Urteil des VG Düsseldorf vom 08.11.2007

VG Düsseldorf: gefährliche stoffe, örtliche zuständigkeit, verwaltungsakt, umweltverträglichkeit, hygiene, gesundheit, hersteller, wasser, nummer, allgemeinverfügung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 4 K 5019/06
Datum:
08.11.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 5019/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der au-
ßergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst zu tra-gen
hat.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %
des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Be-klagte zuvor
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Klägerin entwickelt unter anderem Brandschutzkonstruktionen in Trockenbauweise
unter Verwendung von zementgebundenen (Calciumsilikat) Platten. Die Platten sind
vergleichsweise dünn und leicht, weisen aber eine hohe Feuerwiderstandsdauer und
eine gute Stabilität im Feuer auf. Die Brandschutzplatten finden Verwendung
beispielsweise zur Verkleidung von Stahlträgern oder als Unterdecken unter
Holzbalken.
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Der Beklagte führt die Bauregelliste. Sie beruht auf § 20 BauO NRW und enthält
technische Regeln über die Verwendbarkeit von Bauprodukten. Dadurch soll sicher
gestellt werden, dass die materiellen Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BauO NRW in
Verbindung mit § 3 Abs. 1 BauO NRW am Bau erfüllt werden.
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Die Bauregelliste enthält unter anderem den Teil B, in dem festgelegt wird, welche
Klassen und Leistungsstufen, die in Normen, Leitlinien oder europäischen technischen
Zulassungen nach dem Bauproduktengesetz oder in anderen Vorschriften zur
Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft (EG) enthalten sind,
bestimmte Bauprodukte erfüllen müssen. Dabei handelt es sich um Bauprodukte, die
nach den Vorschriften des Bauproduktengesetzes, anderer zur Umsetzung der
Bauproduktenrichtlinie der EG oder zur Umsetzung anderer EG-Richtlinien in den
Verkehr gebracht und gehandelt werden dürfen.
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Die Bauregelliste B wurde zum 5. April 2006 teilweise geändert. Unter der Überschrift
"Bauprodukte im Geltungsbereich von Leitlinien für europäische technische
Zulassungen” wurden unter der lfd. Nummer 2.6 (Brandschutzprodukte
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[Brandschutzbekleidungen und Brandschutzbeschichtungen]) neben dem Hinweis auf
die Zulassungsleitlinie ETAG (European Technical Approval Guidelines) 018, Teile 1
und 4 (Produkte und Bausätze aus verformbaren und nicht verformbaren
Brandschutzplatten und aus Brandschutzmatten) vom 23. Juni 2005 (Bundesanzeiger
Jahrgang 57, Nr. 188a vom 5. Oktober 2005) als erforderliche Stufen und Klassen die
Anlage 01 und die Anlage 02 zur Bauregelliste B benannt. Anlage 02 lautet:
"Das Bauprodukt/der Bausatz darf aus Gründen der Hygiene, der Gesundheit und des
Umweltschutzes für Aufenthaltsräume einschließlich zugehöriger Nebenräume und für
Bauteile im Kontakt mit Wasser und Boden nur verwendet werden, wenn der
Nachweis der gesundheitlichen Unbedenklichkeit sowie der Umweltverträglichkeit
durch allgemeine bauaufsichtliche Zulassung geführt wird”.
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Die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung wird nach § 21 BauO NRW durch den
Beklagten in einem besonderen nationalen Verwaltungsverfahren erteilt.
