Urteil des VG Düsseldorf vom 03.09.2010

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Verwaltungsgericht Düsseldorf, 25 K 3720/10
Datum:
03.09.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
25. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 K 3720/10
Schlagworte:
Werbeanlage
Tenor:
Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 14. Mai 2010 wird auf-
gehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Baugenehmigung zur
Errichtung einer beleuchteten zweiseitigen Werbeanschlagtafel auf dem
Grundstück Gemarkung G1, Flurstück 1098, B-Straße 217 in 00000 E,
nach Maßgabe des Bauantrages vom 9. November 2009 zu erteilen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizu-
treibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Voll-
streckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist ein Unternehmen der Außenwerbung. Ihr Geschäftsbetrieb besteht in
der Anmietung von Grundstücksflächen zum Zwecke der Errichtung von Anlagen der
Außenwerbung, welche sie an Werbetreibende vermietet.
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Mit Bauantrag vom 9. November 2009 beantragte die Klägerin die bauaufsichtliche
Genehmigung für eine beleuchtete zweiseitige Werbeanlage (Plakatanschlagtafel), die
auf dem Grundstück B-Straße 217 in 00000 E, Gemarkung G1, Flurstück 1098 errichtet
werden soll. Es handelt sich um eine Tafel von 3,80 x 2,80 m, die auf einem 2,50 m
hohen Monofuß errichtet werden soll. Die Anlage ist vor dem Gebäude B-Straße 217
vorgesehen in dem etwa 5 m tiefen Grünstreifen zwischen Gebäude und Fußweg der B-
Straße. Die Entfernung zur Einmündung der B1 Straße in die B-Straße beträgt ca. 20 m.
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Das Grundstück B-Straße 217 ist entlang dieser Straße bebaut mit einem ca. 40 m
langen zweigeschossigen Geschäftsgebäude der Firma M. Die Straße verläuft ca. in
Nord-Süd-Richtung. Das Grundstück liegt östlich dieser Straße, das Gebäude enthält
außer der Firma M noch einen L-Markt sowie eine Bäckerei. Südöstlich vorgelagert sind
die zugehörigen Parkplätze. An der Gebäudeecke steht auf dem Grünstreifen eine ca. 5
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m hohe Werbeanlage, bestehend aus zwei Pfählen und dazwischen angebrachten
Schildern, die u.a. Werbung für M enthält. Südlich davon verläuft eine in einem
Wendehammer endende Zufahrtstraße. Hinter der folgenden Freifläche verläuft südlich
eine Bahnstrecke in Hochlage; die B-Straße führt durch einen Tunnel. Vor diesem
Tunnel stehen auf der östlichen Seite der B-Straße (Straßenseite des streitigen
Vorhabens) drei Werbetafeln im Format 3,80 m x 2,80 m, eine weitere kleinere
Werbeanlage befindet sich in der verglasten Seitenwand eines Wartehäuschens einer
Bushaltestelle. Die Entfernung zum Vorhaben der Klägerin beträgt ca. 80 m. Auf der
westlichen Seite der B-Straße steht vor der Tunneleinfahrt eine einseitig beleuchtete
Werbeanlage der Firma T auf Monofuß, die im übrigen der beantragten Anlage
entspricht. Ferner befindet sich hier ein größeres Hinweisschild auf Unternehmen in
einem westlich der B-Straße liegenden Gewerbepark. Südlich der Bahnstrecke befindet
sich das Gelände M1 I (Gelände des ehemaligen Hüttenwerkes S der Firma L1, auf dem
eine Vielzahl von Betrieben der Logistik-Branche angesiedelt ist); hinter dem
Bahntunnel steht das Tor 1 des ehemaligen Hüttenwerkes. – Auf der dem Gebäude der
Firma M gegenüberliegenden Straßenseite steht ein älteres Gebäude, welches nach
angebrachten Beschriftungen von einem türkischen Verein genutzt wird. – Nördlich des
Vorhabengrundstücks mündet die B1 Straße in die B-Straße. Auf dem nördlich
anschließenden Grundstück steht ein Hochbunker. Nördlich davon stehen auf der
östlichen Seite der B-Straße Wohnhäuser mit etwa 5 m tiefen vorgelagerten Grünflächen
als Doppelhaus oder kleinere Hausgruppen; in dem etwas größeren Gebäude B-Straße
213 befindet sich im Erdgeschoss ein türkischer Verein. Auf der Westseite der B-Straße
befindet sich gegenüber dem Hochbunker und dem Gebäude B-Straße 213 eine
größere unbebaute, mit Sträuchern und Bäumen bestandene Fläche. Daran schließen
sich nördlich in eine Grünanlage eingebettete, annähernd rechtwinklig zur B-Straße
stehende mehrgeschossige Wohnhäuser von jeweils ca. 40 m Länge an, die von der
Straße etwa 15 bis 20 m entfernt stehen.
