Urteil des VG Düsseldorf vom 30.06.2010
VG Düsseldorf (kläger, gutachten, diagnose, beurteilung, degenerative veränderung, untersuchung, innere medizin, international classification of diseases, diabetes mellitus, ergebnis)
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 2 K 1477/09
Datum:
30.06.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 1477/09
Schlagworte:
Aufforderung zum Dienstantritt Verpflichtung zur Dienstleistung
Dienstfähigkeit Feststellung der Dienstunfähigkeit Vorrang
polizeiärztlicher Stellungnahmen privatärztliche Stellungnahmen
Wirbelsäule Bandscheibenbeschwerden pseudoradikuläres Syndrom
Normen:
LBG § 62 Abs. 1 Satz 1
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hin-
terlegung in Höhe von 110 von Hundert des beizutreibenden Betra-ges
abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Tatbestand:
1
Der am 0. Dezember 1957 geborene Kläger wendet sich gegen die Aufforderung zum
Dienstantritt.
2
Er ist seit April 1974 im Polizeidienst des beklagten Landes tätig und verrichtet seinen
Dienst seit 1976 beim Polizeipräsidium L (nachfolgend: PP). Dort wurde er zunächst als
Streifenbeamter und im Einsatztrupp sowie von 1987 bis 2004 als Diensthundeführer
eingesetzt. Zuletzt war er als Sachbearbeiter tätig.
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Im Laufe seiner Dienstzeit erlitt der Kläger mehrere Distorsionen der Halswirbelsäule,
sog. Schleudertraumata, infolge von dienstlich bedingten Verkehrsunfällen mit dem
Dienstfahrzeug. Im Jahr 2000 wurde das erste Mal ein Bandscheibenvorfall
diagnostiziert. Seit dem 27. Mai 2003 blieb der Kläger mit Unterbrechungen aufgrund
von Rückenbeschwerden fast durchgehend dem Dienst fern (27. Mai 2003 bis 22. März
2004). Die behandelnde Ärzte (Dres. H und M aus X) gaben auf den
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als Diagnose nach der International Classification
of Diseases (nachfolgend: ICD) M54.4 (Lumboischialgie = Ischiasschmerzen im
4
Lendenbereich) und M51.2 (Sonstige näher bezeichnete Bandscheibenverlagerung)
bzw. M51.1 (Lumbale und sonstige Bandscheibenschäden) mit Radikulopathie
(Reizung/Schädigung der Nervenwurzeln) an.
Mit Wirkung zum 1. April 2004 wurde der Kläger aus gesundheitlichen Gründen zum
ET/Zweirad der Polizeiinspektion Süd in L umgesetzt, wo er als Sachbearbeiter tätig
wurde.
5
Der behandelnde Orthopäde, Dr. med. X1 aus X, regte am 8. März 2004 aufgrund der
Schwere der Erkrankung (Bandscheibenvorfall, Bandscheibenprotusion = degenerative
Veränderung der Zwischenwirbelscheiben, und lumbales Wurzelreizsyndrom) und der
eingeschränkten Leistungsfähigkeit eine Rehabilitationsmaßnahme unter ärztlich-
orthopädischer Anleitung an. Daraufhin begab sich der Kläger vom 21. April bis zum
12. Mai 2004 in eine Kur in Bad C, aus welcher er nach dem Abschlussbericht der
C1klinik vom 25. Mai 2004 gut erholt und weitgehend beschwerdefrei wiederkehrte.
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Ab Juni 2004 erfolgte auf der neuen Dienststelle eine Wiedereingliederung in das
Erwerbsleben mit reduzierter Stundenzahl. Nachdem der Kläger sich an seiner neuen
Dienststelle trotz anfänglicher Schwierigkeiten gut eingearbeitet hatte, sollte er ab
April 2006 an einer sechsmonatigen Ermittlungsfortbildung teilnehmen. Diese brach er
am 6. Juni 2006 krankheitsbedingt ab.
7
Seither ist er nicht mehr zum Dienst erschienen.
8
Vom 14. Juli 2006 bis November 2006 bescheinigte Dr. X1 dem Kläger durchgehend
Arbeitsunfähigkeit aufgrund seines Rückenleidens mit der Diagnose
M53.1(Zervikobrachial-Syndrom) und M51.9 (Bandscheibenschaden, nicht näher
bezeichnet).
9
Ausweislich eines Schreibens der Gemeinschaftspraxis für Radiologie, Nuklearmedizin
und Strahlentherapie der Dres. H1 und anderen aus L vom 20. Juni 2006 litt der Kläger
unter einer zervikalen Osteochondrose (Degeneration der Zwischenwirbelscheiben) und
Unkathrose insbesondere HWK 5/6 (Degenerative Gelenkerkrankungen der
Halswirbelsäule) mit hochgradiger Stenosierung (Verengung) des rechten
Neuroforamen (Nervenaustrittskanal) und Verdacht auf geringe foraminale chronische
Wurzelkompression rechts. Leichte Deformierung des zervikalen Myelon (Rückenmark)
bei Bandscheibenprotrusion (Vorwölbung) in diesem Segment, aber keine Demarkation
eines umschriebenen intraspinalen (innerhalb der Wirbelsäule) wurzelkomprimierenden
Bandscheibenvorfalls.
10
Am 28. November 2006 erfolgte durch den Polizeiärztlichen Dienst des PP eine
Untersuchung des Klägers aufgrund der länger andauernden Dienstunfähigkeit. Ziel der
Untersuchung war die Überprüfung der weiteren Einsatz- und Verwendungsfähigkeit.
Die dort zuständige Polizeiärztin, Frau Dr. med. G, kam in ihrer Stellungnahme zu dem
Ergebnis, dass der Kläger eingeschränkt einsatzfähig sei. Er solle nicht im Außendienst
mit erhöhter Gefahr von körperlichen Widerständen und/oder besonderen emotionalen
Belastungen und nicht zum Führen von Dienstkraftfahrzeugen mit Personenbeförderung
eingesetzt werden. Zudem schlug sie vor, dem Kläger einen gelegentlichen Wechsel
zwischen Stehen, Gehen und Sitzen zu ermöglichen und ihm ein Stehpult zur
Verfügung zu stellen.
