizeit, dienstzeit, gesellschaft, zukunft, behörde
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 20 K 222/02
Datum:
17.03.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
20 Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 K 222/02
Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für die
Zeit ab 1. Juli 2004 bis zum 30. Juni 2005 Eingliederungshilfe in Form
familienentlastender Dienste durch die Übernahme der laufenden
Kosten für eine Fachpflegekraft der M L" in Höhe von bis zu monatlich
3.150,00 Euro für bis zu 29 Stunden pro Woche zu gewähren. Die
Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht
erhoben werden. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der am 0.00. 1972 geborene Kläger, der nach einem bei der Geburt erlittenen
frühkindlichen Hirnschaden schwerstbehindert ist und u.a. an Sprachunfähigkeit, Tetra-
Spastik und Atethose leidet, ist auf einen Spezialrollstuhl mit Sitzschale angewiesen. Er
erhält Pflegegeld der Krankenkasse (Pflegestufe III) und wird von seinen Eltern gepflegt.
Seit September 1996 ist der Kläger tagsüber in der Werkstatt für Behinderte in L
beschäftigt. Der Versuch der Aufnahme in einem Pflegeheim scheiterte an der
komplexen Behinderung des Klägers in Verbindung mit der krankheitsbedingt erhöhten
emotionalen Sensibilität und seinen intellektuellen Fähigkeiten und führte
vorübergehend sogar zu einer Verschlechterung des Krankheitsbildes und zu
psychosomatischen Beschwerden. Seit September 2000 übernimmt der Beklagte auf
Antrag des Klägers im Wege der Eingliederungshilfe die Kosten für „familienentlastende
Dienste" durch Zivildienstleistende, die sich auf ca. 1.700 DM monatlich bei wöchentlich
38,5 Stunden belaufen.
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Im Juni 2001 beantragte der Kläger vertreten durch seine Betreuerin die
Kostenübernahme für die Freizeitbetreuung und -gestaltung durch eine Fachkraft bzw.
Teilfachkraft an Stelle eines Zivildienstleistenden. Die Kosten hierfür veranschlagte der
Kläger seinerzeit auf 3.000 bis 4.500,00 DM im Monat.
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Mit Bescheid vom 26. Juli 2001 lehnte der Beklagte die begehrte Kostenübernahme mit
der Begründung ab, dem notwendigen und sozialhilferechtlichen Bedarf sei bereits mit
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Bescheid vom 7. Juni 2001 entsprochen worden. Soweit vom derzeit in Anspruch
genommenen Anbieter - der „Q GmbH" - in Zukunft kein Zivildienstleistender zur
Verfügung gestellt werden könne, sei auf die grundsätzliche Möglichkeit der
Inanspruchnahme eines anderen Anbieters zu verweisen.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte nach beratender
Beteiligung sozial erfahrener Personen durch Widerspruchsbescheid vom 12.
Dezember 2001 zurück. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend, es werde
nicht in Abrede gestellt, dass der Kläger auf Hilfe eines familienentlastenden Dienstes
angewiesen sei. Entsprechende Hilfeleistungen seien allerdings bis Juni 2002 bewilligt
worden. Soweit anstatt der bisherigen Betreuung durch einen Zivildienstleistenden die
Betreuung durch eine Fachkraft bzw. Teilfachkraft begehrt werde, könne dem nicht
gefolgt werden. Der Kläger habe nicht überzeugend darlegen können, warum der
erforderliche Betreuungsaufwand nicht, wie in der Vergangenheit auch, durch einen
Zivildienstleistenden Gewähr leistet sei. Aufgabe der Sozialhilfe sei es, gegenwärtige
Notlagen zu beseitigen, was im vorliegenden Fall derzeit durch den Einsatz eines
Zivildienstleistenden Gewähr leistet sei. Auch Fach- bzw. Teilfachkräfte stünden
urlaubs-, krankheits- und ausbildungsbedingt nicht ständig zur Betreuung zur
Verfügung. Der Einlassung, zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei eine Betreuung durch
einen Zivildienstleistenden nicht mehr Gewähr leistet, könne insoweit keine
entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen werden. Auch aus amtsärztlicher
Sicht sei die Betreuung des Klägers durch bestimmte Fachkräfte nicht indiziert, weil
hierdurch eine Besserung des Krankheitsgeschehens nicht erwartet werden könne.
Wünschen des Hilfeempfängers, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richteten, solle nur
entsprochen werden, soweit diese angemessen seien. Die hier angekündigten Kosten
würden jedoch den Rahmen des Angemessenen sprengen und könnten daher nicht aus
Sozialhilfemitteln bezuschusst werden.
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Der Kläger hat am 10. Januar 2002 Klage erhoben.
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Er trägt unter Vorlage einer Bescheinigung des Fachpsychologen und
Psychotherapeuten A aus E vor: In der Vergangenheit habe die Dienstzeit der
Zivildienstleistenden mindestens 13 Monate betragen, sodass eine Betreuung über den
Verlauf eines Jahres im Großen und Ganzen Gewähr leistet gewesen sei. Die
erhebliche Verkürzung der Dienstzeit auf zunächst 10 und jetzt 9 Monate führe dazu,
dass die tatsächliche Betreuung über das Jahr nur während 8 bzw. 7 Monaten stattfinde.