Ein Bebauungsplan für das in Rede stehende Gebiet besteht nicht.
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Das Vorhabengrundstück liegt im Geltungsbereich der am 7. Oktober 2002 vom Rat
beschlossenen Satzung der Stadt E über örtliche Bauvorschriften für einen Bereich
nördlich von Tor 1 in S-Mitte (bzw. Satzung über die örtlichen Bauvorschriften für einen
Bereich entlang der B1 Straße im Ortsteil S-Mitte) vom 25. Oktober 2002, die im
Amtsblatt der Stadt E vom 20. November 2002 bekannt gemacht worden ist. Das
Satzungsgebiet grenzt südöstlich an die Bahnstrecke und umschließt sodann die
Bebauung beidseits der B-Straße einschließlich der vorgenannten Wohnhausblocks,
ferner die östlich liegende Bebauung um die B1 Straße. Das Gebiet ist in einer Karte
umgrenzt. Die eingangs genannten drei Werbetafeln stehen außerhalb des
Satzungsgebietes, die Anlage der Firma T innerhalb des Satzungsgebietes.
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§ 2 der Satzung besagt:
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"Ziel der Satzung ist es, im Bereich der sich im Zuge des Strukturwandels ändernden
Nutzungen nördlich des M1geländes, entlang von B-Straße und B1 Straße
einschließlich der Nebenstraßeneinmündungen durch örtliche Bauvorschriften das
Erscheinungsbild des Straßenraums zu erhalten. Durch die Vorschriften über die
gärtnerische Gestaltung der Vorgärten sowie den Ausschluss von: Einfriedigungen,
Stellplätzen, Garagen und Werbeanlagen, soll das gewachsene Erscheinungsbild der
Straßenfluchten gesichert werden."
8
Entsprechend bestimmt § 3 der Satzung, dass Vorgärten unversiegelt anzulegen und
gärtnerisch zu gestalten sind, Einfriedigungen der Vorgärten unzulässig sind, Stellplätze
und Garagen nicht zulässig sind und (§ 3 Abs. 4), dass in den Vorgärten und an der
Straßenfront der Gebäude Werbeanlagen nicht zulässig sind; Ausnahmen sind nur an
der Stätte der Leistung zulässig, soweit sie das Ortsbild nicht beeinträchtigen. § 3 Abs. 5
der Satzung bestimmt, dass Vorgärten im Sinne der Satzung die Flächen zwischen
öffentlicher Verkehrsfläche und der vorderen Gebäudeflucht auf einer max. Tiefe von 5,0
m sind; die Bereiche sind im Lageplan zur Satzung gekennzeichnet.
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Das Vorhabengrundstück befindet sich in einem so gekennzeichneten Bereich, ebenso
die übrigen Flächen westlich und östlich der B-Straße.
10
Der Beklagte hielt in seiner internen Prüfung das Vorhaben für planungsrechtlich nach
§ 34 Abs. 1 BauGB zulässig, ebenso bauordnungsrechtlich hinsichtlich §§ 6, 12, 13
BauO NRW.
11
Unter dem 23. Dezember 2009 hörte er die Klägerin zur beabsichtigten Ablehnung des
Antrags mit Blick auf § 3 Abs. 4 der Satzung an. Die Klägerin legte in ihrer
Stellungnahme ihre Auffassung dar, dass die Satzung nichtig sei, weil sie über eine
generelle Vorgartenregelung ein bauplanerisches Bauverbot begründe, welches nur
durch Bundesrecht und entsprechende Bebauungspläne geregelt werden könne.
12
Mit Bescheid vom 14. Mai 2010 lehnte der Beklagte den Bauantrag, gestützt auf § 3
Abs. 4 der Satzung, ab.
13
Zur Begründung ihrer am 9. Juni 2010 erhobenen Klage vertieft die Klägerin ihre
Ausführungen dazu, dass die Satzung vom 25. Oktober 2002 nichtig sei. Sie beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 14. Mai 2010 zu
verpflichten, ihr die Baugenehmigung zur Errichtung einer zweiseitigen
Werbeanlage gemäß ihrem Antrag vom 9. November 2009 zu erteilen.