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Die Klägerin verfügt für ihr Produkt Promaxon, Typ A, eine Feuerschutzplatte, über die
europäische technische Zulassung Nr. 06/0215 einer belgischen Zulassungsstelle, die
vom 1. Februar 2007 bis zum 31. Januar 2012 gilt. Sie berechtigt zur Kennzeichnung mit
dem CE-Zeichen, das allerdings in der erteilten Form nicht auf eine allgemeine
bauaufsichtliche Zulassung hinweist (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a.E. in Verbindung mit
Abs. 7 Nr. 1 BauO NRW), wie sie die Anlage 02 der Bauregelliste B für
Brandschutzbekleidungen vorschreibt. Über eine derartige Zulassung nach nationalem
Landesrecht verfügt die Klägerin für das Produkt Promaxon, Typ A, jedenfalls zur
Bescheinigung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit sowie der Umweltverträglichkeit
nicht.
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Die Klägerin erhob unter dem 4. Mai 2006 gegen die Beifügung "zusätzlich gilt:
Anlage 02” in der Bauregelliste B, Teil 1, Kapitel 2, lfd. Nr. 2.6, Spalte 4 Widerspruch,
den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2006, zugestellt am
15. August 2006, zurückwies.
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Die Klägerin hat am 13. September 2006 Klage erhoben. Sie trägt vor: Die durch die
Bauregelliste B eingeführte zusätzliche allgemeine bauaufsichtliche Zulassung nach
nationalem Recht zur Überprüfung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit und
Umweltverträglichkeit sei rechtswidrig. Das ergebe sich aus Europarecht und
nationalem Recht. Aus dem Bauproduktengesetz folge, dass Bauprodukte, die das CE-
Zeichen trügen, die (widerlegbare) Vermutung für sich hätten, die wesentlichen
Anforderungen auch des Gesundheits- und des Umweltschutzes zu erfüllen. Diese
Vermutung sei nicht generell widerlegt, wenn es auf den genannten Gebieten an einer
deutschen allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung fehle. Denn auch die European
Technical Approval Guidelines (ETAG) 018, Teile 1 und 4, nach der die europäische
technische Zulassung für Promaxon, Typ A, erteilt worden sei, enthalte Gesundheits-
und Umweltbestimmungen. Sie schreibe vor, dass der Hersteller schriftlich zu erklären
habe, ob das Produkt gefährliche Stoffe nach europäischen oder nationalen
Regelungen enthalte. Mit dieser Regelung müsse es sein Bewenden haben. Eine weiter
gehende nationale Regelung sei unverhältnismäßig und behindere den freien
europäischen Warenverkehr.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beifügung "zusätzlich gilt Anlage 02” in der Bauregelliste B, Teil 1,
Kapitel 2, lfd. Nummer 2.6, Spalte 4 und den Widerspruchsbe-scheid des
Beklagten vom 8. August 2006 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen
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Der Beklagte trägt vor: Die Klage sei unzulässig. Die Fassung der Bauregelliste B, einer
technischen Vorschrift, greife nicht unmittelbar in die Rechte der Klägerin ein. Sie
betreffe die Verwendung von Bauprodukten, richte sich also an den Bauherrn, nicht an
den Hersteller. Auch in der Sache könne die Klage keinen Erfolg haben. Das
europäische Recht zur Bauproduktensicherheit enthalte gerade auf dem Gebiet von
Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz keine allgemeinen Regelungen. Zu einer
europäischen Harmonisierung sei es insoweit noch nicht gekommen. Auf den
genannten Gebieten seien nationale Regelungen weiterhin möglich und erforderlich.
Das sei auch der ETAG 018 unter Abschnitt 9.1.1 zu entnehmen. Die der Klägerin
erteilte ETA enthalte unter Abschnitt II, 2.2.2.2.1 selbst einen Verweis auf weiter
gehendes nationales Recht. Das sei auch erforderlich, weil gerade die "Wesentlichen
Anforderung an Bauwerke im Sinne der Bauproduktrichtlinie” Nr. 3, wie sie in dem
Grundlagendokument Nr. 3 "Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz” beschrieben
seien, noch keine harmonisierten, europäischen technischen Mess- und Prüfnormen
hervorgebracht hätten. Dem Europäischen Komitee für Normung (CEN) sei zwar ein
entsprechender Auftrag erteilt worden. Mit Ergebnissen rechne man aber nicht vor
2010/2011. So lange müssten nationale technische Regeln die Lücke schließen. Bloße
Herstellerangaben reichten zum Beleg der gesundheitlichen Unbedenklichkeit und der
Umweltverträglichkeit nicht aus.