Die vom Gesetzgeber gewünschte Einarbeitungszeit des „neuen" Zivildienstleistenden
von mindestens 2 Wochen sei beim jährlichen Wechsel schon lange nicht mehr
durchführbar und müsse jeweils durch die Eltern bzw. freiwillige Helfer wahrgenommen
werden. Demnach sei ihm während einer Zeit von ca. 4 Monaten im Jahr die Teilnahme
am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben verwehrt. Die - vom Beklagten in Betracht
gezogene - Möglichkeit eines Einsatzes von zwei Zivildienstkräften zur Abdeckung des
Gesamthilfebedarfs sei weder erforderlich noch gewünscht, weil sie lediglich zu einer
zeitgleichen Betreuung führe. Da die Zivildienstleistenden jeweils zur gleichen Zeit
ihren Dienst beginnen würden, sei auch bei einer solchen Gestaltung der Hilfe eine
kontinuierliche Betreuung nicht zu erreichen. Ohnehin seien Bewerber für diesen Dienst
nur schwer zu finden seien. Die begehrte Betreuung durch eine Fachkraft ziele darauf,
die Betreuung auf den ganzen Verlauf des Jahres gleichmäßig zu verteilen. Weder beim
Berufskolleg, noch bei der Fachhochschule O, beim DRK oder beim ASB sei eine
geeignete Betreuung zu erlangen. Lediglich die „M L" und die „Q GmbH" würden die
Betreuung durch einen Heilerziehungspfleger anbieten, wobei das Angebot der „M"
7
ungleich günstiger sei. Bei einer ¾ Stelle beliefen sich die Kosten auf 25,00 EUR die
Stunde, mithin bei 29 Stunden wöchentlich auf 3.150,00 EUR im Monat.
Der Kläger beantragt,
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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm für die Zeit ab 1. Juli 2004 bis zum
30. Juni 2005 Eingliederungshilfe in Form familienentlastender Dienste durch die
Übernahme der laufenden Kosten für eine Fachpflegekraft der „M L" in Höhe von
monatlich 3.150,00 Euro für 29 Stunden pro Woche zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf die Ausführungen in ihrem
Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2001 und hält die begehrte Hilfe für
unangemessen teuer.
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Entscheidungsgründe:
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Das Rubrum war von Amts wegen zu ändern, weil gemäß § 96 Abs. 1 BSHG die
kreisfreie Stadt und nicht der Oberbürgermeister Träger der Sozialhilfe ist. Ein
Rechtsverhältnis kann aber nur zwischen dem Kläger und dem Rechtsträger, nicht
hingegen zwischen dem Kläger und der für den Rechtsträger handelnden Behörde
festgestellt werden.
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Die zur Entscheidung gestellte Feststellungsklage ist zulässig.
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Der Kläger kann in dem vorliegenden Rechtsstreit zulässigerweise die Feststellung
eines Rechtsverhältnisses, nämlich eines Anspruchs auf Eingliederungshilfe, begehren.
Da die beabsichtigte Eingliederungsmaßnahme in naher Zukunft durchgeführt werden
soll, und das Rechtsverhältnis aus einem derzeit bereits feststehenden Sachverhalt
hergeleitet wird (die Dienstzeit des derzeit mit der Betreuung des Klägers beschäftigen
Zivildienstleistenden endet im Mai 2004), ist das Rechtsverhältnis hinreichend
konkretisiert,
16
vgl. im Einzelnen Kopp, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 43 Rdnr. 17 ff.
17
Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, weil der Beklagte den Bestand
des Rechtsverhältnisses bestreitet.
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Der Zulässigkeit steht nicht die Vorschrift des § 43 Abs. 2 VwGO entgegen. Nach dieser
Vorschrift kann die Feststellung (des Bestehens oder Nichtbestehens eines
Rechtsverhältnisses) nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch
Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies ist
indessen nicht der Fall.
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Insbesondere kann der Kläger seine Rechte nicht durch Erhebung der
Verpflichtungsklage verfolgen.
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Zunächst könnte der Kläger eine Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme von
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Kosten einer Fachpflegekraft für die Vergangenheit zulässigerweise nicht erstreiten. Die
Kosten für den tatsächlich mit der Betreuung befassten Zivildienstleistenden sind vom
Beklagten in der Vergangenheit vollständig übernommen worden. Irgendwelche weiter
gehende Kosten, zu deren Übernahme der Beklagte verpflichtet werden könnte, sind
bislang nicht angefallen. Denn der Kläger hat in der Vergangenheit wegen der
ungeklärten Kostenfrage gerade von einer Beauftragung der Fachpflegekraft
abgesehen. Ein möglicherweise in der Vergangenheit ungedeckt gebliebener
Betreuungsbedarf könnte nachträglich nicht mehr gedeckt werden.
Aber auch eine unmittelbare Verpflichtung des Beklagten zur zukünftigen
Kostenübernahme für eine Pflegekraft im Anschluss an die Beendigung der Betreuung
des Klägers durch den derzeit tätigen Zivildienstleistenden könnte gerichtlich nicht
ausgesprochen werden. Eine solche Klage mit dem Ziel, den Beklagten unmittelbar zur
zukünftigen Kostenübernahme für die beabsichtigte Maßnahme zu verpflichten, wäre
nämlich unzulässig.