15
Der Beklagte beantragt,
16
die Klage abzuweisen,
17
und legt seine Auffassung dar, dass die Satzung aufgrund von § 86 Abs. 1 Nr. 1 BauO
NRW wirksam erlassen sei.
18
Im Erörterungstermin vom 1. September 2010 hat der Vorsitzende die Örtlichkeit in
Augenschein genommen; auf die Niederschrift und die gefertigten Fotos wird Bezug
genommen.
19
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet und sich
mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden anstelle der Kammer einverstanden
erklärt.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten
(Bauantrag und Aufstellungsakte der Satzung) Bezug genommen.
21
Entscheidungsgründe:
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Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung durch den Vorsitzenden anstelle der Kammer, §§ 101 Abs. 2, 87 a Abs. 2
VwGO.
23
Die zulässige Klage ist begründet. Der ablehnende Bescheid des Beklagten ist
rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch
auf die begehrte Baugenehmigung (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
24
Die Baugenehmigung ist nach § 75 Abs. 1 BauO NRW zu erteilen, wenn dem Vorhaben
öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegen stehen; das ist vorliegend der Fall. Bei
der Plakatanschlagtafel handelt es sich zunächst um eine bauliche Anlage gemäß § 2
Abs. 1 BauO NRW, die nicht zu den genehmigungsfreien Vorhaben nach § 65 Abs. 1
Nr. 3335 BauO NRW zählt. Ihre Errichtung ist somit nach § 63 Abs. 1 BauO NRW
baugenehmigungspflichtig und im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu prüfen
(§ 68 Abs. 1 BauO NRW). Nach § 68 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BauO NRW ist die
Vereinbarkeit des Vorhabens mit den Vorschriften der §§ 2938 BauGB, nach Nr. 2
derselben Vorschrift u.a. die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den §§ 12, 13 BauO NRW
und nach Nr. 3 derselben Vorschrift mit den örtlichen Bauvorschriften nach § 86 BauO
NRW zu prüfen.
25
Die von der Klägerin geplante Werbeanlage ist bauplanungsrechtlich zulässig und
verstößt insoweit auch nicht gegen § 13 Abs. 4 BauO NRW; dies ist zwischen den
Parteien nicht streitig. Einer abschließenden Qualifizierung des Gebietes – welches der
Beklagte als Gemengelage nach § 34 Abs. 1 BauGB, die Klägerin als Mischgebiet
bewertet – bedarf es nicht, denn der Anbringungsort befindet sich jedenfalls nicht in
einem allgemeinen oder reinen Wohngebiet. In der näheren Umgebung befinden sich
mehrere Werbeanlagen in der Größe der von der Klägerin geplanten Anlage, die auch
das Vorhabengrundstück prägen. Der Beklagte hält das Vorhaben selbst auch für
planungsrechtlich zulässig.
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Bauordnungsrechtliche Bedenken bestehen ebenfalls nicht. Das Vorhaben hält nach
den zur Genehmigung gestellten Bauvorlagen auch nach der Prüfung des Beklagten die
nach § 6 BauO NRW erforderlichen Abstandflächen ein und verstößt auch nicht gegen
das Verunstaltungsverbot des § 13 Abs. 2 BauO NRW. Auch eine störende Häufung von
Werbeanlagen, § 13 Abs. 2 Satz 3 BauO NRW, ist nach dem im Ortstermin gewonnenen
tatsächlichen Eindruck bei Hinzutreten der zur Genehmigung gestellten Anlage nicht
gegeben. Die vorhandenen Werbeanlagen, insbesondere die vier gleich großen
Werbeanlagen beidseits des Eisenbahntunnels, sind von der zur Genehmigung
gestellten Anlage deutlich abgesetzt und geraten beim Blick auf die streitige Anlage
nicht in im Sinne einer Störung relevanter Weise gleichzeitig in den Blick, sondern
erscheinen hier wegen der Entfernung deutlich kleiner, wie auch die Fotomontage zum
Bauantrag (Beiheft zu Beiakte 1, S. 6) deutlich zeigt.
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Schließlich liegt ein Verstoß gegen eine örtliche Bauvorschrift nach § 86 BauO NRW
nicht vor, denn die Satzung der Stadt E über die örtlichen Bauvorschriften für einen
Bereich entlang der B1 Straße im Ortsteil Rheinhausen-Mitte vom 25. Oktober 2002 ist
unwirksam.
