Urteil des VG Düsseldorf vom 21.01.2003

VG Düsseldorf: gemeinde, widmung, verwaltungsbehörde, grundstück, beitragspflicht, aufwand, öffentlich, planungsverfahren, gesetzesänderung, raumordnung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 17 K 2789/00
Datum:
21.01.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 K 2789/00
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Miteigentümer des Grundstücks Gemarkung G1, postalisch: X Straße 000.
Das 292 m² große Grundstück ist mit einem eingeschossigen Wohngebäude bebaut.
Das Grundstück liegt am Ende eines etwa 70 m langen Privatweges, der in die X Straße
mündet und dessen Fläche im Miteigentum des Klägers sowie der Eigentümer der
anderen an den Privatweg grenzenden Grundstücke steht. Eine Verbindung des
streitbefangenen Grundstücks des Klägers von und zur X Straße hin besteht
ausschließlich über den Privatweg. Dieses Grundstück, wie auch fünf weitere im Süden
an den Privatweg angrenzende Grundstücke, erhalten durch die X Straße eine
Ersterschließung.
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Die nördlich des Privatweges gelegenen Grundstücke grenzen zusätzlich an die P
Straße.
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Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die
X Straße in dem Abschnitt zwischen der heutigen P1 Straße und der P Straße.
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Die X Straße führte vor Fertigstellung der hier abgerechneten Teilstrecke als Ringstraße
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von der P Straße im Norden zunächst in westlicher Richtung, verschwenkte sodann
nach Süden und mündete nach einem weiteren Schwenk nach Osten wieder in die P
Straße. Die hier beschriebene X Straße ist im Jahre 1965 ausgebaut worden. Zu Beginn
der Achtzigerjahre erhielt die P Straße eine weiter östlich verlaufende Trassenführung.
Dazu wurde der bereits vorhandene Straßenzug der X Straße in nordöstlicher Richtung
um ca. 75 m verlängert. Diese Teilstrecke stellt nunmehr die Verbindung zur neuen
Trassenführung der P Straße dar.
Der von der X Straße nach Süden führende Teil der (alten) P Straße blieb als Straße
bestehen und wurde 1989 in P1 Straße umbenannt. Der nach Norden führende Teil der
P Straße wurde auf einer Strecke von 200 m eingezogen und durch die neue nach
Osten verschwenkte Trassenführung ersetzt.
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Der technische Ausbau des hier maßgeblichen Abschnittes der X Straße wurde im
Jahre 1981 beendet. Sie weist eine Straßenbreite von ca. 10 m auf und wurde mit
Fahrbahn, Gehwegen beiderseits der Fahrbahn, Beleuchtungs- und
Entwässerungseinrichtungen ausgebaut. Die Widmung dieses Abschnitts der X Straße
als Gemeindestraße wurde am 1. April 1981 im Amtsblatt der Stadt E veröffentlicht.
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Die X Straße hatte unter Geltung von § 125 Abs. 2 BauGB a.F. keine förmlich
festgesetzten Straßenbegrenzungslinien. Die Grundstücke beiderseits des hier
abgerechneten Ausbauabschnittes der X Straße sind im Jahre 1989 bebaut worden.
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Der Beklagte ermittelte einen Ausbauaufwand in Höhe von 203.458,08 DM. Davon legte
er nach Abzug des 10 %igen Gemeindeanteils DM 183.112,27 auf die
Anliegergrundstücke mit einer Gesamtverteilfläche von 9211 m², woraus sich ein Betrag
von 19,877738 DM/m² Verteilfläche ergibt, um.
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Mit Bescheid vom 2. November 1999 zog der Beklagte den Kläger zu einem
Erschließungsbeitrag in Höhe von 5.817,54 DM heran.
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Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 29. November 1999 Widerspruch, zu dessen
Begründung u.a. vorgetragen wurde: Das abgerechnete Teilstück der X Straße bilde
soweit ersichtlich, gemeinsam mit einem Teilstück der nunmehrigen P Straße lediglich
eine leicht veränderte Trassenführung der vormaligen historischen Straße „P2 Straße".