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Grundsätzlich setzt die Verpflichtungsklage die vorherige Durchführung eines
Verwaltungsverfahrens und eines Widerspruchsverfahrens gemäß § 68 Abs. 1 VwGO
voraus. Hieran fehlt es jedoch vorliegend. Denn die Frage, ob der Kläger nach
Beendigung der Tätigkeit des Zivildienstleistenden ab Juli 2004 einen Anspruch auf
Übernahme der Kosten für eine Fachpflegekraft hat, war noch nicht Gegenstand eines
Verwaltungsverfahrens. Die hier in Rede stehenden Bescheide vom 26. Juli 2001 und
vom 12. Dezember 2001 befassen sich mit der Frage, ob der Kläger im damals
maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung einen Anspruch auf
Übernahme der Kosten für eine Fachpflegekraft hatte, nicht hingegen mit der Frage, ob
der Kläger ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen solchen Anspruch
haben wird. Das Gericht darf aber nicht über sozialhilferechtliche Ansprüche
entscheiden, über die der Sozialhilfeträger zuvor noch nicht befunden hat. Zum einen ist
die Sozialhilfe keine rentengleiche wirtschaftliche Dauerleistung mit
Versorgungscharakter; sie dient vielmehr im Regelfall dazu, eine gegenwärtige Notlage
zu beheben, und es ist nicht Sache der Verwaltungsgerichte, den Hilfefall unter
Kontrolle zu halten. Zum anderen ist das - insbesondere einer Filterwirkung dienende -
Vorverfahren im Sinne der §§ 68 ff. VwGO im Anwendungsbereich des
Bundessozialhilfegesetzes durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass vor dem
Erlass des Bescheides über den Widerspruch gegen die Ablehnung der Sozialhilfe
sozial erfahrene Personen beratend zu beteiligen sind (§114 Abs. 2 BSHG).
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 30.11.1966 - 5 C 29.66 - FEVS 14, 243 (244), vom 16.1.1986 -
5 C 36.84 -, FEVS 36, 1 (3) und vom 30.4.1992 - 5 C 1.88 - FEVS 43, 19, (21) sowie die
ständige Rechtsprechung der ehemaligen und derzeitigen Sozialhilferechtssenate des
OVG NRW, Urteil vom 26.10.1987 - 8 A 2385/86 - FEVS 37, 458 (459), Beschlüsse vom
27.5.1994 - 24 E 908/93 - FEVS 45, 377 (378), vom 31.8.1999 - 16 E 623/99 - und vom
9.2.2000 - 22 A 2010/99 -.
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Die zeitliche Fixierung des Gegenstands der gerichtlichen Nachprüfung gilt zwar nicht
uneingeschränkt. Sie greift nur ein, wenn die Behörde den Hilfefall auch tatsächlich den
üblichen Gepflogenheiten entsprechend geregelt hat, wobei der die Bewilligung oder
die Ablehnung betreffende Regelungszeitraum, auf den es maßgeblich ankommt, nicht
ausdrücklich benannt sein muss, sondern sich aus dem ergangenen Bescheid durch
Auslegung ergeben kann,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 1995 - 5 C 9.94 - FEVS 46, 221; OVG NW, Urteil
vom 20. Juni 2000 - 22 A 285/98 -.
26
Den hier in Rede stehenden Bescheiden lässt sich aber nicht entnehmen, dass die
Beklagte die Ablehnung der Sozialhilfegewährung auch für in der Zukunft liegende
Zeiträume verbindlich regeln wollte. Dahingehende Aussagen lassen sich den
Bescheiden nicht entnehmen. In dem Ablehnungsbescheid vom 26. Juli 2001 hat der
Oberbürgermeister der Beklagten sogar ausdrücklich auf seinen Bescheid vom 7. Juni
2001 Bezug genommen, durch den die Hilfegewährung für die Zeit vom 1. September
2000 bis zum 30. Juni 2001 geregelt worden war und hat insoweit ausgeführt, dass der
Bedarf des Klägers durch die Übernahme der Kosten für einen Zivildienstleistenden
gedeckt sei. Im Widerspruchsbescheid führte der Oberbürgermeister u.a. ausdrücklich
aus, dass der Einlassung, zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne eine Betreuung durch
einen Zivildienstleistenden nicht mehr Gewähr leistet werden, keine
entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen werde. Die in den angefochtenen
Bescheiden getroffene Regelung kann deshalb bei vernünftiger Würdigung nur
dahingehend verstanden werden, dass ein gegenwärtiger Bedarf nicht gesehen wurde
und etwaige zukünftige Bedarfslagen nicht Regelungsgegenstand sein sollten.
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Vorliegend kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass mit den Bescheiden vom
26. Juli 2001 und vom 12. Dezember 2001 eine zeitlich nicht beschränkte
Grundentscheidung getroffen worden ist. Derartige Grundentscheidungen, die von der
Behörde zu Vorfragen eines gesetzlich vorgesehenen Verwaltungsakts durch
selbstständigen Verwaltungsakt getroffen werden, werden auch im Sozialhilferecht als
unbedenklich angesehen, solange sie sich als Teilentscheidung im Rahmen des für den
Gesamtverwaltungsakt vorgesehenen Regelumfangs halten und wenn mit ihnen nicht
über die Sozialhilfebewilligung als solche entschieden wird.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. April 1994 - 24 A 4182/92 -.
29
Dann steht nämlich der Grundsatz, dass Leistungen der Sozialhilfe keine
rentengleichen Dauerleistungen sind, sondern Hilfen in einer bestimmten Notsituation,
nicht entgegen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.7.1998 - 5 C 2/97 - FEVS 48, 535 ff, sowie OVG NRW, Urteil
vom 20. Juni 2000 - 22 A 285/98 - m.w.N.
31
Ob die Behörde im Einzelfall von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ist durch
Auslegung zu ermitteln, wobei es nicht darauf ankommt, ob der betreffende
Sozialhilfeträger gedankliche Vorstellungen über "Grundbescheide" entwickelt hat und
damit "bewusst" zu einer strittigen Frage einen derartigen Bescheid erlassen wollte. Im
vorliegenden Fall verbietet sich jedoch eine Auslegung der angefochtenen Bescheide
dahingehend, dass seitens der Beklagten eine derartige Grundentscheidung getroffen
wurde. Die Beklagte - vertreten durch den Oberbürgermeister - hat ersichtlich die
Kostenübernahme für die begehrte Eingliederungshilfemaßnahme abgelehnt. Damit
betraf die von der Beklagten entschiedene Frage, ob die Betreuung des Klägers in
seiner Freizeit auf Kosten des Sozialhilfeträgers durch eine Fachkraft oder einen
Zivildienstleistenden erfolgen sollte, nicht etwa eine der Sozialhilfebewilligung
vorgelagerte Teilentscheidung, sondern stellte sich als Gesamtentscheidung über die
konkrete Eingliederungsmaßnahme dar.
