Urteil des VG Düsseldorf vom 08.11.2010

VG Düsseldorf (öffentliche ausschreibung, kläger, nicht öffentlich, reithalle, ausnahme, rücknahme, förderung, planung, ergänzung, erlass)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 10 K 3823/07
Datum:
08.11.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 3823/07
Schlagworte:
Ermessen öffentliche Ausschreibung Rückforderung
Vergabevorschriften vorzeitiger Maßnahmebeginn
Normen:
VwGO § 114 Satz 2 VwVfG NRW § 48 Abs 2 Ziff 1.3 VV zu § 44 LHO
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 9. Mai 2007 und dessen Wi-
derspruchsbescheid vom 30. Juli 2007 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig voll-streck¬bar.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, in dem sich seit 1892 die im Rheinland aktiven
Pferdezüchter zusammengeschlossen haben. Früher war er im Gebäude der Md in C
untergebracht. 2002 zog er in das Schloss X in N um. Hierfür erhielt er eine Förderung
des beklagten Direktors der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. Die
Fördermittel wurden mit Bescheiden vom 13. Mai 2002, 1. August 2003, 29. September
2004 und 30. März 2005 für das jeweilige Kalenderjahr bewilligt. Hiervon sind die
letzten drei Bescheide im Streit. Mit ihnen wurde dem Kläger ins-gesamt 841.000,- Euro
gewährt, nämlich 500.000,- Euro für 2003, 199.000,- Euro für 2004 und 142.000,- Euro
für 2005. In den Bescheiden wurde jeweils eine Ausnahme von dem Verbot des
vorzeitigen Maßnahmebeginns (Ziff. 1.3 VV zu § 44 LHO) erteilt.
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Mit Bescheid vom 9. Mai 2007 nahm der Beklagte die drei Bescheide zurück und
forderte die Gesamtzuschusssumme in Höhe von 841.000,- Euro nebst Zinsen von dem
Kläger zurück. Zur Begründung führte er aus: Entgegen der Erklärung im Förderantrag
vom 6. Dezember 2002 habe der Kläger bereits mit der Maßnahme begonnen gehabt.
Er habe nämlich bereits am 23. Oktober 2002 einen Werkvertrag mit der Fa. W
abgeschlossen. Infolgedessen bestehe auch kein Vertrauensschutz, da der
Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt worden sei, die in wesentlicher Hinsicht unrichtig
gewesen seien (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG NRW).
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Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
30. Juli 2007 zurück. Er bekräftigte darin unter anderem, die Maßnahme wäre nicht
bezuschusst worden, wenn bei der Bewilligung die Existenz des Werkvertrages bekannt
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gewesen wäre.
Am 25. August 2007 hat der Kläger Klage erhoben.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 9. Mai 2007 und dessen Widerspruchsbescheid
vom 30. Juli 2007 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er bezieht sich neben dem angefochtenen Bescheid und dem Widerspruchsbescheid
auf einen Verstoß gegen Vergabevorschriften, da der vom Kläger erteilte Auftrag zu
Baumaßnahmen nicht öffentlich ausgeschrieben worden sei.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage hat Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 9. Mai 2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in
seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die in dem Bescheid ausgesprochene Rücknahme der Zuwendungsbescheide steht im
Ermessen der Behörde (§ 48 Abs. 1 VwVfG NRW). Das Gericht ist darauf beschränkt,
die von dem Beklagten angestellten Ermessenserwägungen zu überprüfen, und darf
nicht das eigene Ermessen an deren Stelle setzen. Die im Verwaltungs- und
Gerichtsverfahren gegebenen Begründungen halten der gerichtlichen Prüfung aber
nicht stand. Infolgedessen fehlt es auch an einer Grundlage für die ebenfalls
angeordnete Rückforderung nebst Zinsen (§ 49a VwVfG NRW).
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1. In dem Bescheid stellt der Beklagte darauf ab, dass die Zuwendungsbescheide
rechtswidrig gewesen seien, da er bei deren Erlass davon ausgegangen sei, dass mit
der zu fördernden Maßnahme noch nicht begonnen war, und dass dieser Irrtum auf
falschen Angaben der Klägerin insbesondere im Förderantrag vom 6. Dezember 2002
beruhe. Diese die Ermessensausübung tragende Erwägung, die auch im
Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2007 angeführt wird, erweist sich aus zwei Gründen
als fehlerhaft.