Damit könne diese Teilfläche keine eigenständige, sondern nur Teil einer historischen
Erschließungsanlage sein. Das hier maßgebliche Teilstück der P Straße müsste bereits
abgerechnet worden sein, obwohl es jedenfalls keine eigenständige
Erschließungsanlage sein könne, sondern eine solche allenfalls zusammen mit dem
nunmehr abgerechneten Teil der X Straße bilden könne. Zweifel an der Rechtmäßigkeit
deren Heranziehung ergäben sich auch daher, dass wohl nach zutreffende Auffassung
des Stadtplanungsamtes die durch die hier maßgebliche Teilfläche der X Straße
erschlossenen Grundstücke einem nach § 35 BauGB zu beurteilenden Bereich lägen.
Damit fehle es an den Voraussetzungen des § 133 BauGB selbst für solche
Grundstücke, die faktisch bebaut seien. Schließlich sei auch zweifelhaft, dass die
Neuregelung des § 125 Abs. 2 BauGB zu einer nachträglichen Abrechenbarkeit und
damit zu einem Verjährungslauf ab 1. Januar 1998 geführt habe.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 5. April 2000 (zugestellt am 7. April 2000) wies die
Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie u.a. aus:
12
Neben der erstmals endgültigen technischen Herstellung einer Straße müssten
ebenfalls rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine
Erschließungsbeitragspflicht entstehen könne. Dazu gehöre für Anlagen im unbeplanten
Bereich die Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde nach § 125 Abs. 2 BauGB.
Diese Voraussetzung ist mit der Neufassung des BauGB, die zum 1. Januar 1998 in
Kraft getreten sei, nicht mehr erforderlich, sodass die Erhebung der
Erschließungsbeiträge nunmehr auch rechtlich abgesichert sei. Nach dem
Einführungserlass zum Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 würden
Erschließungsanlagen, die vor Inkrafttreten des Gesetzes ohne Zustimmung der
höheren Verwaltungsbehörde in technischer Hinsicht hergestellt worden seien, ab dem
1. Januar 1998 als rechtmäßig hergestellt gelten. Sollte dies die letzte fehlende
Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen sein -
was für die X Straße zutreffe - beginne mit diesem Zeitpunkt die
Festsetzungsverjährung. Nach den für das Beitragsrecht geltenden einschlägigen
Verjährungsvorschriften trete die Verjährung nach Ablauf von vier Jahren seit Ende des
Kalenderjahres ein, in dem die Beitragspflicht entstanden sei. Die Forderung für die X
Straße würde somit erst zum 1. Januar 2003 verjähren.
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Bei der X Straße im abgerechneten Bereich zwischen P1 und P2 Straße handele es
sich nicht um eine historische Straße; sie sei vielmehr eine neue Erschließungsanlage ,
die auf einer ganz anderen Trasse verlaufe als der mittlerweile nicht mehr existierende
Straßenteil. Sie verlaufe sowohl in eine andere Richtung und erschließe damit auch
ganz neue Grundstücke. Nach dem durch die tatsächlichen Gegebenheiten geprägten
Erscheinungsbild sei die X Straße unzweifelhaft als eigenständige
Erschließungsanlage anzusehen. Der nahezu gleichzeitige Ausbau zweier Straßen
ergebe nicht zwangsläufig eine zusammengehörende Erschließungsanlage.
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Die von der X Straße erschlossenen und damit auch veranlagten Grundstücke lägen
nicht im Außenbereich nach § 35 BauGB, sondern innerhalb eines im Zusammenhang
bebauten Ortsteiles und seien damit nach § 34 BauGB zu beurteilen.
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Der Kläger hat am 5. Mai 2000 Klage erhoben.