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Der Kläger kann seine Rechte auch nicht mit der Fortsetzungsfeststellungsklage analog
§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO in effektiver Weise geltend machen. Denn mit der
Fortsetzungsfeststellungsklage kann lediglich die Feststellung begehrt werden, dass der
ablehnende Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist. Maßgeblich wäre insoweit die
Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung. Mithin käme es
entscheidend darauf an, ob in der Vergangenheit ein sozialhilferechtlich notwendiger
Bedarf ungedeckt geblieben ist. Dem Kläger geht es aber nicht um die Feststellung, ob
in der Vergangenheit ein Bedarf ungedeckt geblieben ist, sondern ob gegenwärtig bzw.
in naher Zukunft ein Bedarf sozialhilferechtlich notwendiger Bedarf ungedeckt zu
bleiben droht. Auf Grund der zeitlichen Weiterentwicklung des Falles hätte die
Feststellung einer rechtswidrigen Entscheidung in der Vergangenheit nicht notwendig
Aussagekraft in Bezug auf die gegenwärtige Bedarfslage. Umgekehrt liefe der Kläger
die Gefahr, dass - wenn sich die anspruchsbegründenden Umstände zwischenzeitlich
zu seinen Gunsten verändert hätten - diese Veränderungen bei der gerichtlichen
Entscheidung keine Berücksichtigung finden könnten.
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Nach alledem steht der in § 43 Abs. 2 VwGO niedergelegte Grundsatz der Subsidiarität
der Feststellungsklage ihrer Zulässigkeit im vorliegenden Fall nicht entgegen.
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Die Klage ist auch begründet.
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Das vom Kläger behauptete Rechtsverhältnis, nämlich die Verpflichtung der Beklagten
zur Übernahme der Betreuungskosten in der begehrten Form und dem behaupteten
Maß, ist gegeben. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf die begehrte
Hilfe.
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Zunächst ist festzuhalten, dass die Beklagte für die begehrte Hilfe zuständig ist, da der
Kläger mit der Übernahme von Kosten seiner Betreuung in der Freizeit eine Leistung zur
Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft begehrt.
37
Die Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) bestimmt,
dass nach dem Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen
Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, insbesondere Hilfe zur
Freizeitgestaltung und sonstigen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Anspruch
genommen werden können. Zuständig sind nach § 29 Abs. 2 SGB I die in den
vorangestellten Vorschriften genannten Leistungsträger. Zu diesen vorangestellten
Vorschriften gehört u.a. § 28 SGB I. Gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 2 c) SGB I kann nach dem
Recht der Sozialhilfe die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, insbesondere
auch Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Anspruch genommen werden.
Zuständig sind nach § 28 Abs. 2 SGB I die Kreise und kreisfreien Städte sowie anderer
Träger der Sozialhilfe. Auch aus §§ 5 Nr. 4, 6 Abs. 1 Nr. 7 des Neunten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB IX) folgt, dass die Beklagte für die hier in Rede stehenden
Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft der zuständige
Rehabilitationsträger ist, weil eine vorrangige Zuständigkeit (vgl. auch § 39 Abs. 5
BSHG) eines anderen in § 6 SGB IX aufgeführten Trägers nicht ersichtlich ist. Damit
richten sich die weiteren Leistungsvoraussetzungen gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IX und
§ 39 Abs. 4 S. 2 BSHG nach den für den Sozialhilfeträger geltenden Leistungsgesetzen,
hier namentlich nach dem Bundessozialhilfegesetz.
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Anspruchsgrundlage sind die §§ 39 Abs. 1 S. 1, 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG in der Fassung
des Artikel 15 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - SGB IX - (im Folgenden: BSHG
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n. F.) i.V.m. §§ 55 Abs. 1 und 2 Nr. 7, 58 Nr. 1 und 2 SGB IX.
Gemäß § 39 Abs. 1 S. 1 BSHG n. F. ist Personen, die durch eine Behinderung im Sinne
von § 2 Abs. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben,
eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind,
Eingliederungshilfe zu gewähren, wenn und solange nach der Besonderheit des
Einzelfalles, vor allem nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass
die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.
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Dass der Kläger, der infolge der erlittenen frühkindlichen Hirnschädigung an einer
massiven Tetra-Spastik und Atethose leidet, zu dem begünstigten Personenkreis mit
Anspruch auf Eingliederungshilfe gehört, kann keinen Zweifeln unterliegen und wird
vom Beklagten auch nicht bestritten. Der Kläger ist behindert im Sinne von § 2 Abs. 1
SGB IX, weil seine körperliche Funktion länger als sechs Monate von dem für das
Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher seine Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft beeinträchtigt ist. Infolge seiner Behinderung ist die Teilhabefähigkeit auch
wesentlich eingeschränkt, wie es in § 39 Abs. 1 S. 1 BSHG n. F. gefordert wird, denn die
Bewegungsfähigkeit des Klägers ist durch eine Beeinträchtigung des Stütz- oder
Bewegungssystems in erheblichem Umfange eingeschränkt, vgl. § 1 Nr. 1 der
Verordnung nach § 47 des Bundessozialhilfegesetzes (Eingliederungshilfe-
Verordnung).
41
Die wirtschaftlichen Voraussetzungen (§ 28 BSHG) für den Anspruch auf
Eingliederungshilfe sind ebenfalls gegeben. Da der Kläger volljährig ist, kommt es bei
der Bedürftigkeitsprüfung allein auf sein Einkommen und Vermögen, nicht hingegen auf
die wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Eltern an.