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Zum einen ist schon nicht ersichtlich, dass es für den Beklagten bei Erlass der nunmehr
zurückgenommenen Zuwendungsbescheide entscheidend darauf ankam, ob mit der
jeweiligen Maßnahme bereits begonnen war oder nicht. Denn in allen drei Bescheiden
wird in einer Nebenbestimmung eine "Ausnahme von Ziff. 1.3 VV zu § 44 LHO
(vorzeitiger Maßnahmebeginn/Beschaffung)" erteilt. Die Ausnahme ist nicht
gegenständlich begrenzt, sondern betrifft die gesamte jeweils zu fördernde Maßnahme.
Es stand also mit der Förderung durch den Beklagten in Einklang, wenn der Kläger mit
den jeweils geförderten Maßnahmen bereits begonnen hatte.
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Zum anderen kann auch in tatsächlicher Hinsicht nicht angenommen werden, dass der
Beklagte bei dem jeweiligen Bescheiderlass davon ausging, der Kläger habe mit der
Maßnahme noch nicht begonnen. Gegenstand der Förderung waren - wie schon bei
dem früheren Zuwendungsbescheid vom 13. Mai 2002 - die Verlegung des
Vereinssitzes von C nach N (X) und die damit in Verbindung stehenden baulichen
Maßnahmen. Selbstverständlich war beim Beklagten bekannt, dass dieser Umzug
bereits stattgefunden hatte. Schon im September 2002 hatte der Kläger Briefpapier
benutzt, das auf ihren neuen Sitz hinwies. Der Beklagte wusste bei Erlass der
Zuwendungsbescheide auch, dass gerade mit den Maßnahmen begonnen worden war,
die von dem jeweiligen Bescheid erfasst waren.
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Das ergibt sich beispielhaft für den ersten Bescheid vom 1. August 2003 aus folgendem:
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Der Bescheid erfasst namentlich den Neubau der Reithalle. Zu diesem Zeitpunkt war
bei dem Beklagten bekannt, dass der Kläger mit dieser Maßnahme begonnen hatte. Die
neue Reithalle bildete von vorneherein einen integralen Bestandteil des Konzeptes des
Klägers. Bereits dem ersten Förderantrag vom 2. Mai 2002 ist eine Kostenschätzung
beigefügt, die bei einer Gesamtsumme von rund 1,5 Mio. Euro (netto) über 600.000,-
Euro allein an Baukosten für die neue Reithalle ausweist, ferner weitere rund 100.000,-
Euro für "Inneneinrichtung und betriebliche Ausbauten" dieser Halle und über 70.000,-
Euro (alle Angaben jeweils netto) für deren Außenanlagen. Damit entfiel gut die Hälfte
der gesamten Antragssumme auf die neue Reithalle. Da der Antrag sich auf das Jahr
2002 bezog, ging aus ihm auch hervor, dass die Errichtung der neuen Reithalle bereits
für 2002 geplant war.
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Beim Bau der neuen Reithalle kam es sodann zu Verzögerungen. Dies war Anlass für
die Nachfrage des Klägers bei Staatssekretär H, ob Fördermittel für 2002 in das Jahr
2003 übertragen werden könnten. Die Reithalle wird in dem Schreiben als "zwingend
erforderlich" bezeichnet. Das undatierte Schreiben lag beim Beklagten ausweislich der
darauf angebrachten Vermerke im März 2003 vor. Der Staatssekretär antwortete am
13. Mai 2003, dass die gewünschte Übertragung nicht möglich sei, dass aber für das
Jahr 2003 "Kassenmittel von 500.000,- Euro" zur Verfügung stünden. Diese Antwort ist
noch im Mai 2003 beim Beklagten per Fax eingegangen. Im Juli 2003 legte der Kläger
den Verwendungsnachweis für 2002 vor. Darin sind mit Rechnungsdatum vom 20.
Dezember 2002 95.549,20 Euro (brutto) für "Planung" der Fa. "W" ausgewiesen. Der
Verwendungsnachweis wurde beim Beklagten unter dem 29. Juli 2003 mit einem
Prüfungsvermerk versehen, der die "wirtschaftliche, zweckentsprechende und
vollständige Verwendung der Mittel" bestätigte. Beim Beklagten war somit bekannt,
dass bereits im Jahr 2002 zwar nicht, wie ursprünglich geplant, mit dem Bau der neuen
Reithalle begonnen worden war, wohl aber ein Planungsauftrag vergeben worden war,
der nach Lage der Dinge nur die neue Reithalle betreffen konnte. Aus dem Umstand,
dass bereits ein Geldbetrag von fast 100.000,- Euro in Rechnung gestellt worden und
auch schon - am 27. Juni 2003 - gezahlt worden war, war zu schlussfolgern, dass diese
"Planung" über ein unverbindliches Stadium hinausgelangt war: Die ausführende Firma
war offenbar bereits endgültig ausgewählt worden und auch schon aufgrund
vertraglicher Absprachen tätig geworden.