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Er macht geltend: Die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die hier
maßgebliche Steilstrecke der X Straße finde in §§ 127 ff. BauGB keine
Ermächtigungsgrundlage. Die Berechtigung zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen
bestehe nur für solche Erschließungsanlagen, die die Gemeinde in Erfüllung ihrer
Erschließungsbeitragspflicht nach § 123 Abs. 1 BauGB hergestellt habe. Das aber sei
bei der hier abgerechneten Ausbaumaßnahme nicht der Fall. Die hier maßgebliche
Teilstrecke der X Straße sei im Jahre 1981 technisch hergestellt und gewidmet worden.
Der Ausbau sei ausschließlich aus verkehrlichen Gründen erfolgt. Hierbei sei zu
berücksichtigen, dass ursprünglich bis 1980, die P Straße auf einer Trasse über die
‚Flurstücke 000, 000, 000 und 000 verlaufen sei und sich sodann in die heutige P1
Straße, die dato P Straße geheißen habe, fortgesetzt habe. Es sei seitens der Beklagten
beabsichtigt gewesen, die P Straße nördlich fortzuführen und zur Hauptverkehrsstraße
auszubauen sowie die nunmehrige P1 Straße abzubinden, um den Durchgangsverkehr
um den Stadtteil herumzuführen. Allerdings sei der Ausbau der neuen P Straße
zunächst nur bis zum heutigen Kreuzungsbereich erfolgt. Die Anlage des
verfahrensgegenständlichen Teilstücks der X Straße sei somit erforderlich gewesen, um
den Verkehr auf der P Straße nicht im Acker enden zu lassen.
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Aus diesem Grunde sei auch von der technischen Herstellung und der Widmung der
Teilstrecke der X Straße im Jahre 1981 an bis zum Jahre 1999 weder eine
Heranziehung erfolgt, noch ein Antrag an die höhere Verwaltungsbehörde nach § 125
Abs. 2 Satz 1 BauGB a.F. gestellt worden. Die hier fragliche Maßnahme wäre auch als
Erschließungsmaßnahme unter keinen Umständen nach § 125 Abs. 2 Satz 1 BauGB
a.F. zustimmungsfähig gewesen. Eine solche Zustimmung hätte vorausgesetzt, dass
sich die Ausbaumaßnahme im unbeplanten Innenbereich befunden hätte. Dies sei bei
der hier abgerechneten Teilstrecke der X Straße erkennbar nicht der Fall gewesen. Der
gesamte Bereich sei unbebaut und unbeplant gewesen, es habe sich nicht um
Innenbereich gehandelt, sondern um Außenbereich im Sinne des § 35 BauGB, sodass
eine Zustimmungsmöglichkeit nach § 125 Abs. 2 Satz 1 BauGB a.F. 1981 erkennbar
nicht bestanden habe. Dies sei auch der Grund dafür gewesen, dass ein Antrag auf
Zustimmung seitens der Beklagten zu keinem Zeitpunkt gestellt worden sei.
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Zwar sei mit Wirkung zum 1. Januar 1998 § 125 Abs. 2 BauGB novelliert worden, dabei
sei das Erfordernis der Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde entfallen. Dies
bedeute indes nicht, dass die hier verfahrensgegenständliche Maßnahme infolge
dessen seit dem 1. Januar 1998 eine rechtmäßige Erschließungsmaßnahme, für die
Erschließungsbeiträge erhoben werden könnten, darstellen würde.
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Die Neufassung des § 125 Abs. 2 BauGB habe zu keiner Änderung materiellrechtlicher
Regelungen geführt, sondern einzig zu einem Zuständigkeitswechsel.
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Dies bedeute, dass die hier fragliche Maßnahme auch weiterhin nicht als rechtmäßig
Erschließungsmaßnahme zu betrachten sei, da sie 1981 nicht den Voraussetzungen
entsprochen habe, unter denen eine Zustimmung hätte erteilt werden können. Mithin
fehle es an einer rechtmäßigen Herstellung einer Erschließungsanlage, sodass die
Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen ausscheide.
