Urteil des VG Düsseldorf vom 08.11.2007

VG Düsseldorf: anspruch auf bewilligung, bindungswirkung, blindheit, behinderung, klinikum, konzentration, sachprüfung, erlass, einzelrichter, klagebefugnis

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 21 K 3918/07
Datum:
08.11.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
21. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
21 K 3918/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden
Tatbestand:
1
Die 1930 geborene Klägerin erstrebt die Gewährung von Blindengeld bzw. Hilfe für
hochgradig Sehbehinderte nach dem Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose
(GHBG).
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Am 30.08.2005 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt X die Anerkennung ihrer
Sehstörung als Behinderung im Sinne des Schwerbehindertengesetzes. Mit Bescheid
vom 29.09.2005 stellte das Versorgungsamt unter entsprechender Aufhebung seines
Bescheids vom 04.02.2005 fest, dass bei ihr der Grad der Behinderung 70 Prozent
betrage. Der Klägerin wurden verschiedene Funktionsbeeinträchtigungen zuerkannt
und festgestellt, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G"
erfüllt seien. Das Merkzeichen „Bl" für „blind" wurde nicht erteilt. Dagegen legte die
Klägerin Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2005
zurückgewiesen wurde. Das von der Klägerin angestrengte sozialgerichtliche Verfahren
(SG E - S 0 SB 0/06 -) wurde aufgrund Vergleichsvorschlages der Bezirksregierung N
vom 15.03.2007 beendet. Aufgrund Annahme des Anerkenntnisses durch die Klägerin
mit Schreiben vom 09.04.2007 stellte das Versorgungsamt X mit Bescheid vom
02.05.2007 fest, dass bei der Klägerin der Grad der Behinderung ab 01.03.2006 80
Prozent und ab 01.10.2006 100 Prozent betrage. Des weiteren wurde festgestellt, dass
die Klägerin ab dem 01.10.2006 die gesundheitlichen Voraussetzungen für die
Merkzeichen „B" und „RF" (über die Voraussetzungen des Merkzeichens „G" hinaus)
erfüllt. Das Merkzeichen „Bl" für „blind" wurde entsprechend des sozialgerichtlichen
Anerkenntnisses nicht erteilt.
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Am 08.03.2007 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Gewährung von
Leistungen nach dem GHBG.
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Mit Bescheid vom 11.04.2007 lehnte der Beklagte den Antrag ab, da nach dem
augenärztlichen Gutachten Dr. H2 / Dr. O, I Klinikum X / Augenklinik vom 18.10.2006 die
medizinischen Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach § 1 Abs. 1 GHBG
bzw. § 4 GHBG nicht vorliegen würden.
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Dagegen erhoben die Kläger mit Schreiben vom 23.04.2007 Widerspruch mit der
Begründung, die täglichen Einschränkungen seien extrem und aufreibend.
6
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2007 zurück
mit der Begründung, dass keine Blindheit bzw. hochgradige Sehbehinderung im Sinne
des Gesetzes vorläge.
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Dagegen haben die Kläger am 30.08.2007 Klage erhoben mit der Begründung, das
restliche Augenlicht der Klägerin reiche nicht aus, um allein leben zu können.
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Die Kläger beantragen sinngemäß,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 11.04.2007 in der Gestalt
seines Widerspruchsbescheides vom 07.08.2007 zu verpflichten, der Klägerin für die
Zeit ab 08.03.2007 fortlaufend Leistungen gemäß §§ 1 Abs. 1; 4 des Gesetzes über die
Hilfen für Blinde und Gehörlose zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt unter Verweis auf die Ausführungen im Vorverfahren
schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
12
Die Beteiligten wurden zur Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid
angehört.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht konnte gemäß § 84 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch
Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten
zur Frage der Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden sind.
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Hinsichtlich des Klägers zu 1. ist die Klage unzulässig. Dem Kläger zu 1. fehlt es an der
Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO. Danach ist die Klage nur zulässig, wenn der
Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder
Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Der Kläger zu 1. beruft sich nicht auf
eigene Rechte sondern auf Rechtspositionen, die der Klägerin zu 2. nach dem Gesetz
über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG) zustehen könnten.
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Die im übrigen zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 11.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 07.08.2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin zu 2. nicht in ihren Rechten, §
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113 Abs. 5, 1 VwGO. Sie hat weder einen Anspruch auf Bewilligung von Blindengeld
nach § 1 Abs. 1 GHBG noch auf eine Hilfe für hochgradig Sehbehinderte nach § 4 Abs.
2 GHBG.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GHBG erhalten Blinde zum Ausgleich der durch die Blindheit
bedingten Mehraufwendungen Blindengeld. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gelten als
Blinde im Sinne des Gesetzes solche Personen, deren Sehschärfe auf dem besseren
Auge nicht mehr als 1/50 beträgt oder bei denen nicht nur vorübergehende Störungen
des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie einer
Beeinträchtigung der Sehschärfe von wenigstens 1/50 gleich zu achten sind.
