Urteil des VG Düsseldorf vom 26.04.2005

VG Düsseldorf: aufschiebende wirkung, entziehung, beratung, ablieferung, vollziehung, geschwindigkeitsüberschreitung, ermessen, sicherheit, verwarnung, familie

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 6 L 488/05
26.04.2005
Verwaltungsgericht Düsseldorf
6. Kammer
Beschluss
6 L 488/05
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die
Fahrerlaubnisentziehungsverfügung des Antragsgegners vom 28. Februar 2005
anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - hat ein Widerspruch
grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO entfällt diese
unter anderem dann, wenn ein Bundesgesetz dies vorschreibt. Dies ist hier der Fall. Nach
§ 4 Abs. 7 Satz 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) haben Widerspruch und
Anfechtungsklage gegen eine auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützte Entziehung der
Fahrerlaubnis keine aufschiebende Wirkung. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht
jedoch auf Antrag im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der
beantragten Aussetzung der Vollziehung das gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse
an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt.
Diese Ermessensentscheidung muss vorliegend zu Ungunsten des Antragstellers
ausfallen, denn beim gegenwärtigen Sachstand und der im Rahmen des Verfahrens nach §
80 Abs. 5 VwGO allein gebotenen summarischen Prüfung liegen überwiegende
Anhaltspunkte dafür vor, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis sich im Widerspruchs- und
gegebenenfalls folgenden Klageverfahren als rechtmäßig erweisen wird.
Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG wird die Ungeeignetheit zum Führen von
Kraftfahrzeugen unwiderlegbar vermutet, wenn sich nach dem in § 4 Abs. 1 und Abs. 2
StVG normierten Punktsystem achtzehn oder mehr Punkte aufgrund von
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StVG normierten Punktsystem achtzehn oder mehr Punkte aufgrund von
Verkehrszuwiderhandlungen dieses Fahrerlaubnisinhabers ergeben. In diesem Fall hat die
Straßenverkehrsbehörde dem Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis zu entziehen; ein
Ermessen steht ihr dabei nicht zu.
Nach § 65 Abs. 4 Satz 2 StVG richten sich die Maßnahmen dann, wenn - wie hier - zu vor
dem 1. Januar 1999 begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten weitere
Ordnungswidrigkeiten hinzutreten, die ab dem 1. Januar 1999 begangen worden sind,
insgesamt nach dem Punktsystem des § 4 StVG.
Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG liegen vor. Auf der Grundlage der -
auch für die vor dem 1. Januar 1999 begangenen Verstöße anwendbaren - Anlage 13 zu §
40 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV)
vgl. hierzu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW),
Beschluss vom 2. Februar 2000 - 19 B 1886/99 -, NZV 2000, S. 219 ff.
hat der Antragsteller eine Gesamtpunktzahl von achtzehn erreicht, ohne dass er gemäß § 4
Abs. 5 StVG so zu stellen wäre, als hätte er weniger als achtzehn Punkte.
Vorliegend hat der Antragsgegner den Antragsteller durch Schreiben vom 23. April 2002
unter Zugrundelegung von zehn Punkten aufgrund von in der Zeit vom 29. Januar 1997 bis
zum 15. Oktober 2001 begangenen und rechtskräftig geahndeten
Verkehrszuwiderhandlungen verwarnt und ihn auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem
Aufbauseminar für verkehrsauffällig gewordene Kraftfahrer hingewiesen.
Nachdem dem Antragsgegner in der Folgezeit weitere von dem Antragsteller zwischen
dem 14. Mai 2002 und dem 6. Juni 2003 begangene und rechtskräftig geahndete
Verkehrsauffälligkeiten bekannt geworden waren, die unter Berücksichtigung
zwischenzeitlich eingetretener Tilgung zweier am 29. Januar 1997 und am 1. September
1998 begangener Verkehrszuwiderhandlungen zu vierzehn Punkten im
Verkehrszentralregister geführt hatten, ordnete der Antragsgegner gegenüber dem
Antragsteller durch Schreiben vom 19. Januar 2004 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG
an, an einem Aufbauseminar für verkehrsauffällig gewordene Kraftfahrer teilzunehmen, ihm
die Bescheinigung über die erfolgreiche Teilnahme an diesem Aufbauseminar bis zum 19.
April 2004 vorzulegen, wies den Antragsteller darauf hin, dass der die Möglichkeit habe, an
einer verkehrspsychologischen Beratung teilzunehmen, und unterrichtete ihn darüber, dass
ihm bei Erreichen von achtzehn Punkten die Fahrerlaubnis entzogen werden müsse.