21
Selbst wenn die Änderung des § 125 Abs. 2 BauGB zum 1. Januar 1998 zu einer
materiell-rechtlichen Legitimierung der hier fraglichen Maßnahme geführt habe, stünde
der Heranziehung des Klägers der Einwand der Verjährung entgegen. Die hier fragliche
Anlage sei 1981 technisch hergestellt und dem öffentlichen Verkehr gewidmet worden,
mit Errichtung der Einfamilienhäuser sei diese Anlage etwa im Jahre 1989 auch zum
unbeplanten Innenbereich geworden, sodass in diesem Zeitpunkt die sachliche
Beitragspflicht entstanden sei. Die Gesetzesänderung zum 1. Januar 1998 habe auf den
Lauf der Verjährungsfristen keinerlei Einfluss. Jede andere Auslegung des § 125 Abs. 2
BauGB n.F. würde dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot widersprechen.
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Der Ansatz des Beklagten hinsichtlich der Fremdkapitalkosten für den Zeitraum
zwischen 1981 und 1998 in die Herstellung sei zu korrigieren, da zumindest bis zum 1.
Januar 1998 die Maßnahme rechtswidrig gewesen sei.
23
Der Kläger beantragt,
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den Beitragsbescheid der Beklagten vom 2. November 1999 und den hierzu
ergangenen Widerspruchsbescheid vom 5. April 2000 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend
Bezug genommen.
28
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Die angefochtenen Beitragsbescheide der Beklagten vom 2. November 1999 und der
Widerspruchsbescheid vom 5. April 2000 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger
nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
31
Die Bescheide finden ihre Rechtsgrundlage in der Satzung der Stadt E über die
Erhebung des Erschließungsbeitrages vom 4. April 1996 in Verbindung mit §§ 127 ff.
BauGB.
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Bei dem hier maßgeblichen Abschnitt der X Straße handelt es sich um eine
beitragsfähige Erschließungsanlage. Nach § 123 Abs. 1 BauGB ist die Erschließung
Aufgabe der Gemeinde, soweit sie nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften oder
öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen einem anderen obliegt. Die X Straße steht als
Gemeindestraße in der Straßenbaulast der Beklagten. Eine durch gesetzliche Regelung
oder durch sonstige öffentlich-rechtliche Verpflichtung abweichende Regelung
hinsichtlich der Straßenbaulast liegt nicht vor. Die für den gegenteiligen Standpunkt von
der Klägerseite zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
33
BVerwG, Urteil vom 25. November 1981 - 8 C 10/81- in: DÖV 82, 328
34
greift nicht, da dieser Entscheidung ein abweichender Sachverhalt zu Grunde lag. Es
ging dort um die vom Bundesverwaltungsgericht verneinte Frage, ob für eine
Anliegerstraße, zu deren Herstellung die Bundesrepublik Deutschland auf Grund
rechtskräftigen Planfeststellungsbeschlusses verpflichtet war, Erschließungsbeiträge
erhoben werden können. Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der X Straße nicht
gegeben, da sie weder eine klassifizierte Straße (Kreis-, Land- bzw. Bundesstraße) ist,
noch eine von der gesetzlichen Straßenbaulast der Gemeinde nach § 6 StrWG NRW
abweichende öffentlich-rechtliche Vereinbarung vorliegt.
35
Bei der X Straße handelt es sich um eine Erschließungsanlage, für deren Herstellung
die Beklagte nach § 127 BauGB verpflichtet ist, Erschließungsbeiträge zu erheben. Mit
der Bebauung der Grundstücke beiderseits des Ausbauabschnittes im Jahre 1989 erfüllt
die noch im Zeitpunkt ihrer technischen Fertigstellung (1981) im Außenbereich
verlaufende Anlage nunmehr das Merkmal einer zum öffentlichen Anbau bestimmten
Straße (§ 127 Abs. 2 Ziffer 1 BauGB). Dadurch ist die X Straße im hier maßgeblichen
Abschnitt zu einer beitragsfähigen Anbaustraße geworden.
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Vgl. hier BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 1995- 8 C 13.94 -, DVBl. 1966, 231.
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Die Beitragspflicht ist allerdings erst nach der zum 1. Januar 1998 in Kraft getretenen
Änderung des § 125 BauGB entstanden.
