Urteil des VG Düsseldorf vom 30.10.2006

VG Düsseldorf: verwaltungsakt, rückabwicklung, vertrauensschutz, unterkunftskosten, rückforderung, behörde, kreis, form, fahrlässigkeit, sorgfalt

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 21 K 4298/05
Datum:
30.10.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
21. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
21 K 4298/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Klägerin, ihr gewährtes Wohngeld in
der Form des Lastenzuschusses an den Beklagten zurück zu zahlen.
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Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 31.05.2005 (Rechenlaufdatum
17.03.2005) Wohngeld in der Form des Lastenzuschusses in Höhe von 390,00 Euro
monatlich für die Zeit von 01.02.2005 bis 31.07.2005.
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Ab dem 01.03.2005 erhielt die Klägerin aufgrund Bescheids der Arbeitsgemeinschaft
Kreis, Vertragspartner Agentur für Arbeit X und Kreis X, vom 17.03.1005 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
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Eine Ablichtung des vorgenannten Bescheids ging dem Beklagten am 12.05.2005 zu.
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Mit Bescheid vom 27.05.2005 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass der ihr erteilte
Bewilligungsbescheid vom 31.05.2005 (Rechenlaufdatum 17.03.2005) seit dem
01.03.2005 unwirksam geworden sei. Ebenfalls mit Bescheid vom 27.05.2005 forderte
er die Klägerin auf, die Wohngeldzahlungen für die Monate März bis Mai 2005 in Höhe
von zusammen 1.170,00 Euro zurück zu zahlen. Er stützte dieses Begehren auf § 50
SGB X.
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Dagegen legte die Klägerin am 23.06.2005 Widerspruch ein mit der Begründung, der
Bezug von Wohngeld neben Bezug von sog. ALG II sei aus Unwissenheit und Fehl-
bzw. unterlassener Information erfolgt. Sie habe beim Arbeitsamt angegeben, dass sie
Wohngeld beantragt habe; diese Information sei dort kommentarlos hingenommen
worden. Ebenso habe sie der Wohngeldstelle nicht verschwiegen, dass sie
beabsichtigte, sog. ALG II zu beantragen. Anlässlich der Gespräche bei den Behörden
habe ihr niemand mitgeteilt, dass Wohngeld und sog. ALG II nicht gleichzeitig geleistet
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würden. Im Übrigen habe sie die bewilligten Leistungen verbraucht und sei zudem
zahlungsunfähig.
Den Widerspruch wies die Bezirksregierung E mit Bescheid vom 08.09.2005, zugestellt
am 09.09.2005, zurück.
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Dagegen hat die Klägerin am 29.09.2005 Klage unter Vertiefung ihrer Ausführungen im
Vorverfahren erhoben.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
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den Bescheid des Beklagten vom 27.05.2005 über die Unwirksamkeit des
Wohngeldbescheides und den Bescheid des Beklagten vom 27.05.2005 über die
Rückforderung von Wohngeld sowie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E
vom 08.09.2005 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt unter Vertiefung der Ausführungen im Vorverfahren
schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beteiligten wurden zur Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid
angehört.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Bezirksregierung E.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht konnte gemäß § 84 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch
Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten
zur Frage der Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden sind.
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 27.05.2005 und der
Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E vom 08.09.2005 sind rechtmäßig und
verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Klägerin
muss die ihr zu Unrecht ausgezahlten Wohngeldleistungen für die Monate März bis Mai
2005 in Höhe von zusammen 1.170,00 Euro an den Beklagten zurückzahlen.
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Wegen der weiteren Begründung wird auf die angefochtenen Bescheide verwiesen, §
117 Abs. 5 VwGO. Ergänzend wird auf die auch hier im Falle des Bezugs von
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweite Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) heranzuziehende jüngste Rechtsprechung der Kammer im
Zusammenhang mit der Unwirksamkeit von Wohngeld-Bewilligungsbescheiden
aufgrund von Bewilligung von sog. Transferleistungen hingewiesen. Im Urteil vom
23.06.2006 - 21 K 888/06 - wird ausgeführt:
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„Das Rückforderungsbegehren findet seine Rechtsgrundlage in § 50 Abs. 2 SGB X.
Nach dieser Vorschrift sind Sozialleistungen, die ohne Verwaltungsakt zu Unrecht
erbracht worden sind, zu erstatten.
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Vorliegend sind die Wohngeldleistungen an die Klägerin ohne Verwaltungsakt erfolgt,
weil der Bewilligungsbescheid vom (...) kraft Gesetzes nach § 30 Abs. 4 WoGG in der
Fassung der Bekanntmachung vom 7. Juli 2005 (BGBl I 2005, 2029) unwirksam
geworden ist. (...) Die Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides vom (...) folgt für die
Zeit ab dem 1. Januar 2005 daraus, dass die Klägerin als Bezieherin von
Grundsicherungsleistungen nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WoGG von dem gleichzeitigen
Bezug von Wohngeld ausgeschlossen ist. Die Unwirksamkeit der Bewilligung ergibt
sich unmittelbar aus der Vorschrift des § 30 Abs. 4 WoGG und muss dem Betroffenen
nur mitgeteilt werden. Eines gesonderten Aufhebungsaktes bedarf es nicht. § 50 Abs. 1
SGB X ist damit für das Rückforderungsbegehren nicht einschlägig. Vielmehr hat die
Rückabwicklung über § 50 Abs. 2 SGB X zu erfolgen. Der Vertrauensschutz nach den
§§ 45 und 48 SGB X ist zu beachten,
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vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. März 2006 - 12 S 2403/05 -, juris-Nr.:
MWRE108180600.
