Urteil des VG Düsseldorf vom 12.05.2010
VG Düsseldorf (bundesamt für migration, genfer flüchtlingskonvention, aufschiebende wirkung, abschiebung, verwaltungsgericht, antragsteller, italien, duldung, durchführung, prüfung)
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 13 L 761/10
Datum:
12.05.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 L 761/10
Schlagworte:
Abschiebungsanordnung inlandsbezogenes Abschiebungshindernis
Suizidialität
Leitsätze:
Auch im Falle einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a AsylVfG ist
die Ausländerbehörde für die Feststellung inlandsbezogener
Abschiebungshindernisse zuständig.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichts-
kosten nicht erhoben werden.
Gründe:
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Der am 10. Mai 2010 bei Gericht eingegangene sinngemäße Antrag,
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die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 3075/10.A gegen den Bescheid
der Antragsgegnerin vom 9. März 2010 anzuordnen, hilfsweise, der
Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die
Abschiebung des Antragstellers auszusetzen und der Ausländerbehörde
der Stadt E mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nicht vor
der Entscheidung über die Klage 13 K 3075/10.A erfolgen darf,
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ist zulässig, aber nicht begründet.
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Sowohl seinem mit dem Hauptantrag verfolgten Begehren als auch seinem Hilfsantrag
steht § 34a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) entgegen. Hiernach darf die
Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat - hier
also die Abschiebung nach Italien - nicht nach § 80 oder § 123
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ausgesetzt werden.
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Soweit die vorläufige Untersagung der Abschiebung in verfassungskonformer
Auslegung von § 34a AsylVfG dann in Betracht kommt, wenn eine die konkrete
Schutzgewährung in Zweifel ziehende Sachlage im für die Durchführung des
Asylverfahrens zuständigen Staat gegeben ist,
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vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 -, BVerfGE
94, 49, Beschluss vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09 -, juris,
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hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass diese Voraussetzungen hier
vorliegen.
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§ 34a AsylVfG ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass er entgegen
seinem Wortlaut die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Zusammenhang mit
geplanten Abschiebungen in den sicheren Drittstaat nicht generell verbietet, sondern
derartiger Rechtsschutz in Ausnahmefällen nach den allgemeinen Regeln möglich
bleibt. Davon ausgehend, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
um sichere Drittstaaten i.S.d. Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. § 26a AsylVfG
handelt, ist zwar aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden normativen
Vergewisserungskonzepts davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer
Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der
Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist. Zudem beruht die
Dublin II-Verordnung wie jede auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte
gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung
der GFK sowie der EMRK in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl.
Begründungserwägung Nr. 2 und 12 der Dublin II-Verordnung und Art. 6 Abs. 2 sowie
Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EGV). Eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat
ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer danach nur
dann erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von
einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle
betroffen ist, wobei an die Darlegung eines Sonderfalles strenge Anforderungen zu
stellen sind.
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Bundesverfassungsgericht, a.a.O.
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Dass ein derartiger Sonderfall vorliegt, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.
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Er hat weder zur Durchführung von Asylverfahren in Italien im Allgemeinen noch zu
seinem eigenen, dort geführten Asylverfahren nähere Angaben gemacht. Soweit er auf
die Rückführung unerlaubt eingereister Personen von Italien nach Libyen verwiesen hat,
ist seinem Vorbringen schon nicht zu entnehmen, welcher Personenkreis von derartigen
Maßnahmen konkret betroffen ist, insbesondere ob diese Maßnahmen auch solche
Ausländer erfassen, die einen Asylantrag gestellt haben und deren Asylverfahren noch
nicht abgeschlossen ist. Dem Gericht liegen auch keine anderweitigen Erkenntnisse
vor, die den Schluss erlauben würden, dass das Art. 16a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylVfG
zugrunde liegende normative Vergewisserungskonzept in Bezug auf Italien allgemein
oder jedenfalls in Bezug auf die spezifische Situation des Antragstellers keine Geltung
beanspruchen könnte.
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Soweit der Antragsteller unter Verweis auf das Attest der Fachärztin für
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie E1 vom 8. Mai 2010 geltend macht,
dass er an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung und einer
schwergeradigen Depression leide sowie Suizidialität bestehe, führt dies zu keiner
anderen Bewertung. Dass die entsprechenden Erkrankungen, soweit erforderlich, in
Italien nicht behandelt werden könnten oder jedenfalls nicht behandelt würden, hat der
Antragsteller nicht geltend gemacht. Soweit die angeführten Suizidialität die
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Durchführung der Abschiebung in Frage stellen könnte, ist dies als eventuelles
inlandsbezogenes Abschiebungshindernis von der Ausländerbehörde in eigener
Zuständigkeit zu prüfen
- ebenso Verwaltungsgericht Gießen, Urteil vom 22. August 2003 - 2 E 2162/03.A -,
juris; Verwaltungsgericht Frankfurt, Beschluss vom 1. August 2002 - 5 G 2082/02.A(3)
-, juris; a.A. allerdings Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 9. Dezember
2008 - A 4 K 3916/08 -, juris, Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteil vom 28. September
2005 - 11 A 3134/04 -, juris -
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und stellt deshalb die Rechtmäßigkeit der hier streitigen Entscheidung nicht in Frage.
§ 34a AsylVfG überantwort zwar die Entscheidung über die Abschiebung als solche
dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, indem dieses die
Abschiebungsanordnung verfügt. Da aber für die Vollstreckung dieser Entscheidung
weiterhin die Ausländerbehörde zuständig ist, bleibt es auch bei deren Zuständigkeit für
die Prüfung eines etwaigen der Vollstreckung entgegenstehenden rechtlichen
Hindernisses. Dies ergibt sich mangels speziellerer Regelungen im
Asylverfahrensgesetz aus § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG), der die vorübergehende
Aussetzung der Abschiebung (Duldung) regelt und diese Entscheidung der
Ausländerbehörde überantwortet. § 60a Abs. 3 AufenthG regelt ausdrücklich, dass im
Falle einer Duldung die Ausreisepflicht des Ausländers unberührt bleibt. Die Vorschrift
geht also davon aus, dass es sich bei der die Ausreisepflicht begründenden
Entscheidung - hier also der Abschiebungsanordnung - und der Duldung um
eigenständige Regelungen handelt. Dementsprechend führt die durch § 34a AsylVfG
begründete Zuständigkeit des Bundesamtes für den Erlass der
Abschiebungsanordnung nicht dazu, dass es auch für die Entscheidung über eine
Duldung zuständig wäre.
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Ob die von dem Antragsteller geltend gemachten Bedenken gegen die
Zustellungspraxis der Antragsgegnerin berechtigt sind, bedarf hier keiner Entscheidung,
da hieraus jedenfalls im vorliegenden Verfahren nicht abzuleiten ist, dass dem Antrag
des Antragstellers entgegen § 34a Abs. 2 AsylVfG stattzugeben wäre. Ob in Ansehung
von Art. 19 Abs. 4 GG etwas anders dann gilt, wenn wegen der hierdurch bedingten
zeitlichen Abläufe dem Gericht die Prüfung der Sach- und Rechtslage, soweit sie im
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geboten ist, faktisch unmöglich gemacht
wird, kann hier offenbleiben, da einer solcher Fall nicht gegeben ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Streitwert
ergibt sich aus § 30 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
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