38
Die planungsrechtlichen Voraussetzungen waren unter Geltung des § 125 Abs. 2
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BauGB a.F. nicht gegeben.
Da für die X Straße ein Bebauungsplan nicht besteht, war die Rechtmäßigkeit ihrer
Herstellung von der Genehmigung der Bezirksregierung abhängig (§ 125 Abs. 2 BauGB
a.F.), weil nicht unerhebliche Variationsmöglichkeiten hinsichtlich der Breite und auch
der Straßenführung unter Inanspruchnahme von nicht überbauten Teilflächen der
angrenzenden Grundstücke gegeben waren, sodass die Möglichkeit nach § 125 Abs. 2
Satz 2 BauGB ausscheidet.
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Damit stellt sich auch die von der Klägerseite aufgeworfene Frage der Verjährung nicht,
weil eine Beitragspflicht zu einem früheren Zeitpunkt noch nicht entstanden ist.
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Entgegen der Auffassung der Klägerseite liegt deshalb auch kein Verstoß gegen das
verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot vor.
42
Die Planrechtmäßigkeit der X Straße ist mit Blick auf § 125 Abs. 2 BauGB n.F. gegeben.
Eines zusätzlichen Planungsaktes durch die Gemeinde bedurfte es nicht. Das
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat in seinem Urteil vom 29.
November 2002 - 3 A 3710/99 -zu diesem Problemkreis ausgeführt:
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„Die Voraussetzungen des § 125 Abs. 2 BauGB n.F. waren bei seinem Inkrafttreten
erfüllt.
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Die „Reststrecke" entspricht - wie der Beklagte dargetan hat - den in § 1 Abs. 4-6 BauGB
bezeichneten materiall-rechtlichen Anforderungen, was auch der Kläger nicht in Zweifel
zieht. Damit ist der Tatbestand des § 125 Abs. 2 BauGB n.F. erfüllt. Denn die von § 125
Abs. 2 BauGB n.F. geforderte Prüfung ist allein auf das Vorliegen der Anforderungen
des § 1 Abs. 4-6 BauGB bezogen, deren Feststellung nach Maßgabe der alten Fassung
der Vorschrift der höheren Verwaltungsbehörde oblag. Damals und nunmehr geht es
einzig um die Frage, ob die gewählte Ausbauvariante rechtmäßiges Resultat einer den
Voraussetzungen des § 1 Abs. 4-6 BauGB genügenden Planung sein kann.
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Vgl. zum alten Rechtszustand: BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 - 8 C 77.88 - ZMR
1990, 352.
46
§ 125 Abs. 2 BauGB n.F. verlangt nicht die Vornahme eines Planungsakts, erfordert also
nicht einen der Gemeinde und dort dem nach Kommunalverfassungsrecht zuständigen
Organ vorbehaltenen Abwägungsvorgang gem. § 1 Abs. 5 und 6 BauGB.
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So allerdings insbesondere Driehaus, a.a.O, § 7 Rdnr. 24 ff.
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Dagegen spricht nach Auffassung des Senats durchgreifend der Umstand, dass mit der
Neufassung des § 125 Abs. 2 BauGB einzig ein Zuständigkeitswechsel beabsichtigt
war.
49
So im Ausgangspunkt auch Driehaus, a.a.O., § 7 Rdnr. 18, vgl. auch Bericht des
Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, BT-Druck S. 13/7589 S. 28.