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Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Eingliederungshilfe
gegeben, so hat der Kläger - was die Beklagte auch nicht in Abrede stellt - grundsätzlich
einen Anspruch auf Eingliederungshilfe (§ 4 Abs. 1 BSHG). Dieser umfasst auch den
Anspruch auf solche Hilfen, die es ihm ermöglichen, wie ein Nichtbehinderter am
öffentlichen und kulturellen Leben teilzunehmen. Denn gemäß § 39 Abs. 3 S. 1 BSHG
ist es Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder
eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten
Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört nach S. 2 der Vorschrift vor
allem, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu
ermöglichen oder zu erleichtern.
43
Die vom Kläger begehrte Hilfe gehört zu den im - wie die verwendeten Formulierungen
„insbesondere" bzw. „vor allem" zeigen, ohnehin nicht abschließenden - Hilfekatalog
der §§ 55 Abs. 2, 58 SGB IX genannten Maßnahmen. Mit dem Tatbestandsmerkmal
„Teilhabe am Leben in der Gesellschaft" wird ein Ausgleichsziel gesetzt, das umfassend
zu verstehen ist. Begrifflich umfasst es jeglichen Gemeinschaftsbezug des Menschen
und richtet sich auf den Ausgleich aller im Einzelfall beeinträchtigten Fähigkeiten, die
erforderlich sind, um in Art und Maß an all den Kontakten und Betätigungen in der
Gesellschaft teil haben zu können, wie es üblicherweise von Nichtbehinderten gepflegt
wird,
44
vgl. Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB IX, Loseblattsammlung Stand VII/2002, § 55
Rdnr. 11.
45
Die damit verbundene Leistungsweite verdeutlicht auch die Vorschrift des § 29 Abs. 1
Nr. 3 g) SGB I, nach der insbesondere auch Leistungen zur Freizeitgestaltung und
sonstigen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Anspruch genommen werden
können. Da der Kläger ohne fremde Hilfe zur Freizeitgestaltung nicht in der Lage ist, hat
er einen Anspruch auf solche Hilfe.
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Allerdings ist gemäß § 4 Abs. 2 BSHG über Form und Maß der Sozialhilfe nach
pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, soweit dieses Gesetz das Ermessen nicht
ausschließt.
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Hinsichtlich der Form der Hilfe kommt hier nur - wie vom Kläger beantragt - eine
Geldleistung in Betracht.
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In Bezug auf das Maß der Hilfe gilt: Das Maß der Sozialhilfe richtet sich nach der
Besonderheit des Einzelfalles (§ 3 Abs. 1 S. 1 BSHG), vor allem nach der Person des
Hilfeempfängers. Das dem Sozialhilfeträger gemäß § 4 Abs. 2 BSHG eingeräumte
Ermessen gilt für Kann-, Soll-, aber auch für die Muss-Leistungen
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vgl. LPK, 6. Auflage 2003, § 4 Rdnr 22.
50
Dabei wird allerdings durch die genaue Bedarfsfeststellung die Leistung, auf die ein
Anspruch besteht, konkretisiert. An keiner Stelle gibt das Gesetz zu erkennen, dass der
Leistungsrahmen des notwendigen Lebensunterhaltes unausgefüllt bleiben dürfte.
51
vgl. BVerwG, Urteil vom 22. April 1970 - V C 98.69 - BVerwGE 35, 178.
52
Ein (Ermessens-)Spielraum besteht deshalb nur dann, wenn ein eindeutig bestimmter
Bedarf auf unterschiedliche Weise gleichermaßen befriedigt werden kann.
53
Vorliegend kommt es entscheidungserheblich also darauf an, ob der Bedarf des Klägers
an Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft mittels der Hilfe und Betreuung durch
einen Zivildienstleistenden angemessen und ausreichend befriedigt werden kann, oder
ob ein sozialhilferechtlich notwendiger Bedarf ohne die Betreuung durch eine Fachkraft
unbefriedigt bleibt. Nur wenn der Bedarf sowohl durch eine Fachkraft als auch durch
einen Zivildienstleistenden ausreichend gedeckt werden kann, stellt sich die Frage, ob
der Wunsch des Klägers nach einer besonderen Gestaltung der Hilfe (nämlich Hilfe in
Form einer Betreuung und Begleitung durch eine Fachkraft) angemessen ist, vgl. § 3
Abs. 2 S. 1 BSHG (Wunschrecht des Hilfeempfängers). Insoweit wäre dann noch zu
berücksichtigen, dass der Träger der Sozialhilfe gemäß § 3 Abs. 2 S. 3 BSHG solchen
Wünschen nicht zu entsprechen braucht, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen
Mehrkosten verbunden wäre.
54
Auf Grund des Akteninhalts und der ausführlichen Anhörung der Eltern des Klägers in
der mündlichen Verhandlung ist die Kammer zu der vollen Überzeugung gelangt, dass
einzig die Betreuung des Klägers in der von ihm begehrten Form (durch eine Fachkraft -
einen Heilerziehungspfleger) und in dem von ihm begehrten Umfang (29 Stunden in der
Woche) ausreichend und angemessen seinen Bedarf an Teilhabe am
gemeinschaftlichen und kulturellen Leben zu decken vermag. Die vom Beklagten
demgegenüber angebotene Hilfemaßnahme (Betreuung und Begleitung durch einen
Zivildienstleistenden) reicht auf Grund der hier vorliegenden Besonderheiten des
Einzelfalles zur Deckung des sozialhilferechtlich notwendigen Bedarfs nicht aus.
