Urteil des VG Düsseldorf vom 11.01.2001
VG Düsseldorf: einbürgerung, straftat, integration, staatsangehörigkeit, ermessensausübung, strafurteil, vollstreckung, bewährung, aufenthaltserlaubnis, ermächtigung
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 8 K 8219/99
Datum:
11.01.2001
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 K 8219/99
Tenor:
Im Umfang der Klagerücknahme (Klägerinnen zu 2. - 4.) wird das
Verfahren eingestellt.
Hinsichtlich des Klägers zu 1. wird der Beklagte unter teilweiser
Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 11.08.1999 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides der xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx vom
12.11.1999 verpflichtet, die Einbürgerungszusicherung für den Fall des
Nachweises der Entlassung aus der kroatischen Staatsangehörigkeit zu
erteilen.
Die bis zur Teilrücknahme der Klage am 09.11.2000 entstandenen
Kosten des Verfahrens werden den Klägern zu ¾ auferlegt; im Übrigen
trägt der Beklagte die Verfahrenskosten.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Schuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, falls nicht der Gläubiger
zuvor in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
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Der jetzt 49 Jahre alte Kläger zu 1. ist kroatischer Staatsangehöriger. Er lebt seit seinem
achten Lebensjahr rechtmäßig in Deutschland, besitzt seit dem 26.11.1985 eine
unbefristete Aufenthaltserlaubnis und seit dem 12.05.1992 die Aufenthaltsberechtigung.
Im Zeitraum von Januar 1984 bis September 1985 war er in eine Vielzahl von
Kollisionen mit von ihm selbst gesteuerten PKW und anderen Fahrzeugen verwickelt.
Diese führte er absichtlich im Zusammenwirken mit anderen Tätern herbei, um den aus
der Schadensregulierung durch die Pflichtversicherer resultierenden Erlös zu erzielen.
Mit Urteil des LG xxxxxxxxx vom 14.09.1988 - xxxxxxxxxxxxxxxxxxx - wurde er daher
wegen Betruges und gefährlichen Eingriffes in den Straßenverkehr zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe
wurde zur Bewährung ausgesetzt. Die Strafe ist nach zweijähriger Bewährungszeit am
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18.10.1990 erlassen worden.
Seit November 1985 ist der Kläger zu 1. durchgängig bei demselben Arbeitgeber als
Textilmaschinenführer beschäftigt. Am 25.12.1990 heiratete er die Klägerin zu 2., eine
Staatsangehörige der BR Jugoslawien. Diese hält sich seit Januar 1991 rechtmäßig im
Bundesgebiet auf und hat seit dem 03.01.1997 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Die Klägerin zu 3., ebenfalls jugoslawische Staatsangehörige, ist die 1984 geborene
Tochter der Klägerin zu 2. aus erster Ehe. Auch sie reiste im Jahre 1991 in das
Bundesgebiet ein und verfügt über einen seitdem rechtmäßigen Aufenthalt. Die Klägerin
zu 4. ist das im Jahre 1993 in xxxxxxxxx geborene gemeinsame Kind der Kläger zu 1.
und 2.
