Urteil des VG Düsseldorf vom 29.02.2008

VG Düsseldorf: beihilfe, krankenversicherung, vitamin, fürsorgepflicht, vollstreckung, einverständnis, gerichtsakte, medikament, vollstreckbarkeit, zivilprozessordnung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 13 K 1005/07
Datum:
29.02.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 1005/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn
nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger wendet sich gegen die Abzugbeträge bei Arznei- und Verbandmitteln nach §
12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in
Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Beihilfevorschriften - BhV). Er ist
beihilfeberechtigter Versorgungsempfänger (Bemessungssatz: 70 v.H. der
beihilfefähigen Aufwendungen, § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BhV).
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Mit Bescheid vom 15. Januar 2007 setzte die Beklagte auf den Antrag des Klägers vom
26. Dezember 2006 hin eine Beihilfe u.a. für die (am 29. November 2006 bzw. 13.
Dezember 2006 gekauften) Medikamente SimvaHexal (20,50 Euro), Omep (74,46 Euro)
und Vitamin D3-Hevert (6,80 Euro) fest. Für die Ermittlung der beihilfefähigen
Aufwendungen zog sie bei Omep 7,44 Euro ab, bei den beiden anderen Medikamenten
jeweils 5,00 Euro.
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Mit seinem Widerspruch wandte sich der Kläger gegen diese Abzüge. Für
Kassenpatienten gebe es für bestimmte Medikamente keine Zuzahlungen mehr. Das
müsse auch für Beihilfeberechtigte gelten.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2007 wies die Beklagte die Widersprüche
als unbegründet zurück. Sie führte aus, dass sich die Abzüge aus einer Anwendung des
§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) BhV ergäben. Ein Ermessensspielraum bestehe
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nicht. Bei der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und der Beihilfe andererseits
handele es sich zwei völlig unterschiedliche und voneinander unabhängige
Sicherungssysteme. Wegen des ergänzenden Charakters der Beihilfe müssten auch
Härten und Nachteile hingenommen werden, soweit sie keine besonderen Belastungen
bedeuteten.
Der Kläger hat am 13. März 2007 Klage erhoben.
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Zur Begründung führt er aus, insbesondere sei auch nicht berücksichtigt worden, dass
er nur zu 70 v.H. beihilfeberechtigt sei. Selbst wenn man von der grundsätzlichen
Rechtmäßigkeit der Abzüge ausgehe, hätte bei ihm lediglich der Prozentsatz von 70
v.H. berücksichtigt werden dürfen.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung ihres Beihilfebescheides vom
15. Januar 2007 und unter Aufhebung ihres Widerspruchsbescheides vom 22. Februar
2007 zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag vom 26. Dezember 2006 hin über das
bereits Gewährte hinaus eine Beihilfe in Höhe von 12,21 Euro zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung macht sie geltend, die vom Kläger angeführte Minderung der Abzüge
sei in den Beihilfevorschriften nicht vorgesehen. Der Kläger müsse die nicht
beihilfefähigen Aufwendungen selbst tragen. Dass der Wesenskern der Fürsorgepflicht
verletzt sei, weil die Abzüge den angemessenen Lebensunterhalt des Klägers
gefährdeten, sei nicht erkennbar.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr
Einverständnis dazu gegeben haben, § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO).
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Der Beihilfebescheid der Beklagten vom 15. Januar 2007 und ihr
Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2007 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger
nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch
auf die Gewährung der begehrten weiteren Beihilfe in Höhe von 12,21 Euro.
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Der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Beihilfe richtet sich nach den
Beihilfevorschriften. Zwar genügen diese nicht den Anforderungen des
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verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehaltes. Jedoch gelten sie zumindest für einen
Übergangszeitraum weiter, um dem Gesetzgeber die Möglichkeit einzuräumen, die
erforderlichen Regelungen zu treffen. Sie sind wie revisible Rechtsnormen auszulegen.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Juni 2004 - 2 C 50.02 -, BVerwGE 121, 103;
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. März 2006 - 1
A 1142/04 -, veröffentlicht in NRWE und juris.
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Im Falle des Klägers ist von einer Weitergeltung der Beihilfevorschriften für die im
Zeitraum von November bis Dezember 2006 entstandenen Aufwendungen (noch)
auszugehen, so dass sie trotz des fehlenden Gesetzescharakters grundsätzlich als
Anspruchsgrundlage heranzuziehen sind.
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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Juni 2004 - 2 C 50.02 -, BVerwGE 121, 103,
und Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. März
2006 - 1 A 1142/04 -, veröffentlicht in NRWE und juris.
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Die Beklagte war nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) BhV berechtigt, für die
Ermittlung der beihilfefähigen Aufwendungen bei dem Medikament Omep 7,44 Euro und
bei den Medikamenten SimvaHexal und Vitamin D3-Hevert jeweils 5,00 Euro
abzuziehen.
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Nach dieser Vorschrift mindern sich die beihilfefähigen Aufwendungen - um 10 v.H. der
Kosten, mindestens um fünf Euro, höchstens um zehn Euro, jeweils um nicht mehr als
die tatsächlichen Kosten - bei Arznei- und Verbandmitteln im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 2
BhV, d.h. soweit diese nach der genannten Vorschrift beihilfefähig sind.
