Urteil des VG Düsseldorf vom 23.10.2006

VG Düsseldorf: englisch, schriftliche prüfung, hochschulreife, zeugnis, schule, gutachter, prüfer, neubewertung, lehrer, rechtsschutzinteresse

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 K 4456/05
Datum:
23.10.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 K 4456/05
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des den Kläger betreffenden
Zeugnisses der Allgemeinen Hochschulreife vom 21. September 2005
und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 5.
September 2005 verpflichtet, dem Kläger unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichtes ein neues Zeugnis der Allgemeinen
Hochschulreife auszustellen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger war bis zum Ende des Schuljahres 2003/2004 Schüler der beklagten Schule
und legte dort die Allgemeine Hochschulreife ab. In dem entsprechenden Zeugnis vom
26. Juni 2004 wurde eine Durchschnittsnote von 1,5 berechnet. Grundlage war u.a. das
Ergebnis der schriftlichen Prüfung in dem Fach Englisch, die mit ausreichend (minus) (4
Punkte) bewertet worden war.
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Gegen diese Bewertung hatte der Kläger mit Schreiben vom 5. Juli 2004 Widerspruch
erhoben, mit dem er unter Vorlage zweier von ihm in Auftrag gegebenen Privatgutachten
darlegte, dass die in der vorgenannten Englischklausur vorgenommenen Korrekturen
und Bewertungen zum Teil unzutreffend seien und von daher die erteilte Note
ausreichend (minus) auch nicht ansatzweise sein tatsächliches Leistungsvermögen
abbilde.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2005 setzte die Bezirksregierung E die
Note der Abiturklausur im Fach Englisch mit „ausreichend plus" (6 Punkte) neu fest und
kündigte an, dass die Schule ein entsprechend geändertes Zeugnis ausstellen werde.
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Der darüber hinausgehende Widerspruch wurde zurückgewiesen. Zur Begründung der
Notenanhebung wurde angegeben, dass die Arbeit insgesamt nicht mehr im defizitären
Bereich anzusiedeln sei, wenn man die Anspruchshöhe von Textvorlage und
Aufgabenstellungen in Betracht ziehe und bei der Schülerleistung anerkenne, dass
durchaus wesentliche Teile des Inhaltshorizontes - bisweilen in Ansätzen - aus den
ausformulierten Leistungserwartungen zu erkennen seien.
Auf der Grundlage der Entscheidung der Bezirksregierung E stellte die beklagte Schule
unter dem 21. September 2005 ein geändertes Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife
aus und gab als Prüfungsergebnis für die schriftliche Prüfung in dem Fach Englisch eine
Bewertung von 6 Punkten an. Die Durchschnittsnote blieb unverändert.
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Mit seiner am 10. Oktober 2005 erhobenen und im wesentlichen wie im
Widerspruchsverfahren begründeten Klage beantragt der Kläger sinngemäß,
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den Beklagten unter Aufhebung des Zeugnisses der Allgemeinen Hochschulreife vom
21. September 2005 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 5.
September 2005 zu verpflichten, entsprechend der Rechtsauffassung des Gerichtes
erneut über die schriftliche Abiturarbeit in dem Fach Englisch einschließlich der
festgesetzten Durchschnittsnote in dem Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes zu befinden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er bezieht sich im wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E
vom 5. September 2005. Darüber hinaus ist er der Ansicht, dass dem Kläger ein
Rechtsschutzinteresse für das Verfahren fehle.
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Aufgrund gerichtlichen Beweisbeschlusses vom 9. Mai 2006 ist ein Sachverständiger
beauftragt worden zu klären, ob die Einzelbewertungen der Aufsichtsarbeit des Klägers
in dem Fach Englisch vom 5. Mai 2004 zutreffend sind oder ob die von dem Kläger
vorgenommene Bearbeitung entgegen den jeweiligen Einzelbewertungen durch die
Korrektoren zutreffend oder zumindest vertretbar waren. Mit der Erstellung des
Gutachtens ist Herr Oberstudienrat G beauftragt worden. Wegen des Ergebnisses wird
auf das unter dem 15. Juni 2006 erstellte Gutachten Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
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Entgegen der Ansicht des Beklagten ist ein Rechtsschutzinteresse des Klägers für die
Durchführung dieses Verfahrens gegeben. Denn sollte sich die Korrektur der
Englischarbeit als fehlerhaft erweisen, ist es nicht ausgeschlossen, dass bei einer Neu -
und möglicherweise Höherbewertung der Arbeit eine höhere Durchschnittsnote für das
bestandene Abitur festzulegen wäre. Eine schlechter festgesetzte Prüfungsleistung in
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Englisch und die eventuell zu schlecht festgesetzte Durchschnittsnote wären für den
Kläger in seinen weiteren Ausbildungs- und Berufsjahren möglicherweise von Nachteil,
was für die Bejahung eines Rechtsschutzbedürfnisses für die Durchführung des
Klageverfahrens ausreichend ist.