11
Auch danach wurde dem Kläger vom Orthopäden Dr. X1 und seinem Hausarzt, Prof. Dr.
med. M, Facharzt für Innere Medizin, durchgehend Arbeitsunfähigkeit attestiert. In der
Zeit vom 15. März 2007 bis zum 5. April 2007 begab sich der Kläger in eine von Dr. G
verordnete Kur nach Bad P. Nach Abschluss dieser Kur, aus welcher er nach dem
Abschlussbericht der N-Klinik vom 29. Mai 2007 bei "gutem Gesundheitszustand"
entlassen wurde, trat er seinen Dienst weiterhin nicht an. Die Arbeitsunfähigkeit
bescheinigte erneut Dr. X1.
12
Vom 30. Mai 2007 bis zum 8. Juni 2007 wurde der Kläger stationär im Allgemeinen
Krankenhaus W zur Durchführung einer Schmerztherapie behandelt. Seitdem nimmt er
zur Schmerzlinderung das Antidepressivum Amitriptylin ein.
13
Ab Juli 2007 stellte der behandelnde Hausarzt, der Allgemeinmediziner Dr. I aus L1,
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus, die er mit den Diagnosen M54.1
(Radikulopathie = Reizung/Schädigung der Nervenwurzeln), F 32.9 (Depressive
Episode, nicht näher bezeichnet) und J20.9 (Akute Bronchitis, nicht näher bezeichnet)
begründete.
14
Nach erneuter Untersuchung regte Dr. G am 23. Juli 2007 an, die
Polizeidienstfähigkeit/allgemeine Dienstfähigkeit zu überprüfen. Nach anfänglichen
Schwierigkeiten bei der Terminvereinbarung zwischen dem Kläger und dem
polizeiärztlichen Dienst des Polizeipräsidiums E kam es am 10. Dezember 2007 zu
einem Begutachtungstermin. Dieser blieb jedoch erfolglos, da der Kläger zunächst
weitere Untersuchungen seiner Fachärzte durchführen lassen wollte.
15
Die beiden darauf folgenden Untersuchungstermine am 22. Januar 2008 und am
5. Februar 2008 sagte der Kläger aufgrund akuter Erkrankungen ab. Den folgenden
Termin vom 20. Februar 2008 nahm er nicht wahr mit der Begründung, es stünden
Untersuchungen in der Uni-Klinik E1 an, welche die Erforderlichkeit einer Operation im
Halswirbelbereich abklären sollten. Nachdem die Notwendigkeit einer Operation
verneint worden war, erstellte Dr. med. W1 vom polizeiärztlichen Dienst des
Polizeipräsidiums E am 20. Oktober 2008 ein Gutachten zur Untersuchung der Dienst-
und Polizeidienstfähigkeit nach §§ 194, 45 LBG. Darin berücksichtigte er neben
anderem die von ihm in Auftrag gegebenen Zusatzgutachten des Chirurgen Dr. M1 vom
10. September 2008 und des Neurologen und Psychiaters Dr. P1 vom 10. September
2008. Dr. W1 kam zu folgender Diagnose:
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Degenerative Veränderung der Hals- und Lendenwirbelsäule ohne klinisch oder
elektrophysiologisch nachweisbare neurologische Defizite
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Pseudoradikuläres Syndrom
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Verdacht auf somatoforme Schmerzsymptomatik
19
Adipositas
20
Hypertonus (seit einigen Wochen in Behandlung)
21
Abklärungsbedürftiger Laborbefund vom 13. Oktober 2008
22
Sanierungsbedürftiger Zahnstatus
23
Im Ergebnis bejahte der Gutachter die Dienst- und Polizeidienstfähig des Klägers gem.
§§ 194 und 45 LBG und regte die Wiedereingliederung unter Berücksichtigung der
getroffenen Diagnosen nach Abstimmung mit der zuständigen Polizeiärztin an, wobei
Tätigkeiten, die mit überdurchschnittlichen Belastungen der Wirbelsäule und
Zwangshaltungen einhergingen, ausgeschlossen wurden. Dem Kläger solle die
Möglichkeit zum Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen eingeräumt werden.
24
Auch nach Kenntnisnahme des Gutachtens erschien der Kläger nicht zum Dienst. Ab
Ende 2008 übernahm Frau Dr. med. L2, Fachärztin für Innere Medizin, seine
Behandlung. Sie stellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit folgenden Diagnosen
aus: Vom 23. Oktober 2008 bis zum 31. Januar 2009 M54.1 (Radikulopathie), F32.9
(Depressive Episode), J20.9 (Akute Bronchitis) und vom 2. Februar 2009 bis zum
30. Juni 2009 E14.90 (Diabetes mellitus), I10.90 (essentielle Hypertonie), M54.1
(Radikulopathie) und F32.9 (Depressive Episode).
25
Nach einer Untersuchung am 16. Dezember 2009 erstellte Dr. G für den Kläger einen
Zeitablauf für die Wiedereingliederung in die Diensttätigkeit. Mit Schreiben vom
23. Dezember 2008 forderte ihn das Polizeipräsidium L zur Dienstaufnahme zum
2. Januar 2009 auf. Unter Bezugnahme auf das Ergebnis des Gutachtens des Herrn Dr.
med. W1 und der Stellungnahme der Frau Dr. med. G wurde ihm der Zeitablauf für seine
Wiedereingliederung in den Dienst mitgeteilt und er wurde darauf hingewiesen, dass
dieser mit der Polizeiärztin besprochen worden sei. Der Kläger kam der Aufforderung
zum Dienstantritt jedoch nicht nach, sondern legte weiterhin
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seiner behandelnden Hausärztin vor.
26
Mit
Schreiben vom 27. Januar 2009
auf, diesmal zum 2. Februar 2009. Begründet wurde die Aufforderung damit, dass die
zuletzt vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach der inzwischen
eingeholten Stellungnahme der Polizeiärztin Dr. G der Dienstaufnahme im Rahmen
einer Wiedereingliederung nicht entgegenstünden. Die in den
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen attestierten Gesundheitsstörungen seien der
Polizeiärztin zum Zeitpunkt ihrer Urteilsfindung und zum Zeitpunkt der von ihr am
16. Dezember 2008 verfassten Stellungnahme bekannt gewesen. Dies gelte ebenfalls
für Herrn Dr. med. W1 zum Zeitpunkt der Begutachtung des Klägers. Die im Rahmen der
Untersuchung am 16. Dezember 2008 erhobenen laborchemischen Befunde hätten
ebenso keine neuen medizinischen Aspekte erbracht, die einer Dienstaufnahme im
Rahmen einer Wiedereingliederung entgegenstünden. Das Schreiben enthielt zudem
einen festgelegten Zeitablauf für die Wiedereingliederung, eine Umsetzung vom
Kriminalkommissariat 22 zum Kriminalkommissariat 25 aus organisatorischen Gründen
und eine Festlegung des Tätigkeitsbereiches als Sachbearbeiter im Innendienst zur
Anzeigenaufnahme. Zudem wurde die sofortige Vollziehung der Maßnahme nach § 80
Abs. 2 Nr.4 VwGO angeordnet und begründet. Außerdem enthielt das Schreiben eine
Rechtsbehelfsbelehrung.