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Die von der Beklagten vorgenommenen Abzüge stimmen mit den Vorgaben des § 12
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) BhV überein. Diese sehen insbesondere nicht vor, dass
die Abzugsbeträge nur in Höhe des Bemessungssatzes zu berücksichtigen sind.
Vielmehr mindern sich die beihilfefähigen Aufwendungen um die in § 12 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 Buchst. a) BhV bezeichneten Beträge und erst auf die so errechneten
beihilfefähigen Aufwendungen ist sodann der Bemessungssatz anzuwenden (vgl. § 14
Abs. 1 Satz 1 und 2 BhV). Entgegen der Ansicht des Klägers hat die Beklagte auch zu
Recht unberücksichtigt gelassen, dass es im Rahmen der gesetzlichen
Krankenversicherung für Kassenpatienten für bestimmte Medikamente keine
Zuzahlungen gibt. Denn eine entsprechende Regelung sehen die Beihilfevorschriften
nicht vor. Darin liegt auch kein Verstoß gegen die Gleichbehandlungspflicht gemäß Art.
3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), weil es sich bei den Beihilfevorschriften einerseits und den
Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung andererseits um zwei
unterschiedliche Systeme der Krankenvorsorge handelt, deren einzelne
Ausgestaltungen nicht direkt miteinander vergleichbar sind.
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Zu Letzterem Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 19. Juli 2007 - 2 B 56/07 -,
veröffentlicht in juris,
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§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) BhV ist nicht wegen Verstoßes gegen höherrangiges
Recht unwirksam.
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Nach Art. 33 Abs. 5 GG hat der Dienstherr Vorkehrungen zu treffen, dass der
amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten auch bei Eintritt besonderer
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finanzieller Belastungen, insbesondere in Krankheits- und Pflegefällen, nicht gefährdet
wird. Ob er diese Pflicht über eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über
Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonst geeigneter Weise erfüllt, bleibt von
Verfassungs wegen seiner Entscheidung überlassen. Kommt der Dienstherr seiner
Fürsorgepflicht - wie das in den Beihilfevorschriften vorgesehen ist - durch die Zahlung
von Beihilfen nach, die die aus der Alimentation zu bestreitende Eigenvorsorge
ergänzen, muss gewährleistet sein, dass der Beamte nicht mit erheblichen
Aufwendungen belastet bleibt, die er auch über eine ihm zumutbare Eigenvorsorge nicht
absichern kann. Verfassungsrechtlich ist die Grenze der dem Beamten zumutbaren
Belastung im Hinblick auf die Eigenvorsorge erst erreicht, wenn der amtsangemessene
Lebensunterhalt nicht mehr gewährleistet ist.
Bundesverwaltungsgericht, etwa Urteil vom 17. Juni 2004 - 2 C 50.02 -, BVerwGE 121,
103, und vom 3. Juli 2003 - 2 C 36/02 -, BVerwGE 118, 277,
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Das ist nicht zu besorgen, wenn das nicht versicherbare finanzielle Risiko auf einen
Betrag von höchstens 2 v.H. des Jahreseinkommens begrenzt bleibt.
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Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. September
2005 - 10 A 10534/05 -, NVwZ 2006, 954; Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 19. April
2005 - 28 A 337.04 -, veröffentlicht bei juris.
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Diese Grenzen sind hier eingehalten. Denn nach § 12 Abs. 2 BhV sind innerhalb eines
Kalenderjahres Beträge nach Absatz 1 der Vorschrift nicht mehr abzuziehen, wenn die
Belastungsgrenze von 2 v.H. (bei chronisch Kranken von 1 v.H.) des jährlichen
Einkommens überschritten ist. Im übrigen hat auch der Kläger selbst nicht geltend
gemacht, dass wegen dieser Abzüge sein amtsangemessener Lebensunterhalt nicht
mehr gewährleistet sei.
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Schließlich folgt die Unwirksamkeit von § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) BhV auch
nicht daraus, dass mit der Einfügung dieser Vorschrift, die durch die 27. Allgemeinen
Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Beihilfevorschriften vom 17. Dezember 2003
(GMBl. 2004 S. 227) erfolgt ist, die Grenzen einer Weitergeltung - wie sie vom
Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die Beihilfevorschriften anerkannt wurden -
inhaltlich überschritten sind. Denn insoweit handelt es nicht um eine Systemänderung,
die die Bedeutung einer Weitergeltung überschreitet. Die Beihilfevorschriften sahen
nämlich bereits seit 1993 Zuzahlungen für Arznei- und Verbandsmittel vor (vgl. etwa § 6
Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 BhV i.d.F. der 26. Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Änderung
der Beihilfevorschriften vom 1. November 2001 [GMBl. 2001 S. 918]). In der Erhöhung
der Abzugsbeträge liegt deshalb eine bloße Fortschreibung der bisher vorhandenen
Eigenbeteiligungsregelungen und nicht deren qualitative Erweiterung, die auch in der
vom Bundesverwaltungsgericht anerkennten Übergangszeit dem Gesetzgeber
vorbehalten wäre.
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Vgl. zur im Ergebnis gegenteiligen Bewertung von § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 29. Februar 2008 - 13 K 2422/07 -, sowie von
§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 BhV: Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 25. Januar 2008
- 13 K 25/07 - und Verwaltungsgericht Göttingen, Urteil vom 4. Oktober 2006 - 3 A
608/05 -, DÖD 2007, 233.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Zivilprozessordnung.
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