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen zur Bewilligung von Blindengeld nach § 1 Abs. 1
Satz 2 GHBG liegen bei der Klägerin schon deshalb nicht vor, weil auf Grund des
Bescheides des Versorgungsamtes X vom 02.05.2007 feststeht, dass die Klägerin nicht
blind im Sinne des GHBG ist. Der Beklagte ist bei der Beurteilung der Blindheit der
Klägerin an die zuvor ergangene bestandskräftige Entscheidung des Versorgungsamtes
gebunden.
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Auf Antrag der Klägerin vom 30.08.2005 hat das Versorgungsamt X mit Bescheid vom
11.04.2007 u.a. festgestellt, dass die Klägerin nicht die gesundheitlichen
Voraussetzungen für das Merkzeichen „Bl" für „blind" erfüllt. Demzufolge wurde das
Merkzeichen „Bl" zu keinem Zeitpunkt in den Schwerbehindertenausweis der Klägerin
eingetragen.
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Zur Frage der Bindungswirkung einer solchen bestandskräftigen Entscheidung eines
Versorgungsamtes hat die Kammer
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mit Urteil vom 19.05.2004 - 21 K 7525/01 -
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auf der Grundlage obergerichtlicher Rechtsprechung wie folgt ausgeführt:
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„Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Statusentscheidung des
Versorgungsamtes nach § 4 Abs. 1 und 4 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG)
bei der Prüfung inhaltsgleicher Tatbestandsvoraussetzungen für die in anderen
Gesetzen geregelten Vergünstigungen bzw. Nachteilsausgleiche und damit für die dort
jeweils zuständigen anderen Verwaltungsbehörden bindend. Dies soll es dem
Schwerbehinderten ersparen, bei der Inanspruchnahme von Rechten und
Vergünstigungen stets wieder aufs Neue seine Behinderung und die damit
verbundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen untersuchen und beurteilen lassen
zu müssen, weil die Gewährung jener Rechte und Vergünstigungen unterschiedlichen
Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen unterliegt. Dieses Ziel soll durch
Konzentration der erwähnten Statusentscheidungen bei den Versorgungsbehörden und
durch eine umfassende Nachweisfunktion des von diesen ausgestellten Ausweises
über jene Entscheidungen erreicht werden. Das setzt eine bindende Wirkung der
versorgungsbehördlichen Feststellungen für die zur Gewährung der Vergünstigungen
und Nachteilsausgleiche zuständigen anderen Behörden voraus,
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vgl. BVerwG, Urteil v. 27. Februar 1992 - 5 C 48.88, NDV 1992, 266 f.; BVerwG, Urteil v.
11. Juli 1985 - 7 C 44.83, BVerwGE 72, 8 ff.; BSG, Urteil v. 06. Oktober 1981 - 9 Rvs
3/81, ZfS 1982, 176 ff.; OVG Münster, Beschl. v. 08. September 1992 - 8 A 422/89.
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Diese Bindungswirkung gilt auch für den Beklagten bei der Bewilligung von
Blindengeld, denn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „Bl" für
‚blind' durch die Versorgungsämter gem. § 4 Abs. 1 SchwbG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3
SchwbAwV i.V.m. § 76 Abs. 2a Nr. 3 a) BSHG stimmen mit den Voraussetzungen für die
Annahme von Blindheit i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 GHBG überein.
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Bindungswirkung kommt dabei nicht nur der positiven Feststellung über das Vorliegen
gesundheitlicher Merkmale im Sinne des Schwerbehindertenrechts zu, sondern auch -
wie hier - der negativen Feststellung, dass solche Merkmale nicht vorliegen,
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vgl. BVerwG, Urteil v. 11. Juli 1985 - 7 C 44.83, BVerwGE 72, 8, 12f.; OVG Münster,
Beschl. v. 08. September 1992 - 8 A 422/89."
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An dieser Rechtsprechung, der sich der Einzelrichter anschließt, hält die Kammer bis
heute fest.
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Vgl. zuletzt noch Urteil vom 14.07.2006 - 21 K 2783/06 -.