27
Der Kläger trat auch zum 2. Februar 2009 seinen Dienst nicht an, sondern legte weitere
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Dr. med. L2 bis einschließlich
28. Februar 2009 vor.
28
Im Rahmen eines gegen den festgestellten Verlust der Dienstbezüge geführten
Verfahrens hat Dr. L2 am 30. April 2009 mitgeteilt, der Kläger sei wegen psychischer
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Müdigkeit, chronischer Schmerzbelastung und der deshalb eingeleiteten
antidepressiven Therapie, die seine Handlungsfähigkeit beeinträchtige, noch nicht
polizeidienstfähig. Das dies betreffende Klageverfahren 26 K 4528/09 ist derzeit
ausgesetzt bis zur Entscheidung im vorliegenden Verfahren.
Der Kläger hat am
28. Februar 2009 die vorliegende Klage
nach wie vor nicht dienstfähig. Zur Annahme der Dienstfähigkeit sei ein belastbares
vegetatives Nervensystem erforderlich, welches er nicht aufweise. Von den
behandelnden Ärzten seien mehrfach psychosomatische bzw. psychische
Erkrankungen diagnostiziert worden. Diese Erkrankungen und auch seine
orthopädischen Beschwerden seien von Herrn Dr. W1 in dem Gutachten nicht
ausreichend berücksichtigt worden. Vielmehr würden lediglich allgemeine
unsubstantiierte Aussagen über den Gesundheitszustand und die
Beschwerdesymptomatik getroffen. Zudem lege die im Gutachten enthaltene
Formulierung "wegen der inzwischen zwei Jahre andauernden Arbeitsunfähigkeit"
nahe, dass bei der Beurteilung der Dienstfähigkeit des Klägers die Dauer und nicht die
Besserung des Gesundheitszustandes entscheidendes Kriterium gewesen sei. Zuletzt
sei das Gutachten des Herrn Dr. med. W1 nicht als vorrangig gegenüber den
Beurteilungen der behandelnden Ärzte, Dr. med. I und Dr. med. L2, anzusehen. Der
Beurteilung durch den Amtsarzt komme zwar bei der Beurteilung der Dienstfähigkeit
grundsätzlich ein Vorrang gegenüber privatärztlichen Stellungnahmen zu. Ein solcher
Vorrang sei bei divergierenden Beurteilungen hinsichtlich desselben Krankheitsbildes
jedoch nur dann gegeben, wenn keine Zweifel an der Sachkunde des Arztes bestünden,
die medizinischen Beurteilungen auf zutreffenden Tatsachengrundlagen beruhten sowie
in sich stimmig und nachvollziehbar seien und der Amtsarzt bzw. beamtete Arzt auf die
Erwägungen des Privatarztes, wenn dieser seinen medizinischen Befund näher
erläutert habe, eingehe und nachvollziehbar darlege, warum er ihm nicht folge. Diese
Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt. Es sei weder eine Stellungnahme der
behandelnden Ärzte zu der abweichenden Beurteilung eingeholt noch seien die
abweichenden Beurteilungen der behandelnden Ärzte in dem Gutachten erwähnt und in
die Beurteilung einbezogen worden.
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Der Kläger beantragt
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festzustellen, dass er vom 2. Februar 2009 bis zum 30. Juni 2010 aufgrund
krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit nicht zur Dienstleistung verpflichtet
war.
32
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er führt aus, die vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen stünden einer
Dienstaufnahme nicht entgegen. Die darin attestierten Gesundheitsstörungen seien
sowohl der Polizeiärztin am 16. Dezember 2008 als auch dem Gutachter Dr. W1 zum
Zeitpunkt der Begutachtung bereits bekannt gewesen. Daher seien keine neuen
Aspekte gegeben, die eine Änderung der Beurteilung der Dienstfähigkeit des Klägers
rechtfertigen könnten. Dr. W1 habe im Rahmen seines Gutachtens ein nervenärztliches
und ein chirurgisches Zusatzgutachten eingeholt und sich auf diesem Wege mit den
Befunden der behandelnden Ärzte auseinandergesetzt. Durch die Aufnahme der
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Kernaussagen der beiden Zusatzgutachten in das Hauptgutachten sei eine fachärztliche
Klärung der Diagnose und eine hierfür nachvollziehbare Erklärung entgegen der
Ansicht des Klägers gegeben worden. Hinweise, die Zweifel an der Sachkunde des
Erlassgutachters begründen könnten, seien daher nicht ersichtlich. Zudem habe der
Erlassgutachter im Rahmen seines Gutachtens in Ergänzung zur eigenen Untersuchung
zusätzlich die Krankenakten sowie ärztlichen Befunde aus den Vorjahren
mitberücksichtigt. Weiterhin treffe das Gutachten eindeutige und klare Aussagen über
den Gesundheitszustand und die Beschwerdesymptomatik des Klägers. Das Gutachten
des Herrn Dr. W1 sei in sich schlüssig und nachvollziehbar. Auch sei eine ausführliche
Auseinandersetzung mit den Diagnosen der behandelnden Ärzte nicht möglich bzw.
notwendig gewesen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen hätten lediglich
Dauerdiagnosen enthalten, welche von den Ärzten nicht erläutert oder begründet
worden seien. Der Gutachter sei daher nicht veranlasst gewesen, weitere Maßnahmen
zu treffen, als die von den behandelnden Ärzten getroffenen Diagnosen fachärztlich
untersuchen und bewerten zu lassen. Einer weiteren Auseinandersetzung mit den
Erwägungen des privaten Arztes habe es nicht bedurft.
Dr. W1 sei nicht nur Amtsarzt, sondern als Polizeiarzt auch mit den Besonderheiten
sowie den Belastungen und Beanspruchungen des Polizeidienstes und des
allgemeinen Dienstes innerhalb der Polizei in besonderer Weise vertraut. Des Weiteren
sei der Kläger zuletzt ausschließlich im Innendienst in der kriminalpolizeilichen
Sachbearbeitung tätig gewesen, so dass er nicht den typischen Polizeidienst, der mit
diversen physischen Anforderungen an den Gesundheitszustand verknüpft sei, habe
verrichten müssen. Aus Sicht der Polizeiärztin sei hierdurch gewährleistet, dass es nicht
zu überdurchschnittlichen Belastungen der Wirbelsäule komme.
