Urteil des VG Düsseldorf vom 30.03.2005
VG Düsseldorf: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, gebot der erforderlichkeit, öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, gemeinde, bebauungsplan, vollziehung, stadt, absicht, gestatten
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 9 L 285/05
30.03.2005
Verwaltungsgericht Düsseldorf
9. Kammer
Beschluss
9 L 285/05
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
Der sinngemäß gestellte Antrag der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage vom 9. Februar 2005 (Az. 9 K 535/05)
gegen den Zurückstellungsbescheid des Antragsgegners vom 16. November 2004 in der
Fassung des Bescheids vom 19. Januar 2005 und den hierzu ergangenen
Widerspruchsbescheid des Landrats des Kreises N vom 26. Januar 2005 in der Fassung
des Berichtigungsbescheids vom 24. Februar 2005 wiederherzustellen,
hat keinen Erfolg, weil er unbegründet ist.
Die gerichtliche Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs kommt
gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in den Fällen, in denen - wie hier durch Bescheid vom 19.
Januar 2005 - die sofortige Vollziehung formell ordnungsgemäß angeordnet und
hinreichend begründet worden ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO), nur in Betracht,
wenn der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und ein öffentliches
Interesse an seiner sofortigen Vollziehung daher nicht bestehen kann, oder wenn das
öffentliche Interesse an seiner sofortigen Vollziehung hinter dem privaten Interesse des
Betroffenen daran, von der Vollstreckung zunächst noch verschont zu bleiben, zurücktreten
muss. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Der angefochtene Bescheid erweist sich bei der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung nicht als
offensichtlich rechtswidrig.
Rechtsgrundlage für die Zurückstellung des Baugesuchs ist § 15 BauGB. Die
Baugenehmigungsbehörde setzt danach die Entscheidung über den Bauantrag aus, wenn
eine Veränderungssperre nicht beschlossen wird und gleichzeitig zu befürchten ist, dass
die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich
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die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich
erschwert würde. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre im Sinne
des § 14 BauGB müssen erfüllt sein. Hiernach muss die Aufstellung eines
Bebauungsplans beschlossen worden sein. Weiterhin ist notwendig, dass die
Veränderungssperre zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich erforderlich
ist.
Formelle Mängel des Aufstellungsbeschlusses über den Bebauungsplan für den
räumlichen Geltungsbereich, in dem auch das Antragsgrundstück liegt, sind weder von der
Antragstellerin vorgetragen noch bei summarischer Prüfung ersichtlich. Der
Aufstellungsbeschluss wurde wirksam vom Stadtentwicklungsausschuss am 5. Dezember
2001 gefasst (Beiakte im Hauptsacheverfahren 9 K 535/05 Heft 4 Bl. 76) und ortsüblich im
Amtsblatt der Stadt I1 Nr. 05/02 S. 2 (Beiakte a. a. O. Bl. 88) bekannt gemacht.
Einer Veränderungssperre und damit auch einer Zurückstellung nach § 15 BauGB muss
eine sicherungsfähige Planung zu Grunde liegen. Sie setzt voraus, dass die zu sichernde
Planung einen Stand erreicht hat, der ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt
des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll. Andererseits kann aber ein detailliertes und
abgewogenes Planungskonzept noch nicht gefordert werden. Die Wirksamkeit der
Veränderungssperre kann nicht von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die für
den Bebauungsplan erst in einem späteren Stadium des Planaufstellungsverfahrens
vorliegen müssen. Andernfalls würde sich die Gemeinde bereits im Zeitpunkt des Erlasses
der Veränderungssperre, die häufig am Beginn der Planungsphase steht, inhaltlich in einer
Weise binden, die den Grundsätzen der Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher
Belange und vor allem dem Prinzip des Abwägungsgebotes widerspräche. Als
Sicherungsmittel ungeeignet ist eine Veränderungssperre nur dann, wenn sich das aus
dem Aufstellungsbeschluss ersichtliche Planungsziel im Wege planerischer Festsetzungen
nicht erreichen lässt, wenn der beabsichtigte Bauleitplan einer positiven Plankonzeption
entbehrt und der Förderung von Zielen dient, für deren Verwirklichung die
Planungsinstrumente des BauGB nicht bestimmt sind, oder wenn rechtliche Mängel
schlechterdings nicht behebbar sind,
vgl. BVerwG, Urteil vom 10. September 1976 - 4 C 39.74 -, BVerwGE 51, 121; Beschlüsse
vom 5. Februar 1990 - 4 B 191.89 -, BauR 1990, 335, vom 21. Dezember 1993 - 4 NB 40.93
-, NVwZ 1994, 685 und vom 15. August 2000 - 4 BV 35.00 -, BRS 64 Nr. 109.
Nach der hier lediglich vorzunehmenden summarischen Prüfung genügt die dem
angefochtenen Bescheid zu Grunde liegende Planung sämtlichen der vorgenannten
Anforderungen.