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Die Eltern des Klägers haben überzeugend dargelegt, dass dem Kläger auf Grund der
Struktur und der Organisation des Zivildienstes bei Betreuung durch einen
Zivildienstleistenden über einen Zeitraum von mehreren Monaten, bezogen auf ein Jahr,
Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft faktisch nicht zuteil wird und dass
ferner die Gefahr besteht, dass in naher Zukunft, nämlich nach Ablauf der Dienstzeit des
derzeit tätigen Zivildienstleistenden, ohne die begehrte Hilfe eine Betreuung in seiner
Freizeit nicht mehr sichergestellt ist.
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Insoweit haben die Eltern des Klägers schlüssig dargelegt, dass nach der Verkürzung
des Zivildienstes von zehn auf neun Monate wegen der notwendigen
Einarbeitungsphase, der Abwesenheit auf Grund von Schulungen und wegen des
Jahresurlaubs, der von den Zivildienstleistenden meist ans Ende der Dienstzeit gelegt
werde, eine Betreuung allenfalls über einen Zeitraum von sieben Monaten erfolge. Die
Eltern des Klägers haben ferner anschaulich die Schwierigkeiten geschildert, die derzeit
bestehen, einen Zivildienstleistenden zur Betreuung des Klägers zu erhalten. Die
Gründe hierfür sind von den Eltern des Klägers schlüssig vorgebracht worden und
finden sich durch die aktuelle Berichterstattung in der Tagespresse bestätigt. So
berichtet etwa die Westdeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 12. September 2003,
dass es immer mehr anerkannte Kriegsdienstverweigerer gebe, die den Zivildienst nicht
mehr antreten müssten, weil es zu viele Verweigerer für zu wenige Zivilstellen gebe.
Besetzt werden könnten nur 100.000 Stellen; für mehr Stellen sei im Bundeshaushalt
kein Geld bereitgestellt. So seien in Düsseldorf im Mai 2003 von 1.888
Zivildienstplätzen, die von 280 Organisationen angemeldet worden seien, nur 800
besetzt worden. Auch seien die staatlichen Zuschüsse für die einzelnen Stellen gekürzt
worden. Angesichts dieser Entwicklung erscheint es glaubhaft und nachvollziehbar,
dass Schwierigkeiten schon darin bestehen, überhaupt einen Zivildienstleistenden zur
Betreuung zugeteilt zu bekommen. Derartige Ungewissheit, ob die Betreuung des
Klägers nach dem Ablaufen der Dienstzeit des derzeit tätigen Zivildienstleistenden
Gewähr leistet ist, ist dem Kläger angesichts der Schwere seiner Behinderung und der
besonderen Anforderungen, die an die für ihn erforderliche Hilfe zu stellen sind, nicht
zumutbar.
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Aber selbst, wenn es dem Kläger gelänge, rechtzeitig einen Nachfolger zu finden, wäre
sein Hilfebedarf hierdurch nicht ausreichend gedeckt. Wie die Eltern des Klägers
nachvollziehbar vorgetragen haben, besteht die Schwierigkeit der Betreuung des
Klägers insbesondere darin, dass der Kläger einerseits nur mit Mimik und mit Hilfe von
Lauten kommunizieren kann, andererseits jedoch im Besitz überdurchschnittlicher
geistiger und intellektueller Fähigkeiten ist. Dies führt dazu, dass er besonders
aufmerksam die ihm zuteil werdende Hilfe beobachtet, diesbezüglich auch Ansprüche
stellt, die er jedoch nicht bzw. nur schwer artikulieren kann, und dass er eine
unzureichende Hilfestellung, beispielsweise durch ungeübte oder ungeschickte
Handgriffe, als besonders schmerzlich empfindet. Darüber hinaus wird in der vom
Kläger vorgelegten Bescheinigung des Fachpsychologen und Psychotherapeuten A
ausgeführt, dass der Kläger durch die Konstellation seiner massiven Körperbehinderung
und Sprachunfähigkeit bei Erhalt der intellektuellen Funktionen und einer hohen
sensorischen und emotionalen Sensibilität an einer signifikant erhöhten Sensibilität
gegenüber sozialen Bindungsverlusten leidet. Infolge der weiteren Verkürzung des
Zivildienstes, dessen grundsätzliche Abschaffung derzeit auf politischer Ebene
diskutiert wird, müsste der Kläger sich bei einer weiteren Betreuung durch
Zivildienstleistende zunehmend auf einen häufigen Wechsel der Betreuungsperson
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einrichten, was ihm erhebliche Schwierigkeiten bereitet und bei der Teilhabe am Leben
in der Gemeinschaft durch Freizeitgestaltung hinderlich wirken würde. Wie die Eltern
des Klägers geltend machen, gehört es gerade zum Krankheitsbild des Klägers, dass er
sich gegen Neuerungen sperrt. Schlüssig und für die Kammer nachvollziehbar ist
zudem, dass angesichts der besonderen Anforderungen, die an die Betreuung des
Klägers zu stellen sind, für jeden Zivildienstleistenden eine längere Einarbeitungszeit
vonnöten ist, welche die zur Verfügung stehende Betreuungszeit zusätzlich vermindert.
Demgegenüber bietet die Betreuung durch eine ausgebildete Fachkraft
(Heilerziehungspfleger) den Vorteil, dass die Betreuungsperson bereits umfassend
geschult und eher in der Lage sein wird, auf die Bedürfnisse des Klägers in geeigneter
Form einzugehen und Hilfestellung auch bei den im Rahmen der Freizeitgestaltung
erforderlichen körperlichen Verrichtungen (z.B. Setzen in den und aus dem Rollstuhl;
Korrektur der Sitzhaltung, Hilfe beim Essen und Trinken während der Freizeitgestaltung;
Hilfe bei der Nutzung von Verkehrsmitteln) zu leisten.