36
Weiterhin könne vom Kläger nur schwerlich beurteilt werden, ob er ein belastbares
vegetatives Nervensystem aufweise und inwieweit ein solches für den Polizeidienst
erforderlich sei, da es hierfür besonderer Fachkenntnisse bedürfe. Die behandelnden
Ärzte des Klägers, Herr Dr. I und Frau Dr. L2, seien keine Fachärzte für Neurologie,
Psychiatrie oder psychosomatische Medizin und dürften daher nicht in der Lage sein,
eine psychosomatische Erkrankung zweifelsfrei zu diagnostizieren. Das vom Kläger
angeführte Zitat aus dem Gutachten des Herrn Dr. W1 sei unvollständig und
zusammenhanglos wiedergegeben. Vielmehr sei diese Passage des Gutachtens so zu
verstehen, dass gerade aufgrund der langfristigen Erkrankung eine Dienstaufnahme im
Rahmen einer Wiedereingliederung und nicht mit voller Stundenzahl vorgesehen sei.
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Die Kammer hat mit Beschluss vom 23. April 2010 den Rechtsstreit dem Berichterstatter
als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
38
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Streitakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Krankenakten Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
40
Die Klage hat keinen Erfolg.
41
Sie ist allerdings gemäß § 43 Abs. 1 VwGO zulässig. Der Kläger begehrt die
Feststellung, dass er aufgrund krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit nicht zur
Dienstleistung verpflichtet war. Hierbei handelt es sich um ein feststellungsfähiges
42
Rechtsverhältnis,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Januar 2010 – 6 B 1116/09 –, www.nrwe.de.
43
Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung, denn es kann ihm
nicht zugemutet werden, weitere belastende Maßnahmen des Beklagten abzuwarten,
wie sie durch die Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge unter dem 6. Februar
2009 bereits erfolgt sind. So ist im Einklang mit § 62 Abs. 2 LBG zusätzlich ein
Disziplinarverfahren gegen den Kläger eingeleitet, das im Hinblick auf das hier zu
entscheidende Verfahren lediglich ausgesetzt ist.
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Der Zulässigkeit steht § 43 Abs. 2 VwGO nicht entgegen, weil die Erhebung einer
Anfechtungsklage gegen die Aufforderung, seinen Dienst anzutreten, nicht in Betracht
kam. Bei der Aufforderung zum Dienstantritt handelt es sich nicht um einen
Verwaltungsakt, da ihr weder Regelungscharakter noch Außenwirkung zukommt.
Vielmehr stellt sie einen Hinweis auf die gesetzliche Verpflichtung des Beamten zur
Dienstleistung (§ 62 Abs. 1 Satz 1 LBG, § 34 Satz 1 BeamtStG) dar,
45
vgl. BVerwG, Urteil vom 13. 7. 1999 - 1 D 81.97 -, NVwZ-RR 2000, 174 ff; OVG NRW,
Beschlüsse vom 18. 2. 2004 - 6 B 2060/03 – und vom 4. Januar 2010, a.a.O.; VG
Gelsenkirchen Beschluss vom 06.02.2007 – 1 L 36/07 -; Beschluss der Kammer vom
22.07.2004 – 2 L 1644/04 –.
46
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Vielmehr war der Kläger im Zeitraum vom 2.
Februar 2009 bis zum 30. Juni 2010 zur Dienstleistung verpflichtet.
47
Der Dienstherr hat aufgrund des Beamtenverhältnisses gegen den Beamten einen
Anspruch auf Dienstleistung. Der Beamte darf nach § 62 Abs. 1 Satz 1 des
Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. April 2009 (GV. NRW. S.
224, nachfolgend: LBG; zuvor galt die gleichlautende Vorschrift des § 79 LBG a.F.,
zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. November 2008, GV. NRW. S. 706) dem Dienst
nicht ohne Genehmigung fern bleiben.
48
So liegt der Fall aber hier.
49
Das Fernbleiben vom Dienst war insbesondere nicht dadurch gerechtfertigt, dass der
Kläger in der Zeit vom 2. Februar 2009 bis zum 30. Juni 2010 krankheitsbedingt
dienstunfähig war. Dienstunfähigkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn der Beamte
aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustandes außer Stande ist, den ihm
übertragenen dienstlichen Aufgaben nachzukommen.
50
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2007 – 2 A 3.05 –, NVwZ 2007, 960-962, juris (zur
gleichlautenden Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 1 BBG a.F.); Tadday/Rescher,
Beamtenrecht Nordrhein-Westfalen, Band I, Stand 11/2009, § 62.
51
Der Kläger sollte im Kriminalkommissariat 25 als Sachbearbeiter im Innendienst
eingesetzt werden. Außendienst mit den damit verbundenen erhöhten körperlichen
Anforderungen war für ihn nicht vorgesehen. Außerdem sollte eine gestufte
Eingliederung erfolgen in der Weise, dass einen Monat vier Arbeitsstunden und zwei
weitere Wochen sechs Arbeitsstunden täglich geleistet werden sollten. Erst danach
sollte er wieder mit voller Stundenzahl eingesetzt werden.
52
Diesen im Innendienst zu bewältigenden Aufgaben konnte der Kläger trotz seiner
Beschwerden nachkommen. Das PP ist zu Recht davon ausgegangen, dass er nicht
durch Krankheit gehindert war, den ihm zugewiesenen Dienst zu verrichten. Es hat sich
hierbei auf das Gutachten des Polizeiarztes Dr. W1 und die Stellungnahme der
Polizeiärztin Dr. G gestützt, welche übereinstimmend die Dienstfähigkeit des Klägers mit
den in den Stellungnahmen aufgeführten Einschränkungen bejaht haben. Dr. W1 kommt
in seinem Gutachten vom 20. Oktober 2008 zur Beurteilung der Dienst- und
Polizeidienstfähigkeit des Klägers zu dem Ergebnis, dass eine Wiederaufnahme der
Diensttätigkeit im Rahmen einer Wiedereingliederung zeitnah durchführbar sei. Bei
motivierter Mitarbeit und zumutbarer Willensanstrengung sei das Erreichen
vollschichtiger Dienstfähigkeit erreichbar, ohne dass damit gerechnet werden müsse,
dass es zu einer Verschlimmerung der bestehenden Beschwerden oder unzumutbaren
Schmerzen komme. Ausgeschlossen seien Tätigkeiten, die beispielsweise mit
überdurchschnittlicher Belastung der Wirbelsäule und Zwangshaltungen einhergingen.