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Dem Verfahren über die Gewährung von Blindengeld ist ein bindendes
versorgungsamtliches Verfahren vorausgegangen. Der Bescheid des
Versorgungsamtes erging am 02.05.2007 und damit zeitlich vor der letzten
Verwaltungsentscheidung des Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2007,
sodass die negative Bindungswirkung auch den streitgegenständlichen Zeitraum voll
umfasst. Es ergibt sich nichts abweichendes daraus, dass das versorgungsamtliche
Verfahren vor der Antragstellung bei dem Beklagten am 08.03.2007 noch nicht
vollständig abgeschlossen war, sondern der Bescheid des Versorgungsamtes vielmehr
im laufenden Blindengeldverfahren erging. Auch bereits dann entfaltet der -
bestandskräftig gewordene - Bescheid des Versorgungsamtes X Bindungswirkung für
und gegen die Klägerin. Denn zum einen erging der Bescheid des Versorgungsamtes,
wie dargelegt, vor der letzten Verwaltungsentscheidung des Beklagten und deckt damit
den streitgegenständlichen Zeitraum ab, zum anderen schafft § 4 Abs. 1 SchwbG eine
umfassende Konzentration des Feststellungsverfahrens bei den Versorgungsämtern,
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so BVerwG, Urteil v. 11. Juli 1985 - 7 C 44.83, BVerwGE 72, 8, 12; BVerwG, Urteil v. 27.
Februar 1992 - 5 C 48.88, NDV 1992, 266, 267; vgl. auch OVG Münster, Beschl. v. 08.
September 1992 - 8 A 422/89, dort S.7.
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Danach ist nicht die Antragstellung bei dem Beklagten oder das zeitliche Parallellaufen
der behördlichen Verfahren maßgeblich, sondern allein der Erlass des
bestandskräftigen Bescheides durch das Versorgungsamt, dem die ausgeführte
Bindungswirkung - auch für ein noch laufendes anderweitiges Verfahren - zukommt.
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Vgl. insoweit auch Urteil der Kammer vom 19.05.2004 - 21 K 7525/01 -.
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Da eine Aufhebung oder Abänderung der Statusentscheidung durch das
Versorgungsamt X - soweit ersichtlich - bisher nicht erfolgt ist, besteht die
Bindungswirkung nach wie vor fort. Daraus folgt, dass der Beklagte gehindert ist, der
Klägerin Blindengeld nach der Vorschrift des § 1 Abs. 1 GHBG zu bewilligen, solange
die negative Entscheidung des Versorgungsamtes nicht durch eine entsprechende
positive Entscheidung beseitigt wird. Das Verfahren beim Versorgungsamt hat also dem
Verfahren bei dem Beklagten voranzugehen. Davon kann die Klägerin auch profitieren.
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Denn erstreitet die Klägerin gestützt auf ein aktuelles (augen-) fachärztliches Gutachten
vor dem Versorgungsamt X die Eintragung des Merkzeichens „Bl" für „blind" in ihren
Schwerbehindertenausweis, wird ihr der Beklagte ohne weitere Sachprüfung
Blindengeld nach § 1 Abs. 1 GHBG bewilligen müssen. Für den vorliegenden
Streitgegenstand ist der Beklagte jedoch an die negative Entscheidung des
Versorgungsamtes gebunden.
Im übrigen beträgt die zentrale Sehschärfe des linken Auges der Klägerin nach dem
herangezogenen Gutachten Dr. H2 / Dr. O, I Klinikum X / Augenklinik vom 18.10.2006
0,2, also 10/50 und ist damit zehnmal größer als die Mindestvoraussetzung für die
Bewilligung von Blindengeld (1/50). Dass die Sehkraft diese Mindestvoraussetzung
nunmehr erreicht hat, hat weder die Klägerin vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich.
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Soweit die Klägerin eine Hilfe für hochgradige Sehbehinderte nach § 4 Abs. 2 GHBG
begehrt, liegen deren Voraussetzungen nicht vor. Nach § 4 GHBG erhalten hochgradig
Sehbehinderte, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, zum Ausgleich der durch die
hochgradige Sehbehinderung bedingten Mehraufwendungen eine Hilfe von 77,00 Euro
monatlich unter bestimmten Voraussetzungen. Dabei darf das bessere Auge mit
Gläserkorrektion ohne besondere optische Hilfsmittel eine Sehschärfe von nicht mehr
als 1/20 oder krankhafte Veränderungen aufweisen, die das Sehvermögen in
entsprechendem Maße einschränken.
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Das Sehvermögen des linken Auges der Klägerin liegt oberhalb der
Mindestvoraussetzungen von einem Zwanzigstel (vgl. Gutachten Dr. H2 / Dr. O, I
Klinikum X / Augenklinik vom 18.10.2006 und Gutachten Dr. T vom 05.03.2007).
Weitergehende Einschränkungen, die dazu führen würden, dass von den
Mindestvoraussetzungen des § 4 Abs. 2 GHBG auszugehen wäre, liegen bei der
Klägerin nicht vor. Wegen der weitergehenden Begründung wird auf die Ausführungen
im angegriffenen Bescheid und Widerspruchsbescheid gemäß § 117 Abs. 5 VwGO
verwiesen.
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Kosten: §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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