Der Antragsteller, der von der eingeräumten Möglichkeit der Teilnahme an einer
verkehrspsychologischen Beratung keinen Gebrauch machte, hat die Voraussetzungen
des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG erfüllt, indem er nach Begehung zweier weiterer
rechtskräftig geahndeter und mit insgesamt vier Punkten im Verkehrszentralregister zu
bewertender Verkehrsordnungswidrigkeiten (Geschwindigkeitsüberschreitung um 27 km/h
am 16. Dezember 2003 und Geschwindigkeitsüberschreitung um 23 km/h am 30. Juni
2004) eine Gesamtpunktzahl von achtzehn Punkten erreicht hat. Die Regelungen des § 4
StVG sind - wie dargelegt - zwingend und räumen den Fahrerlaubnisbehörden kein
Ermessen ein. § 4 StVG enthält ein abgestuftes System von Maßnahmen, durch die dem
Inhaber einer Fahrerlaubnis die Möglichkeit des Abbaus von Fehlverhaltensweisen eröffnet
wird. Zur Entziehung der Fahrerlaubnis kommt es nach diesem System nur bei jener
kleinen Minderheit von Kraftfahrzeugführern, bei denen die vorausgehenden Maßnahmen
keine dauerhaften Verhaltensänderungen bewirken und die sich damit als nicht
besserungsfähig oder -willig erwiesen haben. Diese müssen die mit der Entziehung der
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Fahrerlaubnis im Interesse der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs verbundenen
Nachteile hinnehmen. Auf Besonderheiten einzelner geahndeter Straftaten bzw.
Ordnungswidrigkeiten kommt es insoweit nicht an, weil die Fahrerlaubnisbehörde gemäß §
4 Abs. 3 Satz 2 StVG an die rechtskräftigen Entscheidungen hierzu gebunden ist.
Aus dem Umstand, dass die der Verwarnung des Antragsgegners vom 23. April 2002
zugrunde gelegten Verkehrsordnungswidrigkeiten vom 29. Januar 1997 und vom 1.
September 1998 dem Antragsteller im Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen
Fahrerlaubnisentziehungsverfügung des Antragsgegners vom 28. Februar 2005 wegen
zwischenzeitlich eingetretener Tilgungsreife nicht mehr vorgehalten werden dürfen, vermag
der Antragsteller nichts zu seinen Gunsten herzuleiten, da es für das Ergreifen der
Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG auf die Verwertbarkeit von
Verkehrsauffälligkeiten zum Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahmen ankommt und die
Tilgung der genannten Verkehrsordnungswidrigkeiten nie dazu geführt hat, dass weniger
als vierzehn Punkte zu berücksichtigen waren.
Vgl. zur Frage der Erforderlichkeit einer erneuten Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
StVG in einem solchen - hier nicht vorliegenden - Fall OVG NRW, Beschluss vom 21. März
2003 - 19 B 337/03 -.
Im Hinblick darauf, dass bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1
Nr. 3 StVG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs kraft Gesetzes entfällt, bedurfte
es entgegen der Auffassung des Antragstellers keiner Begründung der Anordnung der
sofortigen Vollziehung im Sinne des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
Soweit sich der Antragsteller darauf beruft, dass er auf die Fahrerlaubnis beruflich
angewiesen sei und ohne die Fahrerlaubnis den Lebensunterhalt für sich und seine
Familie nicht sicherstellen könne, ist darauf hinzuweisen, dass gerade Kraftfahrzeugführer,
die ihre Fahrerlaubnis zur Ausübung ihres Berufes benötigen, gehalten sind, die
Verkehrsvorschriften gewissenhaft einzuhalten, um den Bestand ihrer Fahrerlaubnis nicht
zu gefährden.
Die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung des Antragsgegners vom 28. Februar 2005
begegnet daher bei summarischer Prüfung insgesamt keinen Bedenken mit der Folge,
dass der Antragsteller gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV zur unverzüglichen Ablieferung
seines Führerscheins bei dem Antragsgegner verpflichtet ist.
Der Vollständigkeit halber weist das Gericht darauf hin, dass gemäß § 4 Abs. 10 Satz 1
StVG eine neue Fahrerlaubnis frühestens sechs Monate nach Wirksamkeit der Entziehung
nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG erteilt werden darf, wobei gemäß § 4 Abs. 10 Satz 2
StVG die Frist mit der Ablieferung des Führerscheins beginnt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2
Gerichtskostengesetz (GKG). Das Interesse an der Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alte
Bezeichnung) wird in Klageverfahren nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer mit
dem Auffangwert des GKG angesetzt. In Verfahren betreffend die Gewährung vorläufigen
gerichtlichen Rechtsschutzes ermäßigt sich der ab 1. Juli 2004 zu berücksichtigende
Betrag von 5.000,-- Euro um die Hälfte.