Die Möglichkeit zum physiologischem Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen während
der Arbeit sei aus neurologischer Sicht sinnvoll.
53
Das erkennende Gericht schließt sich dieser Einschätzung an. Das Gutachten ist in sich
schlüssig und nachvollziehbar. Es trifft ausreichend substantiierte Aussagen über den
Gesundheitszustand bzw. die Beschwerdesymptomatik des Klägers und beruht auf der
Einsichtnahme in dessen Krankenakten, auf seinen eigenen schriftlichen Angaben vom
11. September 2007, dem chirurgischen und dem nervenärztliche Zusatzgutachten und
den polizeiärztlichen Untersuchungen des Klägers vom 10. Dezember 2007, 20.
Februar 2008 und vom 13. Oktober 2008 und damit auf einer zureichenden
Tatsachengrundlage.
54
Dr. med. W1 stützt sich bei seiner Bewertung u.a. auf die Ausführungen und
Empfehlungen des nervenärztlichen Zusatzgutachtens des Dr. P1 aus E1 vom 19.
September 2008, eines Arztes für Nervenheilkunde (Neurologe und Psychiater),
Psychotherapie und Psychoanalyse. Dr. P1 war neben der Feststellung einer
degenerativen Veränderung im Hals- und Lendenwirbelbereich ohne klinisch oder
elektrophysiologisch nachweisbare neurologische Defizite zu der Diagnose eines
pseudoradikulären Syndroms und des Verdachts einer somatoformen
Schmerzsymptomatik gekommen. Ein pseudoradikuläres Syndrom kann
folgendermaßen erklärt werden: Wenn bei Wirbelsäulen-Beschwerden eine
Nervenwurzel eingeklemmt wird, kommt es in dem von dieser Nervenwurzel versorgten
Hautbereich zu Schmerzen. Diese nennt man radikuläre Schmerzen. Pseudoradikuläre
Schmerzen sind solche, die den Charakter radikulärer Schmerzen haben, ohne dass
wirklich eine Nerveneinklemmung vorliegt. Diese äußern sich z.B. häufig als Schmerzen
im Kreuzbereich mit Ausstrahlung in die Oberschenkel.
55
Vgl. http://www.cantegril.de/Rheuma/p.htm.
56
Bei einer somatoformen Schmerzstörung ist die vorherrschende Beschwerde ein
andauernder, schwerer und quälender Schmerz, der durch einen physiologischen
Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden kann. Er tritt in
Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Belastungen auf, die
schwerwiegend genug sein sollten, um als entscheidende ursächliche Faktoren gelten
zu können. In der Folge kommt es meist zu einer beträchtlich gesteigerten, persönlichen
oder medizinischen Hilfe und Unterstützung.
57
Vgl. Deutsches Instiut für Medizinische Dokumentation und Information,
http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2006/fr-icd.htm?
gf40.htm+.
58
Das Zusatzgutachten des Dr. P1 ist in Hinblick auf die gefundene Diagnose schlüssig
und nachvollziehbar. Insbesondere wird auch das Vorliegen eines funktionsfähigen
vegetativen Nervensystems untersucht:
59
Die orientierende körperliche Untersuchung erbrachte bis auf ein deutliches
Übergewicht und erhöhten systolischen und diastolischen Blutdruck keine weiteren
Normabweichungen.
60
Bei der neurologischen Statuserhebung konnte lediglich ein linksseitig
abgeschwächter Patellarsehnenreflex diagnostiziert werden. Weitere pathologische
Befunde waren nicht zu diagnostizieren.
61
Insbesondere ergaben sich keine Hinweise auf Muskelverschmächtigungen,
Einschränkungen von Grob- oder Feinmotorik sowie Sensibilitätsstörungen im
Bereich der von den Nervenwurzeln der Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule
versorgten anatomischen Strukturen.
62
Die elektroneurographischen Ergebnisse waren sämtlich regelgerecht.
63
Hinweise auf eine körperferne Schädigung der Ellennerven und Mittelnerven
beidseits konnten nicht dokumentiert werden. Ebenso ergaben sich keine Hinweise
auf eine wurzelnahe Schädigung der Nervenwurzelabgänge der Halswirbelsäule.
64
Ebenso hat sich der Gutachter mit den von den behandelnden Ärzten diagnostizierten
psychosomatischen bzw. psychischen Erkrankungen auseinandergesetzt. Seit
November 2007 führte der behandelnde Arzt, Dr. I, über die bis dahin diagnostizierte
Radikulopathie (M54.1) eine nicht näher bezeichnete depressive Episode (F 32.9) in
den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auf. Diese Diagnose setzte er ohne nähere
Begründung bis zur Beendigung des Behandlungsverhältnisses im Oktober 2008 fort.
Die nachfolgende behandelnde Ärztin, Dr. L2, übernahm diese Diagnose bis
einschließlich Juli 2009, wobei sie zusätzlich ab Februar 2009 die Diabeteserkrankung
(E14.90) und den Bluthochdruck (I10.90) des Klägers in die
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit aufnahm. Somit wurde von den behandelnden
Ärzten lediglich eine psychosomatische oder psychische Erkrankung in Form einer
depressiven Episode (F 32.9) diagnostiziert, welche in einer Kette mit anderen nicht
psychisch bedingten Erkrankungen ohne weitere Begründung aufgeführt wurde. Diese
Diagnose hat der Gutachter hinreichend berücksichtigt. Dies zeigt sich an folgenden
Aussagen des Gutachtens:
65
Psychopathologische Befunde konnten nicht festgestellt werden.
66
Gegebenenfalls können noch andere Antidepressiva, die zur Schmerzbehandlung
zur Verfügung stehen, in entsprechender Dosierung eingesetzt werden.
67
Diese Behandlung wäre auch sicherlich hilfreich, um blande, sich bei der heutigen
Untersuchung nicht darstellende, Stimmungstiefs zu bessern.
68
Die als Ergebnis des Gutachtens gefundene Diagnose einer degenerativen
Veränderung der Hals- und Lendenwirbelsäule ohne klinisch oder elektrophysiologisch
nachweisbare neurologische Defizite, eines pseudoradikulären Syndroms und eines
Verdachts auf somatoforme Schmerzsymptomatik wird im Zusammenhang mit einer
psychisch bedingten Entstehung der Rückenschmerzen des Klägers gesehen. Insoweit
hat sich der Gutachter des nervenärztlichen Zusatzgutachtens in gesteigerter Weise mit
den psychischen Ursachen der Beschwerden des Klägers beschäftigt und ist hier zu
einem schlüssigen Ergebnis gekommen.