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Erstmals mit Antrag vom 17.12.1992, der später wiederholt und auf die Klägerinnen zu
2. und 3. erstreckt wurde, begehrten die Kläger zu 1. und 2. ihre Einbürgerung, die der
Beklagte mit Bescheid vom 11.08.1999 unter Verweis auf die strafrechtliche
Verurteilung des Klägers zu 1. ablehnte. Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom
12.11.1999, zugestellt am 16.11.1999, zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es im
Wesentlichen: Eine Verurteilung wegen einer Straftat stehe einer Einbürgerung
grundsätzlich entgegen. Sei ein Ausländer zu einer höheren als den bereits nach der
gesetzlichen Regelung außer Betracht bleibenden Strafen verurteilt, sei eine
Einzelfallentscheidung zu treffen. Im Falle der Verurteilung des Klägers zu 1. könne
nicht mehr von der Führung eines unbescholtenen Lebenswandels ausgegangen
werden. Die nach § 88 AuslG als unschädlich anzusehenden Verurteilungen würden
deutlich überschritten. Es sei daher sorgfältig zu prüfen gewesen, ob es sich bei dem
Einbürgerungsantrag noch um einen Regelantrag gehandelt habe. Auf Grund der Art
und des Ausmaßes der Verurteilung sowie der Schwere der Taten sei der eingeräumte
Beurteilungsspielraum jedoch derart reduziert, dass auch unter Berücksichtigung
vergleichbarer Entscheidungen der Einbürgerungsantrag habe ausschließlich
abschlägig beschieden werden können. Die Tilgung im Bundeszentralregister mit der
Folge, dass die Verurteilung nicht mehr gegen den Kläger zu 1. verwendet werden
dürfe, werde erst im Jahre 2005 eintreten. Die im Strafurteil gestellte günstige
Sozialprognose sei nicht entscheidungsrelevant. Die Umstände, die zu der Straftat
geführt hätten, ebenso wie deren Art seien bereits im Gerichtsverfahren berücksichtigt
und hätten ihre Würdigung im Urteil gefunden. Angesichts der strafrechtlichen
Verurteilung könne eine abgeschlossene Integration in die deutschen
Lebensverhältnisse nicht bejaht werden. Zudem habe der Kläger zu 1. in seinem
Einbürgerungsantrag wahrheitswidrig angegeben, nicht vorbestraft zu sein. Der
Gesichtspunkt der Familieneinbürgerung führe zu keinem anderen Ergebnis. Eine
Miteinbürgerung von Frau und Kindern komme nicht in Betracht, da der Kläger zu 1.
nicht eingebürgert werden könne. Eigene Einbürgerungsansprüche hätten die Kläger zu
2. - 4. mangels eines 15-jährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet noch nicht
erworben.
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Mit der am 15.12.1999 erhobenen Klage wird ein fehlerhafter Ermessensgebrauch
gerügt. Die angegriffenen Bescheide ließen die gebotene Einzelfallprüfung vermissen.
Die Behauptung, die Vorstrafe sei bei Antragstellung verschwiegen worden, sei
unzutreffend.
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In der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2000 haben die Kläger zu 2.-4. im Hinblick
auf die zum 01.01.2000 auf Grund des Gesetzes zur Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.07.1999 (BGBl. I S. 1618) eingetretene Änderung
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der Rechtslage die Klage zurückgenommen; der Beklagte hat in der Verhandlung die
Einbürgerungsanträge der Klägerinnen zu 2. und 3. nach Maßgabe der §§ 85 ff AuslG in
der neuen Fassung und den Einbürgerungsantrag der Klägerin zu 4. gem. § 40 b StAG
entgegengenommen, den Klägerinnen zu 2. und 3. die Erteilung einer
Einbürgerungszusicherung für den Fall des Verlustes oder der Aufgabe der
jugoslawischen Staatsangehörigkeit in Aussicht gestellt und der Klägerin zu 4. die
alsbaldige Einbürgerung zugesagt.
Der Kläger zu 1. stellt den Antrag,
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den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 11.08.1999 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der xxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxx vom 12.11.1999 insoweit
aufzuheben, als darin die Einbürgerung des Herrn xxxxxxxxxxxxxx abgelehnt worden
ist, und den Beklagten zu verpflichten, eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen,
hilfsweise, über den Einbürgerungsantrag von Herrn xxxxxxxxxxxxxx unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Der Beklagte stellt den Antrag,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf die Gründe der angegriffenen Bescheide. Darauf, dass der Kläger zu 1.
in seinem Einbürgerungsantrag die Vorstrafe tatsächlich angegeben habe, die
gegenteilige Annahme im Widerspruchsbescheid mithin unrichtig sei, komme es nicht
an.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten
einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und der Strafakten des LG
xxxxxxxxx ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Verfahren war hinsichtlich der Klägerinnen zu 2. - 4. gem. § 92 Abs. 3 VwGO
einzustellen.
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Im Übrigen ist die Klage in vollem Umfang begründet. Die angegriffenen Bescheide
waren wegen fehlerhaften Ermessensgebrauchs aufzuheben (§ 114 VwGO); zudem ist
die beantragte Verpflichtung des Beklagten auszusprechen, da er sein Ermessen
fehlerfrei nur noch in diesem Sinne ausüben kann (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Der geltend gemachte Einbürgerungsanspruch richtet sich gem. § 102 a AuslG trotz der
zum 01.01.2000 eingetretenen Rechtsänderung weiterhin nach §§ 85 - 91 AuslG in der
zuvor geltenden Fassung - AuslG a.F. -. Bis auf die zwischen den Beteiligten allein
strittige Frage der Behandlung der strafrechtlichen Verurteilung sind die
Voraussetzungen der erleichterten Einbürgerung von Ausländern mit langem Aufenthalt
danach erfüllt. Der Kläger hält sich seit weit mehr als den geforderten 15 Jahren
rechtmäßig im Bundesgebiet auf und ist im Besitz der Aufenthaltsberechtigung (§§ 85
Abs. 2, 86 Abs. 3 AuslG a.F.). Die Unterhaltsfähigkeit für sich und seine
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unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ist gesichert (§ 86 Abs. 1 Nr. 3 AuslG a.F.).