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Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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1. Der Anfechtungsantrag der Klägerin ist unzulässig. Gegenstand einer
Anfechtungsklage ist das Begehren, einen belastenden Verwaltungsakt aufheben zu
lassen (§ 42 Abs. 1, 1. Fall VwGO). Der von der Klägerin angegriffenen Eintragung
"zusätzlich gilt Anlage 02” in der Bauregelliste B, Teil 1, Kapitel 2, lfd. Nummer 2.6,
Spalte 4 kommt eine Verwaltungsaktsqualität im Sinne des § 35 VwVfG nicht zu. Nach
der Anlage 02 dürfen Bauprodukte und Bausätze aus Gründen der Hygiene, der
Gesundheit und des Umweltschutzes für Aufenthaltsräume einschließlich zugehöriger
Nebenräume und für Bauteile im Kontakt mit Wasser und Boden nur verwendet werden,
wenn der Nachweis der gesundheitlichen Unbedenklichkeit sowie der
Umweltverträglichkeit durch eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung geführt wird.
Diese Regelung betrifft keinen Einzelfall im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG. Es liegt auch
kein Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung nach Satz 2 der Vorschrift vor.
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Auch Allgemeinverfügungen müssen auf unmittelbare Rechtswirkungen nach außen
gerichtet sein. Entscheidend ist dabei nicht die tatsächliche Außenwirkung, sondern
wie sich aus dem Wortlaut des § 35 Satz 1 VwVfG ("...auf ... gerichtet ...”) ergibt die
Zielgerichtetheit der Maßnahme. Unmittelbarkeit der intendierten Außenwirkung liegt
daher nur vor, wenn die angestrebten Maßnahmen durch den Verwaltungsakt selbst
herbeigeführt werden sollen und nicht lediglich wenn auch beabsichtigt Nebenfolge
einer innerbehördlichen Maßnahme sind. An der unmittelbaren Außenwirkung fehlt es
etwa, wenn zur Regelung der Rechte des Bürgers noch ein Verwaltungsakt
"dazwischen geschaltet” werden muss (Stelkens, Bonk, Sachs, VwVfG, 6. Auflage, § 35
Rdnr. 85). So verhält es sich hier. Mit der Aufnahme der Anlage 02 als zusätzliche
Voraussetzung für die Erteilung der Konformitätskennzeichnung der Europäischen
Gemeinschaft (CE-Kennzeichnung) mit einer aus Sicht des Beklagten festgelegten
Klasse oder Leistungsstufe nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a.E. BauO NRW steht die
Verwendungsfähigkeit des von der Klägerin hergestellten Bauproduktes noch nicht
unmittelbar fest. Der zwischen den Verfahrensbeteiligten vertieft erörterten Frage, ob es
sich bei der in Rede stehenden Anlage 02 um eine Klasse oder Leistungsstufe handelt,
musste das Gericht nicht weiter nachgehen. Entscheidungserheblich ist vorliegend
allein, dass aufgrund der Änderung der Bauregelliste keine unmittelbaren
Rechtswirkungen für die Klägerin eintreten. Solche ergeben sich erst dann, wenn die
von ihr hergestellte Feuerschutzplatte Promaxon, Typ A, ohne bauaufsichtliche
Zulassung verwendet werden soll und entsprechend eine Baugenehmigung (§ 75
Abs. 1 Satz 1 BauO NRW) abgelehnt wird. Im Übrigen sind die tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 35 Satz 2 VwVfG nicht gegeben. Die Änderung der
Bauregelliste richtet sich nicht an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder
bestimmbaren Personenkreis. Vielmehr steht der Adressatenkreis der von der
Eintragung Betroffenen nicht fest. Die Regelung richtet sich sowohl an Hersteller von
Bauprodukten, als auch an Unternehmer (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW, wonach