69
Das Ergebnis dieses Gutachtens stimmt mit dem Ergebnis des von Dr. W1 ebenfalls
eingeholten chirurgischen Gutachtens des Dr. M1, Chirurg und Unfallchirurg, Facharzt
für Sportmedizin, Sozialmedizin und Chirotherapie, überein:
70
Bei der am 05.09.2008 durchgeführten klinischen und röntgenologischen
Untersuchung konnten beim Beamten weder im Bereich der Halswirbelsäule noch
im Bereich der Brustwirbelsäule noch im Bereich der oberen Gliedmaßen
irgendwelche Funktionseinbußen objektiviert werden. Die klinischen Befunde
waren insoweit insgesamt völlig regelgerecht, alters- und konstitutionsentsprechend.
71
Die diskreten bildtechnisch zur Darstellung kommenden Veränderungen im Bereich
der unteren Halswirbelsäule und im Bereich der Lendenwirbelsäule sind ohne
fassbare funktionelle Auswirkungen.
72
Dadurch, dass der Hauptgutachter die Kernaussage dieses Zusatzgutachtens ebenfalls
in sein Gutachten aufgenommen hat, sind auch ausreichende Ausführungen zu den
orthopädischen Beschwerden des Klägers getroffen. Durch die Einbeziehung des
chirurgischen Zusatzgutachtens hat Dr. W1 eine fachärztliche Klärung der Diagnosen
der Privatärzte hinsichtlich des Rückenleidens des Klägers vorgenommen. Das
Zusatzgutachten ist schlüssig und nachvollziehbar. Ebenso werden in dem Gutachten
die vorgenommenen, insbesondere die röntgenologischen, Untersuchungen
dokumentiert und die Ergebnisse dargestellt.
73
Weiterhin steht dieses Ergebnis auch in Übereinstimmung mit der Krankheitsgeschichte
des Klägers. Danach haben sich die von ihm geäußerten Beschwerden in den letzten
Jahren trotz des objektiv besser werdenden gesundheitlichen Zustandes seiner
Wirbelsäule nicht gebessert.
74
Dies ergibt sich insbesondere in Hinblick auf frühere Untersuchungen: Der Kläger
wurde im Frühjahr 2004 im Rahmen einer Kur wegen eines lumbalen
Wurzelreizsyndroms bei bekanntem Bandscheibenprolaps und
Bandscheibenprotrusionen konservativ mit gutem Erfolg behandelt, sodass bei
Abschluss der Kur lediglich bei langem Sitzen leichte Schmerzen auftraten. Eine
radiologische Untersuchung vom 20. Juni 2006 hatte zu folgender Diagnose geführt:
75
Zervikale Osteochondrose und Unkathrose insbesondere HWK 5/6 mit hochgradiger
Stenosierung des rechten Neuroforamen und Verdacht auf geringe foraminale
chronische Wurzelkompression rechts. Leichte Deformierung des zervikalen Myelon
bei Bandscheibenprotrusion in diesem Segment, aber keine Demarkation eines
umschriebenen intraspinalen wurzelkomprimierenden Bandscheibenvorfalls.
76
Bereits Ende desselben Jahres war der Polizeiärztliche Dienst des PP nach
Untersuchung des Klägers zur Annahme einer eingeschränkten Dienstfähigkeit
gekommen, wobei hierbei insbesondere dessen Rückenleiden berücksichtigt worden
war. Gleichwohl hatte sich der Kläger weiterhin dienstunfähig gemeldet.
77
Die im Sommer 2007 durchgeführten radiologischen Untersuchungen hatten im HWS-
Bereich knöchern imponierende Neuroforamenstenosen und im LWS-Bereich geringe
degenerative Bandscheibenerkrankungen ergeben, wobei jedoch Bandscheiben-
protusionen, eine Prolaps oder ein Sequester hatten ausgeschlossen werden können.
Trotz der Durchführung einer Schmerztherapie im Allgemeinen Krankenhaus W mit
günstiger Prognose zur Beschwerdereduktion, insbesondere bei aktivem physio-
therapeutischem Training des Klägers, hatte dieser sich weiterhin dienstunfähig
gemeldet.
78
Bei einer im Frühjahr 2008 durchgeführten radiologischen Untersuchung war eine
Wurzelkompression im Bereich der LWS nicht sichtbar gewesen. Ein vermutetes C6-
Syndrom war vom Kläger in der Untersuchung verneint worden, so dass seitens der Uni-
Klinik E1 eine operative Therapie nicht indiziert gewesen war. Eine daraufhin
durchgeführte Untersuchung des Gefäßstatus hatte eine Gefäßveränderung als Ursache
der vom Kläger beklagten Schmerzen ausschließen können.
79
Die Einschätzung des Dr. W1 ist nach alledem unter eingehender Auswertung
fachärztlicher Zusatzgutachten und der Krankengeschichte erfolgt, in sich schlüssig und
überzeugend.
80
Die vorgelegten privatärztlichen Atteste sind nicht geeignet, diese Feststellungen zur
Dienstfähigkeit des Klägers in Frage zu stellen. Nach ständiger Rechtsprechung der
Verwaltungsgerichte kommt der Einschätzung des mit den besonderen Anforderungen
des öffentlichen Dienstes vertrauten Amtsarztes grundsätzlich ein höherer Beweiswert
zu als privatärztlichen Bescheinigungen.
81
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. März 2001 -1 DB 8.01, ZBR 2001, 297 und vom 20.
Januar 1976 – I DB 16.75 -, BVerwGE 53,118; OVG NRW, Beschlüsse vom 18.
Februar 2004, - 6 B 2059/03 – und vom 10.Oktober 2000 – 6 B 4554/00-,
www.nrwe.de.
82
Für die Beurteilung der Dienstfähigkeit eines Polizeibeamten bedarf es über die
üblichen Kenntnisse eines Arztes hinausgehender besonderer Sachkunde. Diese
bezieht sich insbesondere auf die Kenntnis der Belange des Polizeivollzugsdienstes
und gründet sich zudem auf der Erfahrung aus einer Vielzahl von gleich oder ähnlich
gelagerten Fällen. Ob und wann einer Gesundheitsstörung Krankheitswert beizumessen
ist, mag unter Umständen ein Privatarzt, zumal ein Facharzt, besser beurteilen können.
