Urteil des VG Düsseldorf vom 09.12.2008
VG Düsseldorf: aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, privates interesse, arzneimittel, verordnung, verfügung, vollziehung, kennzeichnung, gefährdung, lagerung
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 16 L 1780/08
Datum:
09.12.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 L 1780/08
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
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Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,
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die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 6. November 2008 gegen den
Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. Oktober 2008 wiederherzustellen,
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hat keinen Erfolg.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines
Rechtsbehelfs wiederherstellen, wenn die Behörde – wie hier – die sofortige
Vollziehung des Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse angeordnet hat.
Voraussetzung für die begehrte Entscheidung ist, dass das private Interesse der
Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse an der
sofortigen Vollziehung überwiegt. Das ist im Allgemeinen nur dann der Fall, wenn der
angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist oder aus sonstigen Gründen
ein überwiegendes privates Interesse vorliegt.
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Beide Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Vielmehr spricht nach der im
vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung vieles dafür, dass die
streitige Anordnung, für jede Charge aller Fertigarzneimittel Rückstellmuster
entsprechend den Regelungen des § 18 der Verordnung über die Anwendung der
Guten Herstellungspraxis bei der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen und
über die Anwendung der Guten fachlichen Praxis bei der Herstellung von Produkten
menschlicher Herkunft (Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung – AMWHV)
aufzubewahren, rechtmäßig ist.
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Gemäß § 69 Abs. 1 Nr. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) treffen die zuständigen
Behörden – das ist hier die Antragsgegnerin (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 6 der Verordnung über
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Zuständigkeiten im Arzneimittelwesen und nach dem Medizinproduktegesetz) – die zur
Beseitigung festgestellter und zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen
Anordnungen. Bei der im vorliegenden Verfahren nur gebotenen summarischen und
deshalb noch nicht abschließenden Prüfung spricht vieles dafür, dass die von der
Antragstellerin derzeit praktizierte Bildung von Rückstellmustern den Anforderungen des
§ 18 AMWHV nicht genügt.
Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 AMWHV hat die für die Freigabe einer Charge zum
Inverkehrbringen verantwortliche sachkundige Person sicherzustellen, dass
Rückstellmuster von jeder Charge eines Fertigarzneimittels in ausreichender Menge
zum Zwecke einer gegebenenfalls erforderlichen analytischen Nachtestung und zum
Nachweis der Kennzeichnung einschließlich der Packungsbeilage mindestens ein Jahr
über den Ablauf des Verfalldatums hinaus aufbewahrt werden. Sofern eine Charge in
zwei oder mehr Arbeitsgängen endgültig verpackt wird, ist grundsätzlich jeweils
mindestens ein Rückstellmuster pro Verpackungsvorgang aufzubewahren (Satz 4). Bei
parallel importierten oder parallel vertriebenen Arzneimitteln findet Satz 4 nur
Anwendung, sofern deren Sekundärverpackung zum Zwecke der Änderung der
Kennzeichnung oder der Packungsbeilage geöffnet wird. Hiernach ist die Antragstellerin
grundsätzlich verpflichtet, von jeder Charge der von ihr neu konfektionierten und in
Verkehr gebrachten Arzneimitteln ein Rückstellmuster aufzubewahren. Dabei bedeutet
Charge nach § 4 Abs. 16 AMG die jeweils aus derselben Ausgangsmenge in einem
einheitlichen Herstellungsvorgang oder bei einem kontinuierlichen
Herstellungsverfahren in einem bestimmten Zeitraum erzeugte Menge eines
Arzneimittels. Herstellen ist gemäß § 4 Abs. 14 AMG u.a. auch das Umfüllen
einschließlich Abfüllen, das Abpacken, das Kennzeichnen und die Freigabe. Aufgrund
dieses weiten Herstellungsbegriffs stellt daher jedes von der Antragstellerin in einem
einheitlichen Vorgang neu konfektionierte Fertigarzneimittel eine eigene
arzneimittelrechtliche Charge dar, für die ein Rückstellmuster aufzubewahren ist.