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Gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW – diese Vorschrift kommt allein in Betracht, die
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Satzung selbst nennt als Rechtsgrundlage insgesamt nur § 86 Abs. 1 BauO NRW –
können die Gemeinden örtliche Bauvorschriften als Satzung erlassen über die äußere
Gestaltung baulicher Anlagen sowie von Werbeanlagen und Warenautomaten zur
Durchführung baugestalterischer Absichten in bestimmten, genau abgegrenzten
bebauten oder unbebauten Teilen des Gemeindegebietes; dabei können sich die
Vorschriften über Werbeanlagen auch auf deren Art, Größe und Anbringungsort
erstrecken. Auf diese Norm des § 86 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW ist die in Rede stehende
Satzung der Stadt E vom 25. Oktober 2002 ausweislich der Klageerwiderung auch
gestützt.
Der Erlass einer solchen Satzung steht im Ermessen des Ortsgesetzgebers; diese
ortsgesetzgeberische Ermächtigung besteht allerdings nicht unbeschränkt. Sie findet
vielmehr ihre Grenze insbesondere in dem mit Verfassungsrang ausgestatteten
Übermaßverbot sowie im Wesen des durch Art. 14 GG geschützten Eigentums und
darüber hinaus im Abwägungsgebot. Sie setzt hiernach voraus, dass die
baugestalterischen Absichten der Gemeinde auf sachgerechten Erwägungen beruhen
und eine angemessene Abwägung der Belange des Einzelnen und der Allgemeinheit
erkennen lassen,
30
vgl. grundlegend Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Kommentar, Stand
1.6.2010, § 86 Rn. 35 m.w.N.; OVG NRW, Urteil vom 6. Februar 1992, BRS 54
Nr. 112.
31
Die Grenze für die positive Gestaltungspflege liegt mithin zum einen im Übermaßverbot
und zum anderen – in engem Zusammenhang damit stehend – in dem
Abwägungsgebot, das die Einstellung der Belange des Einzelnen, insbesondere des
Eigentums, erfordert. Nur dann können baugestalterische Anforderungen Ausdruck der
Eigentumsbindung i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sein.
32
Gemäß § 2 – Ziel der Satzung – der Satzung der Stadt E über die örtlichen
Bauvorschriften für einen Bereich entlang der B1 Straße vom 25. Oktober 2002 ist Ziel
dieser Satzung, das Erscheinungsbild des Straßenraumes zu erhalten, das
gewachsene Erscheinungsbild der Straßenfluchten zu sichern. Gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 1
BauO NRW darf eine Satzung nur erlassen werden zur Durchführung baugestalterischer
Absichten. Den Gemeinden wird dadurch ein Instrument zur Verfügung gestellt, auf
Grund eigener gestalterischer Zielsetzung das Straßen- und Ortsbild dynamisch zu
beeinflussen. Eine solche gestalterische Zielvorstellung, die das Straßen- und Ortsbild
dynamisch beeinflussen soll, wird durch § 2 der Satzung nicht erkennbar. Die Aussage,
das Erscheinungsbild des Straßenraumes bzw. das gewachsene Erscheinungsbild der
Straßenfluchten solle gesichert werden, ist nichtssagend und lässt eine hinreichend
bestimmte baugestalterische Absicht nicht erkennen,
33
vgl. ähnlich OVG NRW, Urteil vom 29. Januar 1999 – 11 A 4952/97 .
34
Die örtliche Bauvorschrift nach § 86 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW darf nur zur Durchführung
baugestalterischer Absichten erlassen werden. Erforderlich ist, dass ein Konzept für die
Ausgestaltung eines bestimmten Teiles des Gemeindegebietes vorhanden ist, aus dem
sich die örtliche Bauvorschrift ableiten lässt. Das Konzept muss an die Besonderheiten
des fraglichen Gebiets in einem diese erfassenden Sinn anknüpfen,
35
vgl. zum Vorstehenden Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O..
36
Der Umfang des jeweiligen Teilgebietes richtet sich nach der sachlichen Berechtigung
der örtlichen Bauvorschriften, die sich wiederum aus der Art der Bebauung ergibt, die
gestalterisch geschützt oder gelenkt werden soll, wobei die sodann notwendige
Abwägung ergibt, in welchem Umfang die örtliche Bauvorschrift erlassen wird,
37
vgl. Gädtke/Temme/Heintz, BauO NRW, Kommentar, 11. Auflage 2008, § 86 Rn. 31.