Die Kammer kann sich ferner dem Einwand der Betreuerin des Klägers nicht
verschließen, dass die Hilfe durch einen Zivildienstleistenden bei der Freizeitgestaltung
zwar früher geeignet gewesen sein mag, heute jedoch auf Grund des zunehmenden
Alters des Klägers immer weniger sachgerecht erscheint. Denn die Zivildienstleistenden
sind in der Regel zu Beginn ihrer Dienstzeit im Alter zwischen 19 bis Anfang 20.
Hingegen hat der Kläger mittlerweile sein 31. Lebensjahr vollendet. Infolge dieses
signifikanten Altersunterschiedes ist die Möglichkeit und Fähigkeit der
Zivildienstleistenden, die Freizeit für und mit dem Kläger altersgerecht aktiv zu
gestalten, deutlich herabgesetzt.
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Die vom Beklagten aufgezeigte Alternative einer Betreuung durch eine angelernte
Hilfskraft in Festanstellung vermag die Hilfe ebenfalls nicht bedarfsgerecht
sicherzustellen. Diesbezüglich haben die Eltern des Klägers schlüssig vorgetragen,
dass gerade bei diesem Personal eine hohe Fluktuation besteht und dass infolge der
verkürzten Kündigungsfrist eine kontinuierliche Betreuung des Klägers gerade nicht
sichergestellt wäre, sondern im Gegenteil eine häufiger Wechsel der Betreuungsperson
zu befürchten ist. Zudem sind Zweifel angebracht, ob angelernte Hilfskräfte mit der
Betreuung des Klägers nicht überfordert wären. Jedenfalls haben die Eltern des Klägers
in der mündlichen Verhandlung vom heutigen Tage auch geäußert, dass seitens der
hilfeleistenden Einrichtungen in Fällen der vorliegenden Art nur ungern ungelernte
Hilfskräfte eingesetzt würden. Im Übrigen haben die Eltern des Klägers durch Vorlage
des Angebotschreibens der „Q GmbH" schlüssig dargelegt, dass eine Betreuung durch
eine Hilfskraft sogar teurer wäre, als die Betreuung durch eine Fachkraft der „M L", mit
der die Eltern des Klägers nach eigenem Bekunden ein günstiges Angebot
ausgehandelt haben.
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Dem Anspruch des Klägers kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Hilfe
„unwirtschaftlich" wäre. Ob eine derartige Begrenzung des Leistungsanspruchs analog
zum Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung jedenfalls dann in Betracht gezogen
werden kann, wenn keine begründbare Relation zwischen Kosten und dem
angestrebten Erfolg besteht,
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vgl. dazu (ablehnend) Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB IX, Loseblattsammlung Stand
VII/2002, § 55 Rdnr. 17,
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kann vorliegend dahingestellt bleiben, weil die vom Kläger begehrte Hilfe zwar
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einerseits aufwändig ist, andererseits jedoch die Behinderung in erheblichem Maß (und
keinesfalls nur in geringfügigem Maß) auszugleichen vermag.
Die Kammer hat ferner keine Zweifel, dass eine Tätigkeit der Fachkraft für 29 Stunden
wöchentlich geeignet, aber auch erforderlich und angemessen ist, den Bedarf des
Klägers an Hilfe bei der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu decken. Soweit
die Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung von einer Obergrenze von
ca. 12 Stunden (3x wöchentlich 4 Stunden) ausgegangen sind, vermag dem die
Kammer auch nicht annähernd zu folgen. Zutreffend ist allerdings, dass ein Anspruch
auf Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben nur soweit besteht,
als die Hilfe erforderlich und geeignet ist, den gesellschaftliche Kontakt des behinderten
Menschen in dem Maß zu fördern, wie er auch unter Nichtbehinderten üblich ist.
Deshalb wird die Hilfe im Regelfall nicht den täglichen Besuch kultureller Einrichtungen
oder gesellschaftlicher Veranstaltungen umfassen,
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vgl. hierzu VGH Kassel, Urteil vom 26. Mai 1992 - 9 UE 52/89 - FEVS 43, 128 zu §§ 19
Nr. 2, 22 Nr. 2 EingliederungsVO in der früheren, bis zum Inkrafttreten des SGB IX
geltenden Fassung.
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Ferner umfasst der Anspruch auf Eingliederungshilfe nicht die Hilfe für die
gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, wie
z.B. Essen, Trinken, Inhalieren und Toilettengänge, für die Hilfe zur Pflege nach §§ 68 ff
BSHG zu gewähren ist.
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Aber auch wenn die pflegerischen Tätigkeiten der Betreuungsperson (etwa Hilfe beim
Abendessen oder beim Inhalieren) außer Acht gelassen werden und wenn ferner
zugrundegelegt wird, dass der Kläger wie ein Nichtbehinderter nicht täglich
gesellschaftliche oder kulturelle Einrichtungen oder Veranstaltungen besucht, so steht
zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger wöchentlich mindestens 29 Stunden
Hilfe bei der Freizeitgestaltung benötigt. Soweit die Beklagte die Hilfe zur
Freizeitgestaltung auf wöchentlich 3 x 4 Stunden begrenzt sehen möchte, übersieht sie,
dass der Kläger überhaupt nicht, auch nicht zeitweise, in der Lage ist, seine Freizeit
selbstständig und ohne fremde Hilfe zu gestalten. Die Notwendigkeit der
Freizeitgestaltung besteht aber in all denjenigen Stunden des Tages, in denen der
Kläger nicht in der Werkstatt für Behinderte beschäftigt ist und betreut wird, oder in
denen er - wie in den späten Abend- und in den Nachtstunden - gepflegt wird, und sie
beschränkt sich auch nicht auf die Teilnahme an Veranstaltungen oder den Besuch von
Einrichtungen. Im Gegensatz zu einem Nichtbehinderten, der die Möglichkeit und
Fähigkeit hat, sich in seiner Freizeit auch allein, etwa mit Lesen, Schreiben, Spielen,
Sport, Rundfunkhören, Fernsehen oder Musizieren zu beschäftigen, ist der Kläger bei
sämtlichen Aktivitäten auf fremde Hilfe angewiesen, denn auf Grund seiner Behinderung
ist er nicht einmal in der Lage, die Fernbedienung eines TV- oder Rundfunkgerätes
selbstständig zu betätigen. Zwar ist es dem Kläger zumutbar, Hilfe bei der
Freizeitgestaltung auch von seinen Eltern entgegenzunehmen. Diese Hilfe wird von
seinen Eltern im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Belastbarkeit auch angeboten.
