Urteil des VG Düsseldorf vom 08.05.2003
VG Düsseldorf: behandlung, dienstliche tätigkeit, verkehrsunfall, krankengymnastik, anerkennung, körperschaden, physiotherapie, vollstreckung, verwaltungsverfahren, vollstreckbarkeit
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 23 K 3185/00
Datum:
08.05.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 K 3185/00
Schlagworte:
Dienstunfall in Ausübung des Dienstes Dienstbezogenheit Heilverfahren
Normen:
BeamtVG § 31 Abs 1 S 1 BeamtVG § 31 Abs 2 S 3
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitslei¬stung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht das be¬klagte
Land vor der Vollstreckung Si¬cher¬heit in gleicher Höhe lei¬stet.
Tatbestand:
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Der am 0. Oktober 1941 geborene Kläger stand von April 1960 bis zu seiner mit Ablauf
des Oktober 2001 erfolgten Versetzung in den Ruhestand als Polizeibeamter im Dienst
des beklagten Landes.
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Am 16. April 1977 rutschte der Kläger bei der Verfolgung von zwei Verdächtigen aus.
Dabei zog er sich Knorpelschäden an der Kniescheibengelenkfläche des linken
Kniegelenks zu. Zwischen dem 15. November 1978 und dem 14. Mai 1979 wurde der
Kläger zwei Mal wegen eines Innenmeniskusrisses am linken Knie innen operiert. Einer
weiteren Knieoperation unterzog sich der Kläger am 13. Februar 1986.
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Als Folgen dieses Körperschadens attestierte der Polizeivertragsarzt Herr Dr. T in
seinem Schlussgutachten vom 16. März 1979 eine schmerzhafte
Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks und bei Belastung Ergussbildung -
Kniegelenksarthrose. Den Vorfall erkannte der Polizeidirektor L mit Bescheid vom
9. April 1979 als Dienstunfall an. Infolge des Unfalls erhält der Kläger auf Grund einer
bei ihm festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 % einen Unfallausgleich
gemäß § 35 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG).
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In einem Kurbericht des Polizeikurheims V vom 6. März 1978 erstellte der Badearzt Herr
Dr. I für den Kläger unter anderem die Diagnose "Recid. HWS-/ u. LWS-Symptomatik mit
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Periarthritis rechte Schulter." In der Folgezeit erfolgten zur Behandlung des chronischen
Wirbelsäulensyndroms mehrere stationäre Heilbehandlungen sowie zahlreiche
ambulante Heilmaßnahmen, wie Bewegungsbäder, Schulter- und Rückenmassagen
und Krankengymnastik.
Am 25. Januar 1999 stellte der den Kläger behandelnde Orthopäde Herr Dr. I1 dem
Kläger erneut eine Verordnung mit folgendem Inhalt aus: "6x Krankengymnastik
erforderlich bei HWS-Syndrom und BWS-Syndrom".
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In einer Unfallmeldung vom 16. August 1999 gab der Kläger im Wesentlichen an: Er
habe am 28. Januar 1999 gegen 8.25 Uhr auf der Kreuzung C1/Ner Straße/Xallee einen
Verkehrsunfall erlitten, indem eine ihm entgegenkommende Pkw-Fahrerin auf sein
Fahrzeug aufgefahren sei. Er habe eine Fußstauchung und Knieprellung rechts, eine
Brustbeinprellung, ein Schleudertrauma, einen Bandscheibenvorfall sowie eine
Caanbeinfissur rechts erlitten. Außerdem sei an beiden Fahrzeugen ein Totalschaden
entstanden. Seine dienstliche Tätigkeit habe darin bestanden, dass er zuvor auf der Ver
Straße und Hstraße Ermittlungen durchgeführt und sich während des Unfalls auf dem
Weg zur physiotherapeutischen Behandlung auf dem X1 befunden habe.
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Auf Befragen des Polizeipräsidiums L teilte der Polizeivertragsarzt Herr Dr. T mit
Schreiben vom 28. Oktober 1999 mit, dass die physiotherapeutische Behandlung am
28. Januar 1999 nicht als Folge des Dienstunfalls vom 16. April 1977 erfolgt sei und die
jetzt festgestellten Verletzungen keine Auswirkungen auf den bereits bestehenden
Körperschaden hätten.