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch im Sinne seines geltend
gemachten Begehrens; die angefochtenen Entscheidungen sind rechtswidrig und
verletzen ihn in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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Prüfungsentscheidungen wie auch schulische Notenfestsetzungen sind mit Blick auf
das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) grundsätzlich vollständig
gerichtlich zu überprüfen. Allerdings verbleibt dem Prüfer bzw. Lehrer bei den
sogenannten prüfungsspezifischen Wertungen,
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vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 6 B 55.97 -,
NVwZ 1998, 738,
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ein Entscheidungsspielraum, dessen gerichtliche Überprüfung darauf beschränkt ist, ob
Verfahrensfehler oder Verstöße gegen anzuwendendes Recht vorliegen, ob der Prüfer
bzw. Lehrer von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, gegen allgemeine
Bewertungsgrundsätze verstoßen hat, sich von sachfremden Erwägungen hat lenken
lassen oder sonst willkürlich gehandelt hat.
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Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen ist festzustellen, dass hier ein solcher
gerichtlich überprüfbarer Fehler vorliegt; denn die schriftliche Abiturarbeit des Klägers in
dem Fach Englisch ist von den Korrektoren fehlerhaft korrigiert worden, und zwar waren
von den in der Arbeit angebrachten 66 Anmerkungen nach dem Ergebnis der
Begutachtung 18 (= 27,27%) unberechtigt und 7 (= 10,61%) nur zum Teil berechtigt.
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Bedenken gegen die Richtigkeit der Begutachtung durch den von dem Gericht
bestellten Gutachter sind nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte im Schriftsatz vom 27.
Juni 2006 angibt, der Gutachter habe nur einige wenige Fehler (4) als unberechtigt
angesehen, ist nicht erklärlich, woher diese Erkenntnis stammt; denn sie stimmt nicht mit
dem zuvor angegebenen Ergebnis der Begutachtung überein. Auch ist die im
Zusammenhang mit der Begutachtung abgegebene Erklärung, dass die
Bezirksregierung als oberste fachliche Instanz anzusehen sei, für die vorgenommene
Überprüfung im Sinne des Inhalts des gerichtlichen Beweisbeschlusses vom 9. Mai
2006 ohne Belang. Denn maßgeblich und entscheidungserheblich ist allein die
festgestellte objektive Sachlage.
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Der Beklagte ist daher gehalten, auf der Grundlage des Ergebnisses der Begutachtung
vom 15. Juni 2006 eine Neubewertung der Englischklausur des Klägers vorzunehmen
und dem Kläger anschließend auf der Grundlage der neu vorgenommenen Bewertung
ein neues Abiturzeugnis mit der auf der Grundlage der Neubewertung festzusetzenden
Durchschnittsnote zu erteilen.
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Soweit der Gutachter in seiner Begutachtung vom 15. Juni 2006 eigenständig eine
Neubewertung der Gesamtleistung der Klausur vorgenommen hat, ist darauf
hinzuweisen, dass das nicht vom Beweisbeschluss gedeckt ist und das Gericht sich
diese Beurteilung nicht zu eigen macht. Denn angesichts des Bewertungsvorrechts der
Prüfer ist das Gericht nicht befugt, Prüfungsleistungen selbst zu bewerten und als Folge
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dieser eigenen Bewertung die Prüfungsbehörde bzw. die beklagte Schule zu
verpflichten, die Prüfung für bestanden zu erklären oder eine von ihm für zutreffend
erachtete Note zu erteilen,
vgl. u.a. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. November 1997 - 6 C 11.6 -, NVwZ
1998, 636 (637 f.).
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Der Entscheidung im Sinne der Tenorierung und der vorgenannten Begründung steht
auch nicht entgegen, dass bereits die Bezirksregierung E in ihrem
Widerspruchsbescheid eine Fehlerhaftigkeit der von der beklagten Schule ursprünglich
getroffenen Notenfestsetzung der schriftlichen Arbeit in dem Fach Englisch festgestellt
und eine andere/höhere Note festgesetzt hat. Denn der Begründung des Bescheides ist
nicht zu entnehmen, dass die Widerspruchsbehörde die von dem gerichtlich bestellten
Gutachter aufgelisteten Unkorrektheiten bei der Benotung und Bewertung erkannt und
ihrer vorgenommenen Wertung zugrunde gelegt hat. Ganz im Gegenteil lässt das
Schweigen der Widerspruchsbehörde zu diesen Punkten auf das Gegenteil schließen.
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Angesichts der vorstehenden Entscheidung bedarf es eines Eingehens auf die von dem
Kläger aufgeworfene Frage, ob ihm eine volle Wahlmöglichkeit auch bezogen auf die 2.
Prüfungsaufgabe gegeben war, nicht mehr.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
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