Mit der Einbürgerung verliert er zwar nach kroatischem Recht nicht schon kraft Gesetzes
die bisherige Staatsangehörigkeit; wohl aber kann er sie aufgeben (§ 86 Abs. 1 Nr. 1
AuslG a.F.). Denn er kann auf Antrag aus der kroatischen Staatsbürgerschaft entlassen
werden, wenn bewiesen ist, dass er in die deutsche aufgenommen wird (Art. 18 des
Gesetzes vom 06.10.1991 Nr. 53 über die kroatische Staatsbürgerschaft, abgedruckt bei
Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Dieser Situation
wird durch Erteilung einer entsprechenden Einbürgerungszusage Rechnung getragen.
Über die Einbürgerung des wegen einer Straftat verurteilten Ausländers mit langem
Aufenthalt ist - soweit nicht die in § 88 Abs. 1 Satz 1 AuslG näher definierte, hier aber
deutlich überschrittene Bagatellgrenze eingreift - gem. § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG im
Einzelfall entschieden. Diese gesetzliche Formulierung ist dahin zu verstehen, dass der
Einbürgerungsbehörde Ermessen im Hinblick auf die Nichtberücksichtigung der
Verurteilung eingeräumt ist,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 04.07.1997 - 25 A 977/94 -, NWVBl. 1998, 147; Berlit in
GK-StAR, § 88 AuslG Rdn. 35; Renner, Ausländerrecht 7. Aufl. 1999, § 88 AuslG Anm.
III; ebenso Nr. 88.1.2 der Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht (StAG-
VwV).
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Dass der Beklagte den in diesem Zusammenhang unangebrachten Begriff eines
„Beurteilungsspielraums" verwendet hat, dürfte nicht durchschlagend dafür sprechen,
dass Ermessen überhaupt nicht ausgeübt werden sollte, vielmehr liegt ein lediglich
terminologischer Missgriff nahe. Den an die Ermessensbetätigung zu stellenden
Anforderungen ist aber nicht genügt worden. Welche Bedeutung für sich genommen der
irrtümlichen Annahme eines Verschweigens der Vorstrafe beizumessen wäre, bedarf
keiner Erörterung. Denn jedenfalls greift durch, dass ausdrücklich abgelehnt worden ist,
die günstige Sozialprognose des Strafurteils - einschließlich der nachfolgenden, diese
Prognose bestätigenden Entwicklung des Klägers - und die näheren Umstände der
Taten, wie sie in die Strafzumessungsgründe eingegangen sind - in die
Ermessenserwägungen auch nur mit einzubeziehen,
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vgl. auch zur regelmäßig gegebenen Notwendigkeit, die Strafakten beizuziehen Berlit
a.a.O. Rdn. 41 ff, 54.
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Über die Fehlerhaftigkeit der Ermessensausübung hinaus ist das Ermessen des
Beklagten hier im Sinne der begehrten Einbürgerung gebunden. Dem Zweck der
Ermächtigung in § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG entsprechend ist die Ermessensausübung
unter umfassender Würdigung und Abwägung der relevanten öffentlichen und privaten
Interessen daran zu orientieren, ob trotz des die Bagatellgrenze des Satzes 2
übersteigenden Strafmaßes die strafrechtliche Verfehlung nach Art und Gewicht, nach
den Umständen der Tatbegehung sowie der Person des Einbürgerungsbewerbers einer
für die Einbürgerung hinreichenden Integration nicht entgegensteht,
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so zutreffend Berlit a.a.O. Rdn. 36.