Ob und wann eine Störung mit Krankheitswert jedoch die Dienstfähigkeit beeinträchtigt,
ist eine Frage, deren Entscheidung mit Vorrang dem Amtsarzt oder dem zuständigen
Polizeiarzt zusteht.
83
Vgl. OVG Münster, Beschluss vom 10. Oktober 2000, a.a.O.
84
Hinzu kommt Folgendes: Im Vergleich zu einem Privatarzt, der bestrebt sein wird, das
Vertrauen des Patienten zu ihm zu erhalten, kann ein Amtsarzt seine Beurteilung von
seiner Aufgabenstellung her unbefangen und auch unabhängig abgeben. Diese
85
Neutralität und Unabhängigkeit verleiht der Beurteilung durch den Polizeiarzt neben
dessen speziellem Sachverstand ein höheres Gewicht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Oktober 2002 -1 D 3.02 -, juris.
86
Insoweit ist die Beurteilung eines Polizeiarztes hinsichtlich der Frage, ob der Beamte
die körperlichen Anforderungen erfüllt, welche im Polizeidienst erforderlich sind,
grundsätzlich vorrangig vor der Beurteilung durch den Privatarzt. Ihr ist hat auch ein
höheres Gewicht beizumessen als der Einschätzung des betroffenen Beamten selbst.
87
Amtsärztlichen Beurteilungen kommt jedoch nicht stets der Vorrang gegenüber
entgegenstehenden privatärztlichen Feststellungen zu. Hat der Privatarzt im Einzelnen
dargelegt, aus welchen Gründen er die Dienstunfähigkeit eines Beamten annimmt, und
sind diese Darlegungen dem Amts- bzw. Polizeiarzt bekannt, so ist letzterer gehalten,
sich mit den entgegenstehenden Erwägungen des Privatarztes auseinanderzusetzen
und darzulegen, warum er diesen nicht folgt, wenn er gleichwohl die Dienstfähigkeit
feststellen will. Ferner dürfen keine begründeten Zweifel an der Sachkunde des Amts-
bzw. Polizeiarztes bestehen. Dessen medizinische Beurteilung muss auf zutreffender
Tatsachengrundlage beruhen sowie in sich stimmig und nachvollziehbar sein.
88
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2001, a.a.O.
89
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Wie oben eingehend ausgeführt, beruht
das Gutachten des Dr. W1 auf einer zutreffenden Tatsachengrundlage und ist in sich
stimmig und nachvollziehbar.
90
Es bestehen auch keine Zweifel an der Sachkunde des Dr. W1. Dieser ist zwar weder
Chirurg noch Nervenfacharzt, doch hat er sich auf diesen Gebieten der Sachkunde
entsprechender Fachärzte bedient und zur Erstellung seines Gutachtens auf
Zusatzgutachten zurückgegriffen. Dies ist in keiner Weise zu beanstanden. Schaltet ein
Amtsarzt einen Facharzt ein, um die medizinische Sachkunde zu gewährleisten und
schließt er sich dessen medizinischer Beurteilung an, so gelten die oben genannten
Grundsätze für die Annahme eines Vorrangs gegenüber einem privatärztlichen
Gutachten in gleicher Weise. Die Stellungnahme des Facharztes wird dann – wie hier –
dem Amtsarzt zugerechnet,
91
vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2001, a.a.O.,
92
mit der Folge, dass der Vorwurf fehlender Sachkunde nicht mit Erfolg erhoben werden
kann.
93
Schließlich haben sich die mit der Beurteilung der Dienstfähigkeit des Klägers
befassten Polizeiärzte hinreichend mit den vorgelegten privatärztlichen Attesten
auseinandergesetzt.
94
Dies gilt zunächst für die vom Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
des Dr. I. Dieser stellte zunächst vom 9. Juli 2007 bis zum 12. November 2007 das
Vorliegen einer Radikulopathie (M54.1) fest, diagnostizierte in der Zeit vom 12.
November 2007 bis zum 7. Januar 2008 zusätzlich eine depressive Episode (F32.9) und
fügte diesem Befund für die Zeit vom 7. Januar 2008 bis zum 24. Oktober 2008 noch
eine akute Bronchitis (J20.9) hinzu. Indes bedarf es nach den vorgenannten
95
Grundsätzen einer Darlegung der Abweichung vom Urteil des Privatarztes nur, wenn
dieser seinen Befund näher erläutert hat. Dies ist vorliegend aber nicht geschehen.
Unabhängig hiervon hat sich Dr. W1 mit den Diagnosen der Radikulopathie (M54.1) als
auch der depressiven Episode (F32.9) zudem in ausreichendem Maße
auseinandergesetzt. Dies zeigt sich zum einen in der Einholung der beiden
Zusatzgutachten zur fachlichen Abklärung dieser Befunde, zum anderen in der
Diagnose des Dr. W1, welche die orthopädischen als auch psychischen Beschwerden
des Klägers aufgreift. Einer weitergehenden Erläuterung bedurfte es nicht, da die von
Dr. I ausgeführten Diagnosen ohne nähere Begründung oder Erörterung über einen
langen Zeitraum lediglich in ICD-verschlüsselter Form in den
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auftauchten.
Die akute Bronchitis hat Dr. I ohne nähere Begründung über einen Zeitraum von mehr
als neun Monaten diagnostiziert, ohne hierbei nach den über die ICD-Verschlüsselung
möglichen Differenzierungen (etwa den J40 ff.) den Krankheitsverlauf zu dokumentieren.
Dies spricht gegen das Vorliegen einer akuten Erkrankung. Zudem ist vom Kläger
bislang nicht vorgetragen worden, er sei aufgrund von Atemwegserkrankungen nicht zur
Verrichtung seines Dienstes fähig. Daher waren über die allgemeinen Untersuchungen
und Feststellungen des Gutachters hinaus für eine Dienstunfähigkeit auf Grund einer
akuten Bronchits keine weiteren Erläuterungen erforderlich.
96
Gleiches gilt für die von Dr. L2 bis zum 31. Januar 2009 ausgestellten
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Die darin gestellte Diagnose M54.1
(Radikulopathie), F32.9 (Depressive Episode), J20.9 (Akute Bronchitis) entsprach der
bereits von ihrem Vorgänger Dr. I vom 4. Januar 2008 bis zum 24. Oktober 2008
durchgehend ausgestellten Diagnose. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen
verwiesen werden. Soweit es im späteren Behandlungsverlauf zu der Diagnose E14.90
(nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus ohne Komplikationen), I10.90 (essentielle
Hypertonie), M54.1 (Radikulopathie), F32.9 (depressive Episode) kam, ergibt sich kein
anderes Ergebnis, da die diagnostizierte Diabetes und der Bluthochdruck von Dr. W1 in
seinem Gutachten behandelt wurden und er nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt,
dass diese Erkrankungen sich auf die Dienstfähigkeit des Klägers nicht auswirken.