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Mit Bescheid vom 8. November 1999 lehnte daraufhin das Polizeipräsidium L eine
Anerkennung des Verkehrsunfalls vom 28. Januar 1999 als Dienstunfall ab. Zur
Begründung führte es im Wesentlichen aus: Zwischen dem angegebenen Unfall und
dem Dienst bestehe kein ursächlicher Zusammenhang. Zwar seien auch die An- und
Rückreise zu und von einem Ort außerhalb der Dienststelle, an dem ein Beamter ein
Dienstgeschäft zu erledigen habe, zum Dienst zu zählen. Der rechtlich wesentliche
Zusammenhang zum Dienst werde jedoch gelöst, wenn der Beamte den unmittelbaren
Weg auf Grund persönlicher Beweggründe verlasse. Der Kläger habe sich zum
Unfallzeitpunkt auf dem Weg zu einer physiotherapeutischen Behandlung befunden, die
keinen dienstlichen Bezug besessen habe.
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Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 7. Dezember 1999 Widerspruch, den er im
Wesentlichen wie folgt begründete: Seit seinem Dienstunfall von 1977 habe er ständig
Probleme beim Laufen und zudem Schmerzen, die seit einiger Zeit auch in den Rücken
ausgestrahlt seien. Er befinde sich deshalb in ständiger ärztlicher Behandlung. An dem
Unfalltag sei er auf dem Weg zu seinem Physiotherapeuten zu einer vereinbarten
Behandlung gewesen. Er habe an diesem Tag seinen Dienst um 7.00 Uhr
aufgenommen. Im Anschluss an zunächst erfolgte Ermittlungen auf der V Straße sei er
zu seinem Physiotherapeuten gefahren. Sein unmittelbarer Dienstvorgesetzter habe den
Termin bei dem Therapeuten genehmigt. Sein Dienstende sei an diesem Tag 14.30 Uhr
gewesen.
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Auf weitere Nachfrage des Polizeipräsidiums L teilte der Polizeivertragsarzt Herr Dr. T
mit Schreiben vom 7. Februar 2000 mit: Bei der verordneten Physiotherapie vom
25. Januar 1999 handele es sich um eine Krankengymnastik bei HWS- und BWS-
Syndrom. Der anerkannte Dienstunfall vom 16. April 1977 beruhe demgegenüber auf
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einer Meniskusschädigung und Operation. Ein Zusammenhang könne nicht gesehen
werden.
Die Bezirksregierung E wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid
vom 20. April 2000, abgesandt am 25. April 2000, als unbegründet zurück. Zur
Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Es könne nicht davon ausgegangen
werden, dass der Kläger den Verkehrsunfall vom 28. Januar 1999 bei Durchführung
eines Heilverfahrens oder auf einem hierzu notwendigen Weg erlitten habe. Hierzu sei
nämlich erforderlich, dass die zu behandelnde Erkrankung Ergebnis des seinerzeit
erlittenen Dienstunfalls sei. Ein solcher medizinischer Zusammenhang könne aus Sicht
des polizeiärztlichen Dienstes nicht gesehen werden.
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Zur Begründung seiner am 24. Mai 2000 erhobenen Klage trägt der Kläger ergänzend
vor: Die für den Unfalltag vereinbarte physiotherapeutische Behandlung sei noch auf
den Dienstunfall vom 16. April 1977 zurückzuführen. Auch für einen Nichtmediziner sei
es ohne weiteres einleuchtend, dass Probleme im Kniebereich beim Laufen und Gehen
auf Dauer im Rückenbereich ausstrahlen könnten.
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Der Kläger beantragt,
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das beklagte Land unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides des
Polizeipräsidiums L vom 8. November 1999 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 20. April 2000 zu
verpflichten, seinen Unfall vom 28. Januar 1999 als Dienstunfall anzuerkennen.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist es auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung des
Unfalls vom 28. Januar 1999 als Dienstunfall. Die angefochtenen Bescheide sind
rechtmäßig, vgl. § 113 Abs. 5 VwGO.
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Nach der Definition des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG ist ein Dienstunfall ein auf äußerer
Einwirkung beruhendes, plötzlich, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen
Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes
eingetreten ist.
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Vorliegend ist nicht erkennbar, dass der Verkehrsunfall des Klägers in Ausübung seines
Dienstes im Sinne von § 31 Abs. 1 BeamtVG eingetreten ist.