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Am 1. August 2003 erging dann der Zuwendungsbescheid, mit der der Beklagte dem
Kläger die von dem Staatssekretär in Aussicht gestellten 500.000,- Euro vornehmlich für
den "Neubau einer Reithalle" bewilligte. Vor dem aufgezeigten Hintergrund leuchtet es
ein, dass in dem Bescheid in Nebenbestimmung II.9 die schon angesprochene
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Ausnahme von Ziff. 1.3 VV zu § 44 LHO erteilt wurde. Es war nämlich allen Beteiligten
klar, dass es sich um die Bewilligung von Mitteln für ein bereits angelaufenes Projekt
handelte, und dass insbesondere die neue Reithalle ein wichtiger Bestandteil dieses
Projekts war. Die Zuwendung der Mittel sollte deshalb gerade nicht davon abhängig
sein, ob die Planung dieser Reithalle bereits so weit gediehen war, dass sich dies als
Beginn des Vorhabens im Sinne der besagten Verwaltungsvorschrift darstellte.
2. Im gerichtlichen Verfahren hat der Beklagte zusätzlich auf eine Verletzung der
Vergabevorschriften abgestellt. Der Vergabeverstoß wird darin gesehen, dass der vom
Kläger erteilte Bauauftrag nicht öffentlich ausgeschrieben worden ist (vgl. den Bericht
des Staatlichen Rechnungsprüfungsamtes E vom 21. März 2007, S. 16 ff.). Dieser
Gesichtspunkt vermag die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht zu
beheben.
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In prozessualer Hinsicht fehlt es bereits an einer zulässigen Ergänzung von
Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO. Dabei kommt es noch nicht einmal
entscheidend darauf an, ob die Einbeziehung des Vergabeverstoßes über die bloße
Ergänzung des Ermessens hinausgeht und sich als Austausch der Begründung des
Bescheides darstellt. In jedem Fall ist nämlich die Ergänzung der
Ermessenserwägungen nicht ordnungsgemäß erfolgt. Weder in der Klageerwiderung
noch in der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte deutlich gemacht, ob und in
welcher Weise die der Rücknahme zugrundeliegenden Erwägungen unter dem
angesprochenen Gesichtspunkt ergänzt werden sollen. Diese Verdeutlichung wäre
schon deshalb erforderlich gewesen, weil eine rechtmäßige Rücknahme die Abwägung
des Vertrauens des Begünstigten mit dem öffentlichen Interesse voraussetzt (§ 48 Abs.
2 VwVfG NRW). Die Behörde muss sich über den Sachverhalt, den sie ihrer
Entscheidung zugrundelegt, Klarheit verschaffen und auf dieser Grundlage die
Abwägung vornehmen. Wird der Bescheid auf neue Gesichtspunkte gestützt, so
verändert sich die für die Abwägung in den Blick zu nehmende Sachlage. Es ist dann
erforderlich, dass auch die Abwägung unter Berücksichtigung dieser neuen Sachlage
erneut durchgeführt wird. Das versteht sich hier auch deshalb, weil die ursprüngliche
Abwägung auf der Grundlage fehlerhafter Ermessenserwägungen angestellt wurde und
nicht tragfähig war. Danach bedurfte es der Klarstellung, welche
Ermessenserwägungen nunmehr für die Rücknahme maßgeblich sein sollen, und einer
darauf aufbauenden Abwägung. Daran fehlt es.
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In materieller Hinsicht ist der Vergabeverstoß zudem nicht geeignet, den von dem
Beklagten in dem angefochtenen Bescheid angenommenen Ausschluss
schützenswerten Vertrauens (§ 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW) zu begründen.
Insbesondere liegen insoweit keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben des
Klägers vor. Denn der Geschäftsführer des Klägers hat beim Beklagten mit Schreiben
vom 21. Juli 2003 angefragt, ob auf die öffentliche Ausschreibung verzichtet werden
könne, und der Beklagte hat unter dem 28. Juli 2003 auf dieses Schreiben den Vermerk
gesetzt: "Begründung nachvollziehbar, einverstanden" (Verwaltungsvorgänge Bl. 256
f.). Ausgehend hiervon durfte der Kläger bis auf weiteres darauf vertrauen, mit dem
Verzicht auf die öffentliche Ausschreibung habe es seine Richtigkeit.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
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