Als der Aufstellungsbeschluss gefasst wurde, war das erforderliche Mindestmaß an
Planung für den künftigen Bebauungsplan vorhanden. Nach der Begründung des
Aufstellungsbeschlusses (Beiakte a. a. O. Bl. 60) soll u. a. eine Regelung der erwünschten
und nicht erwünschten Nutzungen erfolgen. Neben Vergnügungsstätten und Speditionen
sollen Einzelhandelsbetriebe ausgeschlossen werden, weil diese Betriebe nach Ansicht
des Ausschusses dem Einzelhandelskonzept des Kreises N (INTEK") zuwider laufen.
Wegen einer nicht ausreichenden Zahl von Anwohnern im Westen von I1 könnten dort neu
entstehende Einzelhandelsbetriebe mit zentrenrelevantem Sortiment (so die verständige
Auslegung der Planbegründung) nur auf Kosten der innenstädtischen Geschäfte
wirtschaftlich erfolgreich sein. Des Weiteren erlaube die derzeitige wegemäßige
Erschließung des Plangebiets keinen zusätzlichen Autoverkehr. Schließlich sollen die hier
bestehenden Gewerbeflächen erhalten bleiben, um den diesbezüglichen Flächendruck im
Stadtgebiet abzumildern.
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Hierin liegt nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens auch keine unzulässige
Negativplanung". Negative Zielvorstellungen sind nicht von vornherein illegitim; sie können
sogar den Hauptzweck einer Planung bilden. Die Gemeinde darf mit den Mitteln, die ihr das
BauGB und die BauNVO zur Verfügung stellen, grundsätzlich auch städtebauliche Ziele
verfolgen, die mehr auf Bewahrung als auf Veränderung der vorhandenen Situation zielen.
Entscheidend ist allein, ob eine bestimmte Planung für die städtebauliche Entwicklung und
Ordnung erforderlich ist. § 1 Abs. 3 BauGB erkennt die gemeindliche Planungshoheit an
und räumt der Gemeinde ein Planungsermessen ein. Ein Bebauungsplan ist in diesem
Sinne erforderlich, soweit er nach der planerischen Konzeption der Gemeinde erforderlich
ist. Dabei ist entscheidend, ob die getroffene Festsetzung in ihrer eigentlich gleichsam
positiven Zielsetzung gewollt und erforderlich ist; sie darf nicht nur das vorgeschobene
Mittel sein, um einen Bauwunsch zu durchkreuzen. Letzteres kann aber nicht schon dann
angenommen werden, wenn die negative Zielrichtung der Planung im Vordergrund steht.
Auch eine zunächst nur auf Verhinderung einer - aus der Sicht der Gemeinde -
Fehlentwicklung gerichtete Planung kann einen Inhalt haben, der rechtlich nicht zu
beanstanden ist,
vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. Juli 1990 - 4 B 156/89 -, BRS 50 Nr. 101, vom 18.
Dezember 1990 - 4 NB 8.90 -, BRS 50 Nr. 9, und vom 27. Januar 1999 - BauR 1999, 611;
OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Juli 2002 - 7 B 918/02 - und vom 2. April 2003 - 7 B 235/03 -
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Dem Aufstellungsbeschluss liegt nach seiner Begründung vor allem das Ziel zugrunde, die
Attraktivität und die Einzelhandelsfunktion der Innenstadt zu erhalten und zu stärken. Damit
verfolgt die Stadt I1 legitime Zielsetzungen für eine verbindliche Bauleitplanung. Die
gesetzliche Ermächtigung hierzu ergibt sich allgemein aus § 1 Abs. 5 Satz 2 Nrn. 4 und 8
BauGB sowie des § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BauGB,
vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. April 2004 - 7a D 142/02.NE - ZfBR 2004, 570.
Auch die speziellen Vorschriften des § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO gestatten unter bestimmten
Bedingungen den Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben differenziert nach Branchen
oder Sortimenten, wenn die Differenzierung marktüblichen Gegebenheiten entspricht,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 1998 - 4 BN 31.98 -, BRS 60, 29; OVG NRW, Urteil
vom 12. November 2004 - 10a D 38/02.NE -, ÖffBauR 2005, 31.
Die Absicht, den Einzelhandel geordnet zu entwickeln, ist nicht erst nach Eingang des
Bauantrags entstanden, sondern existierte bereits zuvor, wie das Einzelhandelskonzept
des Kreises N zeigt. Eine hierauf gerichtete Planung an sich ist nach vorläufiger Bewertung
städtebaulich erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB. Ob die Planung im Einzelnen,
insbesondere bezüglich der auszuschließenden Sortimente und damit eines
Tierfuttermarktes, dem Gebot der Erforderlichkeit genügt, kann in der laufenden
Aufstellungsphase naturgemäß noch nicht berücksichtigt werden.