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Für die Frage, ob ein Unfall in Ausübung des Dienstes eingetreten ist, ist darauf
abzustellen, ob die Tätigkeit des Beamten, bei der es zu dem Unfall gekommen ist, ihre
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maßgebende Prägung durch die Erfordernisse des von ihm zu verrichtenden Dienstes
erfahren hat, ob sie also in einem engen natürlichen Zusammenhang mit dessen
eigentlichen Dienstaufgaben oder sonstigen dienstlichen Verrichtungen stand und
dienstlichen Interessen diente (materielle Dienstbezogenheit) und ob sie mittelbar oder
unmittelbar von der Autorität des Dienstvorgesetzten getragen wurde (formelle
Dienstbezogenheit).
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. April 1967 - IV C 96.63 -,
ZBR 1968, 84; Urteil vom 13. August 1973 - IV C 26.70 - BVerwGE 44, 36; Urteil vom
3. November 1976 IV C 203.73 -, BVerwGE 51,220.
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Durch das Kriterium der Dienstbezogenheit soll die dienstliche Sphäre mit ihren
dienstlich geprägten Risikobereichen von der privaten eigenwirtschaftlichen Sphäre des
Beamten abgegrenzt und die unangemessene Überbürdung von Unfallrisiken auf den
Dienstherrn und damit die Allgemeinheit vermieden werden.
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Ausgehend davon sind physiotherapeutische Behandlungen - auch wenn sie während
der Dienstzeiten durchgeführt werden - in der Regel dem privaten Lebensbereich
zuzurechnen. Alle Verrichtungen, die ein Beamter vornimmt, um sich gesund und
leistungsfähig zu erhalten oder seine Gesundheit wiederherzustellen, betreffen in erster
Linie ebenso wie beispielsweise die Einnahme der notwendigen Mahlzeiten oder eine
sportliche Betätigung im privaten Bereich seine persönliche Sphäre, sein so genanntes
eigenwirtschaftliches Interesse. Bei solchen Verrichtungen ist der Zusammenhang mit
dem Dienst nach der Verkehrsanschauung typischerweise gelöst.
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Dass der unmittelbare Dienstvorgesetzte des Klägers den Termin bei dem Therapeuten
während der Dienstzeit genehmigt hat, genügt nicht, um die Fahrt dorthin als dienstlich
anzusehen. Dies wird insbesondere dadurch verdeutlicht, dass der Kläger während
dieser Zeit gerade von seinen eigentlichen Dienstaufgaben befreit und somit eben nicht
in der Lage war, seinen Dienst auszuüben.
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Des Weiteren kann nicht davon ausgegangen werden, dass der vom Kläger erlittene
Unfall gemäß § 31 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG als Folge eines Dienstunfalls gilt. Die hierfür
erforderliche Voraussetzung, dass sich der Unfall bei Durchführung eines
Heilverfahrens gemäß § 33 BeamtVG oder auf einem hierzu notwendigen Weg ereignet
hat, ist nicht erfüllt. Bei der physiotherapeutischen Behandlung des Klägers am
28. Januar 1999 handelte es sich nicht um die Durchführung eines Heilverfahrens
gemäß § 33 BeamtVG. Denn dieser physiotherapeutischen Behandlung mangelt es
insbesondere an einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem vom Kläger am 6. April
1977 erlittenen Dienstunfall. Nach der Überzeugung des Gerichts steht auf Grund der im
Verwaltungsverfahren eingeholten Stellungnahmen des Polizeivertragsarztes Herrn
Dr. T vom 28. Oktober 1999 und 7. Februar 2000 fest, dass es sich bei der am
25. Januar 1999 von Herrn Dr. I1 verordneten Physiotherapie um die Behandlung des
beim Kläger bestehenden HWS- und BWS-Syndroms und nicht um die Behandlung der
infolge des Dienstunfalls vom 16. April 1977 erlittenen Meniskusschädigung handelte.
Da weder ein HWS-Syndrom noch ein BWS-Syndrom als Folge des Dienstunfalls vom
16. April 1977 anerkannt worden sind, kommt es auch nicht darauf an, ob es für einen
Nichtmediziner ohne weiteres einleuchtend sein muss, dass Probleme im Kniebereich
beim Laufen und Gehen auf Dauer im Rückenbereich ausstrahlen können.
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Die Klage war von daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
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