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Irgendwelche Ausnahmen hiervon kann die Antragstellerin nicht für sich in Anspruch
nehmen. Derartiges folgt auch nicht daraus, dass das rheinland-pfälzische Landesamt
für Soziales, Jugend und Versorgung in einem Schreiben vom 19. Dezember 2006
dargelegt hat, dass es in Auslegung des § 18 Abs. 1 Satz 5 AMWHV als ausreichend
angesehen werden könne, wenn ein Rückstellmuster pro Ausgangsmenge (z.B. aus der
1. Fertigung) gezogen werde und bei weiteren Fertigungen aus derselben
Ausgangsmenge kein weiteres Rückstellmuster gebildet werde. Denn das Gericht teilt
die von der genannten Behörde vertretene Rechtsauffassung nicht. Schließlich knüpft
der Chargenbegriff des AMG nicht nur an die Ausgangsmenge sondern auch an den
einheitlichen Herstellungsvorgang an. Daher kann es nicht allein darauf ankommen, ob
die von der Antragstellerin hergestellten Arzneimittel aus derselben Originalcharge des
Originalherstellers stammen. Maßgeblich ist vielmehr, ob die aus der Originalcharge
stammenden Arzneimittel in einem einheitlichen Vorgang konfektioniert werden oder ob
dies in mehreren separaten Vorgängen erfolgt. Nur wenn hinsichtlich der in einem
einheitlichen Vorgang hergestellten Arzneimittel jeweils ein Rückstellmuster vorhanden
ist, kann eine gegebenenfalls erforderliche analytische Nachtestung und eine
Überprüfung der Kennzeichnung einschließlich der Packungsbeilage aussagekräftig
erfolgen. Denn schon angesichts dessen, dass Teillieferungen unterschiedlichen
Transport- und Lagerbedingungen ausgesetzt sein können, wird deutlich, dass sich in
einem eventuellen Beanstandungsfall, beispielsweise wegen Nichteinhaltung der
Kühlkette, ansonsten nicht mehr nachvollziehen ließe, welche Charge der von der
Antragstellerin hergestellten Arzneimittel hiervon betroffen ist. Eine Gefährdung der
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Arzneimittelsicherheit ist bei der insofern gebotenen abstrakten Beurteilung nicht
auszuschließen, wenn die Rückstellmuster nicht grundsätzlich entsprechend § 18 Abs.
1 AMWHV gebildet werden.
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf
Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV hat.
Abgesehen davon, dass sie einen solchen Anspruch nach dessen durch Bescheid vom
21. Oktober 2008 erfolgten Ablehnung durch die Antragsgegnerin mit ihrer Klage 16 K
7603/08 nicht mehr weiter verfolgt, liegen auch die Voraussetzungen für die Erteilung
einer solchen Genehmigung nicht vor. Eine solche Ausnahmegenehmigung ist begrenzt
auf Arzneimittel, deren Herstellung für den Einzelfall oder in kleinen Mengen erfolgt und
deren Lagerung besondere Probleme bereitet. Die Antragstellerin hat schon nicht
präzisiert, für welche Arzneimittel sie eine solche Ausnahmegenehmigung begehrt. Eine
generelle Ausnahmeerteilung, weil es sich um ein mittelständisches Unternehmen
handelt, das in kleinen Chargen produziert, sieht die Verordnung gerade nicht vor; sie
kann auch nicht in Betracht kommen, da nur wegen der Größe des Betriebes und der
Organisation der Betriebsabläufe das auf Verminderung der Gefährdung der
Arzneimittelsicherheit gerichtete Ziel der Verordnung nicht unterlaufen werden darf.
Angesichts dieses Zieles der Verordnung wird auch deutlich, dass die mit der Lagerung
großer Mengen von Rückstellmustern einhergehenden wirtschaftlichen Belastungen für
den Arzneimittelhersteller bei der Frage der Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis keine
Rolle spielen können. Derartige Härten gehören nicht zu den bei einer Entscheidung
nach § 18 Abs. 1 Satz 6 AMWHV zu berücksichtigenden Umständen. Eine generelle
Ausnahmeerteilung nur deshalb, weil es sich um parallel importierte Arzneimittel
handelt, kann nicht in Betracht kommen, weil dies mit der Regelung des § 18 Abs. 1
Satz 5 i.V.m. Satz 4 AMWHV nicht vereinbar wäre.
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Spricht hiernach vieles für die Rechtmäßigkeit der streitigen Verfügung, so überwiegt
bei der Interessenabwägung das Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser
Verfügung. Gerade auch im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin aufgeführte und in
dem angefochtenen Bescheid näher dargestellte Gefahr der Vermischung ist aus
Gründen des Verbraucherschutzes das Interesse an einer effektiven Kontrolle der
Arzneimittelsicherheit höher zu bewerten als das wirtschaftliche Interesse der
Antragstellerin an der Beibehaltung der bislang von der Antragsgegnerin
vorübergehend geduldeten bisherigen Praxis hinsichtlich der Bildung von
Rückstellmustern.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung ist nach §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG erfolgt. Das Interesse an
der Aufhebung der Verfügung ist mit 10.000,-- Euro zu bewerten. Dieser Betrag mindert
sich im Aussetzungsverfahren, in dem nur vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden
kann, um die Hälfte.
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