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Dies ist nicht im Sinne eines Regel-/Ausnahmeverhältnisses dahingehend zu
verstehen, dass die Versagung der Einbürgerung als regelmäßige Folge einer die
Bagatellgrenze übersteigenden strafrechtlichen Verurteilung aufzufassen und, wovon
die angegriffenen Bescheide ersichtlich aber ausgehen, die Ermessensausübung zu
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Gunsten des Einbürgerungsbewerbers an die Feststellung etwaiger - nur in engen
Grenzen anzuerkennender - Ausnahmesituationen gebunden wäre;
missverständlich insoweit Nr. 88.1.2 StAG-VwV.
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Der Wortlaut der gesetzlichen Regelung gibt für ein derart einschränkendes Verständnis
keinen Anhalt. Insbesondere ist aus § 86 Abs. 1 Nr. 3 AuslG a.F. mit dem zur
Voraussetzung des Einbürgerungsanspruchs erhobenen Erfordernis des
Nichtvorliegens einer strafrechtlichen Verurteilung kein Regelversagungsgrund in
diesem Sinne abzuleiten. Wie im Falle der Verurteilung wegen einer Straftat im
Einzelnen zu verfahren ist, ergibt sich abschließend aus § 88 AuslG. Danach scheiden
Bagatelldelikte als Versagungsgrund aus; in den anderen Fällen strafrechtlicher
Verurteilung ist über deren Berücksichtigung nach Ermessen zu entscheiden, ohne dass
vom Gesetz ausdrücklich nähere Kriterien aufgestellt werden. Diese ergeben sich
vielmehr aus dem Zweck der Regelung. Deren Kernaussage besteht darin, dass das
öffentliche Interesse an der Einbürgerung abweichend vom allgemeinen
Staatsangehörigkeitsrecht (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG) im Grundsatz bei Ausländern mit
langem Aufenthalt auch dann bejaht wird, wenn sie wegen einer Straftat verurteilt
worden sind; deshalb wird ihnen der Einbürgerungsanspruch aus § 86 AuslG a.F. nicht
etwa von vornherein verwehrt. Die der eigentlichen Einbürgerungsentscheidung
vorgelagerte Prüfung, ob die Straftat außer Betracht bleiben könne, überträgt der
Einbürgerungsbehörde vielmehr die Aufgabe, im Einzelfall den sachgerechten
Ausgleich zwischen der im Gesetz getroffenen Entscheidung zu Gunsten einer
möglichst ungehinderten Einbürgerung der Ausländer mit langem Aufenthalt und den
durch die Straftat berührten öffentlichen Belangen herzustellen. Die eingeräumte
Gestaltungsfreiheit bezieht sich auf die Gesichtspunkte, unter denen der Ausgleich zu
finden ist, ermöglicht es dagegen nicht, die gesetzliche Entscheidung, auch den jenseits
der Bagatellgrenze straffällig gewordenen Ausländer mit langem Aufenthalt eben nicht
grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich der Anspruchsnorm auszuschließen, ganz
oder teilweise zu korrigieren. Deshalb wird der Zweck der gesetzlichen Ermächtigung
durch eine nach dem Regel- /Ausnahmeprinzip verfahrende Ermessenspraxis verfehlt,
weil sie das gesetzlich normierte öffentliche Interesse an der Einbürgerung von
vornherein den durch die Straftat berührten öffentlichen Interessen unterordnet. Ebenso
gilt dies, wenn wesentlich auf die Tilgungsfristen des Bundeszentralregistergesetzes -
BZRG - abgestellt wird. Getilgte bzw. tilgungsreife Verurteilungen können dem
Betroffenen - von den Ausnahmen des § 52 BZRG abgesehen - im Rechtsverkehr nicht
mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden (§ 51 BZRG). Der
Interessenkonflikt, zu dessen Auflösung das Ermessen eingeräumt ist, besteht nach
Tilgung bzw. Tilgungsreife also nicht mehr. Wird bei der im Rahmen des § 88 Abs. 1
Satz 2 AuslG zu treffenden Entscheidung wesentlich darauf abgehoben, dass die
Straftat noch nicht getilgt ist, wird deshalb die geforderte Ermessensentscheidung in
Wahrheit nicht getroffen, sondern lediglich die Konfliktsituation beschrieben, zu deren
Bewältigung Ermessen erst auszuüben wäre.
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Die durch die abgeurteilte Straftat des Klägers zu 1. berührten öffentlichen Interessen
haben im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, auf den für die Ermittlung der
Ermessensreduktion abzustellen ist, kein Gewicht mehr, das dem
Einbürgerungsanspruch ermessensfehlerfrei entgegen gehalten werden könnte.