Den antragstellerischen Einwand, das Aufstellungsverfahren werde nicht weiter betrieben,
so dass der Sicherungszweck für die Zurückstellung nachträglich entfallen sei, hält die
Kammer nicht für gerechtfertigt. Aus den Aufstellungsvorgängen ergibt sich
unwidersprochen, dass die Entwurfsbearbeitung im April 2002 (Beiakte a. a. O. Bl. 97) und
im Oktober 2003 (Beiakte a. a. O. Bl. 105) im Gange war. Ohne weitere Anhaltspunkte
rechtfertigt der bloße aktenmäßige Stillstand der Planung über etwas mehr als ein Jahr im
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einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht den Schluss, das Aufstellungsverfahren sei
eingestellt. Im Übrigen wurde am 24. Januar 2005 die Erstellung eines Einzelhandels- und
Nahversorgungskonzepts für die Stadt I1 bei einer Unternehmensberatung in Auftrag
gegeben. Auch wenn dieses Konzept nicht ausschließlich für das Plangebiet verwendet
wird, stellt es als allgemeine Grundlage der städtischen Planungen zu zentrenrelevanten
Einzelhandelsbetrieben eine notwendige Voraussetzung für den weiteren Fortgang der
konkreten Bauleitplanung Nr. 000 dar. Die Beauftragung erfolgte vor der letzten
Verwaltungsentscheidung, nämlich dem Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2005. Da
die Sach- und Rechtslage in diesem Zeitpunkt maßgeblich für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit der Zurückstellung im Hauptsacheverfahren ist, muss die Beauftragung der
Unternehmensberatung auch im vorläufigen Rechtsschutz berücksichtigt werden.
Deswegen ist erheblich wahrscheinlicher, dass sich im Hauptsacheverfahren herausstellt,
dass die Planungen beim Ergehen des Widerspruchsbescheids noch betrieben wurden als
dass sie bereits stillschweigend eingestellt worden waren.
Liegt der Zurückstellung nach alledem eine sicherungsfähige Planung zu Grunde, sind
auch die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 BauGB erfüllt. Die
Errichtung eines Tierfuttermarktes auf dem Antragsgrundstück würde die weitere
Durchführung der Planung zumindest wesentlich erschweren. Nach summarischer Prüfung
wird Tierfutter und Zubehör für die Heimtierhaltung typischerweise auch in innerstädtischen
Geschäften (Tierhandlungen, Lebensmittelgeschäfte, Drogeriemärkte) angeboten. Der
sogenannte Einzelhandelserlass"
Ansiedlung von Einzelhandelsgroßbetrieben; Bauleitplanung und Genehmigung von
Vorhaben (Einzelhandelserlass) vom 7. Mai 1996 - MBl. NRW 1996, 921 -
sieht in Teil B der Anlage 1 zur Ziffer 2.2.5 Tiernahrung und Zooartikel als in der Regel
zentrenrelevantes Sortiment" an. Diesem Anhaltspunkt für die Zentrenrelevanz ist die
Antragstellerin nicht in der Weise entgegengetreten, dass im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes hiervon abzurücken wäre. Es mag Großgebinde von Tierfutter und sperrige
Zubehörartikel geben, die als nicht zentrenrelevant einzustufen sind. Der
Baugenehmigungsantrag gibt aber nichts dafür her, dass sich die Antragstellerin auf diese
Artikel beschränken will. Stellt sich im Rahmen der beauftragten Untersuchung - eine
solche ist zum Zwecke der Differenzierung der ggfs. auszuschließenden Sortimente nach
der soeben angeführten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen unbedingt geboten - heraus, dass Tierfutter und Zooartikel als
zentrenschädlich ausgeschlossen werden können, würde ein positiver Bauvorbescheid
diese Planung verhindern. Insofern ist es nicht erheblich, wie groß die Verkaufsfläche des
beantragten Tierfuttermarkts ist.
Auch im Hinblick auf die gesetzte Frist erweist sich der angefochtene Bescheid nicht als
offensichtlich rechtswidrig. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB kann die Entscheidung für
einen Zeitraum von bis zu zwölf Monaten ausgesetzt werden; die Frist beginnt mit der
Bekanntgabe des Zurückstellungsbescheids an die Antragstellerin,
vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Kommentar zum BauGB, Loseblattsammlung, Stand: 70.
Ergänzungslieferung Januar 2003, § 15 Rn. 48 m.w.N..
Die Fristbestimmung für 12 Monate" ist deswegen nicht zu beanstanden,
vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Oktober 1981 - 7 A 2283/79 - BRS 38 Nr. 110.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer
hat sich hierbei zunächst an dem für die Erteilung einer Baugenehmigung
(Nutzungsänderung) für einen Einzelhandelsbetrieb (mit 395,87 m² Verkaufsfläche)
maßgeblichen Streitwert orientiert. Nach dem Streitwertkatalog des OVG NRW sind 150,--
EUR je 1 m² Verkaufsfläche anzusetzen.
Da Gegenstand des Verfahrens jedoch nicht die Erteilung der Baugenehmigung selbst,
sondern lediglich die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur weiteren Bearbeitung des
Bauantrags ist, hält es die Kammer für sachgerecht, die Hälfte dieses Betrages in Ansatz zu
bringen. Angesichts der Vorläufigkeit des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes ist dieser Betrag nochmals zu halbieren, so dass sich ein Streitwert von
15.000,-- Euro ergibt.