38
Derartige Besonderheiten des in Rede stehenden Gebietes sind nach den vorgelegten
Plänen und dem in der Ortsbesichtigung gewonnenen tatsächlichen Eindruck nicht
vorhanden. Das Erscheinungsbild des Straßenraumes ist uneinheitlich. Die Gebäude
östlich der B-Straße haben überwiegend einen Vorgarten von ca. 5 m Tiefe; deutlich
zurückgesetzt ist der dem Vorhabengrundstück benachbarte Hochbunker. Die
Bebauung auf der westlichen Seite der B-Straße ist demgegenüber weit von der Straße
zurückgesetzt und in einer eigenen Grünanlage eingebettet; das große Grundstück
gegenüber dem Hochbunker ist gänzlich unbebaut. Die Bebauung vermittelt in keiner
Weise den Eindruck eines "gewachsenen Eindrucks der Straßenfluchten".
39
Des weiteren ist den Verwaltungsvorgängen zur Aufstellung der Satzung in keiner
Weise zu entnehmen, dass auch nur ansatzweise eine Abwägung zwischen den
Belangen der Allgemeinheit und den Interessen der einzelnen betroffenen
Grundstückseigentümer stattgefunden hat. Das Fehlen einer derartigen Abwägung führt
selbständig nach der genannten Rechtsprechung des OVG NRW
40
Urteil vom 6. Februar 1992, BRS 54 Nr. 112
41
zur Nichtigkeit der Satzung.
42
Dass der Rat der Stadt mit der Satzung eigentlich auch keine baugestalterischen
Absichten, sondern planungsrechtliche Absichten verfolgte, wird im übrigen aus den
Verwaltungsvorgängen zur Aufstellung der Satzung bestätigt. Diese beginnen mit einem
Zurückstellungsbescheid vom 28. Februar 2002 hinsichtlich eines Bauantrages zur
Errichtung von Garagen auf dem im Satzungsbereich liegenden Grundstück B1 Straße
85. In der Folgezeit wurde die Gestaltungssatzung erarbeitet und ab September 2002
den kommunalrechtlichen Gremien vorgelegt. Mit der Regelung der nach der Satzung
freizuhaltenden Flächen sind inhaltlich bodenrechtliche Regelungen hinsichtlich der
überbaubaren Grundstücksflächen getroffen. Örtliche Bauvorschriften sind unzulässig,
soweit das Planungsrecht reicht; Gestaltungsvorschriften dürfen nicht bodenrechtliche
Regelungen "im Gewande von Baugestaltungsvorschriften" sein. Die
baugestalterischen Absichten, die Anlass zu einer Satzung nach § 86 Abs. 1 Nr. 1 BauO
NRW geben können, haben demgegenüber mehr die einzelnen Bauten im Blick und
ermöglichen insoweit die "dynamische Beeinflussung" des Straßen- und Ortsbildes,
43
vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte a.a.O. m.w.N. aus der Rspr. des BVerwG.
44
Ebendies hat der Beklagte in der Klageerwiderung herangezogen, es findet allerdings
keinen Ausdruck in der Satzung. Die Satzung regelt inhaltlich mit ihrer Definition des
Vorgartens in § 3 Abs. 5 eine vordere Baugrenze und mit § 3 Abs. 3 und 4 den
Ausschluss von Stellplätzen, Garagen und Werbeanlagen außerhalb der überbaubaren
Flächen. Sachgerecht wäre eine derartige Regelung in einem Bebauungsplan mit
Festsetzung vorderer Baugrenzen nach § 23 Abs. 3 BauNVO und Ausschluss baulicher
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Anlagen nach § 23 Abs. 5 BauNVO getroffen worden. Um die Gestaltung der einzelnen
Bauten und Grundstücke geht es demgegenüber bei der Satzung im wesentlichen nicht.
Der Rat der Stadt E hat offensichtlich den Weg zu diesem Ziel über die
Gestaltungssatzung gewählt, um das aufwendigere Verfahren des Erlasses eines
Bebauungsplanes zu vermeiden.
Keiner Entscheidung bedarf es, ob auch die Regelungen in § 3 Abs. 1 und 2 der
Satzung betreffend gärtnerische Gestaltung der Vorgärten, Verbot der Einfriedigung der
Vorgärten, Zulässigkeit von Rasenkantensteinen unwirksam sind, womit eine
gestalterische Zielsetzung verfolgt sein mag, da die Satzung zumindest mit ihrem hier
entscheidenden § 3 Abs. 4 unwirksam ist.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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