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Dies verdeutlicht der Wortlaut des Gesetzes, der als Gegenstand der früher von der
höheren Verwaltungsbehörde und nunmehr von der Gemeinde vorzunehmende
Prüfung, die „in § 4 Abs. 4 - 6 bezeichneten Anforderungen" in Bezug nimmt, ohne
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ausdrücklich oder auch nur mittelbar etwaige nach der Gesetzesneufassung
einzuhaltende Verfahrensanforderungen anzusprechen. Demgegenüber besteht kein
durchgreifender Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber über einen Zuständigkeitswechsel
hinaus zugleich eine Änderung des Prüfungsinhalts herbeiführen wollte, nämlich die
Ersetzung der Rechtsprüfung durch ein Planungsverfahren. Die Annahme einer solchen
Gesetzesänderung i.S. der Normierung eines Planungsaktes, der bei gegebenen
Anlass im erschließungsbeitragsrechtlichen Streitverfahren inzidenter zu überprüfen
wäre,
vgl. dazu die Ausführungen bei Driehaus, a.a.O., § 7 Rdnr. 22, 24 f., und Ludyga/Hesse,
Erschließungsbeitrag, 17. EL Oktober 2001, § 125 BauGB Rdnr. 56,
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hätte in der Praxis nur schwer zu bewältigende Auswirkungen. Der Gemeinde wäre
nämlich ein Planungsverfahren auferlegt, das mangels jedweder Regelung von
Förmlichkeiten besonders angreifbar und fehleranfällig wäre. So sichert beim
Bebauungsplan ein etwa vom Gesetzgeber bis in die Einzelheiten vorgeschriebenes
Beteiligungsverfahren (§ 3 ff. BauGB) die vollständige Erfassung aller
abwägungsrelevanten Belange. Ähnliche Verfahrensvorschriften Gewähr leisten auch
die materiell rechtmäßige Durchführung von Planfeststellungsverfahren, vgl. etwa § 17
Bundesfernstraßengesetz. Darüber hinaus sind mit den vorgenannten
Gesetzesvorschriften erlassen worden, die nachträgliche Einwendungen gegen
ergangene Planungsakte beschränken oder ausschließlich (vgl. etwa § 4 Abs. 3, § 214
Abs. 3 Satz 2, § 215 BauGB, § 17 Abs. 4 und 6 c Bundesfernstraßengesetz). Die
Annahme, dass die Gesetzgeber den Gemeinden gerade im Anwendungsbereich des §
125 Abs. 2 BauGB, also in Fällen, in denen die städtebauliche Entwicklung und
Ordnung keine Bauleitpläne erfordert (§ 1 Abs. 3 BauGB), sondern eine
„Grobabstimmung" reicht,
53
Ludyga/Hesse, a.a.O.,
54
ein Planungsverfahren ohne ein derartiges „sicherndes Netz" aufbürden wollte, liegt
hiernach fern. In dieser Richtung bietet auch das Gesetzgebungsverfahren keine
Anhaltspunkte. Die Neufassung des § 125 Abs. 2 BauGB ist offensichtlich unter dem
Gesichtspunkt der Zuständigkeitskonzentration und damit als Verfahrensvereinfachung -
als Konsequenz aus dem Wegfall des Anzeigeverfahrens für Bebauungspläne und zur
Stärkung der kommunalen Planungshoheit - betrachtet worden; vor erwähnten
verfahrensrechtlichen Besonderheiten eines Planungsverfahrens wurden dabei nicht
ansatzweise im Blick genommen.
55
Vgl. erneut den Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
a.a.O."
56
Das Gericht schließt sich diesen Rechtsausführungen des Oberverwaltungsgerichts
Nordrhein-Westfalen in der allerdings noch nicht rechtskräftigen Entscheidung an.
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Die weiteren Voraussetzungen für die Beitragserhebung liegen vor.
58
Erschließungsbeiträge können nur für Straßen erhoben werden, die den Charakter
öffentlicher Straßen im Sinne des Straßen- und Wegerechts des betreffenden
Bundeslandes haben. Letzteres setzt eine wirksame Widmung voraus. Diese
Voraussetzungen liegen vor, weil die Widmungsverfügung vom 6. März 1982 in
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Übereinstimmung mit § 6 LStrG NRW die Festsetzung der Straßengruppe (hier
Gemeindestraße) enthält und im Übrigen aus der Textfassung „X Straße von P Straße
bis neues Straßenstück der P Straße" sich der Umfang der gewidmeten
Erschließungsanlage eindeutig bestimmen lässt. Denn die Ausbaustrecke ist im Norden
durch eine Querstraße und im Süden durch eine abzweigende Straße mit den im
Zeitpunkt der Fertigstellung der Anlage geltenden Straßennamen gekennzeichnet. Die
spätere im Jahre 1989 erfolgte Änderung der Straßennamen steht der Wirksamkeit der
Widmung nicht entgegen.