Indessen darf nicht verkannt werden, dass der Vater des Klägers berufstätig ist und die
Eltern ohnehin schon mit der Pflege des Klägers stark belastet sind. Zudem erscheint es
der Kammer nachvollziehbar, dass der über 30 Jahre alte Kläger das zur
Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung wichtige und deshalb anerkennenswerte
Bedürfnis hat, sich zunehmend von seinen Eltern abzugrenzen und die Freizeit
unabhängig von ihnen zu gestalten. Würde man ihm fremde Hilfe bei diesen
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(alltäglichen) Tätigkeiten nicht zuteil werden lassen, so wäre die dem Kläger gewährte
Hilfe an den überwiegenden Tagen in der Woche und an den Wochenenden auf die
Hilfe zur Pflege und - soweit die Hilfe nicht durch die schon mit der Pflege stark
belasteten Eltern geleistet wird - auf eine bloße Verwahrung beschränkt. Dies ist
ersichtlich nicht Sinn der Eingliederungshilfe. Legt man zu Grunde, dass der Kläger
montags bis donnerstags bis 15.45 Uhr und freitags bis 15.00 in der Werkstatt für
Behinderte beschäftigt ist, und dass eine Freizeitgestaltung durch eine Pflegekraft
lediglich bis 19.45 Uhr bzw. bis 19.00 Uhr erfolgen soll, so errechnen sich allein
werktäglich bereits 20 Stunden Betreuungsbedarf in der Freizeit. Ferner erscheint der
Kammer eine Hilfe bei der Freizeitgestaltung am Wochenende für die Dauer von 5
Stunden täglich nicht zu hoch gegriffen, sodass sich ein Bedarf von sogar 30 Stunden
wöchentlich errechnet.
Die Argumentation der Beklagten, der Kläger benötige Hilfe zur Freizeitgestaltung in
einem zeitlich weitaus geringerem Maß als begehrt, erscheint vor dem Hintergrund,
dass in der Vergangenheit stets ein Hilfebedarf bei der Freizeitgestaltung im Umfang
von wöchentlich 38,5 Stunden anerkannt wurde, nicht plausibel. Zwar darf es dem
Sozialhilfeträger nicht verwehrt sein, eine in der Vergangenheit fehlerhafte
Einschätzung des Hilfebedarfs zu korrigieren. Indessen ist hierzu von der Beklagten
eine derartige Fehleinschätzung nicht vorgetragen worden. Es drängt sich deshalb die
Vermutung auf, dass die Begrenzung der für erforderlich gehaltenen Stundenzahl bei
der Hilfe zur Freizeitgestaltung allein aus Gründen der Kostenersparnis bzw.
Kostenbegrenzung heraus erfolgt, nicht hingegen am konkreten Hilfebedarf im Einzelfall
orientiert ist.
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Nach alledem steht dem Kläger der behauptete Anspruch auf (Eingliederungs-) Hilfe zur
Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch die Betreuung mittels eines
Heilerziehungspflegers in einem Umfang von wöchentlich bis zu 29 Stunden zu. Die
hieraus resultierenden Kosten in Höhe von monatlich bis zu 3.150,00 EUR sind deshalb
vom Beklagten als zuständiger Rehabilitationsträger zu übernehmen. Der Beklagte
bestreitet zu Unrecht das Bestehen dieses Anspruchs.
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Die Kammer sah sich allerdings daran gehindert, das Bestehen des
Rechtsverhältnisses auf unbestimmte Dauer festzustellen. Da die Sozialhilfe keine
rentengleiche Dauerleistung darstellt und sich die tatsächlichen Verhältnisse (z.B. die
maßgeblichen Einkommens- und/oder Vermögensverhältnisse des Klägers;
Geeignetheit der Hilfemaßnahme) immer wieder ändern können, besteht das Bedürfnis,
einen Zeitraum zu bestimmen, nach dessen Ablauf die Hilfegewährung einer erneuten
Überprüfung zu unterziehen sein wird. Bei der Bestimmung dieses Zeitraums hat sich
die Kammer an der bisherigen Verwaltungspraxis der Beklagten orientiert, die eine
Hilfegewährung immer befristet auf ein Jahr ausgesprochen hat. Dieser Notwendigkeit
ist durch den von der Kammer gemäß § 86 Abs. 3 VwGO angeregten und vom Kläger
gestellten Antrag Rechnung getragen worden.
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Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass sich in dem von der Kammer bestimmten
Zeitraum die Verpflichtung der Beklagten auf die Kostenübernahme tatsächlich
geleisteter Betreuungsstunden beschränkt. So wird die Kostentragungspflicht in den
Zeiten, in denen eine Freizeitgestaltung nicht stattfindet (z.B. Urlaubsabwesenheit des
Klägers oder Erkrankung der Pflegefachkraft) entfallen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
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