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Die Klägerin kann sich gegenüber der Rückforderung auf Vertrauensschutz jedoch nicht
berufen.
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Da es sich bei dem Bewilligungsbescheid vom (...) um einen Verwaltungsakt mit
Dauerwirkung handelt, der nicht von Anfang an rechtswidrig war, sondern erst im Laufe
der Bewilligungszeit dadurch unwirksam geworden ist, dass die Klägerin ab dem 1.
Januar 2005 gleichzeitig Grundsicherungsleistungen bezogen hat, richtet sich der
Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Einschlägig ist vorliegend die Nr. 4
der Vorschrift. Danach soll ein Sozialleistungsverhältnis für die Vergangenheit
rückabgewickelt werden, wenn der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die
erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem
Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz
oder teilweise weggefallen ist.
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Nach der Überzeugung des Gerichts hätte die Klägerin erkennen müssen, dass ihr
Wohngeldanspruch nach dem 1. Januar 2005 erloschen war. Ihre diesbezügliche
Unkenntnis beruht auf grober Fahrlässigkeit, d.h. die Klägerin hat die erforderliche
Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, als es ihr verborgen blieb, dass ihr das
Wohngeld neben den Grundsicherungsleistungen nicht mehr zustand. (...) In der
Gesamtwürdigung ergibt sich, dass es aus der Sicht der Klägerin eine Vielzahl von
Anhaltspunkten dafür gab, dass sie das Wohngeld zu Unrecht erhielt. Auch ohne
besondere Vorkenntnisse hätte die Klägerin den Doppelbezug von Leistungen
erkennen müssen. Sie kann deshalb nicht mit Erfolg einwenden, sie habe die
Leistungen verbraucht. (...) Liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4
SGB X vor, hat die Rückabwicklung der Bewilligung regelmäßig zu erfolgen. Die
Behörde hat eine gebundene Entscheidung zu treffen. Eine Ermessensausübung hat
nicht zu erfolgen. Allein das Vorliegen atypischer Umstände wäre ein Grund, von der
Rückabwicklung abzusehen,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22. November 2001 - 5 C 10/00 -, juris, unter
Hinweis auf FEVS 53, Seite 303.
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Von einer atypischen Fallgestaltung ist auszugehen, wenn die Umstände des
Einzelfalles im Hinblick auf die mit der rückwirkenden Aufhebung verbundenen
Nachteile von den Normalfällen der Tatbestände der Nummern 1 bis 4 des § 48 Abs. 1
Satz 2 SGB X so signifikant abweichen, dass der Leistungsempfänger in besondere
Bedrängnis gerät,
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vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 12. November 1985 - 3 RK 45/83 -, juris, unter
Hinweis auf FEVS 36, Seite 431.
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Auch der Umstand, dass der Beklagte den doppelten Leistungsbezug hätte vermeiden
können, wenn sich das Grundsicherungsamt und das Wohnungsamt zu einem früheren
Zeitpunkt über die Bewilligung ins Benehmen gesetzt hätten, führt nicht zu der Annahme
eines atypischen Falles. Die volle Kenntnis der Behörde von den
entscheidungserheblichen Tatsachen liegt in den Fällen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4
SGB X regelmäßig vor. Selbst wenn die Behörde daraus nicht die richtigen
Konsequenzen zieht und deshalb fehlerhaft handelt, darf die Leistungsbewilligung
rückabgewickelt werden, wenn der Leistungsempfänger den Fehler kannte oder infolge
grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Diese Konstellation stellt den Regelfall im
Anwendungsbereich des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X dar. Ein atypischer Einzelfall
ist darin nicht zu erkennen."
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Vorliegend ist von einer atypischen Fallgestaltung - um von einer Rückforderung
abzusehen - nicht auszugehen, da die Forderung in angemessenen (niedrigen) Raten
beglichen werden könnte. Ein entsprechendes Angebot des Beklagten mit Schreiben
vom 14.06.2005 hat die Klägerin jedoch nicht angenommen. Im übrigen hätte der
Klägerin im Laufe des Antragsverfahrens zur Bewilligung von Wohngeld klar werden
müssen, dass ein Doppelbezug von Sozialleistungen (einerseits Wohngeld als
Lastenzuschuss, andererseits Übernahme der Unterkunftskosten) nicht vorgesehen ist.
Dafür spricht die Tatsache, dass im Antrag auf Wohngeld vom 17.11.2004 auch
abgefragt worden ist, ob sich die Einkünfte z.B. durch Sozialhilfezahlungen erhöhen (Nr.
19 des Antragsformulars). Unter Nr. 24 des Antragsformulars ist des Weiteren
unterschriftlich die Versicherung abgegeben worden, dass bekannt ist, dass die
Klägerin gesetzlich verpflichtet ist, Änderungen in den Verhältnissen, die für die
Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen. Außerdem ist unter „Aufstellung von in
Betracht kommenden Unterlagen zum Antrag auf Wohngeld (Lastenzuschuss)" darauf
hingewiesen, dass Empfänger von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe Nachweise (über
Art und Höhe der Leistungen) vorzulegen haben. In diesem Zusammenhang hätte das
Studium der Berechnungsbögen zum Bescheid über die Bewilligung von Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II der ARGE X vom 17.03.2005
hilfreich sein können, da schon daraus hervorgeht, dass Leistungen für
Unterkunftskosten bewilligt wurden. Unabhängig davon, dass schon der Bezug von
entsprechenden Leistungen der Wohngeldstelle hätte mitgeteilt werden müssen, hätte
auch einem juristischen Laien klar werden können, dass für die Zahlung eines weiteren
Lastenzuschusses neben Leistungen für Unterkunftskosten kein Platz sein kann.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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