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Die in vollem Umfang vollzogene und geglückte Integration in die deutschen
Lebensverhältnisse wird vom Beklagten zu Unrecht bezweifelt. Der alleinige Hinweis
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auf die noch nicht getilgte Vorstrafe genügt nicht. Bereits im Strafurteil sind wesentliche
Umstände aufgeführt, die durch die nachfolgende Entwicklung ihre eindrucksvolle
Bestätigung gefunden haben. Auch wenn die Straftat in einem Alter begangen wurde, in
dem von einer Jugendtat nicht mehr die Rede sein konnte, so war sie schon seinerzeit
als eine einmalige Abirrung zu kennzeichnen. Der Kläger war vorher nie mit dem Gesetz
in Konflikt gekommen und hatte sein strafbares Tun nicht etwa erst unter dem Eindruck
des Ermittlungsverfahrens, sondern schon weit vor dessen Beginn eingestellt. Seitdem
ist ein beanstandungsfreier Zeitraum von mehr als 15 Jahren vergangen, der also
bereits wieder so lang ist, wie der von § 86 AuslG a.F. als Nachweis der vollzogenen
Integration im Grundsatz für ausreichend erklärt wird. Diesem Aspekt wächst auf Grund
der Rechtsänderung zum 01.01.2000 noch erheblich gesteigerte Bedeutung zu; denn
nunmehr wird für eine Einbürgerung nach § 85 Abs. 1 AuslG nur noch ein Zeitraum von
acht Jahren gefordert, den der Kläger nach Beendigung seines strafbaren Tuns fast
zwei Mal zurückgelegt hat. Eine weitere wesentliche Verankerung in den deutschen
Lebensverhältnissen hat sich im Übrigen auf Grund der bevorstehenden Einbürgerung
der Klägerinnen zu 2. - 4. ergeben.
Auch die Gefahr neuer Straftaten kann heute mit der größtmöglichen Sicherheit
ausgeschlossen werden. Nicht nur hat das Strafurteil bereits bei der Strafaussetzung zur
Bewährung nach Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit die besonderen
Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB trotz des ein Jahr Freiheitsstrafe
übersteigenden Strafausspruchs bejaht. Insbesondere die Feststellung der in jeder
Hinsicht günstigen Sozialprognose hat sich bestätigt. Der Kläger hat seit dem Ende des
Jahres 1985 sein Leben auf völlig neue und tragfähige Grundlagen gestellt. Dazu
gehören die stabile Beschäftigungssituation seit November 1985, die Eheschließung im
Jahre 1990 und die ihm zugewachsene und offenbar erfolgreich ausgefüllte
Verantwortung für zwei Kinder.
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Schließlich greift auch nicht die Generalprävention im Sinne der Bekämpfung künftiger
Straftaten durch abschreckende Einwirkung auf andere Ausländer als möglicher
Gesichtspunkt, unter dem die Verurteilung heute noch zu berücksichtigen sein könnte.
Dabei kommt es aus den oben genannten Gründen nicht in Betracht, bei
unterschiedslos allen Verurteilungen eine vom Fall gelöste, gewissermaßen abstrakte,
generalpräventive Zielsetzung so lange zu verfolgen, bis wegen Tilgung bzw.
Tilgungsreife das Verwertungsverbot aus § 51 BZRG eingreift. Dagegen ist es nicht
ausgeschlossen, ein in bestimmten Fallgruppen oder -konstellationen - etwa im Bereich
der Betäubungsmittelkriminalität - zu bejahendes besonderes generalpräventives
Interesse auch mit den Mitteln des Einbürgerungsrechts in geeigneter Weise zu
unterstützen. Die abgeurteilten Straftaten des Klägers bieten für derartige Überlegungen
allerdings keinen Ansatzpunkt. Der Beklagte hat seine in die generalpräventive
Richtung zielenden Überlegungen denn auch - unter ausdrücklicher Ausklammerung
einer konkreten Würdigung von Tat und Täter - allein an dem die Bagatellgrenze des §
88 Abs. 1 Satz 1 AuslG übersteigenden Strafmaß und der noch bis zum Jahre 2005
laufenden Tilgungsfrist festgemacht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 154 Abs. 1 und 2 VwGO. Die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung war nach §§ 167 Abs. 2 VwGO,
708 Nr. 11, 711 ZPO anzuordnen.
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