der Bauunternehmer die erforderlichen Nachweise über die Verwendbarkeit der
Bauprodukte und Bauarten zu erbringen und auf der Baustelle bereitzuhalten hat) und
Bauaufsichtsbehörden (vgl. etwa Ziffer 81.13 der Verwaltungsvorschriften zur
Bauordnung NRW, wonach im Rahmen von Bauüberwachungen Einblick unter
anderem in allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen zu gewähren ist). Sie gibt den
Rahmen für eine Verwendbarkeit von Bauprodukten vor. Auch aus der Veröffentlichung
des Entwurfs vorgesehener Änderungen der Bauregelliste A (Teile 1 bis 3), B (Teile 1
und 2) und der Liste C für die Ausgabe 2007/02 (Blatt 2 der Beiakte 3, 4 K 3125/06) geht
hervor, dass sich die Bauregelliste an die Hersteller, Prüf-, Überwachungs- und
Zertifizierungsstellen, Händler und Verwender richtet. Die streitgegenständliche
Änderung der Bauregelliste betrifft auch nicht die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer
Sache (§ 35 Satz 2, 2. Fall VwVfG) oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit
(3. Fall). Eine sogenannte sachbezogene Allgemeinverfügung liegt nur vor, wenn sie
"eine” Sache betrifft. Hieran fehlt es, wenn eine Regelung, wie hier, an alle Sachen
bestimmter Art, nicht aber an eine ganz bestimmte, tatsächlich existierende Sache
anknüpft (Stelkens, Bonk, Sachs, a.a.O., § 35 Rdnr. 227). Die Zulassungspflicht nach
Anlage 02 greift generell für Brandschutzprodukte (Brandschutzbekleidungen und
Brandschutzbeschichtungen), soweit diese für Aufenthaltsräume einschließlich
zugehöriger Nebenräume verwendet werden oder im Kontakt mit Wasser und Boden
stehen. Diese Eintragung in der Bauregelliste bezieht sich mithin nicht nur auf konkrete
Sachen (Brandschutzprodukte), die zum Zeitpunkt des Erlasses der Regelung bereits
existierten, sondern auch auf erst in Zukunft herzustellende Sachen. Derart abstrakt-
generelle Regelungen haben keine Verwaltungsaktsqualität. Erst die von der Anlage 02
geforderte allgemeine bauaufsichtliche Zulassung stellt einen die Eigenschaft und die
Benutzung eines Bauproduktes regelnden dinglichen Verwaltungsakt in Gestalt einer
Allgemeinverfügung dar (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. November 1993,
3 S 1449/91, Gewerbearchiv 1994, 228, mit weiteren Nachweisen).
2. Die Kammer hat davon Abstand genommen, eine Änderung der Klage anzuregen.
Eine Klageänderung ist nicht sachdienlich (§ 91 Abs. 1 VwGO). Für eine Klage, die auf
die Feststellung zielt, dass die Verwendung der von der Klägerin hergestellten
Feuerschutzplatte Promaxon, Typ A, neben der europäischen technischen Zulassung
ETA-06/0215 keiner allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung durch den Beklagten
bedarf, ist das erkennende Gericht örtlich nicht zuständig. Bei Feststellungsklagen, wie
auch bei allgemeinen Leistungsklagen, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach § 52
Nr. 5 VwGO. Danach ist das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der
Beklagte seinen Sitz hat. Der Beklagte hat seinen Sitz in Berlin (Art. 1 Abs. 1 des
Abkommens über das Deutsche Institut für Bautechnik).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit
(§ 162 Abs. 3 VwGO), dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst
trägt, da dieser keinen Antrag gestellt und sich mithin keinem Kostenrisiko ausgesetzt
hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt
aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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