Auch der in der Widmung enthaltene zusätzliche Hinweis auf die Möglichkeit, Pläne bei
der Beklagten einzusehen, ist unschädlich. Der Hinweis ist nicht Bestandteil des
verfügenden Teils der Widmung. Ihm kommt zur Begrenzung des Teils der Anlage, die
dem Gemeindegebrauch zur Verfügung stehen soll, keine inhaltsbestimmende Wirkung
zu. Er ist angesichts der eindeutigen Begrenzung der Anlage anhand von
Straßennamen lediglich erläuternder Hinweis.
60
Der von der Beklagten in die Abrechnung eingestellte Aufwand ist nicht zu
beanstanden. Nach § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB können Beiträge zur Deckung des
anderweitig nicht gedeckten Erschließungsaufwandes nur insoweit erhoben werden, als
die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen und die gewerblich zu
nutzenden Flächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen.
Entstandene Kosten sind mithin nach § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur beitragsfähig,
wenn sie erforderlich waren. Für die Beurteilung, ob eine beitragsfähige
Erschließungsanlage überhaupt und ob sie nach Art und Umfang erforderlich ist, ist der
Gemeinde ein weiter Spielraum zuzubilligen;
61
BVerwG, Urt. v. 21. Oktober 1970 - 4 C 51.69 -, DVBl 1971, 213, Beschluss vom 24.
November 1978 - 4 C 18.76 -, NJW 1979, 2220 f.
62
Diese Grenze ist nach der Obergerichtlichen Rechtsprechung erst dann überschritten,
wenn die Ausgestaltung der Anlage „sachlich schlechthin unvertretbar" ist;
63
BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979 - 4 C 28.76 -, DVBl. 1980, 754.
64
Eine derartige Überschreitung des sachlich Vertretbaren ist vorliegend nicht
festzustellen. Der durch Rechnungen belegte Aufwand ist weder substantiiert bestritten
worden noch sind unzutreffende Rechnungsansätze erkennbar.
65
Auch der Ansatz der Fremdfinanzierungskosten, die nach einhelliger Ansicht
umlegungsfähiger und -pflichtiger Erschließungsaufwand sind, ist nicht zu beanstanden;
66
BVerwG, Urt. v. 23. August 1990 - 8 C 4.89 -, DVBl. 1990, 1408 m.w.N.
67
Die vom Beklagten in die Abrechnung eingestellten Fremdfinanzierungskosten belaufen
sich auf 26.425,25 DM und betragen damit etwa nur 11% des Gesamtaufwandes.
Angesichts der Höhe und dem Rechenwerk des Beklagten in dessen
Verwaltungsvorgang ergeben sich keine Anhaltspunkte für Ermittlungsfehler. Im Übrigen
hat der Beklagte entgegen der Auffassung der Klägerseite Fremdfinanzierungskosten
nur für den Zeitraum von 1974 (Abschluss des Grunderwerbs) bis Ende der technischen
Fertigstellung im Jahre 1981 in Ansatz gebracht.
68
Hiernach war von Gesamtausbaukosten in Höhe von 203.458,08 DM auszugehen.
Nach Abzug des Stadtanteils von 10% ist der Beitragserhebung ein umlagefähiger
Aufwand in Höhe von 183.112,27 DM zu Grunde zu legen.
69
Für die Verteilung des beitragsfähigen Aufwandes gilt Folgendes:
70
Die bei der Verteilung des Erschließungsaufwandes von der Beklagten berücksichtigten
Grundstücke werden sämtlich durch die X Straße im Sinne des § 131 Abs. 1 BauGB
erschlossen. Das gilt insbesondere auch für die Grundstücke, die an den von der X
Straße nach Westen hin führenden Privatweg (Flurstück 000) angrenzen.