97
Der Einwand, aus dem polizeiärztlichen Gutachten ergebe sich nicht, warum der Kläger
gerade jetzt wieder dienstfähig sein solle, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Ein
Gutachten über die Dienstfähigkeit eines Beamten hat in der Regel die Aufgabe, die
Konstitution des Beamten im Begutachtungszeitpunkt zu beurteilen. Dabei spielt es
grundsätzlich keine Rolle, ob die Dienstfähigkeit bereits zu einem früheren Zeitpunkt
bestand. Dies wird zum einen schwerlich überprüfbar sein und ist zum anderen in
Hinblick auf die Ermittlung der zukünftigen Verwendungsmöglichkeit des Beamten auch
nicht notwendig. Die Formulierung im Gutachten des Dr. W1
98
Diese diagnostische Einschätzung und therapeutische Überlegungen
berücksichtigend, ist eine Wiederaufnahme der Diensttätigkeit (wegen der
inzwischen zwei Jahre andauernden Dienstunfähigkeit, im Rahmen einer
Wiedereingliederung) zeitnah durchführbar.
99
bezieht sich bezüglich des Klammerinhaltes nicht auf die Feststellung der
Dienstfähigkeit als solche. Vielmehr wird eine Aussage zur Art der Wiederaufnahme der
Diensttätigkeit getroffen. Der Dienst soll im Rahmen einer Wiedereingliederung
aufgenommen werden, weil der Kläger zwei Jahre nicht gearbeitet hat. Man will ihm
100
hierdurch den Wiedereinstieg erleichtern. Diese Festlegung der Art und Weise der
Wiederaufnahme der Diensttätigkeit erfolgt als zweiter Schritt nach der Feststellung der
Dienstfähigkeit und hat daher keinen Einfluss auf den ersten Schritt. Insoweit kann die
Schlüssigkeit des Gutachtens nicht angezweifelt werden.
Auch soweit bei der Überprüfung der Dienstfähigkeit des Klägers nicht nur auf den
Zeitpunkt der Aushändigung der Aufforderung zum Dienstantritt, sondern auf den
folgenden Zeitraum bis zum Tag der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist, ergibt
sich kein abweichendes Ergebnis. Die Berücksichtigung der weiteren Entwicklung des
Gesundheitszustandes des Klägers bis zum heutigen Tag verhilft der Klage nicht zum
Erfolg. Die Dienstleistungspflicht ist auch in der Zwischenzeit nicht infolge einer zur
Dienstunfähigkeit führenden Erkrankung entfallen.
101
Zwar hat Dr. L2 auch nach der Aufforderung zum Dienstantritt noch
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt. Diese enthielten gegenüber den zuvor
ausgestellten, den Polizeiärzten bei der Beurteilung der Dienstfähigkeit bekannten
Bescheinigungen jedoch keine abweichende Diagnose, so dass sich hieraus keine
neuen Aspekte für die Bewertung der Dienstfähigkeit ergeben. Eine Dienstunfähigkeit
folgt auch nicht aus der von Dr. L2 abgegebenen Stellungnahme vom 30. April 2009.
Dort heißt es, der Zustand des Patienten erfülle noch nicht die Kriterien der besonderen
gesundheitlichen Anforderungen des Polizeidienstes. Dies stützt Frau Dr. L2 auf eine
beim Kläger bestehende psychische Müdigkeit, welche aus der chronischen
Schmerzbelastung resultiere und auf die aus diesen Gründen eingeleitete
antidepressive Therapie, welche die Handlungsfähigkeit des Klägers beeinträchtige.
Diese Aussage stützt die Ärztin jedoch lediglich auf die vom Kläger vorgetragenen
Beschwerden, ohne eine Diagnose zu treffen und ohne ihr diagnostisches Vorgehen zu
erläutern. Ohne eingehende Untersuchung des Klägers, lediglich gestützt auf dessen
Aussagen, er leide an Durchschlafstörungen durch Rückenschmerzen im LWS-Bereich
und er könne nicht länger als 20 Minuten sitzen, da dies erhebliche Schmerzen im
Schulter- und Nackenbereich verursache, wird eine insbesondere mit den
Anforderungen des Polizeidienstes nicht im einzelnen vertraute Ärztin die
Dienstfähigkeit des Klägers nicht abschließend beurteilen können. Hierfür spricht
zudem, dass Dr. Kratzberg über die antidepressive Therapie hinaus keine
weitergehenden Behandlungsmaßnahmen wie beispielsweise Physiotherapie
vorschlägt. Weiterhin kann der Einwand, es könne in diesem Beruf jederzeit zu
Belastungen kommen, die dann zu einer Überforderung der Leistungsfähigkeit führen
könnten, nicht überzeugen. Der Kläger war zuletzt und soll auch zukünftig im
Innendienst als Sachbearbeiter eingesetzt werden. Insoweit hat die Polizeiärztin Dr. G
bereits in ihrer Stellungnahme vom 28. November 2006 im Rahmen der Beurteilung der
Einsatzfähigkeit des Klägers dessen eingeschränkte Leistungsfähigkeit berücksichtigt.
Dies zeigt sich insbesondere in der Vorgabe, dem Kläger einen physiologischen
Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen während seiner Tätigkeit zu ermöglichen.
Insoweit ist wiederum auf die besondere Sachkunde eines Amts- bzw. Polizeiarztes
gegenüber einem Privatarzt zu verweisen, welcher die Belastungen im Polizeidienst auf
der jeweiligen Dienststelle aufgrund seiner Erfahrungen aus diesem Bereich
einzuschätzen vermag.
102
Liegen mithin hinreichend aussagekräftige Gutachten zur Frage der Dienstfähigkeit des
Klägers vor und trägt dieser keine neuen Umstände vor, welche die Gutachter bzw. die
Polizeiärzte bei ihrer Einschätzung noch nicht berücksichtigen konnten, so besteht auch
kein hinreichender Anlass, die Einholung eines weiteren medizinischen Gutachtens zur
103
Frage der Dienstfähigkeit des Klägers anzuordnen.
Die Klage war deshalb mit der sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden
Kostenfolge abzuweisen.
104
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708
Nr. 11, 711 ZPO.
105
Das Gericht lässt die Berufung nicht gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zu, weil es die
Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht für gegeben erachtet.
106