71
Grundstücke, die an eine erschließungsrechtlich unselbstständige, aber befahrbare
Privatzuwegung bzw. - in einer relativ kleinen Reihenhausanlage - an ein
erschließungsrechtlich unselbstständiges, aber befahrbares privates
Zuwegungssystem, dass in ein oder mehrere öffentliche Erschließungsstraßen mündet,
sind grundsätzlich (nur) von der jeweils nächsten erreichbaren öffentlichen Anbaustraße
erschlossen.
72
Driehaus, NJW Schriften 42, 6. A. § 5 Rdnr. 5; BVerwG, Urt. vom 30. Januar 1970 - 4 C
151.68 -, DVBl. 70, 839 = DöV 70, 862.
73
Für die Abgrenzung zwischen selbstständiger und unselbstständiger
Erschließungsanlage ist auf den Gesamteindruck, den die zu beurteilende Anlage nach
den tatsächlichen Verhältnissen vermittelt, sowie auf das Maß der Abhängigkeit
zwischen ihr und der Straße, in die sie einmündet, abzustellen;
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Driehaus, a.a.O., § 5 Rdnr. 7 ff., m.n. aus der Rspr. des BVerwG.
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Dabei ist davon auszugehen, dass beispielsweise ein bis zu 100 Meter langer
befahrbarer Stichweg in der Regel unselbstständig ist, während ein circa 280 Meter
langes, zwischen ca. 3,5 Meter und 11,0 Meter breites, nicht gewidmetes
Privatwegesystem, dass der inneren Erschließung einer aus 31 Wohngrundstücken
bestehenden Reihenhausanlage dient und im Miteigentum derjenigen steht, deren
Wohngrundstücke daran grenzen, regelmäßig als eine selbstständige
Erschließungsanlage im Sinne des § 123 Abs. 2 BauGB zu qualifizieren ist.
76
Vgl. Driehaus a.a.O., BVerwG, Urt. v. 23.03.1984 - 8 C 65.82 -, DVBl. 84, 683 = KStZ 84,
149.
77
Diese Vorgaben für die Annahme einer selbstständigen Erschließungsanlage sind
hinsichtlich des hier maßgebenden Privatweges (Flurstück 000) mit einer Länge von
deutlich unter 100 Metern nicht gegeben. Hinzu kommt, dass der Stichweg
ausschließlich auf die Waldecker Straße, von der er abzweigt, angewiesen ist und
anderes, als bei Verkehrsanlagen mit Verbindungsfunktion, sich schon deswegen der
Eindruck der Unselbstständigkeit aufdrängt. Dieser Eindruck wird verstärkt, weil der
Privatweg nur 6 von 14 der angrenzenden Grundstücke eine Primärerschließung bietet
und die Mehrzahl der anderen Grundstücke zugleich an öffentliche
Erschließungsanlagen wie die P Straße, die X Straße und die P1 Straße angrenzen.
78
Den Grundstücken im Verteilungsgebiet, die außer an die X Straße, auch an weitere
Erschließungsanlagen angrenzen, hat die Beklagte eine
79
Mehrfacherschließungsvergünstigung gewährt. Die Verteilungsregelung des § 5 EBS ist
von der Beklagten auch im Übrigen beachtet worden.
Nach alledem hat die Beklagte aus der Summe der Berechnungsflächen aller durch die
Anlage erschlossenen Grundstücke, die zu ermittelnde Verteilfläche mit 9.211 m² richtig
ermittelt.
80
Der Beitragsgrundbetrag beläuft sich infolge dessen auf 183.112,27 DM dividiert durch
9.211 m² = 19, 879738 DM/m² und entspricht in dieser Höhe dem Ansatz der Beklagten.
81
Die Beklagte hat den Beitrag für das Grundstück des Klägers richtig festgesetzt. Insofern
kann zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die Darlegungen und das
Rechenwerk in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten Bezug genommen
werden.
82
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
83
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2
VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
84
Die Zulassung der Berufung beruht auf §§ 124 Abs. 1 Nr. 2, 124 a Abs. 1 VwGO.
85
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